Shiatsu -Ansatz und Weg zur Entwicklung eines Gesundheitsbewusstseins als Lebenskunst (Renate Köchling-Dietrich)

Zusammenfassung

Shiatsu als eine BerĂŒhrungs-Körperarbeit wurzelt in der fernöstlichen Philosophie. Sein Weg ĂŒber die USA in den Westen ist denn auch verbunden mit vielfĂ€ltigen Transferproblemen, die sich in der Literatur widerspiegeln. Dank des seit einigen Jahren zu beobachtenden Trends zu ganzheitlichen Angeboten der Gesundheitsförderung erfreut sich Shiatsu einer steigenden Nachfrage.

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Indem Shiatsu die WahrnehmungsfĂ€higkeit verbessert, Entspannung fördert und individuelle Ressourcen freilegt, ist es keine Heilmethode oder gezielte PrĂ€ventionsmaßnahme. Seinen fernöstlichen Wurzeln und den sich daraus ableitenden Arbeitsweisen gemĂ€ĂŸ hat Shiatsu vielmehr seinen Platz in der Gesundheitsförderung und -bildung. Diese werden seit 1978 von der Weltgesundheitsorganisation umfassend thematisiert. Unter BerĂŒcksichtigung des Modells der Salutogenese von Aaron Antonovsky stehen gesundheitsfördernde Faktoren im Zentrum der Diskussion und Umsetzung. Gesundheit, bisher lediglich als Abwesenheit von Krankheit verstanden, ist neu zu definieren. Hierbei will Shiatsu seinen Beitrag leisten.[1]Dieser Text wĂ€re nicht entstanden ohne die fortwĂ€hrende Ermunterung und Ansprache ganz verschiedener Personen, die mir als anregende Diskussionspartner zur VerfĂŒgung standen. Besonderer Dank â€Š weiterlesen

 
„Gesundheit“ wird in der GrĂŒndungsurkunde der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1947 definiert als „Zustand des umfassenden körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur (als) das Fehlen von Krankheit oder Behinderung“. Mit dem in erster Linie alltagssprachlichen Begriff „Wohlbefinden“ an zentraler Stelle dieser Definition betont die WHO die subjektive Seite von Gesundheit deutlich. Gesundheit ist kein eindeutig zu beschreibendes PhĂ€nomen,[2]Alf Trojan und Heiner Legeure: Nachhaltige Gesundheit und Entwicklung. Leitbilder, Politik und Praxis der Gestaltung gesundheitsförderlicher Umwelt- und Lebensbedingungen. Frankfurt/Main 2001, S. 36. eben kein fertiges Produkt, sondern vielmehr ein Prozess, der historisch gesehen abhĂ€ngig ist von gesellschaftlichen Werten und Interessen.[3]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 76. Da das individuelle Wohlbefinden auch an das Verhalten des einzelnen Menschen in seinem Alltag gebunden ist, also an seine FĂ€higkeiten und seine Kraft zu einer aktiven Lebensgestaltung und LebensbewĂ€ltigung, zeigt sich Gesundheit in so vielen Schattierungen, wie es Individuen gibt.[4]Volker Schneider: Gesundheitsförderung mit Gesundheitsfaktoren? In: Gesundheitsförderung zwischen Selbstverwirklichung und Empowerment, hrsg. von Peter Paulus und Detlev Deter. Köln 1998, S. â€Š weiterlesen Insofern ist ein Zustand des Wohlbefindens nicht nur erfahrbar, sondern auch lernbar und lehrbar.

Versicherungsrechtlich wird Gesundheit mit dem Nichtvorhandensein von Krankheit gleichgesetzt, wobei Krankheit „ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand (ist), der die Notwendigkeit einer Ă€rztlichen Heilbehandlung oder – zugleich oder allein – ArbeitsunfĂ€higkeit zur Folge hat“.[5]Kommentar aus dem Sozialgesetzbuch, Bd. 5, § 27. So ist es nicht verwunderlich, dass unsere seit mehr als 100 Jahren an den technokratisch-sachlichen, illusionslosen Standpunkten der Naturwissenschaft ausgerichtete Medizin ein riesiger industrieller Komplex zur Behandlung von Krankheiten geworden ist.

Die versicherungsrechtliche Definition von Gesundheit ist eine moderne Sichtweise, denn in der europĂ€ischen Tradition waren Gesundheit und Krankheit ausgerichtet auf ein kosmisch wie biologisch gesteuertes Gleichgewicht der Elemente und SĂ€fte, der QualitĂ€ten und Temperamente. Gesundheit im Sinne von „ganz“, „heil“, „gedeihend“ oder auch „gerettet“ hatte eine positive, auf die Erhaltung und Steigerung aller LebensvorgĂ€nge ausgerichtete Bedeutung und war nicht zu denken ohne eine existenzielle Einbindung in den Lebenssinn.[6]Heinrich Schipperges: Artikel “Gesundheit”. In: Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Robert Henri Bautier u. a., 9 Bde. und Registerband. MĂŒnchen/ZĂŒrich 1980‑1999, Bd. 4, 1989, Sp. â€Š weiterlesen Krankheit als durchweg negative Sichtweise zeigt sich als eine Entgleisung aus der Harmonie des natĂŒrlichen und damit gesunden Gleichgewichtsstrebens, so beschrieben u. a. im Corpus Hippocraticum, dessen Textvorlagen sich bis in das 3. Jahrhundert v. Chr. zurĂŒckverfolgen lassen.[7]Gesammelte antike Schriften, die grösstenteils Hippokrates, dem berĂŒhmtesten Arzt der Antike, zugeschrieben sind. Vgl. G. Keil: Artikel “Hippokrates”. In: Lexikon des Mittelalters, â€Š weiterlesen Schon vor dieser Zeit waren in der griechischen Mythologie zwei voneinander unabhĂ€ngige Göttergestalten fĂŒr Krankheit und Gesundheit zustĂ€ndig, einerseits Asklepios (Äskulap), der Gott der Heilkunst, der das Vorbild der Ärzte und Heilpraktiker ist und die Kranken wieder gesund macht, andererseits die Tochter des Asklepios: Hygieia. Sie ist eine zur Gottheit erhobene Gesundheit im Sinne von Lebenskunst und vernĂŒnftiger LebensfĂŒhrung.[8]Vgl. H. Sobel: Hygieia. Darmstadt 1990. Dementsprechend fallen alle Fragen nach Gesundheit in den ZustĂ€ndigkeitsbereich der praktischen Philosophie. Beide, Asklepios und Hygieia, waren entsprechend den ihnen jeweils eigenen Möglichkeiten fĂŒr Krankheit und Gesundheit zustĂ€ndig.

Diese althergebrachte Philosophie von Gesundheit wurde mit Beginn der Neuzeit zunehmend verdrÀngt von dem erwachenden analytischen Interesse an der Natur und den sich entwickelnden technischen Möglichkeiten.

Diese althergebrachte Philosophie von Gesundheit wurde mit Beginn der Neuzeit zunehmend verdrĂ€ngt von dem erwachenden analytischen Interesse an der Natur und den sich entwickelnden technischen Möglichkeiten. Dies ging soweit, dass der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) im 19. Jahrhundert auf eine „gĂ€nzlich vom Leib entblĂ¶ĂŸte Technik der Biologie reagierte“.[9]Heinrich Schipperges: Am Leitfaden des Leibes. Eine Philosophie der Leiblichkeit bei Nietzsche. In: Akupunktur 2/45 2002, S. 116-123, S. 118. Nietzsche will, dass seine „Grundgedanken der Kultur“ und insbesondere seine „Gesundheitslehre des Lebens“ zu einer Gesundheitswissenschaft werden, und bietet in diesen Schriften ein komplettes Programm zur klassischen DiĂ€tetik und Hygiene an: Dabei werden „konkrete Fragen um Nahrung, Wohnung, geistige DiĂ€t, Krankenbehandlung, Reinlichkeit, Wetter – alles Dinge, die den Ernst im Leben verdienen -“ angesprochen.[10]Schipperges: a. a. O., S. 120. Seine Gesundheitslehre wollte er „dicht neben der Wissenschaft ansiedeln“, „diese aber hĂ€tte 
 eine fundamental neue, die kommende Wissenschaft vom Leben und der Gesundheit erst einmal zu begrĂŒnden“.[11]Schipperges: a. a. O., S. 121f. „FĂŒr Nietzsche besteht der Körper aus der untrennbaren Einheit von Innen und Außen, und nur in der Ganzheit des Zusammenwirkens von organischen und physiologischen VorgĂ€ngen mit Regungen der Affekte, der Psyche, des Wahrnehmens und des Denkens erschließt sich das PhĂ€nomen Mensch. Daher wird alles, was den Körper betrifft, wichtig, die ErnĂ€hrung, die Hygiene, das Hinausgehen in Licht, Höhenluft und Sonne ebenso wie die Kraftsteigerung und FĂŒlle und die mĂ€chtige Seele, zu welcher der hohe Leib gehört 
 Die Körperkonzeption von Friedrich Nietzsche war in ihrer Ganzheitlichkeit aber auch in ihrem begeisterten Ton von höchster Wirksamkeit auf die Ideen der Lebensreform 
“,[12]Klaus Wolbert: Körper. Zwischen animalischer Leiblichkeit und Ă€sthetisierender VerklĂ€rung der Physis. In: Die Lebensreform. EntwĂŒrfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Katalog zur â€Š weiterlesen dem großen, vielgestaltigen Aufbruchs- und Protestszenario, das um 1900 VerĂ€nderungen in nahezu allen Bereichen des Lebens ins Auge fasste. Im Mittelpunkt der konkreten Reformbestrebungen standen Bildung, Erziehung, Hygiene, Gesundheit sowie ErnĂ€hrung, was sich u. a. im Aufschwung der Naturheilkunde in dieser Zeit niedergeschlagen hat und in vielfĂ€ltiger Weise bis heute die Vorstellungen der Menschen beeinflusst.

Seither ist mit einer stĂ€ndig zunehmenden Zahl von Menschen zu rechnen, die sich fĂŒr die praktische Anwendung lebensenergetischer Gesundheitskonzepte, Lebensberatung, theoretische AnsĂ€tze grenzwissenschaftlicher Untersuchungen und fĂŒr Bewusstseinsforschung sowie holistische Wirtschaftsmethoden und Gesellschaftssysteme interessieren. Dies belegt eine Studie aus den USA,[13]Paul H. Ray und Sherry Ruth Anderson: The Cultural Creatives – How 50 Million People Are Changing the World. New York 2000. wo seit etwa zehn bis 15 Jahren eine neue Subkultur entsteht. Neben den Traditionalisten[14]Werte und Haltungen der Traditionalisten: Betonung von Familie und Religion, Misstrauen gegenĂŒber VerĂ€nderungen, Probleme mit der KomplexitĂ€t der modernen Welt. und Modernisten[15]Werte und Haltungen der Modernisten: WertschĂ€tzung universeller Normen und SĂ€kularitĂ€t, Vorrang fĂŒr persönliche Freiheit und eigene Leistungen, Glaube an rein technische Lösungen. sind die so genannten „Kulturell“ oder auch „Integral Kreativen“ gekennzeichnet durch ihr Interesse an (spiritueller) Selbstverwirklichung, WertschĂ€tzung von Beziehungen und ökologischer Lebensweise, engagierter Anteilnahme an der Welt, außerdem Offenheit fĂŒr fremde Kulturen und neue Ideen sowie fĂŒr die Transformation von Geschlechterrollen. Diese Gruppe machte 29% der Befragten aus mit steigender Tendenz. Die Kulturell Kreativen erscheinen bisher weder gesellschaftlich noch auf andere Art und Weise als eigenstĂ€ndige Subkultur, ihre neuen Denkweisen und Haltungen treten allerdings in allen westlichen LĂ€ndern zunehmend in Erscheinung, auch wenn es kaum gemeinsame Medien, Parteien oder kulturelle Ausdrucksformen gibt.[16]Wolfgang Schmidt-Reinecke: Innen und Außen zugleich im Blick. Die Kulturell Kreativen. In: Hagia Chora 8/2001. Kennzeichnend fĂŒr die Kulturell Kreativen ist auch ihre wachsende Unzufriedenheit mit den althergebrachten Heilberufen und damit verbunden ihr enormes Interesse an alternativen, ganzheitlichen Angeboten zur Gesundheitsförderung. Im Gegensatz zu diesem Trend sind sich Traditionalisten und Modernisten darin weitgehend einig, solche außerhalb des wissenschaftlichen oder kirchlichen „Mainstreams“ liegende Weltanschauungen und Methoden subtil oder unverhohlen auszugrenzen.[17]Wolfgang Schmidt-Reinecke: a. a. O. Eine reprĂ€sentative Umfrage unter Nutzern alternativmedizinischer und unkonventioneller Therapieangebote des psychologischen SachverstĂ€ndigen Dr. Walter â€Š weiterlesen

Solche Verschiebungen der gesellschaftlichen Interessen spiegeln sich schon bei der Entwicklung eines neuen Programms zum Thema Gesundheit wĂ€hrend der Alma-Ata-Konferenz 1978 wider. Weil seit den siebziger Jahren „LebensqualitĂ€t“ als Konzept gegen eine Orientierung ausschließlich am mengenmĂ€ĂŸigen Wachstum und steigenden Lebensstandard eine grundlegende Bedeutung als politisches Ziel gewonnen hat, entstehen beispielsweise in den Humanwissenschaften neue (gesellschaftspolitische) ErklĂ€rungsmodelle, die das Zusammenwirken Ă€ußerer und innerer Einflussfaktoren auf die Gesundheit umfassender beschreiben. Das Schaffen und der Erhalt von Gesundheit wird dabei zu einer Aufgabe jenseits der Medizin: Es geht um die Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebens- und Umweltbedingungen.[18]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 19f. Damit verbunden zeigt sich entsprechend der WHO-Programmatik, dass Gesundheit nur mit der UnterstĂŒtzung beispielsweise der Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik erreicht werden kann. In den achtziger Jahren entstand aus dem Bereich der Gesundheitserziehung, die aus dem medizinischen Risikofaktoren-Modell entwickelt wurde, und aufgrund der Einsicht, dass individuelles Verhalten von den Lebensbedingungen beeinflusst wird, die GESUNDHEITSFÖRDERUNG. In einem Konsenspapier der 1986 in Ottawa abgehaltenen internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung heißt es: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung ĂŒber ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur StĂ€rkung ihrer Gesundheit zu befĂ€higen“. Und: „Gesundheit entsteht dadurch, dass man fĂŒr sich und fĂŒr andere sorgt, dass man in der Lage ist, selber Entscheidungen zu fĂ€llen und Kontrolle ĂŒber die eigenen LebensumstĂ€nde auszuĂŒben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren BĂŒrgern Gesundheit ermöglichen“.[19]Ottawa-Charta, zitiert nach J. von Troschke et al. 1996, S. 182. Das Konsenspapier basiert vollstĂ€ndig auf einer salutogenetischen Perspektive;[20]Das Konzept der Salutogenese formuliert von Aaron Antonovsky wird an spĂ€terer Stelle nĂ€her erlĂ€utert. es orientiert sich an Gesundheit statt an Krankheit, die Kompetenzen des Einzelnen zur Lebensgestaltung werden herausgestellt. Als Gesundheit beeinflussende Faktoren werden politische, ökonomische, soziale, kulturelle, biologische sowie Umwelt- und Verhaltensfaktoren genannt, vereinzelt auch spezifischere Konzepte wie z. B. Geborgenheit und Verwurzelung in einer unterstĂŒtzenden, sozialen Umwelt, die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen, gegenseitige UnterstĂŒtzung, soziale Kompetenzen und Lernmöglichkeiten, die BedĂŒrfnisse des Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit. Die Ottawa-Charta ist nicht nur Aufruf zum Handeln, sondern auch eine Charta moralischer und sozialer Werte; in ihrem Zentrum steht der aufgeklĂ€rte und befĂ€higte BĂŒrger, der in der Lage ist, sein Gesundheitspotential durch Selbstbestimmung zu entfalten und auf die VerhĂ€ltnisse einzuwirken, die seine Gesundheit beeinflussen. Gesundheitsförderung bleibt auch das Kernthema weiterer internationaler Konferenzen, so 1997 in Jakarta (Indonesien), wo Gesundheitsförderung als SchlĂŒsselinvestition bezeichnet wird.[21]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 28ff.) Ganzheitlichkeit im Sinne der Ottawa-Charta verstanden als Vernetzung verschiedenster Faktoren, zu denen auch das subjektive Wohlbefinden gehört 
 â€Š weiterlesen Die gesellschaftliche Perspektive der Gesundheitsförderung und -bildung findet sich in den AnfĂ€ngen zahlreicher alternativer Methoden und verschiedenster humanistischer AnsĂ€tze wieder, so auch bei Shiatsu.

„Shiatsu“ heißt wörtlich ĂŒbersetzt soviel wie „Fingerdruck“ („shi“ Finger, „atsu“ Druck). Damit wird aber lediglich ein Aspekt von Shiatsu angesprochen: der Druck mit dem Finger, insbesondere dem Daumen. Shiatsu-PraktikerInnen arbeiten jedoch auch mit den HandflĂ€chen, Ellenbogen, Unterarmen, Knien und sogar mit den FĂŒssen. DarĂŒber hinaus gehören zum Shiatsu Dehnungen, Rotationen sowie Selbstbehandlungsmethoden, darunter Anleitungen fĂŒr individuelle Übungsprogramme. Das aus Japan stammende Shiatsu hat sich seit dem Ende der siebziger Jahre auf einem Umweg ĂŒber die USA im Westen verbreitet. WĂ€hrend der achtziger Jahre gab es einen regelrechten Shiatsu-Boom. Aus der Hoffnung heraus, dass fernöstliche Medizin und Methoden „ganzheitlich“ oder zumindest „ganzheitlicher“ als die westlichen Pendants seien, und um die individuell verwirklichte und erlebte Gesundheit zu fördern, interessierte man sich in Europa fĂŒr fernöstliche Philosophie und deren praktische Anwendungsmöglichkeiten. Die traditionelle fernöstliche Medizin (als Teil dieser Philosophie) besteht aus medizinischen Verfahren im engeren Sinne also Akupunktur, Arzneitherapie, naturphilosophische ErnĂ€hrungslehre und den weitaus Ă€lteren vor- und nichtmedizinischen Verfahren wie Atemtechniken, auf Erfahrung beruhende ErnĂ€hrungslehre, Moxibustion und verschiedenen Massagetechniken, darunter Anma-Massage, eine Wurzel von Shiatsu, u. a. m.[22]Veronika Hackenbroch: Einmal Yin, einmal Yang. In: Der Spiegel 24/2002, S. 184-186, S. 185. GrundsĂ€tzlich beschĂ€ftigt sich die Philosophie sehr viel mehr mit Gesundheit als mit Krankheit, nach wie vor wird beispielsweise in China und Japan der Gesundheitspflege und -bildung mehr Aufmerksamkeit als bei uns geschenkt. Der Mensch wird als Mikrokosmos innerhalb des Makrokosmos betrachtet und seine Gesundheit in AbhĂ€ngigkeit zu seiner Umwelt und allen zugehörigen Faktoren verstanden: der Mensch als Teil dieser Welt, mit deren GesetzmĂ€ĂŸigkeiten er im Einklang zu leben hat. In diesem Sinne haben sich die fernöstlichen Heilkundigen immer als Behandler („practitioner“) und Lehrer verstanden, denn ihre Rolle bestand und besteht darin, die Gesetze der Natur zu erkennen und herauszufinden, welche die dem jeweiligen Menschen gemĂ€ĂŸe Art des Lebens ist – ganz allgemein und zugleich individuell.[23]Ilona Daiker: Shiatsu. Hamburg 1998, S. 29ff. Der pĂ€dagogische Aspekt dieses Anspruchs zeigt sich noch heute darin, dass sogar in den allgemein bildenden Schulen in Japan Techniken der Gesundheitspflege und -bildung vermittelt werden.

Viele Aspekte der fernöstlichen Philosophie lassen sich wegen der Sprachbarriere auf unsere westliche Vorstellungen nur unzureichend ĂŒbertragen.[24]Bei Übersetzungfragen stand mir Frank BĂŒttgen persönlich und mit Literaturhinweisen hilfreich zur Seite. Beispielsweise ist der Begriff „Ki“ fĂŒr Nichtjapaner schwierig zu verstehen;[25]Bin Kimura: Zwischen Mensch und Mensch. Strukturen japanischer SubjektivitĂ€t. Darmstadt 1995, S. 119f. er wird gemeinhin mit „Energie“ oder „Elementarkraft“ ĂŒbersetzt. „Ki“ kommt in unzĂ€hligen japanischen Wortzusammensetzungen und Redewendungen vor, z. B. „O-genki desu ka?“ („Wie geht es Dir“, i. S. v. „Sind Sie in ihrem ursprĂŒnglichen Ki?“), „genkimono“ („lebensfrohe, vitale Person“), „ki ni iru“ („etwas geht ins Ki“, „etwas gefĂ€llt“), „kibun“ („Ki-Anteil“, „Stimmung“), „kimochi“ („Ki-Habe“, „GefĂŒhl“). GefĂŒhlsregungen, die subtil und nuanciert im japanischen zum Ausdruck kommen sollen, binden das Wort „Ki“ ein, das einen ĂŒberindividuellen Charakter und kosmologischen Wortsinn aufweist. Der Begriff „byĂŽki“ wird in einschlĂ€gigen WörterbĂŒchern gemeinhin mit „krank“ ĂŒbersetzt, bei genauer Betrachtung ist jedoch gemeint „schwaches Ki“ i. S. v. „Ki ist in Unordnung“. Wie sich nicht nur an diesem Beispiel zeigt, ist eine direkte, einfache Übersetzung einer Vokabel nicht möglich, da wesentliche Bedeutungsfacetten von „Ki“ in unserer westlichen eindimensionalen Sichtweise verloren gehen. Dies gilt beispielsweise auch fĂŒr im Japanischen Ă€ußerst respektvoll und vielschichtig abgestuft gebrauchte Anreden. „Sensei“, die respektvolle Titulierung eines Lehrers, wird in Übersetzungen als „Doktor“ und „Professor“ wiedergegeben, wobei nicht die akademischen Titel gemeint sein können, da diese in das Japanische eine eigene Übersetzung erfahren haben. „Hara“, schlechthin mit „Bauch“ im anatomischen Sinn ĂŒbersetzt, vermittelt als Begriff mit einer existentiellen Bedeutung eine Haltung, der man sich in einer anderen Sprache wie Deutsch nur durch eine sehr umfangreiche Beschreibung nĂ€hern kann und deren Inhalt westliche Menschen in der Regel nur mĂŒhsam lernen. „Hara bedeutet diejenige Verfassung, in der ein Mensch zu seiner ursprĂŒnglichen Mitte hingefunden hat und aus ihr heraus sich bewĂ€hrt.“[26]Karlfried Graf DĂŒrckheim: Hara. Die Erdmitte des Menschen. Bern/MĂŒnchen/Wien 1999, S. 14. Das Dasein von „Hara“ wird durch die aufrechte, standfeste und gesammelte Haltung gekennzeichnet,[27]DĂŒrckheim: a. a. O., S. 18. die bezeugt, dass der Mensch in seiner Umwelt verwurzelt ist. Um erfolgreich zu sein, braucht ein Mensch „Hara“, durchaus auch im Sport, wo „Hara, Hara!“ als Anfeuerungsruf Verwendung finden kann.[28]DĂŒrckheim: a. a. O., S. 24. FĂŒr Japaner ist diese umfassende Bedeutung des Begriffes „Hara“ ganz selbstverstĂ€ndlich und Teil ihrer Vorstellungswelt. So bezeichnet „Hara ga aru hĂ­to“ einen Menschen „der Hara hat“, also eine reife, integre Persönlichkeit mit EinfĂŒhlungsvermögen, klaren Denkstrukturen und einer umfassenden Verwurzelung in seiner jeweiligen Umwelt. Wenn schon die KomplexitĂ€t einzelner Begriffe zu Übertragungsproblemen fĂŒhrt, wie viel komplizierter sind erst die umfassenden Denkmodelle der fernöstlichen Philosophie in die westliche Vorstellungswelt zu vermitteln.[29]Allen, die Shiatsu praktizieren, ist stets bewusst, dass Shiatsu und seine Wirkweise mit unserem westlichen Denken und Vokabular kaum beschrieben werden kann, dies gilt auch fĂŒr die Autorin und â€Š weiterlesen

Da viele Übersetzer im Grunde ihre eigenen Wurzeln in der westlichen Denkweise nicht (ausreichend) reflektieren, ist in den meisten BĂŒchern zur japanischen Medizin und Philosophie der westliche Blickwinkel vorherrschend. Bin Kimura schildert in seinem Buch die großen Unterschiede des Erfahrens und Denkens zwischen den Japanern und „gewöhnlichen“ EuropĂ€ern. „Japaner und EuropĂ€er unterscheiden sich in ihrer Art und Weise, Mensch zu sein und zu leben. dass sich die europĂ€ische klinische Psychologie und Psychiatrie, die fĂŒr europĂ€ische Patienten und durch Forschung an ihnen entwickelt wurden, nicht unmittelbar auf japanische Patienten anwenden lassen, dĂŒrften auch Kinder verstehen. In der japanischen Psychiatrie und Psychologie wurde dieser einfache Tatbestand bisher allerdings fast gĂ€nzlich ignoriert 
 Man sprach zwar japanisch, aber bei den verwendeten Wörtern handelte es sich ausschließlich um direkte Übersetzungen europĂ€ischer Wörter. Diesem Zustand sollte unbedingt ein Ende gesetzt werden.“[30]Kimura: a. a. O., S. 134. Andere Autoren geben vereinzelt eine Stellungnahme zu ihren Problemen ab, wie Wataru Ohashi als Übersetzer von „Zen Shiatsu“: „Wie kann man die Erfahrungen einer Kultur verpflanzen? Hier liegt das Dilemma jeder Übersetzung. Wie genau kann sie das Denken der Originalsprache wiedergeben? 
 Ich muss gestehen, dass meine Zusage, dieses Buch aus dem Japanischen ins Englische zu ĂŒbersetzen, AlptrĂ€ume bei mir hervorgerufen hat, weil mir klar war, in welche ZwickmĂŒhle mich die Kulturunterschiede bei meiner Aufgabe bringen wĂŒrden.“[31]Dr. Shiuzuto Masunaga und Dr. Wataru Ohashi: Das große Buch der Heilung durch Shiatsu. Gesundheit durch die Harmonisierung von Yin und Yang. Theorie und Praxis der japanischen Heilmassage. â€Š weiterlesen Schon Wilhelm von Humboldt (1767-1835) hat 1816 festgestellt: „Die Sprache ist gleichsam die Ă€ußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide nicht identisch genug denken“.[32]Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine EinfĂŒhrung. TĂŒbingen 1997, S. 27f. Diese Vorstellung von der Einheit von Sprache und Denken und die Tatsache, dass das Übersetzen wegen der verschiedenen Kulturen nicht wortgetreu möglich ist, gipfelt in heutigen Übersetzungstheorien darin, dass es „wegen des kulturellen Abstandes ĂŒberhaupt keine Situationskonstanz geben“ kann.[33]Stolze: a. a. O., S. 199f.

In den einschlĂ€gigen Buchpublikationen werden Begriffe wie „Therapie“, „Heilmethode“, „Diagnose“ in Anlehnung an die medizinische Praxis gebraucht, obwohl diese Übersetzung sich nicht immer zwingend aus den Texten ergibt.

Die Übersetzungsproblematik zeigt sich in der eindeutigen FĂ€rbung vieler Veröffentlichungen ĂŒber Shiatsu. In den einschlĂ€gigen Buchpublikationen werden Begriffe wie „Therapie“, „Heilmethode“, „Diagnose“ in Anlehnung an die medizinische Praxis gebraucht, obwohl diese Übersetzung sich nicht immer zwingend aus den Texten ergibt. Beispielsweise ist „Diagnose“ die Übersetzung des japanischen „shindan“, von „shin“ sehen und „dan“ Urteil, also jemand sieht etwas und urteilt, was ebenso ein Arzt machen kann, wie eine Mutter in der Familie oder ein Beobachter im StraßencafĂ©. Zudem sind offenbar vielen Übersetzern und Verlagen die Konsequenzen bei der Benutzung einer medizinischen Terminologie nicht klar – oder sie wird bewusst gewĂ€hlt. Indem Shiatsu als eine Heilmethode publik gemacht wird, verkaufen sich die einschlĂ€gigen BĂŒcher natĂŒrlich besser,[34]Die Shiatsu-spezifischen Hinweise zum Buchmarkt verdanke ich Ulrike Schmidt, Berlin, die mir ihre Erfahrungen und Kenntnisse sehr großzĂŒgig zur VerfĂŒgung gestellt hat. denn mit dem Angebot kann die Sehnsucht der Menschen (als BuchkĂ€ufer) befriedigt werden, „heil“ zu werden und dabei auf jahrtausendealte Traditionen, also auf einen fundierten geschichtlichen Hintergrund zurĂŒckzugreifen. Diesen Markt bedienen einzelne, vorwiegend medizinisch ausgerichtete Verlage, um letztendlich ihre Marktanteile zu sichern. Es kommt dann zu solchen KuriositĂ€ten, dass in dem bei Urban & Fischer 2001 erschienenen Buch „Shiatsu. Grundlagen und Praxis,“ von Carola Beresford-Cooke als wichtiger Hinweis fĂŒr den Benutzer völlig unsinnig darauf hingewiesen wird, „
 anhand der Beipackzettel zu verschreibender PrĂ€parate zu ĂŒberprĂŒfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen 
“.[35]Carola Beresford-Cooke: Shiatsu. Grundlagen und Praxis. MĂŒnchen/Jena 2001, Editorial. Welche PrĂ€parate sollten in einem Buch ĂŒber Shiatsu empfohlen werden?! Abgesehen davon, dass natĂŒrlich jeder Autor veröffentlichen kann, was immer er möchte im Rahmen der deutschen Gesetzgebung, unterliegen Autoren keiner Beweispflicht fĂŒr die von ihnen verfassten Thesen, Theorien und Schilderungen. Trotzdem sichern sich zahlreiche Autoren, Übersetzer und auch Verlage im Vorwort oder sogar in einem eigenen Kapitel gegen etwaige AnsprĂŒche, z. B. auf Schadensersatz, ab. Um auf dem hart umkĂ€mpften BĂŒchermarkt erfolgreich zu sein, werden Shiatsu und andere Methoden den westlichen VerhĂ€ltnissen angepasst und sogar auch konkreten Krankheitsbildern zugeordnet. Wegweisend sind dabei Übernahmen aus dem Bereich der Akupunktur, die ja heute zu den einer großen Zahl Menschen bekannten und akzeptierten Heilmethoden gehört. Welche konkreten ZusammenhĂ€nge zwischen den Indikationen, wie sie aus der Akupunktur bekannt sind, und Shiatsu, einer völlig eigenen Technik, hergestellt werden könnten, ist offen; es gibt keine Studien oder Untersuchungen, die dies be- oder widerlegen könnten. Im ĂŒbrigen findet sich in jedem Shiatsu-Buch an mehr oder weniger versteckter Stelle der Hinweis, dass Shiatsu keine Symptome behandelt, damit also auch keine Krankheiten in unserem westlichen Sinne, sondern entsprechend der Philosophie, auf der es aufbaut, die KlientInnen lehrt, mit ihrer inneren Natur in Kontakt zu kommen und zu kommunizieren.

So sind die Grundlagen von Shiatsu im Erfahrungs- und Wissensschatz der klassischen chinesischen und japanischen Philosophie zu finden. Shiatsu ist traditionell insofern es sich auf alte, nichtmedizinische Wurzeln bezieht. In ganz SĂŒdostasien waren schon nachweislich im 2. Jahrhundert v. Chr. so genannte Daoyin-Übungen verbreitet, die Massage, Akupressurtechniken sowie Bewegungs- und AtemĂŒbungen umfassten. Diese Übungen wurden beeinflusst vom Zen-Buddhismus und wurden schließlich im 10. Jahrhundert ein integraler Bestandteil der in Japan praktizierten Anma-Massage, sozusagen einer ersten Form des Shiatsu. Anma wurde im ĂŒbrigen in Kombination mit Akupunktur, Moxibustion oder KrĂ€uterheilkunde eingesetzt. In seiner jetzigen Form ist Shiatsu eine Entwicklung aus der Mitte der fĂŒnfziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Japan. Von Japan ausgehend haben sich ĂŒber die USA zwei verschiedene Shiatsu-Stile im Westen verbreitet.

Shizuto Masunaga (1925-1981) studierte westliche Psychologie, bevor er in den spĂ€ten vierziger Jahren Shiatsu auszuĂŒben begann, und veröffentlichte 1977 in den USA das Buch „Zen Shiatsu“,[36]In Deutschland kurz darauf unter dem Titel “Das große Buch der Heilung durch Shiatsu” veröffentlicht. Die grundlegenden AusfĂŒhrung zum Zen-Shiatsu basieren teilweise verkĂŒrzt, â€Š weiterlesen mit dem er die Tradition begrĂŒndete, in der in Deutschland Shiatsu angeboten wird: eine dem Geist des Zen entsprechendes achtsames Herangehen der Shiatsu-PraktikerInnen. BerĂŒhmt ist Masunaga fĂŒr seine Erweiterung des traditionellen Meridiansystems der Akupunktur. Weniger bekannt gemacht wird, dass Masunaga ein eigenes ErklĂ€rungsgebĂ€ude fĂŒr Shiatsu entwickelte, dabei bezog er sich auf die Traditionelle Chinesische Medizin, die moderne Psychologie und Physiologie, seine eigenen Erfahrungen aus unzĂ€hligen Behandlungen und auf den Zen-Buddhismus. Durch die VerknĂŒpfung dieser Elemente war es ihm möglich, Formulierungen zur Vermittlung fernöstlicher Vorstellungen zu finden, die so erstmals im Westen auf eine grĂ¶ĂŸere Resonanz stießen. Hinzu kommt, dass er mit seinem Buch in den siebziger Jahren gemeinsam mit Wataru Ohashi, der in der weiteren Entwicklung von Shiatsu eine wichtige Rolle spielt, ein aktuelles BedĂŒrfnis im Westen befriedigen konnte. Der Name „Zen-Shiatsu“ stammt ĂŒbrigens von Ohashi, der mit Recht glaubte, dass mit dem Zusatz „Zen“ ein grĂ¶ĂŸeres Publikum angesprochen wĂŒrde. FrĂŒhere BemĂŒhungen, fernöstliches Gedankengut in den Westen zu vermitteln, waren ohne Erfolg, wie das 1964 in deutscher Sprache erschienene Buch von Yoshiharu Imai ĂŒber Shiatsu mit dem Anspruch, fernöstliches Gedankengut, Heilkunde und Massagetechniken bekannt und benutzbar zu machen – praktisch nicht verkauft werden konnte.[37]Yoshiharu Imai: Ostasiatische Heilkunde und japanische Massage. Im MĂ€rz 1964 in deutscher und englischer Sprache erschienen, mit dem Anspruch, die mangelnden Kenntnisse ĂŒber fernöstliche â€Š weiterlesen Auch heute ist auffĂ€llig, dass Shiatsu nicht direkt von Japan nach Europa vermittelt wird, sondern i. d. R. ĂŒber den Umweg ĂŒber die USA bzw. die englischsprachige Literatur.

Zen-Shiatsu-PraktikerInnen vereinen sanfte Techniken aus der Körperarbeit[38]Körperarbeit im Sinne des aus dem Amerikanischen kommenden “Bodywork”, das als Sammelbegriff fĂŒr ganzheitlich orientierte Formen von mit den HĂ€nden ausgefĂŒhrten Therapien verwendet â€Š weiterlesen mit Eigenschaften wie Achtsamkeit, PrĂ€senz und Aufmerksamkeit.[39]Den Darlegungen ĂŒber die Shiatsu-typische Haltung und ĂŒber die Art der Kommunikation liegen u. a. Gedanken von Ulrike Schmidt, Berlin, zugrunde, ohne deren BeitrĂ€ge dieser Text nicht in dieser â€Š weiterlesen Dabei nehmen sie eine im Sinne des Zen absichtslose, nicht-manipulative Haltung ein, also das klassische „Wu-Wei“, das „Nicht-Wollen“, das Tun im Nichttun, und dennoch nichts ungetan lassen. Etwas in einem „Zen-Sinn“ zu tun, bedeutet, es hundertprozentig zu tun. D. h., die gleichzeitig entspannten und innerlich gesammelten PraktikerInnen versuchen in jedem Moment der BerĂŒhrung, der Begegnung, vollkommen aufmerksam zu sein. Mit Hilfe dieser Konzentration von PrĂ€senz, dieser absoluten Offenheit in der Wahrnehmung lassen die PraktikerInnen den Raum entstehen, in dem die Informationen der KlientInnen „empfangen“ werden können. Dabei sind PraktikerInnen und KlientInnen und Shiatsu nicht voneinander getrennt, sondern im Wesentlichen wird ein Kontakt zwischen speziell den HĂ€nden der PraktikerInnen und dem bekleideten Körper der KlientInnen durch die Kleidung hindurch hergestellt. Mit der Shiatsu-spezifischen BerĂŒhrung ist die Vorstellung verbunden, die KlientInnen körperlich und psychisch zu verstehen. Das Entscheidende ist die unmittelbare Energiewahrnehmung im Moment der BerĂŒhrung. Dies gelingt oftmals am besten durch entspanntes „HinspĂŒren“, wobei dieser meditative Moment nur schwer vom Verstand her erklĂ€rbar, aber fĂŒr beide, Shiatsu-EmpfĂ€nger und -Geber, erfahrbar ist.

Die so ausgetauschten Mitteilungen können z. B. die „gewĂŒnschte“ Art und Dauer der BerĂŒhrung betreffen[40]Wie diese InformationsĂŒbertragung im Einzelnen geschieht, entzieht sich derzeit den ErklĂ€rungsfĂ€higkeiten des menschlichen Bewusstseins – es ist in der Tat wesentlich einfacher, den â€Š weiterlesen und sind eine Form der nonverbalen Kommunikation, die in zwischenmenschlichen Situationen permanent stattfindet.[41]Wolfgang Anders und Sabine Weddemar: HĂ€ute scho(e)n berĂŒhrt? Körperkontakt in Entwicklung und Erziehung. Dortmund 2001. Der menschliche Organismus ist vom Aufbau, von der Funktion und von den FĂ€higkeiten derart komplex und einzigartig, dass selbst die InformationsĂŒbermittlung innerhalb eines Menschen nicht abschließend erforscht ist: so werden im menschlichen Körper Informationen mit einer Geschwindigkeit ĂŒbermittelt, die praktisch Lichtgeschwindigkeit betrĂ€gt.[42]
 und auf keinen Fall durch chemische Botenstoffe zustande kommen kann. Siehe Bischof: Biophotonen. Das Licht in unseren Zellen. Zweitausendeins 1995, S. 114. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Mensch auch nonverbal sehr wohl „senden“, d. h. Botschaften nach außen tragen kann ĂŒber Schwingungs- oder andere uns unbekannte Strukturen. Ohne Worte vermitteln die KlientInnen also den PraktikerInnen, was jeweils „zu tun ist“. LandlĂ€ufig wird diese Form der Kommunikation auch als „intuitives Erfassen“ bezeichnet. Ein weitergehendes ErklĂ€rungsmodell ist der Physik entlehnt: das Resonanzprinzip – allgemein als das Mitschwingen von Körpern, MolekĂŒlen oder Atomen verstanden. Die Existenz eines solchen Prinzips im zwischenmenschlichen Kontakt ist auch ohne wissenschaftliche Forschung allgemein anerkannt: Lachen und GĂ€hnen, welches „ansteckend“ wirkt; Sorgen oder Ängste, die sich â€žĂŒbertragen“; Begeisterung, die â€žĂŒberspringt“. In welcher Weise diese PhĂ€nomene geschehen, ist ebenso ungeklĂ€rt, wie die Wirkungsweise von Shiatsu, dennoch zeigt die Erfahrung, dass diese Ereignisse existieren. Shiatsu-PraktikerInnen lernen mit zunehmender Erfahrung und Ausbildung die Wahrnehmung immer subtilerer „Informationen“ durch die KlientInnen. Im Idealfall „fĂŒhren“ die KlientInnen so die PraktikerInnen durch eine Behandlung. Die PraktikerInnen haben daher in der Behandlung sehr wohl einen Fokus nĂ€mlich den der achtsamen und absichtslosen BerĂŒhrung , aber weder ein starres Konzept noch ein schematisches Vorgehen im Sinn.

BerĂŒhrung kann ganz allgemein beruhigen und Schmerzen lindern, trösten und NĂ€he vermitteln 
 Mit gezielter BerĂŒhrung kann die WahrnehmungsfĂ€higkeit in einer Weise gesteigert werden, die dem Organismus zu verbesserter Koordination, FlexibilitĂ€t und zu angemessener Reaktion verhilft.

BerĂŒhrung im Sinne dieser nonverbalen Kommunikation hat eine große Bedeutung fĂŒr den Menschen, auch wenn die meisten Menschen sich dessen nicht immer bewusst sind. BerĂŒhrung kann ganz allgemein beruhigen und Schmerzen lindern, trösten und NĂ€he vermitteln. Ohne ausreichende BerĂŒhrung entwickelt sich der menschliche Organismus unzureichend und stirbt schließlich, wie sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Baltimore im Zusammenhang mit der (extrem hohen) SĂ€uglingssterblichkeit in WaisenhĂ€usern und Kinderheimen belegen ließ.[43]Daiker: a. a. O., S. 33. BerĂŒhrung gehört zu den wichtigsten Elementen der Entwicklung und funktionalen Organisation des Zentralnervensystems. Sie beeinflusst das Wachstum und die körperlich-geistige Entwicklung und hat eine erkennbare Wirkung auf die LeistungsfĂ€higkeit des Stoffwechsels bei Kindern – und bei Erwachsenen. Mit gezielter BerĂŒhrung kann die WahrnehmungsfĂ€higkeit in einer Weise gesteigert werden, die dem Organismus zu verbesserter Koordination, FlexibilitĂ€t und zu angemessener Reaktion verhilft. Dem Organismus werden neue Erfahrungen ermöglicht, so dass er zu neuen Reaktionen befĂ€higt wird. Die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung fĂŒr die Gesundheitsförderung wird auch in den Schriften des Bundesministeriums fĂŒr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hervorgehoben.[44]BMBF 1994, 1997.

Shiatsu als BerĂŒhrungs-Körperarbeit[45]“Kunst der BerĂŒhrung” beschreibt terminologisch Shiatsu am treffendsten. gehört zu den positiven, konkreten Konzepten und Verhaltensweisen, die gesundheitsfördernd sind oder konkret in der Gesundheitsförderung und -bildung eingesetzt werden können. Die Shiatsu-PraktikerInnen sind in der Weise geschult, dass sie ihren Fokus, ihre Wahrnehmung darauf richten, in welcher IntensitĂ€t und Dauer und an welchem Bereich des Körpers sie mit der Lebensenergie des anderen Menschen (durch bestimmte Techniken) in Kontakt treten. Anders ausgedrĂŒckt ist die BerĂŒhrung der PraktikerInnen eine Einladung an das energetische System des anderen, mit ihm zu reagieren. Das Werkzeug der PraktikerInnen sind die HĂ€nde, das Mittel die Wahrnehmung, die Absicht absichtslos. Das Ziel: das energetische System des Klienten an seine „SelbstheilungsfĂ€higkeiten zu erinnern“, ohne auf ein bestimmtes Ergebnis fixiert zu sein. Shiatsu-PraktikerInnen sind dabei keine allwissenden Spezialisten, die unwissenden KlientInnen gegenĂŒberstehen, sondern versuchen vielmehr, dem Lebensstrom der KlientInnen zuzuhören und diese in ihrer Selbstwahrnehmung zu unterstĂŒtzen. Dabei bringen sie keinesfalls etwas in Ordnung, reparieren oder heilen! Durch die Shiatsu-spezifische BerĂŒhrung wird dem Menschen der Raum geboten, seine eigene innere energetische Ordnung auf- und wieder zu finden. Der Erfolg beim Shiatsu resultiert daraus, dass die Körperwahrnehmung der KlientInnen angeregt und sensibilisiert wird. Dabei werden die vorhandenen StĂ€rken und gesunden Potentiale (die Ressourcen) gezielt wahrgenommen und können entfaltet werden. Außerdem wird das Vertrauen der KlientInnen in die Selbst-Pflege und Selbst-RegulierungskrĂ€fte des eigenen Organismus gestĂ€rkt. DarĂŒber hinaus werden die KlientInnen angeleitet und angeregt, Übungen entsprechend ihren individuellen Möglichkeiten durchzufĂŒhren.

So schildert Selin, eine 38jĂ€hrige Klientin, Shiatsu als „ein Gehaltenwerden, auf das ich seit 38 Jahren gewartet habe 
 jetzt laufe ich ruhiger durch die Welt, angstfreier 
“.[46]Selin: Erfahrungen mit BerĂŒhrung. Gedanken nach einer zehnwöchigen Shiatsubehandlung. Bericht der behandelten Person. In: GSD-Journal 29, 10/2002, S. 17-19. Eine andere Klientin berichtet, dass sie, eine beruflich und privat sehr gestresste Frau, erstmals durch Shiatsu das GefĂŒhl des Ganzseins erlebt hat, so als hĂ€tte sie den SchlĂŒssel zu inneren RĂ€umen wieder entdeckt, an die sie zuvor nicht einmal mehr gedacht hat. Damit verbunden war eine gesteigerte Zufriedenheit mit der Lebenssituation und eine grĂ¶ĂŸere Entspanntheit.[47]Unveröffentlichter Erfahrungsbericht einer Klientin.

Im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt, das die European Shiatsu Federation (ESF) mit der UniversitĂ€t Salford in Großbritannien gemeinsam durchfĂŒhrt, hat sich gezeigt, dass alle befragten KlientInnen Shiatsu in vergleichbarer Weise erleben. Zu den herausragenden, praktisch immer genannten Erfahrungen und Beobachtungen wĂ€hrend und kurz nach dem Shiatsu gehört ein allgemeines GefĂŒhl des Entspanntseins und der Verbundenheit mit sich selbst. Weitere Äußerungen waren: „ruhig“, „ausgeglichen“, „harmonisiert“, â€žĂŒber den Dingen stehend“, „leicht“, „beweglich“, „ein Zustand, wie er normal sein sollte“. Über einen lĂ€ngeren Zeitraum fĂŒhlten sich die KlientInnen „mehr im Lot“, „wohler in der eigenen Haut“, „mehr als Einheit“, „körperbewusster“, „hoffnungsvoller in verfahrenen Situationen“, „klarer im Denken“, „gelassener“, „weniger gestresst und angstfrei“, „mit besserer Einsicht in die eigene Lebensweise und die Ursachen von Beschwerden“, „persönlich weiterentwickelt“, „in besserer Beziehung zum sozialen Umfeld“.[48]Helmut Kreil: Neues aus dem Bereich Forschung. Bericht zur aktuellen Situation, Stand 23. April 2002. In: GSD-Journal 29, 10/2002, S. 10f. Information ĂŒber ein Treffen mit den Beteiligten an dem â€Š weiterlesen

Um zu verstehen, warum Shiatsu sehr entspannend wirkt, ist es sinnvoll, sich in Erinnerung zu rufen, wie unser Nervensystem (NS) funktioniert.[49]Die ErlĂ€uterungen zur Funktionsweise von Shiatsu basieren auf einem Aufsatz von Ulrike Schmidt: Shiatsu gegen Streß. In: Körper, Geist, Seele. Berlin, Januar 2001. Vielen Dank, das ich diesen Text â€Š weiterlesen

Wie sich aus der Beschreibung der Wirkung von Shiatsu, an den Beispielen und in den Umfragen zeigt, fĂŒhlen sich die Menschen, die mit Shiatsu in Kontakt kommen, entspannt, gestĂ€rkt, gefördert und genĂ€hrt. Sobald der Geist auf die Kontrolle verzichtet, verbindet er sich wieder mit dem Körper und „wird eins mit ihm, so dass die eigentliche Bewusstheit des Lebens erfahren wird“.[50]Wilfried Rappenecker: Einleitung. In: Meridian-DehnĂŒbungen von Shizuto Masunaga. Waldeck 1999, S. 11. Die KlientInnen können so Geborgenheit und Verwurzelung in ihrer sozialen Umwelt spĂŒren und Zugang zu den ihnen eigenen Ressourcen finden. Sie erleben sich ganz, unversehrt und indem sie ihre StĂ€rken und SchwĂ€chen erkennen – in ihrer eigenen Mitte. Damit ermöglicht Shiatsu den Menschen eine Wahrnehmung, die konstitutiv fĂŒr die Gesundheitsförderung und -bildung ist, nĂ€mlich wie sie ihre Umwelt meistern bzw. sie verĂ€ndern können.[51]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 34.

Aaron Antonovsky beschreibt mit seinem Konzept der Salutogenese (von lateinisch „salus“ gesund, griechisch „genese“ Entstehung) solche KrĂ€fte, die dem Individuum helfen, Gesundheit zu entwickeln. Diese KrĂ€fte fördern die FĂ€higkeit des Individuums, mit den Belastungen des Lebens erfolgreich, eben kreativ umzugehen und widerstandsfĂ€hig gegenĂŒber Stressoren zu sein.[52]P. Becker: Die Salutogenesetheorie von Antonovsky: Eine wirklich neue, empirisch abgesicherte, zukunftsweisende Perspektive? In: Gesundheits- oder Krankheitstheorie? Saluto- versus pathogenetische â€Š weiterlesen Dadurch entwickelt der Mensch den so genannten KohĂ€renzsinn, der bereits in Kindheitsjahren in seinen GrundzĂŒgen angelegt ist. Der KohĂ€renzsinn ist eine Grundorientierung, die das Ausmaß eines umfassenden, dauerhaften und gleichzeitig dynamischen GefĂŒhls des Vertrauens darauf ausdrĂŒckt, dass die Ereignisse im Leben strukturiert, vorhersehbar und erklĂ€rbar sind („comprehensibility“ Verstehbarkeit), die Ressourcen verfĂŒgbar sind, um den aus den Ereignissen stammenden Anforderungen gerecht zu werden („manageability“ Handhabbarkeit, Gegenseitigkeit), und dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Interventionen und Engagement lohnen („meaningfulness“ Bedeutsamkeit).[53]Vgl. Aaron Antonovsky: Unraveling the Mystery of Health. In: How People Manage Stress and Stay Well. San Francisco 1987, S. 19. Das Konzept Antonovskys bietet Ansatzpunkte fĂŒr Maßnahmen zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit. Gesundheitsressourcen bzw. salutogenetische Faktoren können alle solche Einflussfaktoren sein, die eine Bewegung in Richtung auf mehr Gesundheit in dem vom Antonovsky als Kontinuum beschriebenen VerhĂ€ltnis zwischen Gesundheit und Krankheit bewirken. Die Gesundheitsressourcen sind unabhĂ€ngig von Risikofaktoren und Krankheitsdiagnosen, d. h., sie kommen Gesunden, akut Erkrankten, chronisch Kranken und Sterbenskranken im Prinzip gleichermaßen zugute. Daher gilt, dass Maßnahmen der Gesundheitsförderung unspezifisch, unabhĂ€ngig von Risikofaktoren und Krankheitsdiagnosen wirksam sind. Also: Gesundheitsförderung wirkt zugleich gesundheitssteigernd auf Gesunde und andere.[54]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 83.

Ein Zugang zu den körperlichen Gesundheitsressourcen, den anlagebedingten und erworbenen körperlichen Eigenschaften, wird sowohl von westlichen KörperpĂ€dagogen und -therapeuten wie auch von östlichen Schulen des Körpertrainings (z. B. Yoga, Tai Chi, Qi Gong, meditative Techniken) ĂŒber Körpertechniken empfohlen, die mit Entspannung und Körpererfahrung jenseits willentlicher Kontrolle verbunden sind,[55]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 86. also z. B. Yoga, Meditation und Feldenkrais-MethodeÂź. Diese haben in der Gesundheitsförderung bereits große Verbreitung neben traditionellem Fitnesstraining gefunden. Als personale BewĂ€ltigungs- bzw. Gesundheitsressourcen gelten: Zuversicht und Optimismus, internale KontrollĂŒberzeugung, Selbstvertrauen, SelbstwertgefĂŒhl, stabiles Wertsystem und emotionale StabilitĂ€t, unbekĂŒmmerte ruhige SelbsteinschĂ€tzung, interpersonales Vertrauen, Commitment, Herausforderung, Selbstaufmerksamkeit, aktives BewĂ€ltigungsverhalten, Tendenz zur abschwĂ€chenden Bewertung von Problemen, Bevorzugung reifer gegenĂŒber unreifer Abwehrformen, also allgemein gesprochen eine optimistische Einstellung oder das Vertrauen in sich selbst und die eigene Umwelt.[56]Trojan und Legeure: a. a. O., S. 88. Diese personalen Gesundheitsressourcen stehen im VerhĂ€ltnis zu den körperlichen Faktoren. Indem Shiatsu durch die Kunst der BerĂŒhrung die körperlichen Gesundheitsressourcen wahrnehmbar macht und stĂ€rkt, werden die personalen Faktoren ebenfalls beeinflusst.

Bei der Gesundheitsförderung steht die Frage im Vordergrund, welche Faktoren Gesundheit im Sinne des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens herstellen können, diese gilt es zu verstĂ€rken und zu unterstĂŒtzen.

Gesundheitsförderung und -bildung, wie sie mit Shiatsu praktiziert wird, ist im Vergleich zu prĂ€ventiven Maßnahmen anders ausgerichtet. PrĂ€vention ist geprĂ€gt von dem Ziel, Krankheit zu vermeiden bzw. zu verhĂŒten. Ausgangspunkt sind Theorien darĂŒber, welche Faktoren Krankheit hervorrufen und wie man diese bekĂ€mpfen kann. Bei der Gesundheitsförderung steht die Frage im Vordergrund, welche Faktoren Gesundheit im Sinne des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens herstellen können, diese gilt es zu verstĂ€rken und zu unterstĂŒtzen. Gesundheitsförderung schließt zugleich Maßnahmen krankheitsorientierter PrĂ€vention ein, denn eine eindeutige Grenzziehung im Einzelfall ist nicht immer möglich, weil die in der GesundheitsfĂŒrsorge erzielten Wirkungen durchaus auch solche der PrĂ€vention einschließen können. Gesundheitsförderung ist politisches Handlungsprogramm, beruht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, primĂ€r jedoch auf neuen Werthaltungen und Handlungsorientierungen.[57]Trojan und Legeure: a.a .O., S. 35ff.

Shiatsu ist in diesem Sinne Gesundheitsförderung und -bildung. In der Tradition von Shizuto Masunaga beschĂ€ftigt sich Shiatsu nicht mit Krankheiten im westlichen Sinne, sondern ausschließlich mit der Balance des im Körper frei zirkulierenden Ki. Ein vorhandenes Ungleichgewicht von Ki (je nach Erscheinungsform „Kyo“ und „Jitsu“ genannt) Ă€ußert sich in den Meridianen und soll dort bearbeitet werden. Um dabei zu helfen, den Kyo-Aspekt in einem Meridian zu finden, listet Masunaga Symptome auf, die bei der Suche hilfreich sein sollen. Dabei hĂ€lt er fest: „Sie sollten sich nicht zu sehr an diese Definitionen der Kyo-ZustĂ€nde klammern. 
 Diese Beschreibungen lassen höchstens einen flĂŒchtigen Blick auf die eigentlichen Ursachen zu.“[58]Shizuto Masunaga: Meridian DehnĂŒbungen. Waldeck 1999, S. 176. Auch bei ihm wird auf die Unterschiede zwischen fernöstlichen Methoden und deren Ursachenforschung im Vergleich zur westlichen Schulmedizin hingewiesen.[59]Masunaga: a. a. O., S. 185f. Shiatsu ist weder therapeutisch noch diagnostisch orientiert an westlich definierten Krankheitsbildern. Eine Auflistung solcher Krankheitsbilder verfehlt deshalb in der Literatur in gewisser Weise den Ansatz von Shiatsu. Dennoch werden solche Listen publiziert, jedoch in der Regel unter Vorbehalten, die auch den jeweiligen Texten zu entnehmen sind.[60]Daiker: a. a. O., S. 95.

Trotzdem wird Shiatsu oftmals als Heilmethode angesehen, auch wenn die PraktikerInnen diesen Anspruch nicht vertreten. BegrĂŒndet wird diese Einordnung damit, dass eine Diagnose durchgefĂŒhrt wird. Eine Diagnose im westlichen Sinne, die sich deutlich von der Behandlung unterscheidet, wird tatsĂ€chlich nicht erhoben, denn in dieser Diagnose steckt immer auch ein Bewerten der Situation der KlientInnen, indem Krankheit kategorisiert wird. Beim Shiatsu geht es um die Wahrnehmung der energetischen Gegebenheiten im Körper der KlientInnen, um das Wissen der IndividualitĂ€t und Persönlichkeit, mit denen die PraktikerInnen in einen Dialog treten, und um ein großes Repertoire an Techniken, das situationsbezogen Anwendung findet. Alle beim Shiatsu angewandten Methoden entstammen der fernöstlichen Philosophie: „bunshin“ (Zu-) Hören, „bĂŽshin“ Betrachten (i. S. v. wĂŒnschen und erwarten zu sehen), „setsushin“ (i. S. v. etwas berĂŒhren, was man nicht berĂŒhren kann[61]So wörtlich von Wataru Ohashi geĂ€ußert auf einem Seminar 1985.) und „monshin“ (Befragen). Sie grĂŒnden auf dem Selbst-Bewusstsein und dem EinfĂŒhlungsvermögen der PraktikerInnen und auf der Akzeptanz der KlientInnen in ihrer IndividualitĂ€t und Dynamik. Daraus ergibt sich, welche Art der BerĂŒhrung im Shiatsu angeboten wird.

Um Shiatsu entsprechend den spezifischen Traditionen und fernöstlichen Vorstellungen auszuĂŒben, brauchen die Shiatsu-PraktikerInnen zwar ein großes Wissen und Erfahrung, aber keine Ausbildung in einem Heilberuf im westlichen Sinne. Dort wĂ€re Shiatsu genauso schwierig einzuordnen wie in den so genannten medizinischen Hilfsberufen. Trotzdem kommen viele KlientInnen zum Shiatsu mit Schmerzen und Beschwerden verschiedenster Art und empfinden ihren Körper als eine Quelle des Unbehagens. Da diese KlientInnen aufgewachsen sind mit dem westlichen Denkmodell von „Gesundheit ist gleich Abwesenheit von Krankheit“, ist auch ihre Wahrnehmung nur in diesem Rahmen geschult. Weil aber Gesundheitsförderung und -bildung zugleich gesundheitssteigernd fĂŒr Gesunde und andere wirken, wird mit dem positiven KörpergefĂŒhl, das Shiatsu vermittelt, der Körper (wieder) zu einer Quelle von Genuss und Entspannung. Die geschulte Selbstwahrnehmung bietet die Basis fĂŒr eine höheres Maß an Selbst-Beherrschung, an Einflussnahme auf das eigene Befinden. Dies stĂ€rkt den Willen, bei der eigenen Entwicklung eine aktive Rolle zu spielen und Verantwortung fĂŒr sich selbst zu ĂŒbernehmen. VerĂ€nderung kann dadurch geschehen, dass das Körperbild erkannt und korrigiert wurde und dass neben Schwachheit und Schmerz auch die StĂ€rke und Freude (wieder-) entdeckt wird. Die Ziele von Shiatsu sind: allgemeines Wohlbefinden, Entspannung, Wachheit, Klarheit, Selbst-Beherrschung und das Sich-Öffnen fĂŒr Ressourcen.[62]Daiker, a. a. O., S. 36f. Shiatsu arbeitet prozessorientiert, indem es ein besseres Körperbewusstsein ausbildet und dadurch eine bewusstere und gesĂŒndere LebensfĂŒhrung fördert.

Die GesundheitsfĂŒrsorge und -bildung hat sich trotz der BemĂŒhungen der Weltgesundheitsorganisation bisher in keiner Weise nachhaltig im Bereich des Gesundheitswesens etablieren können. GesundheitsfĂŒrsorge findet sich vorwiegend in anderen Gebieten, darunter beispielsweise der PĂ€dagogik (vgl. Feldenkrais-MethodeÂź, Yoga) oder auch der Psychologie. Mit dem Anspruch, den die Shiatsu-PraktikerInnen vertreten, gehören sie zu keinem der ĂŒblichen Wirtschaftssektoren oder Gruppierungen, sondern bieten eine Dienstleistung, die viele Bereiche berĂŒhrt, aber sich nicht wirklich einordnen lĂ€sst. Und die Shiatsu-PraktikerInnen sehen als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, den Begriff „Gesundheit“ im Westen neu zu definieren und damit der Gesellschaft, in der sie leben, Anregungen zu geben.[63]So wurde in der Schweiz ein Dachverband “Xund” fĂŒr natĂŒrliche Methoden im Gesundheitswesen gegrĂŒndet. “Xund” zielt darauf ab, natĂŒrliche Methoden bekannt zu machen, â€Š weiterlesen

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© Renate Köchling-Dietrich hat als Kunsthistorikerin ein besonderes Interesse am Körperbild und -verstĂ€ndnis des Mittelalters entwickelt und ist dadurch – und ĂŒber langjĂ€hrige Erfahrung in Körperarbeit beim Shiatsu angekommen. Seit ĂŒber einem Jahr ist sie Mitglied der Arbeitsgruppe “Berufsbild” der GSD und neuerdings auch stellvertretend im Vorstand (Ressort Recht) tĂ€tig.

Anmerkungen

Anmerkungen
↑1 Dieser Text wĂ€re nicht entstanden ohne die fortwĂ€hrende Ermunterung und Ansprache ganz verschiedener Personen, die mir als anregende Diskussionspartner zur VerfĂŒgung standen. Besonderer Dank gebĂŒhrt Karin Kalbantner-Wernicke sowie Thomas Wernicke, Ulrike Schmidt, Frank BĂŒttgen, Wolfram Jokisch, Frank Seemann und Ellen Maaß.
↑2 Alf Trojan und Heiner Legeure: Nachhaltige Gesundheit und Entwicklung. Leitbilder, Politik und Praxis der Gestaltung gesundheitsförderlicher Umwelt- und Lebensbedingungen. Frankfurt/Main 2001, S. 36.
↑3 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 76.
↑4 Volker Schneider: Gesundheitsförderung mit Gesundheitsfaktoren? In: Gesundheitsförderung zwischen Selbstverwirklichung und Empowerment, hrsg. von Peter Paulus und Detlev Deter. Köln 1998, S. 61-76, S. 66f.
↑5 Kommentar aus dem Sozialgesetzbuch, Bd. 5, § 27.
↑6 Heinrich Schipperges: Artikel “Gesundheit”. In: Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Robert Henri Bautier u. a., 9 Bde. und Registerband. MĂŒnchen/ZĂŒrich 1980‑1999, Bd. 4, 1989, Sp. 1412f.
↑7 Gesammelte antike Schriften, die grösstenteils Hippokrates, dem berĂŒhmtesten Arzt der Antike, zugeschrieben sind. Vgl. G. Keil: Artikel “Hippokrates”. In: Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Robert Henri Bautier u. a., 9 Bde. und Registerband. MĂŒnchen/ZĂŒrich 1980‑1999, Bd. 5, 1991, Sp. 31f.
↑8 Vgl. H. Sobel: Hygieia. Darmstadt 1990.
↑9 Heinrich Schipperges: Am Leitfaden des Leibes. Eine Philosophie der Leiblichkeit bei Nietzsche. In: Akupunktur 2/45 2002, S. 116-123, S. 118.
↑10 Schipperges: a. a. O., S. 120.
↑11 Schipperges: a. a. O., S. 121f.
↑12 Klaus Wolbert: Körper. Zwischen animalischer Leiblichkeit und Ă€sthetisierender VerklĂ€rung der Physis. In: Die Lebensreform. EntwĂŒrfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Katalog zur Ausstellung Darmstadt 2001/2002, 2 Bde, hrsg. von Kai Buchholz, Rita Latocha, Hilke Peckmann und Klaus Wolbert. Darmstadt 2001, Bd. 2, S. 339-340, S. 340.
↑13 Paul H. Ray und Sherry Ruth Anderson: The Cultural Creatives – How 50 Million People Are Changing the World. New York 2000.
↑14 Werte und Haltungen der Traditionalisten: Betonung von Familie und Religion, Misstrauen gegenĂŒber VerĂ€nderungen, Probleme mit der KomplexitĂ€t der modernen Welt.
↑15 Werte und Haltungen der Modernisten: WertschĂ€tzung universeller Normen und SĂ€kularitĂ€t, Vorrang fĂŒr persönliche Freiheit und eigene Leistungen, Glaube an rein technische Lösungen.
↑16 Wolfgang Schmidt-Reinecke: Innen und Außen zugleich im Blick. Die Kulturell Kreativen. In: Hagia Chora 8/2001.
↑17 Wolfgang Schmidt-Reinecke: a. a. O. Eine reprĂ€sentative Umfrage unter Nutzern alternativmedizinischer und unkonventioneller Therapieangebote des psychologischen SachverstĂ€ndigen Dr. Walter Andritzky bestĂ€tigte Umfragen aus England und Holland, nach denen bis zu 90% der Befragten alternative Methoden erneut anwenden bzw. weiterempfehlen wĂŒrden. Die Anbieter solcher Behandlungsweisen sind einem Legitimationsdruck seitens etablierter GesundheitsfĂŒrsorge, Wissenschaft und Medien ausgesetzt. Vgl. Pressemitteilung der Frankfurter GesprĂ€che vom 21.12.1999.
↑18 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 19f.
↑19 Ottawa-Charta, zitiert nach J. von Troschke et al. 1996, S. 182.
↑20 Das Konzept der Salutogenese formuliert von Aaron Antonovsky wird an spĂ€terer Stelle nĂ€her erlĂ€utert.
↑21 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 28ff.)

Ganzheitlichkeit im Sinne der Ottawa-Charta verstanden als Vernetzung verschiedenster Faktoren, zu denen auch das subjektive Wohlbefinden gehört 
 Die gesellschaftliche Perspektive der Gesundheitsförderung und -bildung findet sich in den AnfĂ€ngen zahlreicher alternativer Methoden und verschiedenster humanistischer AnsĂ€tze wieder, so auch bei Shiatsu.

Schon die Gesundheitsbewegung der achtziger Jahre trĂ€gt dieser Entwicklung Rechnung mit ihren Gesundheitstagen, Reformdiskussionen im öffentlichen Gesundheitsdienst, sozialen Netzwerken und Selbsthilfeprogrammen. Aufgrund des als unzureichend wahrgenommenen Gesundheits- und KrankheitsverstĂ€ndnisses findet eine Hinwendung zu „ganzheitlich“ ausgerichteten Vorstellungen statt: Ganzheitlichkeit im Sinne der Ottawa-Charta verstanden als Vernetzung verschiedenster Faktoren, zu denen auch das subjektive Wohlbefinden gehört. Wobei nicht nur passives Wohlbefinden gemeint ist (i. S. v. „wellness“), sondern auch Wohlbefinden als begleitendes GefĂŒhl jener seelisch-geistigen Kraft, mit der Schwierigkeiten im Leben gemeistert werden.((Schneider: a. a. O., S. 64ff.

↑22 Veronika Hackenbroch: Einmal Yin, einmal Yang. In: Der Spiegel 24/2002, S. 184-186, S. 185.
↑23 Ilona Daiker: Shiatsu. Hamburg 1998, S. 29ff.
↑24 Bei Übersetzungfragen stand mir Frank BĂŒttgen persönlich und mit Literaturhinweisen hilfreich zur Seite.
↑25 Bin Kimura: Zwischen Mensch und Mensch. Strukturen japanischer SubjektivitĂ€t. Darmstadt 1995, S. 119f.
↑26 Karlfried Graf DĂŒrckheim: Hara. Die Erdmitte des Menschen. Bern/MĂŒnchen/Wien 1999, S. 14.
↑27 DĂŒrckheim: a. a. O., S. 18.
↑28 DĂŒrckheim: a. a. O., S. 24.
↑29 Allen, die Shiatsu praktizieren, ist stets bewusst, dass Shiatsu und seine Wirkweise mit unserem westlichen Denken und Vokabular kaum beschrieben werden kann, dies gilt auch fĂŒr die Autorin und deren Probleme beim Formulieren dieses Textes. Um dem vorhandenen populĂ€ren und kommerziellen VerstĂ€ndnis von Shiatsu zu begegnen, wurde an dieser Stelle versucht, einen Eindruck von Shiatsu in seinem ursprĂŒnglichen Sinngehalt zu vermitteln.
↑30 Kimura: a. a. O., S. 134.
↑31 Dr. Shiuzuto Masunaga und Dr. Wataru Ohashi: Das große Buch der Heilung durch Shiatsu. Gesundheit durch die Harmonisierung von Yin und Yang. Theorie und Praxis der japanischen Heilmassage. Bern/MĂŒnchen/Wien 2001. Im englischen Original von 1977 “Zen Shiatsu” wird Wataru Ohashi als Übersetzer genannt. Aufschlussreich werden beide Autoren in der deutschen Ausgabe als “Doctores” angesprochen und mögliche Probleme bei der Übersetzung von der englischen in die deutsche Sprache nicht thematisiert.
↑32 Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine EinfĂŒhrung. TĂŒbingen 1997, S. 27f.
↑33 Stolze: a. a. O., S. 199f.
↑34 Die Shiatsu-spezifischen Hinweise zum Buchmarkt verdanke ich Ulrike Schmidt, Berlin, die mir ihre Erfahrungen und Kenntnisse sehr großzĂŒgig zur VerfĂŒgung gestellt hat.
↑35 Carola Beresford-Cooke: Shiatsu. Grundlagen und Praxis. MĂŒnchen/Jena 2001, Editorial.
↑36 In Deutschland kurz darauf unter dem Titel “Das große Buch der Heilung durch Shiatsu” veröffentlicht. Die grundlegenden AusfĂŒhrung zum Zen-Shiatsu basieren teilweise verkĂŒrzt, teilweise wörtlich auf den Gedanken von Anne-Kathrin Soelke, die sie 1997 unter dem Titel “Zen-Shiatsu” in der Zeitschrift “Körper, Geist, Seele” publiziert hat. Ich danke der Autorin, dass ich ihren Text hier benutzen durfte.
↑37 Yoshiharu Imai: Ostasiatische Heilkunde und japanische Massage. Im MĂ€rz 1964 in deutscher und englischer Sprache erschienen, mit dem Anspruch, die mangelnden Kenntnisse ĂŒber fernöstliche Philosophie und Medizin nebst allem, was dazugehört, zu verbessern.
↑38 Körperarbeit im Sinne des aus dem Amerikanischen kommenden “Bodywork”, das als Sammelbegriff fĂŒr ganzheitlich orientierte Formen von mit den HĂ€nden ausgefĂŒhrten Therapien verwendet wird, wobei in Europa “Therapie” ein medizinischer Begriff ist, dem der ganzheitliche Ansatz fehlt.
↑39 Den Darlegungen ĂŒber die Shiatsu-typische Haltung und ĂŒber die Art der Kommunikation liegen u. a. Gedanken von Ulrike Schmidt, Berlin, zugrunde, ohne deren BeitrĂ€ge dieser Text nicht in dieser Form hĂ€tte geschrieben werden können.
↑40 Wie diese InformationsĂŒbertragung im Einzelnen geschieht, entzieht sich derzeit den ErklĂ€rungsfĂ€higkeiten des menschlichen Bewusstseins – es ist in der Tat wesentlich einfacher, den Funkkontakt zwischen Mond und Erde zu erklĂ€ren.
↑41 Wolfgang Anders und Sabine Weddemar: HĂ€ute scho(e)n berĂŒhrt? Körperkontakt in Entwicklung und Erziehung. Dortmund 2001.
↑42 
 und auf keinen Fall durch chemische Botenstoffe zustande kommen kann. Siehe Bischof: Biophotonen. Das Licht in unseren Zellen. Zweitausendeins 1995, S. 114.
↑43 Daiker: a. a. O., S. 33.
↑44 BMBF 1994, 1997.
↑45 “Kunst der BerĂŒhrung” beschreibt terminologisch Shiatsu am treffendsten.
↑46 Selin: Erfahrungen mit BerĂŒhrung. Gedanken nach einer zehnwöchigen Shiatsubehandlung. Bericht der behandelten Person. In: GSD-Journal 29, 10/2002, S. 17-19.
↑47 Unveröffentlichter Erfahrungsbericht einer Klientin.
↑48 Helmut Kreil: Neues aus dem Bereich Forschung. Bericht zur aktuellen Situation, Stand 23. April 2002. In: GSD-Journal 29, 10/2002, S. 10f. Information ĂŒber ein Treffen mit den Beteiligten an dem Forschungsprojekt. Phase II des Projektes beginnt voraussichtlich im Herbst 2002.
↑49 Die ErlĂ€uterungen zur Funktionsweise von Shiatsu basieren auf einem Aufsatz von Ulrike Schmidt: Shiatsu gegen Streß. In: Körper, Geist, Seele. Berlin, Januar 2001. Vielen Dank, das ich diesen Text hier ein- und umarbeiten durfte.) Einen Teil des Nervensystems nennen wir vegetativ oder autonom, weil außer mit (sehr) intensiven Meditationstechniken darauf kein Einfluss ausgeĂŒbt werden kann und es damit unserem Willen, unserer Befehlsgewalt entzogen ist. Das autonome NS unterteilt sich in zwei Äste: Sympathikus und Parasympathikus. Diese haben verschiedene Aufgaben: entwicklungsgeschichtlich gesehen ist der Sympathikus dafĂŒr zustĂ€ndig, hauptsĂ€chlich Kampf- und Fluchtsituationen zu meistern. Auge in Auge mit einem hungrigen Tiger stellt der Körper ziemlich schnell sein ganzes Potenzial zu VerfĂŒgung: AdrenalinausschĂŒttung (das Stresshormon), erhöhte Lungenfunktion zur vermehrten Aufnahme von Sauerstoff, wild schlagendes Herz, verengte Adern, damit das Blut schneller fließt und dadurch der Sauerstoff auch schneller transportiert wird, z. B. zu den Muskelzellen. Alles im Körper ist auf höchste AktivitĂ€t eingestellt. Jetzt hat der Körper keine Zeit fĂŒr ein Nickerchen, fĂŒr Verdauung, Ausscheidung oder fĂŒr die Fortpflanzung! Nachdem die Krisensituation ĂŒberstanden und Sicherheit gewĂ€hrleistet ist, beginnt der Parasympathikus seine Arbeit: Puls- und Atemfrequenz senken sich, die BlutgefĂ€sse weiten sich wieder, Nahrung kann verdaut, Nahrungsreste ausgeschieden werden, wir können ruhen, schlafen und uns der Fortpflanzung zuwenden.

Die Gefahren, die wir heute erleben, sind möglicherweise sogar schlimmer als historische einzustufen, da der Wechsel und somit ein Ausgleich zwischen “Gefahr” und “Sicherheit” nicht mehr stattfindet. Der Mensch von heute erlebt vielfĂ€ltige “Gefahren”, die wir dann Stress nennen! Schulstress, Arbeitsstress, Freizeitstress, Beziehungsstress, Urlaubsstress, Stress mit Kindern, Eltern, Nachbarn, Chefs, Autofahrern, und, und, und. Hinzu kommt: Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein, verlassen oder entlassen zu werden, Angst vor Dieben, Kursverlusten, unerwĂŒnschten Schwangerschaften. Auch in diesen Stresssituationen reagiert der Sympathikus, denn das ist seine Aufgabe! Er versetzt den Körper-Geist-Seele-Komplex des Menschen in eine erhöhte Bereitschaft, bei anhaltendem Stress in eine dauernde Alarmbereitschaft. Das wirkt sich entsprechend auf unser Schlafverhalten aus, auf unsere FĂ€higkeit „abzuschalten“, zu verdauen usw. Das entscheidende zum VerstĂ€ndnis des autonomen NS ist, dass es nur ein “Entweder-oder ” gibt: entweder ist der Sympathikus aktiviert oder der Parasympathikus. Es ist wie “schwanger-oder-nicht-schwanger”. Beides gleichzeitig geht nicht.

In den Zeiten, in denen der Parasympathikus aktiv ist, erleben viele Menschen neben der tiefen körperlichen Entspannung auch Momente großer Geistesklarheit, kreativer Ideen oder ĂŒberraschender Lösungen.

Im Idealfall wird beim Shiatsu der Parasympathikus aktiviert. Ein Zeichen dafĂŒr sind die typischen VerdauungsgerĂ€usche. Den KlientInnen selbst oft unangenehm, fĂŒr die PraktikerInnen jedoch die Begleitmusik im Shiatsu. Gleichzeitig vertieft sich die Atmung spĂŒrbar, das Herz wird ruhiger, ganze Muskelgruppen können sich in kĂŒrzester Zeit entspannen (z. B. gut zu beobachten an der Halsmuskulatur: in RĂŒckenlage rollt der Kopf oft von alleine entspannt zur Seite). Unmittelbar nach der Behandlung mĂŒssen die KlientInnen hĂ€ufig ihre Blase entleeren. In den Zeiten, in denen der Parasympathikus aktiv ist, erleben viele Menschen neben der tiefen körperlichen Entspannung auch Momente großer Geistesklarheit, kreativer Ideen oder ĂŒberraschender Lösungen. Von den KlientInnen wird hĂ€ufig zuerst eine sehr wohltuende Entspannung empfunden, dabei aber keine SchlĂ€frigkeit oder Schlaffheit, sondern eine besondere Wachheit und Aufmerksamkeit, die ein besonderes GefĂŒhl von Lebendigkeit vermitteln. In dieser entspannten Ruhe kommt es zu einer Umstellungsreaktion des Körpers, die im Laufe der Zeit als konditionierter Reiz VerstĂ€rkung erfĂ€hrt. Ruhe, Körperbewusstsein und das Wahrnehmen von GefĂŒhlen sind die meist unmittelbar erfahrenen psychischen Wirkungen.((Eine vergleichbare Reaktion erfolgt auch beim Qi Gong, vgl. Dorothea Boente: Wirkfaktoren des Qi Gong aus der Sicht der westlichen Psychotherapie. In: Deutsche Zeitschrift fĂŒr Akupunktur 45/2 2002, S. 111-115.

↑50 Wilfried Rappenecker: Einleitung. In: Meridian-DehnĂŒbungen von Shizuto Masunaga. Waldeck 1999, S. 11.
↑51 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 34.
↑52 P. Becker: Die Salutogenesetheorie von Antonovsky: Eine wirklich neue, empirisch abgesicherte, zukunftsweisende Perspektive? In: Gesundheits- oder Krankheitstheorie? Saluto- versus pathogenetische AnsĂ€tze im Gesundheitswesen, hrsg. von JĂŒrgen Margraf, Johannes Siegrist und Simon Neumer. Berlin/Heidelberg 1998, S. 13-25, S. 13.
↑53 Vgl. Aaron Antonovsky: Unraveling the Mystery of Health. In: How People Manage Stress and Stay Well. San Francisco 1987, S. 19.
↑54 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 83.
↑55 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 86.
↑56 Trojan und Legeure: a. a. O., S. 88.
↑57 Trojan und Legeure: a.a .O., S. 35ff.
↑58 Shizuto Masunaga: Meridian DehnĂŒbungen. Waldeck 1999, S. 176.
↑59 Masunaga: a. a. O., S. 185f.
↑60 Daiker: a. a. O., S. 95.
↑61 So wörtlich von Wataru Ohashi geĂ€ußert auf einem Seminar 1985.
↑62 Daiker, a. a. O., S. 36f.
↑63 So wurde in der Schweiz ein Dachverband “Xund” fĂŒr natĂŒrliche Methoden im Gesundheitswesen gegrĂŒndet. “Xund” zielt darauf ab, natĂŒrliche Methoden bekannt zu machen, QualitĂ€tssicherung zu betreiben und neue Wege fĂŒr die BerufsausĂŒbung im Gesundheitssektor in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen zu erarbeiten. Diesem Dachverband hat sich auch die Schweizerische Gesellschaft fĂŒr Shiatsu angeschlossen, neben den VerbĂ€nden fĂŒr Feldenkrais-MethodeÂź, Alexander-Technik, Atemschulung, Rolfing u. a. m. Eine derart breite Bewegung wĂŒrden sich auch die Shiatsu-PraktikerInnen fĂŒr die Zukunft wĂŒnschen, um GesundheitsfĂŒrsorge die Anerkennung zu verschaffen, die sie verdient.