Health in All Policies (Gesundheit in allen Feldern der Politik)

Nur 10 bis 40 Prozent des Gesundheitszustandes und der Lebenserwartung sind auf medizinische Versorgung zurückzuführen

“Der Erklärungsanteil des Gesundheitswesens im engeren Sinne an der Veränderung der Lebenserwartung bzw. Mortalität liegt nach zahlreichen nationalen als auch internationalen vergleichenden Studien zwischen 10 und 40 Prozent”, schreibt der deutsche “Sachverständigenrat für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen” (ein Gremium von Fachleuten für Gesundheit und Public Health) in seinem Gutachten.[1]Sachverständigenrat für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen: http://www.svr-gesundheit.de Zahlreiche Bestimmungsfaktoren (Determinanten) von Gesundheit und Krankheit liegen damit außerhalb der Reichweite von ÄrztInnen, Krankenhäusern und Pflegpersonal

Das bedeutet zugleich, dass 60 bis 90 Prozent des Gesundheitszustandes und der Lebenserwartung der Menschen nicht auf die medizinische Versorgung zurückzuführen sind. Aus diesem Grund hält der Sachverständigenrat deshalb fest, “dass eine effiziente und effektive Einwirkung auf die gesundheitlichen Outcomes im Sinne einer Gesundheitspolitik im weiteren Sinne eine Kooperation mit anderen Politikbereichen bzw. Ministerien” erfordern, was z.B. über “entsprechende interministerielle Ausschüsse initiiert werden könne”.

Die Gesamtpolitik soll gesundheitsfördernd gestaltet werden und zur praktischen Umsetzung sollen das Gesundheitsministerium und der gesamte Gesundheitssektor dafür mit anderen Ministerien und anderen Poltikfeldern zusammenarbeiten – zum Beispiel mit der Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Verkehrs- und/oder Wirtschaftspolitik.   


Lebens- und Arbeitsbedingungen und andere Einflüsse außerhalb des Gesundheitssystems haben Einfluss auf Gesundheit und Lebenserwartung

Das so genannte “Regenbogen-Modell” erfasst die relevanten Gesundheitsdeterminanten[2]Gesundheitsdeterminanten (Faktoren, die sich auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken) sind zu unterscheiden von Gesundheitsindikatoren:            Gesundheitsindikatoren sind … weiterlesen in Anlehnung an G. Dahlgren & M. Whitehead (Policies and strategies to promote social equity in health. Stockholm: Institute for Future Studies, 1991).

Regenbogenmodell
  • Im innersten Kreis des Regenbogens stehen die unveränderlichen Gesundheitsmerkmale wie Alter, Geschlecht und Erbanlagen.
  • Die Faktoren individueller Lebensweise sind prinzipiell veränderbar. Sie kann mehr oder weniger gesundheitsförderlich sein, z.B. in Hinblick auf Ess-, Trink- oder Rauchverhalten.

Inwieweit das Gesundheitsverhalten eines Menschen dann aber tatsächlich veränderbar ist, hängt wiederum (auch) von anderen Faktoren ab, wie z.B. den im Lauf des Lebens erworbenen Verhaltensmustern und deren Vorbilder. Vor allem die soziale Herkunft und die so genannte “Selbstwirksamkeitserwartung” (die Erwartung, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch tatsächlich erfolgreich ausführen zu können) werden hier als relevant betrachtet.

  • Im dritten Ring des Regenbogens stehen die sozialen Einflüsse auf die Gesundheit. Allgemein geht man davon aus, dass gute Freundschaften und gute soziale Kontakte die Gesundheit fördern. Familie, FreundInnen und KollegInnen gehören hier ebenso dazu wie zu den Menschen in der näheren Nachbarschaft und der Gemeinschaft.
  • Den vierten Ring bilden die Lebens- und Arbeitsbedingungen im engeren Sinn, die ebenfalls einen bedeutsamen Einfluss auf die Gesundheit haben. Wichtige Fragen sind hier bezüglich der Arbeit, ob der betreffende Mensch Schwerarbeit verrichten muss oder negativem Stress ausgesetzt ist. Und hinsichtlich seiner Wohnsituation, wie und wo er wohnt und ob er einen guten Zugang zur medizinischen Grundversorgung hat.
  • Den äußersten Ring bilden die allgemeinen Umweltbedingungen, die sich direkt und/oder indirekt auf unsere Gesundheit auswirken. Dazu gehören nach Dahgren und Whitehead unter anderem die Wirtschaftslage, das Rechtssystem und die “Medienlandschaft” ebenso wie die physische Umwelt, also beispielsweise die Qualität von Wasser, Luft oder Boden.

 
Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik als europaweite Zielsetzung

Eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik wird erstmals in der Ottawa Charta for Health Promotion gefordert, dem 1986 verabschiedeten grundlegenden Dokument zur Gesundheitsförderung der Weltgesundheitsorganisation WHO (http://www.who.int/hpr/NPH/docs/ottawa_charter_hp.pdf; deutsche Übersetzung: http://www.fgoe.org/hidden/downloads/ottawa-charta.pdf).

Finnland, das im zweiten Halbjahr 2006 den Vorsitz des Rates der Europäischen Union innehatte. erklärte “Health in All Policies” (Gesundheit in allen Feldern der Politik) zum Leitthema.

Im April 2010 fand unter der Patronanz der südaustralischen Regierung und der WHO eine internationale Tagung zum Thema “Gesundheit in allen Politikbereichen” statt – mit Verabschiedung der so genannten Adelaide Erklärung der WHO zu Gesundheit in allen Politikbereichen – auf dem Weg zu einer gemeinsamen Verantwortung und Steuerung für Gesundheit und Wohlbefinden (http://www.who.int/social_determinants/german_adelaide_statement_for_web.pdf).

Der Gesundheitssektor soll bei der Umsetzung von “Health in All Policies” mit anderen Sektoren partnerschaftich zusammenarbeiten und sich dabei folgenden Aufgaben stellen:

  • die politischen Agenden und verwaltungsrechnischen Notwendigkeiten anderer Sektoren verstehen;
    • eine Wissens- und Informationsbasis für Handlungsoptionen und Strategien aufbauen;
    • die gesundheitlichen Optionen für politsche Entscheidungen bewerten;
    • Dialogforen und Plattformen schaffen, um regelmäßig gemeinsam mit anderen Sektoren Probleme zu lösen;
    • zu bewerten, inwieweit sektorenübergreifende Arbeit und integrierte Politikgestaltung auch wirksam sind;
    • Kapazitäten aufzubauen, indem qualifizierte MitarbeiterInnen und andere Ressourcen zur Verfügung gestellt und Methoden verbessert werden; und
    • mit anderen Sektoren der Politik zusammenzuarbeiten, um deren Ziele zu erreichen und so gleichzeitig zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden für alle Menschen beizutragen
  • Im September 2011 hielt die WHO ein Treffen in New York ab mit dem Thema, dass nicht-infektiöse Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs, chronische Erkrankungen der Atemwege und Diabetes weltweit in wachsendem Ausmaß das größte Gesundheitsproblem sind, zunehmend auch in den weniger entwickelten Ländern der Welt.

Als mögliche Lösungen wurden ein “gesamtpolitischer” und ein “gesamtgesellschaftlicher” Ansatz zur Gesundheitsförderung vorgeschlagen.

  • Die Weltkonferenz der WHO im Oktober 2011 in Rio de Janeiro hatte die sozialen Determinanten von Gesundheit zum Thema und speziell auch, wie soziale Ungleichheit und die damit in Zusammenhang stehende gesundheitliche Ungleichheit reduziert werden können.

Um dieses Ziel zu erreichen haben sich die TeilnehmerInnen (Regierungschefs, MinisterInnen und RepräsentantInnen von Regierungen zahlreicher Länder der Welt) verpflichtet, sich für eine Zusammenarbeit verschiedener Regierungsressorts und unterschiedlicher Regierungsebenen einzusetzen und gesundheitliche Chancengleichheit ausdrücklich zu einem politischen Ziel zu erklären. Das Gesundheitsressort soll dabei als “Anwalt” der betroffenen Menschen eine Führungsrolle übernehmen (http://www.who.int/sdhconference/declaration/en/index.html).  


Quellen

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Sachverständigenrat für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen: http://www.svr-gesundheit.de
2 Gesundheitsdeterminanten (Faktoren, die sich auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken) sind zu unterscheiden von Gesundheitsindikatoren:            
Gesundheitsindikatoren sind ausgewählte Parameter, die Rückschlüsse zulassen auf die Gesundheit der Bevölkerung bzw. von Teilpopulationen. Betrachtet werden dabei demografische Entwicklungen, Gesundheitsstatus, Gesundheitsverhalten, gesundheitliche Versorgung sowie verfügbare Ressourcen. Bei mehrmaligen Erhebungen gestatten sie die Verfolgung von Prozessen und die Erreichung von Zielen wie die Verbesserung der Gesundheit, die Verminderung von Morbidität oder eine ausreichende Versorgung von Zielgruppen (http://www.leitbegriffe.bzga.de/?uid=46c8f7ec267249975bda233b1afabe94&id=angebote&idx=193).