EU-Entschließung 1997
Entschließung der Europäischen Union vom 29. Mai 1997 zur Rechtsstellung der nichtkonventionellen Medizinrichtungen (A4-0075/97)

Das Europäische Parlament,- in Kenntnis des Entschließungsantrags der Abgeordneten Pimenta, Dell’Alba, Diez de Rivera Icaza, Crowley, Ewing, González Álvarez und Plumb zur alternativen (nicht unter den Begriff Schulmedizin fallenden) Medizin (B4- 0024/94),

– unter Hinweis auf seine Stellungnahme vom 13. Juni 1991 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel,[1]ABl. C 183 vom 15.07.1991, S. 318.

– unter Hinweis auf die Richtlinie 92/73/EWGdes Rates zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel,[2]ABl. L 297 vom 13.10.1992, S. 8.

– unter Hinweis auf Posten B6-8332 des Haushaltsplans der Union für das Haushaltsjahr 1994, Posten B6-7142 vorletzter Abschnitt des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995, Posten B6-7142 Absätze 4 und 5 des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996, in denen 1 Million ECU für die “Forschungsbilanz zur Effektivität anderer therapeutischer Methoden wie Chiropraxis, Ostheopathie, Akupunktur, Naturopathie, chinesische Medizin, anthroposophische Medizin, Phytotherapie usw.” vorgesehen sind,

– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz sowie der Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte (A4-0075/97),

A. in der Erwägung, daß ein Teil der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten der EU bestimmte nichtkonventionelle Medizinrichtungen und Therapien in Anspruch nimmt, und daß es infolgedessen unrealistisch wäre, diese Sachlage zu ignorieren,

B. angesichts der auch bei einigen Medizinern verbreiteten Ansicht, daß verschiedene Behandlungsmethoden bzw. verschiedene Betrachtungsweisen von Gesundheit und Krankheit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil einander ergänzen können,

C. unter Hinweis darauf, wie wichtig es ist, den Patienten eine möglichst weitgehende freie Therapiewahl zu gewährleisten, wobei ein sehr hohes Sicherheitsniveau und genaueste Informationen über die Unschädlichkeit, die Qualität, die Wirksamkeit und der eventuellen Risiken der sogenannten nichtkonventionellen Medizinrichtungen sicherzustellen ist, und sie vor nichtqualifizierten Personen zu schützen,

D. in der Erwägung, daß die Gesamtheit der medizinischen Systeme und therapeutischen Disziplinen, die unter die Bezeichnung “nichtkonventionelle Medizin” fallen, das Merkmal gemeinsam haben, daß ihre Wirksamkeit nicht oder nur teilweise anerkannt ist; in der Erwägung, daß man als “alternativ” eine medizinische oder chirurgische Behandlung bezeichnen kann, die anstelle einer anderen Behandlung angewandt wird, und als “ergänzend” eine Behandlung, die zusätzlich zu einer anderen Behandlung durchgeführt wird; in der Erwägung, daß es Unklarheit stiftet, wenn man von “alternativen” oder “ergänzenden” medizinischen Disziplinen spricht, da nur der genaue Zusammenhang, innerhalb dessen die Therapie angewandt wird, die Feststellung ermöglicht, ob sie in diesem Fall alternativ oder ergänzend ist; in der Erwägung, daß eine alternative medizinische Disziplin gleichzeitig ergänzend sein kann; in der Erwägung, daß in dieser Entschließung der Ausdruck “nichtkonventionelle Medizin” die Begriffe “alternative Medizin” , “sanfte Medizin” und “ergänzende Medizin” einschließt, die in manchen Mitgliedstaaten unterschiedslos zur Bezeichnung aller anderen medizinischen Richtungen als der Schulmedizin verwendet werden,

E. in der Erwägung, daß der Arzt zum größtmöglichen Schutz der Gesundheit der eigenen Patienten alle Mittel und alle Kenntnisse in gleichgültig welcher medizinischen Disziplin nach Wissen und Gewissen nutzen kann,

F. in der Erwägung, daß es ein breites Spektrum nichtkonventioneller medizinischer Disziplinen gibt, und daß einige von ihnen in einigen Mitgliedstaaten in der einen oder anderen Form rechtlich anerkannt sind bzw. über eine Organisationsstruktur auf europäischer Ebene verfügen (gemeinsame Grundausbildung, Berufsethik usw.), insbesondere die Chiropraxis, Homöopathie, anthroposophische Medizin, traditionelle chinesische Medizin (einschließlich Akupunktur), Shiatsu, Naturopathie, Osteopathie, Phytotherapie etc; daß aber nur einige der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen alle der folgenden Kriterien erfüllen, nämlich daß sie in mehreren Mitgliedstaaten eine gewisse Form rechtlicher Anerkennung genießen, auf europäischer Ebene über eine Organisationsstruktur verfügen und über ein eigenes Regelwerk für die Disziplin verfügen,

G. unter Hinweis auf den EG-Vertrag und insbesondere Titel III Artikel 52 bis 66 betreffend die Freizügigkeit für Personen und die Niederlassungsfreiheit; in der Erwägung, daß die Unterschiedlichkeit des Status und der Anerkennung jeder dieser nichtkonventionellen medizinischen Richtungen innerhalb der Europäischen Union eine Beeinträchtigung dieser Freiheiten darstellt; in der Erwägung, daß die Freiheit der Berufsausübung, die bestimmte Angehörige von Gesundheitsberufen in ihrem Land derzeit genießen, auf keinen Fall durch eine Änderung der Rechtsstellung oder des Grades der Anerkennung dieser Disziplinen auf europäischer Ebene eingeschränkt werden darf, desgleichen die Freiheit der Therapiewahl der Patienten bei nichtkonventionellen medizinischen Behandlungen; unter Hinweis auf die Bestimmungen, die für die Mitgliedstaaten gemäß dem Vertrag und insbesondere gemäß Artikel 57 Absätze 1, 2 und 3 EGV gelten,

H. in der Erwägung, daß sich eine Entwicklung bereits klar abzeichnet, einerseits in Form der Verabschiedung nationaler Rechtsvorschriften in einigen Mitgliedstaaten zur Liberalisierung der Ausübung der nichtkonventionellen Medizin, während gleichzeitig bestimmte Behandlungen ausschließlich den hierfür autorisierten Praktikern vorbehalten bleiben (am 9. November 1993 vom niederländischen Senat verabschiedetes Gesetz für “Beroepen in de Individuele Gezondheidszorg” ), andererseits in Form der Verabschiedung spezifischer Regelungen (Gesetz über die Osteopathie von 1993 und Gesetz über die Chiropraxis von 1994 im Vereinigten Königreich, Gesetz über die Chiropraxis in Dänemark im Jahr 1991, in Schweden 1989 sowie in Finnland), durch die Festlegung einer Ausbildungsordnung (für die Chiropraxis im Vereinigten Königreich und in den nordischen Ländern) oder auch durch die Aufnahme von Medikamenten in die Pharmakopöe (anthroposophische Medizin in Deutschland),

I. in der Erwägung, daß europäische Rechtsvorschriften über die Rechtsstellung und die Ausübung der nichtkonventionellen Medizin eine Garantie für die Patienten darstellen könnten; in der Erwägung, daß es jeder Disziplin überlassen werden müßte, den Berufsstand auf europäischer Ebene zu organisieren (Berufsethik, Standesregister, Ausbildungskriterien und Ausbildungsniveau),

J. in der Erwägung, daß zunächst jede der nichtkonventionellen medizinischen Richtungen klar definiert werden muß; in der Erwägung, daß zu diesem Zweck klinische Studien, Bewertungen der Behandlungsergebnisse, grundlegende Untersuchungen (Wirkungsmechanismen) und andere wissenschaftliche Prüfungen oder akademische Forschungen durchgeführt werden müssen, um die Wirksamkeit der angewandten Therapien zu beurteilen, wobei diese Beurteilung mit Hilfe der in jeder Humantherapie üblichen Methoden erfolgen muß, d.h. der Methoden, die sich auf die jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere der Biologie und der Statistik, gründen,

K. in der Erwägung, daß die Reglementierung und Koordinierung der Ausbildungskriterien für Praktiker der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen eine für die Bürger unerläßliche Garantie darstellen würde, da es sowohl im Interesse der Patienten als auch der Praktiker von vordringlicher Bedeutung ist, daß diese Harmonisierung auf einem hohen Qualifikationsniveau erfolgt und daß in jedem Fall der Erwerb eines staatlichen Diploms verlangt wird, das den spezifischen Anforderungen jeder Fachrichtung entspricht; in der Erwägung, daß die Ausbildungsniveaus auf die allgemeinen ärztlich-medizinischen Prinzipien, denen jede therapeutische Handlung zu entsprechen hat, sowie auf die Besonderheiten der jeweiligen nichtkonventionellen medizinischen Richtungen abgestimmt sein müssen,

L. in der Erwägung, daß die Ausbildung von Praktikern der Schulmedizin eine Einführung auch in einige nichtkonventionelle medizinische Disziplinen umfassen sollte,

M. in der Erwägung, daß die europäische Pharmakopöe die ganze Skala der pharmazeutischen und pflanzlichen Produkte der nichtkonventionellen Medizinrichtungen umfassen müßte, damit die Therapeuten ihren Beruf nach den Regeln der Kunst ausüben können und gleichzeitig die Patienten die Gewähr haben, daß eine genaue Beurteilung der nichtkonventionellen Medikamente vorgenommen wird ; in der Erwägung, daß es aus den gleichen Gründen erforderlich ist, die Richtlinien 65/65/EWG, 75/319/EWG und 92/73/EWG sowie die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 zur Einsetzung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln zu überprüfen und den Patienten so eine Garantie für die Qualität und Unbedenklichkeit der nichtkonventionellen Medizinrichtungen zu bieten,

N. in der Erwägung, daß der Rat in seiner Entschließung vom 20. Dezember 1995 über Zubereitungen auf heilpflanzlicher Basis[3]ABl. C 350 vom 30.12. 1995, S. 6. die Kommission ersucht, “die Rechtsstellung der Zubereitungen auf pflanzlicher Basis im Rahmen der gemeinschaftlichen Vorschriften über Arzneimittel” zu klären und “die spezifischen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleistet ist” zu prüfen,

O. angesichts der Forderung eines Nachweises der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der in Frage stehenden therapeutischen Mittel und der Veröffentlichung von Monographien für jedes Heilmittel,

P. in der Erwägung, daß Rechtsvorschriften im Bereich der Nahrungsmittelergänzungsstoffe (Vitamine, Spurenelemente etc.) angesichts der derzeitigen Rechtslage zum Schutz des Verbrauchers beitragen würden, ohne seinen freien Zugang und seine Wahlfreiheit zu behindern, und einem qualifizierten Praktiker die Verschreibung solcher Erzeugnisse ermöglichen würden,

Q. angesichts der Notwendigkeit, eine Übergangsperiode vorzusehen, die es jedem heute tätigen Praktiker ermöglicht, sich den neuen Rechtsvorschriften anzupassen, und einen Äquivalenzausschuß einzusetzen, der die Situation der betroffenen Praktiker von Fall zu Fall zu prüfen hat,

1. fordert die Kommission auf, sofern die Ergebnisse der Studie dies rechtfertigen, einen Prozeß der Anerkennung nichtkonventioneller medizinischer Richtungen einzuleiten und zu diesem Zweck die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Einsetzung geeigneter Ausschüsse zu ermöglichen;

2. ersucht die Kommission, vorrangig eine gründliche Studie über Unbedenklichkeit, Wirksamkeit, Anwendungsgebiet und ergänzenden bzw. alternativen Charakter der einzelnen nichtkonventionellen Therapien durchzuführen sowie eine vergleichende Studie zwischen den bestehenden nationalen Rechtsmodellen, denen die Personen unterliegen, die Formen der nichtkonventionellen Medizin ausüben, zu erstellen;

3. ersucht die Kommission, bei der Ausarbeitung von europäischen Rechtsvorschriften über die nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen klar zu unterscheiden zwischen nichtkonventionellen Therapien mit “ergänzendem” Charakter und sogenannten “alternativen” Therapien, die also anstelle von schulmedizinischen Therapien angewandt werden;

4. fordert den Rat auf, nach Abschluß der Vorarbeiten gemäß Ziffer 2 dieser Entschließung die Entwicklung von Forschungsprogrammen im Bereich der nichtkonventionellen medizinischen Richtungen zu fördern, in die die individuelle und ganzheitliche Vorgehensweise, die präventive Rolle sowie die Besonderheiten der nichtkonventionellen medizinischen Disziplinen einzubeziehen sind; verpflichtet sich, dies ebenfalls zu tun;

5. ersucht die Kommission, ihm und dem Rat so rasch wie möglich über die Studien und Untersuchungen Bericht zu erstatten, die durchgeführt wurden im Rahmen der Haushaltszeile B-7142, die seit 1994 Mittel für die Erforschung der Wirksamkeit homöopathischer und anderer nichtkonventioneller Therapien vorsieht;

6. ersucht die Kommission, in der Untersuchung über die Wirksamkeit von im Rahmen der nichtkonventionellen Medizinrichtungen durchgeführten Therapien darauf zu achten, daß keine dieser Therapien, wie sie in den Mitgliedstaaten angewandt werden, Organe bedrohter Tierarten als Heilmittel verwendet und somit zum illegalen Handel mit diesen Tierarten beiträgt;

7. fordert die Kommission auf, einen Vorschlag für eine Richtlinie für Nahrungsmittelergänzungsstoffe vorzulegen, die häufig auf der Grenze zwischen einem Diäterzeugnis und einem Medikament liegen; dieser Rechtsakt müßte eine korrekte Herstellungspraxis zum Schutz der Verbraucher gewährleisten, ohne die Freiheit des Zugangs und der Wahl einzuschränken, und muß jedem Vertreter eines Heilberufs die Freiheit gewährleisten, solche Erzeugnisse zu empfehlen; fordert die Kommission auf, die Handelsschranken zwischen den Mitgliedstaaten aufzuheben und den Herstellern von Gesundheitserzeugnissen den freien Zugang zu allen EU-Märkten zu gewährleisten;

8. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 ABl. C 183 vom 15.07.1991, S. 318.
2 ABl. L 297 vom 13.10.1992, S. 8.
3 ABl. C 350 vom 30.12. 1995, S. 6.