Mythologie & Ritus im Alten China

Das, was wir heute als Himmel und Erde bezeichnen, war vor undenklichen Zeiten ein durcheinandergewirbeltes “Ding” von der Gestalt eines Eis. Inmitten dieses Eis aber formte sich ein Wesen, Pan Gu, das einem Menschen glich.

Nach achtzehntausend Jahren strebte alles, was hell und klar war innerhalb des Eis, empor und wurde zum Himmel. Alles Dunkle und Trübe hingegen senkte sich herab und wurde zur Erde. Pan Gu schwebte zwischen beiden und wuchs und wuchs – so wie auch Himmel und Erde wuchsen. Der Himmel wurde immer höher, die Erde immer fester und Pan Gu immer größer. So vergingen wieder achtzehntausend Jahre.

Als Pan Gu starb, wurden aus seinem Atem Wind und Wolken, aus seiner Stimme das Dröhnen des Donners, aus seinem linken Auge die Sonne, aus seinem rechten der Mond, aus seinen Armen und Beinen die Vier Himmelsrichtungen, aus seinen Knien, den Ellbogen und der Stirn die Fünf Heiligen Berge Chinas, aus seinem Blut die Ströme und Flüsse, aus seinen Sehnen und Adern die Falten, Furchen und Höhlungen der Erde, aus seinem Fleisch die Felder und Weiden, aus seinen Haaren und seinem Bart die Gestirne des Himmels, aus seinen Körperhaaren die Bäume und Gräser, aus seinen Zähnen und Knochen die Metalle und Steine, aus seinem Mark Perlen und Jade, aus seinem Schweiß die Feuchte des Himmels und die Regenschauer.

So kehrte Pan Gu, der zugleich mit Himmel und Erde gewachsen war, im Tode zurück in die Welt und lebte weiter in ihr als Licht der Sonne und Sterne und in allem, was die Erde schmückt und ziert.

Die Erde war nun wohnlich geworden, und sie war reich an Leben aller Art. Nur Menschen gab es noch nicht.

Unbekannt ist, woher die Urmutter Nügua kam, doch eines Tages war sie da. Einsam und allein weilte sie auf der weiten Erde. Eines Tages, am Ufer eine Sees, als sie gerade mit ihren Händen im Lehm wühlte, kam ihr plötzlich die Idee, Figuren zu formen, die ihrem Ebenbild gleichen. Das tat sie, und kaum hatte der Lehm menschliche Form angenommen, kam Leben in ihn.

Den ganzen Tag formte Nüguo sorgfältig Wesen aus Lehm. Schließlich aber, müde von der Arbeit, riss sie, um sich ihre Arbeit zu erleichtern, ein langes Stück Schlingpflanze von einem Baum. Sie rührte Lehm mit Wasser zu einem dicken Brei, tauchte die Schlingpflanze in den Brei und wirbelte sie über ihrem Kopf, so dass kleine Lehmklümpchen ringsum zur Erde fielen. Und auch diese begannen sich, sobald sie die Erde berührten, zu regen wie menschliche Wesen.

Doch leider waren sie nicht so sorgsam geformt wie die ersten Figuren, weshalb es noch heute große Unterschiede und Ungerechtigkeiten unter den Menschen gibt.

Der Himmel ist den alten Vorstellungen zufolge aus neun Stockwerken aufgebaut, die man die neun Himmel nennt. Jeder Himmel ist von den anderen durch eine von Tigern und Panthern bewachte Tür getrennt und ist einem der Torhüter des Herrschers der Höhe unterstellt. Der Herrscher der Höhe ist jene göttliche Instanz am Ursprung aller Dinge, die zugleich die himmlische und die irdische Welt regiert. Seit der Shang-Dynastie (ca. 16. bis 11. Jhdt. v. Chr.) wurde der Himmel als ein Gott mit Namen Shangdi (“Kaiser in der Höhe”) personifiziert. Dieser Gott ist jedoch kein Weltschöpfer, sondern repräsentiert den natürlichen Himmel in höchster Instanz.

Unter dem Himmel befindet sich die Erde, die auf acht Säulen ruht. Sie enthält neun Provinzen, neun Berge, neun Pässe, neun Sümpfe, acht Arten von Winden und sechs Wasserläufe.

Gonggong, der Geist des Wassers, ein urzeitliches Ungeheuer hatte in seiner Wut, weil es ihm nicht gelang, die Herrschaft über die Welt zu erlangen und im Kampf gegen den Geist des Feuers unterlag, die Ordnung des Himmels gestört, indem er eine der vier kosmischen Säulen, den Berg Buzhou, auf der der Himmel ruht, so erschütterte, dass der Himmel in eine Schieflage geriet. Die Erde war nun an vielen Stellen geborsten, die Wälder brannten lichterloh und eine gewaltige Flut drohte die ganze Erde zu überschwemmen.

Nügua, voll Mitleid mit den Menschen, flickte das Himmelsdach mit verschmolzenen Steinen von fünf Farben, fixierte es mit den Füßen einer Schildkröte. Die überflutenden Wassermassen stoppte sie mit Schilfrohrasche. Damit stellte Nügua die Ordnung der Welt wieder her, wenngleich sie auch nicht alle Schäden, die durch Gonggong angerichtet wurden, beheben konnte.

Der Himmel blieb auch weiterhin im Nordwesten ein wenig eingeknickt (weshalb die Sonne immer nach Westen zieht), und die Erde war im Südosten eingebrochen. Ein tiefer Graben hatte sich dort gebildet, und alle Ströme Chinas fließen deshalb südostwärts und bilden dort ein gewaltiges Meer.

In der Morgenröte der Zeiten treten die Drei Erhabenen (San Huang) in Erscheinung. Fuxi, Nügua und Shennong legten mit einer großen Anzahl von Erfindungen den Grundstein zur menschlichen Gesellschaft und trennten den Mensch vom Tier und von den Göttern, womit die Verwirrung, die in der Welt herrschte, ein Ende hatte.

Fuxi (Taihao, Das Große Leuchten), der – wie auch Nügua – meist mit einem Schlangenleib und einem Menschenkopf, halb Mensch halb Tier, dargestellt wird, wurde von Huaxu (“Blütenall”) geboren, der Göttin der neun Flüsse und Personifizierung des Sternenhimmels und der Erdmaterie zugleich. Huaxu wandelte in den Fußspuren des “Großen Menschen” (die wechselnden Erscheinungsbilder des Mondes am Nachthimmel wurden als die Fußspuren eines “Großen Menschen” angesehen, der oben auf der Oberfläche des Sternenzeltes über den Himmel schreitet). Sie ahmte den Weg des “Großen Menschen” nach, so dass diese Nachahmung das Wesen ihres Kindes, Fuxi, bildete und ihn zum “Sohn des Himmels” machte. Dem lunaren Charakter von Fuxi entspricht seine Doppelnatur, halb Schlange, halb Mensch, Yin und Yang. Erst in der konfuzianischen Tradition wurde Fuxi entmystifiziert und als Mensch und weiser König dargestellt.

Sobald die Welt in Ordnung gebracht worden war, vereinigten sich Fuxi und Nügua als Bruder und Schwester, als Gatte und Gattin. Fuxi trägt als Attribut das Winkelmaß (Symbol der religiösen und magischen Kräfte, der Erde und des Männlichen), Nügua das Attribut des Kompasses (Symbol des Weiblichen).

Fuxi erfand die Acht Trigramme des Yijing, die den Wandel des Mondes in acht Phasen darstellen, ebenso wie auch den Fischfang und die Jagd (“er zähmte die hundert Tiere”). Seine Regierungszeit dauerte 120 Jahre.

Auf die Herrschaft von Fuxi und Nügua folgte Shennong, der Göttliche Landmann (auch Yandi genannt, der Rote oder Flammende Kaiser), der den Körper eines Menschen und den Kopf eines Stieres hatte. Seine Mutter wurde vom Kopf des himmlischen Drachens berührt, ehe sie den Göttlichen Landmann zur Welt brachte. Als Shennong herrschte, waren die Zeiten, als es genüg Früchte und Beeren gegeben hatte, vorbei. Die Menschen nährten sich von rohem Fleisch und wildgewachsenen Kräutern. Shennong lehrte die Menschen die Kunst des Kochens und Bratens und brachte ihnen den Ackerbau, indem er sie lehrte, die fünf Getreidesorten zu pflanzen und den Pflug zu benutzen. Seine Erfindungen betreffen alle den Bereich der Ernährung, und er gilt als Autor des ersten Kräuterbuches, einer Materia Medica. Er richtete Märkte ein, damit die Menschen Tauschhandel treiben können. Aus den Acht Trigrammen von Fuxi schuf Shennong die 64 Hexagramme. Unter seiner Herrschaft, die 120 Jahre dauerte, lebten die Menschen wie Brüder und Schwestern miteinander. Steitigkeiten waren ihnen unbekannt.

Die Mutter von Huangdi, der Shennong nachfolgte, wurde von Blitzen auf dem Berg Xuanyuan schwanger, und die Schwangerschaft mit ihm dauerte 20 Jahre. Vom Augenblick seiner Geburt an jedoch konnte Huangdi sprechen.

Nach dem Tode von Shennong wurden die Menschen von einem kriegswütigen Riesen mit Namen Xing Tian heimgesucht und geknechtet. Dieser hatte einen Kopf aus Kupfer und eine Stirn aus Erz. Mit Vorliebe aß er Felsbrocken und Eisenklumpen. Er war boshaft, grausam und herrschsüchtig. Eines Tages machte sich deshalb der Fürst des Bärenlandes auf, um die Menschen von der Herrschaft Xing Tians zu befreien.

Mit Hilfe der Tiere, allen voran den mächtigen Bären, besiegte der Fürst des Bärenlandes den Riesen und wurde von den Menschen unter dem Namen Huang Di (Gelber Kaiser) als Herrscher anerkannt.

Um die Welt einzurichten und Platz für den Menschen zu schaffen, begann Huangdi damit, die Wälder niederzubrennen, Behausungen zu bauen und die Menschen, die bislang ihre Blöße mit Kleidern aus Fellen und Gräsern bedeckten, das Weben zu lehren, während seine Frau die Seidenraupenzucht einführte. Auch gilt Huangdi als der Erfinder und Gott des Ofens.

Huangdi dressierte Bären, Leoparden, Panther, Luchse und Tiger und fuhr in einem von Drachen gezogenen Wagen, dem Tiger und Wölfe vorausgingen und dem die Geister nachfolgten.

Die Schrift ist das Werk seines Ministers Cangjie (er hatte zwei Augenpaare, um damit Himmel und Erde gleichzeitig sehen zu können). Die ersten Zeichen, die ursprünglich der Vermittlung, der Kommunikation zwischen Himmel und Erde dienten, entwarf er, indem er die von Vögeln auf dem Boden hinterlassenen Spuren beobachtete und nachahmte.

Huangdi wird als Eroberer und Richter gesehen, als Gott des Berges Kunlun und des Zentrums der Erde. Er gilt als der Autor des Huang Di Nei Jing und Begründer des Daoismus. In der daoistischen Tradition ist er auch der Schutzgott der Kunst des Schlafzimmers, um die Lebenskraft zu pflegen und zu steigern. Seine Regierungszeit dauerte 100 Jahre.

Shaohao (Jintian), der Huangdi nachfolgte, erfand Pfeil und Bogen und regierte 100 Jahre. Ihm folgte Zhuanxu (Gaoyang), der 78 Jahre regierte, diesem Diku (Gaoxin) und Tangyao (Taotang).

Tangyao, der von einem roten Drachen gezeugt wurde, gilt als Musterbeispiel eines weisen Herrschers, der dank seiner Tugend regierte. Nachdem er 73 Jahre regiert hatte, entschied er sich für seinen Minister Shun (Yuyu) als Nachfolger. Auch dieser gilt als vollkommener Herrscher.

Kaiser Tangyao und sein Volk hatten während dessen Regierungszeit mit einer verheerenden Sintflut zu kämpfen. Sie stieg so hoch, dass sie alles Land überschwemmte. Der Kaiser befragte die weisen Ratgeber seines Reiches und beauftragt zuerst Gun und dann Yu, um den Fluten Herr zu werden.

Yu und sein Vater (Gun) sind im Mythos zwei göttliche Gestalten, die durch ihre Taten als symbolische Verkleidungen des zunehmenden (Gun) und des abnehmenden Mondes (Yu) gekennzeichnet sind. Die Nacht wurde in dieser Zeit als tiefes Tal verstanden, in dem sich das Wasser des glitzernden Sternenmeeres sammelt. Mit dem Anbruch des Tages, der sich als Berg aus dem Nachtmeer erhebt, fließen die Wasser ab. Der Wechsel von Tag und Nacht bedeutet also ein rhythmisches Heben und Senken der Wassermassen wie Ebbe und Flut. Mit dem Einbruch der Nacht beziehungsweise mit dem Überhandnehmen der Nacht in der Winterzeit wurde die Welt immer wieder überschwemmt (“Die Wassermassen stiegen zum Himmel empor, unermesslich umwogten sie die Berge, überfluteten die Hügel. Das Volk hingegen versank in der finsteren Tiefe” – Shangshu, “Buch der Dokumente”). Die Bändigung der Wassermassen war notwendig, der Wechsel von Trockenheit und Überschwemmung (und mystisch zwischen Tag und Nacht) musste reguliert werden.

Zuerst wurde Gun mit der Aufgabe betraut, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Eine Schildkröte und ein Falke brachten Gun bei, wie man Dämme baut. Gun entwendete, um die Flut einzudämmen, dem Himmelskaiser den Mond (den “atmenden Stein”, die “atmende Erde”).

Doch je höher Gun die Dämme baute (das himmlische Vorbild des Dammes ist der durch fortgesetztes Zunehmen entstehende Vollmond), desto höher stieg auch die Flut. Der Himmelskaiser, auch über den Diebstahl des atmenden Steines erbost, zitierte Gun auf den “Flügelberg” (Federberg, yushan), wo er ihn hinrichten ließ.

Drei Jahre liegt seine Leiche auf dem Flügelberg ohne zu verwesen (allmonatlich bliebt der abnehmende Mond, “nachdem er in die Sonne gestorben ist”, drei Tage verschwunden, um dann wieder zu erscheinen), dann wurde seine Leiche mit einem Säbel aufgeschnitten und heraus kam sein Sohn und Nachfolger Yu, später “Yu der Große” (Da Yu) genannt.

Yu, der den abnehmenden Mond symbolisiert (ebenso wie der Säbel, der seine Geburt bewirkte), beschritt den umgekehrten Weg wie sein Vater. Er versucht nicht, das Wasser einzudämmen, sondern bemühte sich darum, es abfließen zu lassen, indem er Gräben und Kanäle aushob. Gun und Yu sind damit (im mythischen Bereich) als die Erfinder der Bewässerungstechnik zu sehen, die auf der mythologischen Ebene das Prinzip bedeutet, entgegengesetzte Zustände “wechselweise miteinander in Einklang zu bringen” (“Einmal schließen, einmal Öffnen, das nannten sie Wechsel. Dass das Gehen und Kommen nicht aufhört, nannten sie Durchgängigkeit” – Dazhuan, “Großer Kommentar”).

Auf Shun folgte Yu, ein Enkel des Zhuanxu, der in der Überlieferung einstimmig als zumindest halbhistorische Persönlichkeit anerkannt wird (etwa 2207 – 2198 v. Chr.). Er regierte 45 Jahre und gründete die erste Dynastie Chinas, die Xia-Dynastie, die bis ca. 1766 v. Chr. regierte. Auch er hatte – wie Fuxi, Nügua und Shennong – halb menschliche und halb tierische Züge: den Schnabel eines Vogels mit langem Hals, den Körper einer Schlange und einen menschlichen Kopf. Auch hatte Yu die Fähigkeit, sich sowohl in einen Bären wie auch in einen Vogel zu verwandeln. Als Yu in Gestalt eines Bären eine Frau so erschreckte, dass sie sich auf der Stelle in einen großen Stein verwandelte, wurde aus diesem Stein, den er mit seinem Schwert entzweischlug, sein Sohn geboren.

Yu war der erste, der die Grenzen der Welt bestimmte. Er schritt die Welt ab und zählte dabei seine Schritte (vom äußersten Norden zum äußersten Süden, ebenso vom äußersten Westen zum äußersten Osten jeweils 233 500 Li und 75 Schritte), um die neun Provinzen einzugrenzen. Yu war es auch, dem das “magische Quadrat”, die “Schrift vom Fluß Luo” (Luoshu) als Zeichnung auf dem Rücken einer Schildkröte offenbart wurde. In diesem als Weltplan zu verstehendem Quadrat sind die Zahlen von eins bis neun so angeordnet, dass die einander gegenüberliegenden Zahlen zusammen immer die gleiche Summe ergeben, nämlich zehn.

Yu war – ebenso wie Huang Di – ein Schmied, der aus dem aus fernen Gegenden mitgebrachten Tribut neun Kessel als glücksbringende Symbole des Königtums gegossen hat. Diese Kessel wurden von Dynastie zu Dynastie bewahrt, bis sie in den Fluss geworfen wurden, um zu verhindern, dass sich der Qin-Kaiser Shi (er regierte von 221 bis 207 v. Chr. und vollendete den Bau der Großen Mauer) ihrer bemächtige.

Der Schmied hatte in früherer Zeit eine ganz besondere Stellung, weil er sich in seiner Arbeit zu einem Herren über die Elemente erhebt und einen Vorgang beherrscht, der mit dem der Zeugung verglichen wurde. Seine Kunst der Verschmelzung und Verwandlung des Metalls erhebt ihn auf die Ebene der Götter und bringt ihn mit jenen geheimnisvollen Kräften in Verbindung, die die Menschen regieren.

Yu wollte, ebenso wie es vor ihm gehandhabt wurde, die Kaiserwürde dem Tüchtigsten als Nachfolger überlassen. Das Volk jedoch verehrte ihn so sehr, dass es, nachdem Yu gestorben war, seinen Sohn auf den Thron hob – von nun an war die Thronfolge erblich.

Die alte chinesische Himmelreligion artikulierte sich in späterer Zeit vor allem im kaiserlichen Opferkult. Dieser hatte den ursprünglichen Sinn, durch die symbolische Nachahmung der vergöttlichten Himmelserscheinungen in eine magische Verbindung mit ihnen zu treten und die Manifestationen des Himmels in der Menschenwelt zu etablieren (vgl. “Frühling und Herbst des Lü Bu-Wei” und das “Buch der Riten, Sitten und Bräuche” – Liji). Durch das Opfer (“ji” bedeutet zugleich auch Verbindung, Beziehung), durch den Ritus wird eine Verbindung mit dem Himmel geschaffen, eine symbolische Korrespondenz mit ihm. Zugleich wird damit die Ordnung der Welt hergestellt und aufrechterhalten.

Die Struktur des Himmels ist den Menschen immanent. Beide sind von gleicher Art, aus den gleichen Kategorien gebildet. Durch diese Analogie stehen Mensch und Himmel in wechselseitiger Resonanz, und der Mensch – in exemplarischer Form vor allem der Herrscher – muss sich in seinem Verhalten der Ordnung des Himmels anpassen, wie es in den Vorschriften des rituellen Kalenders festgelegt ist. Jede Abweichung davon erzeugte als Resonanz des Himmels Unregelmäßigkeiten im Ablauf der Jahreszeiten, die zu Dürre, Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen führen würden (“Man darf den Lauf des Himmels nicht ändern. Man darf die natürlichen Linien der Erde nicht durchbrechen. Man darf die Ordnungen des Menschenlebens nicht stören” – Frühling und Herbst des Lü Bu We).

Die fortschreitende Entmythologisierung, die zunehmende Abkehr von der schamanistischen Geisteshaltung der Frühzeit ist im besonderen mit Konfuzius (Kung Dsi, sein Gelehrtenname war Dschung Ni ; 551 bis 479 v. Chr.) verbunden, dessen Schule die spätere Staatsphilosophie bis zur Neuzeit bestimmte. Konfuzius entmythologisierte das im mythologischen Geist des Schamanimus verfasste Schrifttum und stellte es selektiv unter dem Gesichtspunkt einer praktischen, auf den “Weg des Menschen” bezogenen Staats- und Moralphilosophie zusammen und deutete es in diesem Sinne auch um. Die ursprünglich lunare Ausrichtung wurde damit in den Hintergrund gedrängt.

War es im hohen Altertum das Hauptziel, den Weg des Himmels zu erforschen, so war es im mittleren Altertum dann die Erforschung der Angelegenheiten des Menschen. Das Zeitalter der Heiligen auf dem Thron war damit vorüber und die Hierarchie des Feudaladels wurde von Konfuzius in eine Hierarchie der Moral umgedeutet. Den Kern und die Grundlage des Konfuzianismus bildetet letztlich die Pflege der Ehrfurcht, die ihre Basis in der Familie, im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern hat (und sich auch im Ahnenkult ausdrückt).

Dieser Wechsel in der Geisteshaltung fand seinen Niederschlag vor allem in der Zeit der Streitenden Reiche (475 bis 221 v. Chr.) mit einer Vielzahl verschiedener Standpunkte und Perspektiven. Die Schule von Laozi (Lao Tse) und Zhuangzi (Dschuang Dsi), die an der Geisteshaltung des vorkonfuzianischen Schamanismus festhielt, bildete quasi das konservative Lager.

Die Lehren von Laozi und Zhuangzi etablierten sich im Daoismus, bildeten einen eigenen geistesgeschichtlichen Gegenpol zur konfuzianischen Staatsphilosophie und lebten in der Volksreligion weiter. Der Daoismus erlebte in der Han-Zeit ( 206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) eine gewisse Renaissance, was auch die konfuzianische Staatsphilosophie beeinflusste. In der späteren Han-Zeit (um 184 n. Chr.) eroberte ein aus Männern und Frauen gemischtes Heer der daoistischen Sekte der “Gelben Turbane” (Chuangjin), die sich durch mystische Ekstase unbesiegbar im Kampf wähnten, große Teile des Reiches, ehe sie von den kaiserlichen Generälen besiegt wurden.

Begründet wurde die Weltsicht der (traditionellen) chinesischen Kultur, wie wir sie heute kennen, im Zeitalter der Drei Dynastien (Sandai), der Xia-, Shang- und Zhou-Dynastie (ca. 21. Jhdt. bis 221 v. Chr.). Die Gestaltung und Umgestaltung der Rituale und ihrer spezifischen kosmischen Perspektive veränderte und synthetisierte sich innerhalb dieser drei Dynastien zur heute überlieferten Form.

Das Leitmotiv der Xia-Kultur (ca. 21. bis 16. Jhdt. v. Chr.) war die Schattenseite des Mondes, der Nachthimmel. Opfergaben wurden deshalb nicht verbrannt, sondern in der Erde vergraben oder im Wasser versenkt (“dem Mond opferten sie in einer Grube” – Liji). Und indem man die Toten in die Erde vergrub – das Erdinnere entspricht dem Nachthimmel – versetzte man ihre Seelen als Sterne an den Himmel.

In der anschließenden Shang-Kultur (ca. 16. bis 11. Jhdt. v. Chr.) hingegen wurde der Himmel als Taghimmel definiert, dessen strahlendes Zentrum, die Sonne, die Residenz des höchsten Gottes Shangdi (“Kaiser in der Höhe”) war, der die Welt beherrschte (“der Sonne opferten sie auf einem Hügel” – Liji).

Im Vordergrund standen hier das Brandopfer und die Panzer- und Knochenorakel (diese beruhen auf Rissen in Knochen oder Panzern, die durch die Hitze eines symbolischen Sonnenfeuers, in einem Scheiterhaufen, entstehen).

In der Zhou-Kultur schließlich (11. Jhdt. bis 221 v. Chr.) verbanden sich die (lunaren, weiblichen) Traditionen der Xia mit den (solaren, männlichen) Traditionen der Shang, und im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Vereinigung, die Konjunktion von Sonne und Mond, die die Mitte und Einheit des Himmels bedeutet, in der sich alle Gegensätze aufheben bzw. konzentrieren (wenn der Altmond, der bis auf eine hauchdünne Sichel nur noch seine Schattenseite zeigt, bei Tagesanbruch im blendenden Licht der Sonne verschwindet) – was der Manifestation des Himmels auf der Erde entspricht.

Die systematische Darstellung dieser Synthese ist das Yijing, das “Buch der Wandlung”, dessen Texte gleichsam symbolische Niederschriften der “Schrift des Himmels” (tianwen) sind (nach chinesischer Überlieferung waren die Hauptautoren des Yijing der Zhou-König Wenwang, dem man die Hauptsprüche zu den Hexagrammen zuschriebt, und sein Sohn Zhougong, der die Sprüche zu den einzelnen Linien verfaßt haben soll). Die innovative Dimension, in der sich die Zhou-Synthese darstellte, war der Schrifttext (wen). Die Naturreligion wurde in der konfuzianischen Tradition zur Buchreligion, dessen Grundlage vor allem die “Fünf Klassischen Bücher” (wujing) waren, die an die Stelle des direkten Bezuges zum Himmel traten. Diese “Fünf Klassischen Bücher”, die “das Wissen der erleuchteten Heiligen Menschen des Altertums überliefern”, sind das Shangshu (“Buch der Dokumente”), das Shijing (“Buch der Lieder”), das Liji (“Buch der Riten”), das Yijing (“Buch der Wandlungen”) und die “Frühling- und Herbstanalen”.