Focusing als Bereicherung für die Shiatsu Praxis 3 (Ute Ursula Burkhardt)

Im letzten Artikel über das Focusing und darüber, wie es die Shiatsu Praxis bereichern könnte, ging es um die äußere und innere Bewegung in einen „FreiRaum“. Zwei Beispiele aus meiner Shiatsu Praxis sollten veranschaulichen, wie die KlientIn bereits im Ankommen und im das Shiatsu einleitenden Gespräch dazu eingeladen werden kann, sich mit ihrem Heilsein, der Lebendigkeit ihres Körpers und dem freien Fluss ihrer Energie zu verbinden. Dieser Kontakt mit dem Lebendigen kann damit das Gemeinsame werden, auf das KlientIn und BehandlerIn sich während des Shiatsu beziehen.

So wie jedoch nichts, was lebendig und im fließen ist, festgehalten werden kann, so kann auch der Kontakt zum Lebendigen und Fließenden während der Behandlung immer wieder verloren gehen und möchte von neuem gefunden werden.


Zurückkehren zum Fluss / FreiRaum begleitet uns durch die Behandlung

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Das, was als „Blockierendes“ zur Shiatsubehandlung mitgebracht wurde oder etwas, das sich während der Behandlung neu auftut, kann den Bewusstseinszustand FreiRaum verdrängen und die Aufmerksamkeit der KlientIn an sich binden. 

Kaum wird die Schulter berührt, meldet sich die Sorge um die Schulter zurück und der Schmerz tritt wieder in den Vordergrund. Ein besonders wahrgenommenes Tsubo hält die Aufmerksamkeit gefangen. Die Besorgnis, etwas könnte nicht stimmen, lässt in einen Zustand des Kontrollierens geraten. Etwas, das in Fluss kommt – wie zum Beispiel Tränen – wird zurückgehalten. Ein Gedanke, oder ein Bedürfnis nach Lagewechsel, Gespräch, Wärme,… wird nicht ausgesprochen. Die KlientIn gerät in einen Zustand der Übertragung und ist in ihrer Aufmerksamkeit auf die BehandlerIn fixiert.

Diese nimmt dies meist als ein Stocken und einen Verlust des Kontaktes wahr. Ist es ihr möglich, den Aufmerksamkeitsraum für das, was fließt, zu halten, so findet die Aufmerksamkeit der KlientIn von selbst dorthin zurück. 

Gelingt dies jedoch nicht, können Interventionen wie: „Ich nehme wahr, dass sich da in Ihnen etwas tut.“  oder: „Können Sie mir mitteilen, wo Sie gerade sind?“  die KlientIn dazu einladen, bewusst wahrzunehmen, was jetzt gerade geschieht. Dies zu benennen unterstützt sie darin, zu einem Ich im Jetzt zurückzukehren, das etwas, das sich körperlich meldet oder etwas, das sich in ihr ereignet, wahrnimmt. Der freie Raum zwischen ihr und dem Wahrgenommen eröffnet sich erneut. Sie erlebt sich selbst wieder als körperlich anwesendes, atmendes Wesen, das etwas dabei hat, was ihre Aufmerksamkeit ruft.

Bleibt die Aufmerksamkeit trotz dieser einladenden Interventionen am Schmerz (als Beispiel) hängen, so könnte die im letzten Artikel beschriebene „Übung des guten Ortes“ hilfreich sein. Hier wird die KlientIn dazu eingeladen, einen Ort in sich zu finden, an dem sie sich wohl fühlt, bei diesem zu verweilen und ihn in allen Modalitäten zu beschreiben, so dass er sich in ihr etwas ausdehnen kann. Sie wird sodann dazu angeregt, sich dort niederzulassen und  wahrzunehmen, wie sie sich jetzt fühlt.  

Alternativ kann sie dazu eingeladen werden, wahrzunehmen, wo sie das Fließen der Energie spürt und mit ihrer Aufmerksamkeit dort zu verweilen.

Aus der wieder gewonnenen Verbindung mit dem Fließenden wird es der KlientIn möglich, mit dem, was schmerzt, in neuer Weise in Kontakt zu sein.

Das, was wahrgenommen wurde (hier: der Schmerz) kann im weiteren Verlauf zum Gegenstand der Behandlung werden.


FreiRaum als innere Haltung der BehandlerIn

Die innere Einstellung und das ständige Zurückbesinnen auf das Lebendige, ist es, was es der BehandlerIn ermöglicht, diesen besonderen Aufmerksamkeitsraum für die KlientIn zu halten und immer wieder neu zu eröffnen, wenn er verloren ging. Carl Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Gesprächstherapie, schreibt zur Haltung des Therapeuten:

„Manchmal, wenn ich auf meine therapeutischen Erfahrungen zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass meine Rolle gewissermaßen die eines Gärtners ist, der sich bemüht, die Bedingungen für Wachstum herzustellen, weil es ihn befriedigt, etwas wachsen zu sehen – der aber weiß, dass er auch als noch so kenntnisreicher Botaniker das Wachstum selbst nicht herbeiführen kann. Das ist Sache der Pflanze.“

(Rogers: „Therapeut und Klient“[1]Rogers, C.R., (1996), Therapeut und Klient . Grundlagen der Gesprächspsychotherapie, Geist und Psyche Fischer, Seite 125)


FreiRaum für die Begegnung schaffen:

Das FreiRaum Schaffen ist eine der Möglichkeiten, diesen von Carl Rogers so schön beschriebenen Wachstums-Raum für die Behandlung zu eröffnen. Hierzu einige Anregungen:

Du könntest mit einem tiefen Atemzug in Deine Innenräume reisen…

Dich fragen: „ was ist denn im Moment so in mir da?“…

Dir hierfür wirklich Zeit geben…

das, was sich zeigt, mit einem „hallo“ begrüßen…

und wahrnehmen, wie es auf Deine Begrüßung reagiert…

mit Diesem ein bisschen sein…

damit es sich noch etwas deutlicher zeigen kann…

und allmählich zu einer Überschrift finden, die zu ihm passt: “das ist ja, wie…“

für Dieses einen imaginativen Platz in Deiner Nähe finden…

so dass es bei Dir sein kann … und doch etwas Raum zwischen Euch entsteht…

diesen Raum, der sich wie ein bisschen frische Luft anfühlen kann, in Dir zulassen…

Dir dann etwas Zeit geben,…

um wahrzunehmen, ob sich noch etwas zeigen möchte…

und mit diesem ebenso verfahren…

Die bis jetzt für das Begleiten beschriebenen Schritte des FreiRaum Schaffens finden hier Anwendung auf das ganz Eigene. Das, was die BehandlerIn gerade beschäftigt, wird bewusst wahrgenommen. Im „hallo, du bist heute mit mir dabei“  findet es Beachtung und Wertschätzung. An ihrer Seite kann es in der Behandlung mit dabei sein. 

Die BehandlerIn bewegt sich in eine von Achtsamkeit geprägte Haltung ihrem Eigenen gegenüber, verbindet sich mit dem lebendigen Fluss ihrer Lebensenergie und schafft in sich einen offenen und klaren Raum. Sie wird frei für die Begegnung und für das, was sich in der Begegnung ereignet.

Im Spüren des lebendigen Flusses bei sich und beim Anderen, wird es ihr möglich, auch das Stocken wahrzunehmen und ein Gespür dafür zu bekommen, wo es hingehört.

Das, was sie im energetischen Raum wahrnimmt, kann sie nun unterscheiden und zuordnen. Ist es etwas Eigenes, das sich meldet oder ist in der Begegnung etwas Neues aufgetaucht? Etwas, das mit der KlientIn zu tun hat und das sich jetzt, in der Behandlung zeigt und beachtet werden möchte?


Wenn der FreiRaum der BehandlerIn verloren geht

Der FreiRaum der BehandlerIn kann verloren gehen, wenn das, was die KlientIn aus ihrem Kontakt mit dem Fließenden bringt, im eigenen Inneren verborgene Charaktermuster aktiviert. Ich möchte hier gerne ein Beispiel aus einer Supervisionssitzung vorstellen:

Die Behandlerin erlebte im Kontakt mit ihrer KlientIn immer wieder dasselbe: Sie geriet in einen Zustand, in dem sie die Klientin am liebsten schütteln wollte.

In einem angeleiteten FreiRaum Schaffen, was dieses „Schütteln“ bedeuten könnte, wurde Verschiedenes sichtbar: Sie erkannte ein eigenes Lebensmuster, Dinge durchdrücken zu wollen und einen Ärger in sich, wenn dies nicht gelang. Es wurde deutlich, wie sehr sie sich wünschte, mit der Klientin gemeinsam im Spüren der Lebensenergie zu sein. Dann tauchte eine Art Kapitulation auf, die sich durch Müdigkeit und Erschöpfung äußerte. Sie nahm wahr, wie sehr sie „unter Druck“ stand und erkannte: Im Kontakt mit dieser Klientin geht es irgendwie um „Druck“.

Dies half ihr in der nächsten Behandlung, klarer in den energetischen Raum zu lauschen und, als „Druck“ wieder spürbar wurde, die KlientIn achtsam zu fragen: „Kann Ihr Zustand auch etwas mit „Druck“ zu tun haben?“  Das, was die KlientIn eigentlich beschäftigte, kam zum Vorschein: Sie war aufgrund zweier Todesfälle in ihrer Familie in eine Art Sinnkrise geraten und stand unter Druck, so schnell wie möglich zu einem erfüllten Leben zu finden. Dieser Druck war es, der die Aufmerksamkeit der KlientIn band und zum Stocken des Flusses führte. Im weiteren Verlauf der Behandlung bekam er die für sich benötigte Aufmerksamkeit. Der freie Fluss stellte sich wieder ein. 

Der FreiRaum der BehandlerIn kann auch verloren gehen, wenn das, was die KlientIn aus ihrem Kontakt mit dem Fließenden bringt, im eigenen Inneren verborgene Motivationen anspricht:

Ist es Motivation, Schmerzen und Beschwerden zu lindern, lockt der Schulterschmerz die Aufmerksamkeit. Ist es Bedürfnis, Erklärungen für Zustände zu finden, löst ein besonders wahrgenommenes Tsubo ein Fahnden nach Ursachen aus. Ist es Motivation, die Macht zu haben, kann das Kontrollieren und Festhalten der KlientIn dazu verleiten, mit ihm in Kampf zu geraten. Das Umgehen mit eigenen Emotionen, lässt im Strom der Emotionen mitschwimmen oder löst ein Beschwichtigen und Trösten aus. Übertragungen schmeicheln einem Bedürfnis nach Anerkennung.

An dieser Stelle möchte ich Dich dazu einladen, für einen Moment innezuhalten…

um Dir die Frage zu stellen:

Was in mir ist es, das mich dazu bringt, Menschen in meinen Raum einzuladen, um sie mit Shiatsu zu begleiten? …

Und lass Dir hierfür etwas Zeit…

Vielleicht möchtest Du das, was in Dir auftaucht, mit einem inneren „hallo“ begrüßen…

mit diesem ein bisschen verweilen…

so dass es sich Dir noch etwas deutlicher zeigen kann…

und Du es mit einer Art Überschrift versehen kannst…

So könnte zwischen Dir und jenem ein kleines bisschen frische Luft entstehen…

Und manchmal tauchen nach den ersten Ideen, die Dir schon irgendwie bekannt erscheinen, ganz neue auf, die Du bis dahin noch nicht wahrgenommen hast…

Lass Dir auch hierfür etwas Zeit…

Und verfahre mit diesen ebenso…

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© Ute Ursula Burkhardt (http://www.uub-heilpraxis.de) ist Shiatsu-Lehrerin und Focusingtherapeutin in D-72762 Reutlngen (veröffentlicht in Shiatsu Journal 48, Frühjahr 2007)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Rogers, C.R., (1996), Therapeut und Klient . Grundlagen der Gesprächspsychotherapie, Geist und Psyche Fischer, Seite 125