Empathie, Theory of Mind und Loving Compassion

Was ist Empathie?

Es gibt viele, sich in Details unterscheidende Definitionen von Empathie (Einfühlung). Zusammenfassend kann man Empathie als die Fähigkeit beschreiben, wahrzunehmen, was in einem anderen vorgeht.

  • Diskutiert wird allerdings, was alles zu Empathie gehört. Einig ist man sich im Allgemeinen, dass Gefühle und Emotionen unabdingbar für Empathie sind. Meist wird auch das Erkennen von Absichten, Gedanken und Persönlichkeitsmerkmalen hinzugezählt.
  • Probleme wirft auch die Unterscheidung zwischen Empathie (Einfühlung) und Empathiefähigkeit (Einfühlungsfähigkeit) auf. Manche Forscher gehen davon aus, dass neben der Fähigkeit auch die Bereitschaft vorliegen muss, sich in sein Gegenüber (das nicht unbedingt ein Mensch sein muss) einzufühlen. Die Stärke der Empathie (als emotionaler Zustand) ist nämlich nachweislich von situativen Faktoren abhängig (z.B. davon, wie gestresst man gerade ist) – Faktoren, die man als „Bereitschaft zur Empathie“ zusammenfassen kann.
  • Nun kann Empathie zwar durch situative Faktoren gesteigert werden, unbewusst ablaufende Empathie-Prozesse finden aber dennoch auch unabhängig von einer (steuerbaren) Bereitschaft statt, weshalb eine Gleichung wie Empathie = Empathiefähigkeit + Bereitschaft nur bedingt sinnvoll ist.
  • Während man früher uneins war, ob Empathie darin besteht zu verstehen, was in der anderen Person vorgeht, oder ob eine entsprechende Handlung mit dazu gehört, ist man sich heute einig, dass die empathische Handlung nicht mehr zur Empathie gezählt wird, sondern ein prosoziales Verhalten darstellt.

Unterschieden werden häufig kognitive und emotionale Empathie, die sich oftmals auch gegenseitig beeinflussen.

  • Kognitive Empathie bedeutet, dass man wahrnimmt, was in einem anderen vorgeht, wozu auch die Anwendung eines Persönlichkeitsmodells gehört.
  • Emotionale (oder affektive) Empathie liegt im Gegensatz dazu vor, wenn man die Gefühle eines anderen annimmt, also fühlt, was der andere fühlt. In diesem Fall spricht man umgangssprachlich auch von Mitgefühl, Mitleid oder Mitfreude.


Empathie-Altruismus-Hypothese

Gemäß der Empathie-Altruismus-Hypothese steigert das Mitfühlen mit anderen unsere Fairness und Hilfsbereitschaft. So hat C. Daniel Batson, einer der Wortführer dieser Sichtweise, in den 1980er Jahren in seinem Elaine-Experiment gezeigt, dass wir für andere eher Partei ergreifen, wenn wir uns mit ihnen verbunden fühlen.

In einer bildgebenden Studie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig konnte Tania Singer zeigen, dass ohne Empathie (das Zingulum vermittelt solche empathischen Reaktionen) unsere Hilfsbereitschaft sinkt, anderen zu helfen. Zusätzlich zeigte sich in dieser Versuchsanordnung, dass die empathischen Reaktionen von Männern stärker vom Verhalten der anderen abhängen als dies bei Frauen der Fall ist.

Viele sozialpsychologische Untersuchungen zeigen, dass Menschen für die wir keine oder wenig Empathie aufbringen, leichter zu Sündenböcken werden. Und insbesondere für Mitglieder der eigenen Gruppe, sei es Familie, Verein oder Nation, bringen wir meist mehr Mitgefühl auf als für andere – ein Umstand, dessen sich viele autokratische Regime der Welt bedienen.


Schattenseiten des Mitgefühls

Zugleich aber auch kann gerade das Einfühlen in andere – als Folge der Abwehr und emotionalem („empathischem“) Stress – Gleichgültigkeit und Zynismus fördern oder aber dazu führen, dass wir das Leid anderer völlig ausblenden. Beispiele dafür sind Menschen in helfenden Berufen (wie Ärzte, Therapeuten oder Sozialarbeiter), die empathischem Stress besonders häufig ausgesetzt sind, aber auch die Überforderung mit zuviel Leid (wie beispielsweise im Umgang mit Hilfesuchenden aus Syrien).

Der Psychologe Paul Bloom thematisierte diese Schattenseite der Einfühlung in seinem Ende 2016 erschienenem Buch „Against Empathy“. Bloom zufolge macht uns Mitgefühl oft blind dafür, wo unsere Hilfsbereitschaft am sinnvollsten eingesetzt werden sollte: „Empathie macht die Welt nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter“.

Der Germanist und Kognitionsforscher Fritz Breithaupt geht sogar noch einen Schritt weiter und vertritt die Ansicht, dass uns Empathie vom moralisch besten oder vernünftigen Handeln ablenken kann und mitunter sogar „ein Werkzeug des Bösen“ werden kann, z.B. wenn sich ein Sadist am Leiden seines Opfers weidet, weil er sich gut in dieses einfühlen kann.

Auswüchse der Empathie zeigen sich auch darin, dass manche Menschen, wie Behinderte, Kranke oder auch Flüchtlinge, regelrecht in eine Opferrolle gedrängt werden, damit jene, die mit ihnen mitfühlen, sich am eigenen „Gutmenschentum“ erfreuen können. Der Drang nach Empathie, der uns hier moralisch erhebt, zementiert damit zugleich die missliche Lage anderer.

Aus Breithaupts Sicht hilft Empathie zunächst denen, die sie empfinden, da das Sich-in-andere-Hineinfühlen die eigenen emotionalen Möglichkeiten erweitert, intensiver wahrnehmen lässt. Was man dann damit anfängt, sei allerdings nicht festgelegt. Man kann die Empathie und die damit entstehenden emotionalen Möglichkeiten zu altruistischem ebenso wie zu egoistischem, ja sogar Menschen verachtendem Handeln benutzen.


Faktoren, die die Empathie beeinflussen

Weder Bloom noch Breithaupt bestreiten dabei jedoch, dass Empathie moralisches Handeln fördern kann. Allerdings betonen sie, dass sei das erst die halbe Wahrheit. Mitgefühl ist aus ihrer Sicht nicht per se gut oder schlecht. Immer käme es darauf an, wie man es einsetzt und „Empathie ist, wie Inzlicht, Cameron & Cunningham in einem Beitrag schreiben (zitiert nach Gehirn & Geist 9/2017) „eine Wahl, die wir treffen oder nicht“.

Wieviel Empathie wir aufbringen, hängt auch damit zusammen, wie wir Empathie bewerten, und ist abhängig von anderen sozialen Kontexten wie beispielsweise die Identifikation mit einer Gruppe, finanzielle Motive, Bewertung von Empathie, bis hin zu Versuchen die eigene Stimmung oder das eigene Selbstwertgefühl zu heben. Unstrittig ist, dass wir unser Mitgefühl steuern und dosieren.


Empathie bekunden ist nicht Empathie empfinden

Empathie ist moralisch und gesellschaftlich sehr besetzt. Öffentlich wird häufig mehr Mitgefühl (für unterschiedlichste Personen und Personengruppen) gefordert oder auch ihr Niedergang beklagt. In diesem Kontext wird häufig die Metastudie von SozialpsychologInnen um Sara Konrath zitiert, die 72 Forschungsarbeiten mit etwa 14.000 TeilnehmerInnen in den Jahren zwischen 1979 und 2009 auswertete. Über diesen Zeitraum, so das Ergebnis der Studie, sanken die Empathiewerte in einem Fragebogen (Interpersonal Reactivity Index, IRI), der verschiedene Dimensionen prosozialer Einstellungen misst.

Das Problem dieser Interpretation ist allerdings, dass die zugrundeliegenden Arbeiten auf Selbsteinschätzungen (-auskünften) der Befragten beruhen – und heute ist ein Hang zur Selbstdarstellung und zum Egoismus salonfähiger als noch in den 1970er Jahren, was die Interpretation der Daten erschwert, die Vergleichsergebnisse verzerrt.


Empathie und Egoismus: Gegensätze?

Der Begriff „Empathie“ ist heute sehr unscharf in Verwendung und reicht von Gemeinsinn und Wir-Gefühl, Imitation und Modelllernen, über Spiegelung und Resonanz bis hin zu gedanklichem Perspektivenwechsel und emotionaler Anteilnahme. Im Kern beschreibt Empathie ein spontanes Mitvollziehen, was andere fühlen.

Dieser Mechanismus schafft Verbundenheit und stiftet Gemeinschaft. Darum werden, wie Michael Pauen (deutscher Philosoph) ausführt, unsinnigerweise Weise Empathie und Egoismus gegeneinander ausgespielt.

Pauen zufolge brauchen wir aber – jeder von uns – beides, eines ohne das andere sei in Wirklichkeit sogar undenkbar, sind doch beide sozial wichtige Fähigkeiten. Weder ist das rücksichtslose Durchsetzen eigener Wünsche und Absichten auf Dauer gesehen sinn- und erfolgreich (siehe auch das falsch verstandene Darwinsche Prinzip des „survival of the fittest“), noch das einseitig selbstlose Teilen und Wir-Gefühl. Zu unseren sozialen Fähigkeiten, so Pauen, gehören auch die Fähigkeiten andere zu durchschauen, für unsere Zwecke einzusetzen oder sie gegebenenfalls auch hinters Licht zu führen.


Bedarf ein tief gehendes Verständnis anderer eines empathischen Hineinversetzens in diese?

Mit der Entdeckung der Spiegelneurone Mitte der 90er Jahre an der Universität Parma entstand ein nicht haltbarer Mythos, dass nur das, was die Spiegelneuronen in unserem Kopf aktiviert und so eine innere Simulation fremder Handlungen und Absichten auslöst, geistig durchdrungen werden könne.

Einerseits lässt sich dieser Auffassung entgegenhalten, dass zu viel Empathie dem Erkenntnisgewinn durchaus im Weg stehen kann (genau diesen Mechanismus benützen – immer wieder – Menschen, Regierungen und Medien, um uns zu manipulieren, eventuell sogar zu betrügen), andererseits kann man auch durch abstrakte, logische Schlussfolgerungen Einsicht in fremde Konzepte und Handlungsweisen gewinnen.


Ist mehr Mitgefühl immer besser?

Die Vorstellung, dass mehr Mitgefühl stets besser sei, wird von den wissenschaftlichen Ergebnissen widerlegt. Im Gegenteil kann ein Übermaß an Empathie (und Identifikation) kann sich unter Umständen sogar negativ auswirken – in einer Partnerschaft ebenso wie in Therapiesituationen, generell bei Problemlösungen aller Art.

Und noch etwas zeigen die Untersuchungen: Wir müssen mit unserer Empathie haushalten und darauf achten, wem wir sie zukommen lassen – vor allem aber, wem nicht!

Und ganz generell gilt, dass uns Empathie nicht nur ermöglicht, einander in Not beizustehen, zu helfen und zu teilen, sondern dass sie uns auch ermöglicht, die eigenen Interessen geschickt und möglichst sozial verträglich durchzusetzen.


Weitere Möglichkeiten andere zu verstehen

Empathisches Mitfühlen ist nicht die einzige Möglichkeit andere zu verstehen, sich in sie hineinzuversetzen. Andere Zugänge bilden die sogenannte Theory of Mind (Mentalisieren) oder die Begegnung mit liebevollem Wohlwollen (loving compassion).

Theory of Mind bedeutet das kognitive Erfassen des anderen, das Denken über das Denken anderer, z.B. Schlussfolgerungen darüber, was das Gegenüber weiß, beabsichtigt oder wie wir sein Denken beeinflussen können.

Während empathisches Mitfühlen vor allem von der Insula (Inselrinde) sowie dem vorderen zingulären Kortex vermittelt wird, beansprucht das Mentalisieren vor allem Regionen im Stirnhirn (z.B. präfrontaler Kortex), im Schläfenlappen sowie im Übergangsbereich vom Schläfen- zum Scheitellappen.

Loving Compassion (liebevolles Wohlwollen), die es von fernöstlichen Meditationstechniken vermittelt wird, bedeutet dem anderen Gutes zu wünschen und ihm beizustehen ohne sich mit ihm zu identifizieren. Im Unterschied zu Mitgefühl, das häufig negative Emotionen beim Mitfühlenden auslöst, bringt distanziertes Wohlwollen eine (weitgehend) bedingungslos positive Einstellung mit sich.


Empathie oder Loving Compassion?

Einen experimentellen Vergleich erbrachten Tania Singer und Olga Klimecki, bei denen TeilnehmerInnen entweder Empathie oder liebevolles Wohlwollen (meditativ) trainierten. Schon nach wenigen Wochen berichteten die Versuchspersonen über unterschiedliche Gefühle beim Betrachten von Filmen, in denen Menschen in Not zu sehen waren. Die Teilnehmer der Empathiegruppe empfanden deutlich mehr eigene Bedrückung angesichts des gezeigten Leids. Die Teilnehmer der Vergleichsgruppe hingegen blieben meist positiv gestimmt.

Beim anschließenden Computertest erwiesen sich die Teilnehmer der Loving Compassion-Gruppe zudem als hilfsbereiter. Offenbar, so das Resümee der ForscherInnen (zitiert nach Gehirn & Geist 9/2017), „fördert liebevolles Wohlwollen den Impuls, altruistisch zu handeln, stärker als das bloße Hineinversetzen in andere“.


Quellen

  • Empathie Akademie (http://www.empathie-lernen.de)
  • Steve Ayan: Schattenseiten des Mitgefühls (Gehirn & Geist 9/2017, S. 12-18)
  • Fritz Breitfurt: Das Leiden der anderen (Gehirn & Geist 9/2017, S. 19-22)