Shiatsu bei Traumafolgen (Peter Itin)

Was ist Trauma?

Trauma ist die Bezeichnung für

  • das Erleben oder Beobachten eines aussergewöhnlichen Ereignisses,
  • das unerwartet kommt oder unausweichlich ist,
  • das eine ernsthafte Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und Existenz darstellt, und
  • das Folgen hat, die lange anhalten können.

In einer traumatischen Situation sind Flucht oder Verteidigung nicht mehr möglich. Der Schutzmechanismus wird ausser Kraft gesetzt, eine Überwältigung findet statt. Traumatische Ereignisse geschehen oftmals zu schnell und zu heftig und manchmal auch zu häufig.

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Ein wesentliches Element des Traumas besteht darin, dass Folgewirkungen auftreten. Das Trauma sitzt auch nach dem ersten Schock immer noch im Nervensystem. Meist klingen die Folgen von selbst wieder ab. Manchmal beeinträchtigen sie das Leben im Hier und Jetzt noch lange nach dem Ereignis und beeinflussen Denken, Fühlen und Handeln.

Folgende Symptome sind für Trauma kennzeichnend:

  • Übererregung (Hyperarousal): schnelle Aktivierung, Überempfindlichkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Panik, Angstattacken, Kontrollzwänge – sie spiegeln die ständige Erwartung einer Gefahr wieder.
  • Untereregung (Hypoarousal): emotionale Anästhesie, Teilnahmslosigkeit, Sprachlosigkeit („mir fehlen die Worte, das Grauen zu beschreiben“), Vermeiden von Menschen, Orten (z.B. nicht mehr Fahrstuhl fahren), Richtungen (links, woher das Auto kam) und Gefühlen – sie spiegeln die Kapitulation, Erstarrung und Ohnmacht.

Widererleben in Form von bildhaften Flashbacks (als sähe man die Szene vor dem inneren Auge) und Alpträume – sie spiegeln die unauslöschliche Prägung durch das traumatische Erlebnis.

Trauma-Folgen sind schwerwiegender, wenn das Trauma absichtsvoll herbeigeführt wurde, und

  • je enger die persönliche Beziehung zur Tatperson war,
  • je länger das traumatische Geschehen andauerte,
  • je jünger die Person im Zeitpunkt der Traumatisierung war,
  • je grösser die Gefährdung und Betroffenheit war.

Naturereignisse, unvermeidbare Unfälle, oder Schicksalsschläge wirken weniger belastend als Gewaltanwendungen, Missbrauch und Übergriffe.

Traumatisierte Menschen reagieren in Belastungssituationen in rigiden Mustern. Die stereotypen Verhaltensweisen sind selbstbeschützende Automatismen des Organismus. Traumatisierte Menschen sind nicht mehr in der Lage, auf verschiedene Grade von Stress angemessen und dosiert zu reagieren. Ihre Wahrnehmung ist verzerrt und „klebt“ an der Vergangenheit fest. Traumatisierte Menschen sind Gefangene ihrer Gefühle, eines Teufelskreises von Angst und Hilflosigkeit. Trauma-Opfer zeigen zudem starke psychosomatische Reaktionen, die mit den Organfunktionen zu tun haben (Asthma, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Schlafstörungen, Durchfall, Schweissausbrüche, Hautausschläge u.a.). Sekundäre Folgewirkungen können zum Beispiel Suchtverhalten, Depression, Isolationsverhalten, Esstörungen usw. sein.

Traumatisierte KlientInnen können mit Shiatsu in der Regel gut unterstützt werden. Es ist empfehlenswert, dass sie sich darüber hinaus in professioneller Trauma-Therapie und ärztlicher Begleitung befinden und über ein soziales Netz verfügen. In Traumatherapien geht es darum, Erstarrtes wieder zum Fliessen zu bringen, zerbrochene Verbindungen wieder herzustellen und die Fähigkeit zu stärken, selbstverantwortlich ein zufriedenstellendes Leben führen zu können. Traumatherapie beinhalten drei Phasen: Stabilisierung, Traumakonfrontation und Integration.


Shiatsu bei Traumafolgen

Shiatsu kann bei traumatisierten Menschen generell dazu beitragen,

  • körperliche Symptome zu lindern
  • emotionale Stabilität, Wohlbefinden, Lebensfreude und Lebensqualität zu verbessern
  • Energieblockaden zu lösen und Verbindungen wiederherzustellen
  • Körperbewusstsein, Selbstbewusstein und Abgrenzungsfähigkeit zu stärken.

Grundsätzlich sind zu berücksichtigen:

  • Trauma ist Todesnähe, existenzielle Hilflosigkeit, Urangst, ein Verlust von Kontinuität, Verbindung und Vertrauen.
  • Trauma ist Überwältigung, eine massive Grenzverletzung, ein Bruch im natürlichen Schutzsystem.
  • Trauma ist vollständiger Kontrollverlust, der mit Überkontrolle kompensiert wird (bis hin zu Kontrollzwängen).
  • Trauma ist Dissoziation und Desorientierung; die KlientInnen sind nicht mehr voll im Hier und Jetzt.
  • Trauma ist eine Disregulation des Nervensystems, eine unangemessen starke Übererregung (Jitsu), oder Untererregung (Kyo).
  • Trauma ist Immobilität, Erstarrung, und eine nicht vollendete Bewegung der Flucht oder Abwehr.
  • Trauma ist eine in der Zeit eingefrorene Reaktion des Organismus.
  • Trauma ist Koppelungsdynamik, d.h. oft mit anderen Traumata verbunden.

Für die Arbeit mit Shiatsu sind daraus folgende Schlussfolgerungen abzuleiten:

  • Zu 1: Es ist zentral, bei Trauma-KlientInnen zuerst ein Gefühl von Verbindung und Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit, Schutz und positiver Unterstützung herzustellen und einen entsprechenden „energetischen Raum“ auf der Beziehungsebene aufzubauen. Unsere eigene innere Stabilität, Zentriertheit, Ausgerichtetheit und Zuversicht wird von der Klientin auf der Schwingungsebene aufgenommen. Umgekehrt spürt sie Unsicherheiten, Verletzung, Mitgeschwemmt-werden. Sie wird möglicherweise immer wieder austesten: „bin ich hier sicher?“ In einem mitfühlenden, Halt gebenden Containment fühlt sie sich sicher, respektiert und gut aufgehoben. Dies ist eine Grundbedingung dafür, dass sich das Nervensystem entspannen kann. Es gilt zu respektieren, dass gewisse KlientInnen anfänglich nicht in der Lage sind, die Augen zu schliessen und sich vertrauensvoll der Behandlung hinzugeben. Gewisse ertragen anfänglich nur kurze Sequenzen von Körperkontakt. Zentrierung, Ausrichtung und Handlungsfähigkeit sind als Fokus bedeutsam. Die Arbeit am Hara (Zentrum), mit Lenker-/Konzeptionsgefäss und Blasenmeridian (Mittellinie), Kopf und Füssen (Verbindung Himmel/Erde) und mit den Händen (Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit) können die innere Stabilisierung stärken.
  • Zu 2: Die erlittenen Grenzverletzungen erfordern, dass Grenzen von der TherapeutIn thematisiert, respektiert und gestärkt werden. Das Vertrauen in den Körper muss wieder aufgebaut werden. Unachtsame Berührungen sind zu vermeiden. Wir fragen nach, ob das, was wir tun, für die Klientin O.K. ist. Es ist zu klären, ob gewisse Körperzonen Tabu sind und nicht berührt werden sollen. Man sollte fragen, wie der Druck sein muss, damit er angemessen ist. Damit kann man erreichen, dass die Klientin sich ihres Körpers wieder bewusst wird und den Mut hat, Bedürfnisse auszudrücken. Dies stärkt ihre Eigenverantwortung und Persönlichkeit. Indem wir mittels Fragen zu gespürten Veränderungen das Bewusstsein auf das physische Erleben des Körpers lenken, kann die Klientin den eigenen Körper, sich selbst und ihre Grenzen wieder besser spüren. Shiatsu soll der Klientin inneren Raum geben.
  • Zu 3: Ein traumatisierter Organismus funktioniert in rigiden, engen Mustern und fürchtet sich davor, die Kontrolle zu verlieren. Kontrollmechanismen geben das Gefühl von Sicherheit, selbst wenn diese eine Scheinsicherheit ist. Keine Kontrolle mehr zu haben ist mit dem Trauma und mit Lebensgefahr assoziiert. Überkontrolle darf nur langsam, schrittweise gelöst werden. Kontrolle heisst Halten, Festhalten. Sie drückt sich körperlich als dauerhafte Muskelkontraktion aus. Aktive Dehnungen können vom Nervensystem als Wiederüberwältigung interpretiert werden und kontraproduktiv wirken. Es darf nur sukzessive Druck aus dem System weggenommen werden. Das Lösen von Jitsu muss sehr sorgfältig geschehen. Wir bieten dem Jitsu ein Gefäss zur Entspannung an. Loslassen können ist Angstfreiheit, Vertrauen. Dies ist nur möglich, wenn man sich auf innere Ressourcen abstützen kann. Bei Trauma ist besonders wichtig, nicht als erstes das Ziel zu haben, gefrorene, konzentrierte Energie aufzulösen, auch wenn der starke Traumavortex die Aufmerksamkeit zum Jitsu zieht. Es ist wichtig, sich zuerst dem Kyo zu zu wenden. Wir verbinden uns mit dem unerfüllten Bedürfnis, z.B. nach getröstet werden, genährt werden, gehalten werden, und unterstützen dessen Kraft und Ressourcen.
  • Zu 4: Je grösser das geistige Wegtreten, die Abkopplung vom Hier und Jetzt erfolgt ist, desto bedeutender wird der Einsatz des vollen Körpergewichts, damit die Klientin sich selbst, das Leben, das Materielle Da-Sein, die irdische Basis, das Substanzielle und Stabile wieder spürt. Oft geht es darum, den eigenen Körper überhaupt wieder wahrzunehmen, abgespaltene Teile des Körpers wieder zu spüren („dies ist meine Arm“) und sie wieder mit dem Ganzen zu verbinden (Arm-Schulter-Rumpf). Dissoziation ist auch Gefühllosigkeit und die Unfähigkeit, klar zu denken. Im Trauma übernimmt das Reptiliengehirn die Regie. Es geht darum, Gefühle wieder zu zu lassen und rasende Gedanken zu beruhigen. Im Shiatsu können wir die verschiedenen Frequenzebenen wieder aktivieren und in Verbindung bringen.
  • Zu 5 und 6: Im Trauma ist eine überlebenswichtige, somit besonders kraftvolle Bewegung (Flucht, Kampf) gewaltsam unterbrochen worden. Sie steckt als blockierte Energie immer noch im Körper. Auf eine maximale Anspannung folgt in der Überwältigung eine Kollabierung des Energiesystems. Wir finden somit besonders extreme energetische Phänomene vor: Jitsu (Fülle, komprimierte Energie, die nach Bewegung und Befreiung ruft) und Kyo (Leere, die nach Nährung, Erdung und dem Wiederherstellen von Verbindungen ruft). Bei Übererregung geht es darum, denn Organismus zu entspannen und zu beruhigen. Bei Erstarrung geht es darum, sorgfältig wieder in die Bewegung zu kommen. Durch einen sanften Wechsel zwischen Jitsu und Kyo wollen wir ein natürliches Pendeln und die Wiederherstellung des Selbstregulierungsmechanismus bewirken. Beispielsweise kann ein rhythmisches Bewegen des Arms ein sanftes Pendeln zwischen Öffnen (Lunge) und Schliessen/Schützen (Dickdarm) evozieren, sodass sich der Organismus auf diese Qualitäten rückbesinnt.
  • Zu 7 und 8: Bei Posttraumatischen Belastungsstörungen wirkt das energetische Muster des vergangenen Ereignisses noch lange Zeit weiter. Im Shiatsu können wir mit zeitlich zurückliegenden Energiemustern Kontakt aufnehmen und dazu beitragen, die in der Zeit festgefrorene, noch wirksame Energieschablone aufzulösen. Wir können Hara-Diagnosen für den traumatischen Zeitpunkt durchführen und feststellen, welche Meridianenergie zu jenem Zeitpunkt Kyo war und das damals unerfüllte Bedürfnis stärken. Wir können in der energetischen Evaluation feststellen, in welchen Jahren sich die Energie deutlich anders anfühlt (zusammenzieht, leer wird usw.). Dadurch können wir mögliche Trauma-Zeitpunkte erkennen und Zusammenhängen auf die Spur kommen.

Je nach Trauma-Kategorie gilt es zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen:

Schleudertrauma ist auch eine Folge zu rascher körperlicher Kontraktion und Kollabierung. Wir finden hochkomprimierte muskuläre „Schutzpanzer“ sowie Zonen völliger Energielosigkeit und körperliche Bewegungseinschränkungen vor. Dadurch werden die typischen Symptome wie rasches Ermüden, Schwindel und Kopfschmerzen ausgelöst. Die Shiatsu-Arbeit ist zunächst Kyo-stärkend. Am Ort des maximalen Jitsu ist sie „anbietend“, nicht fordernd. Dies bedeutet beispielsweise, dass Seitwärts-Bewegungen des Kopfes durch reines Halten ermöglicht oder durch kleinste Bewegungen ausgelöst, aber nie forciert werden. Die liebevolle Aufmerksamkeit und das Zeit-Lassen sind entscheidend. Wenn sich der Kopf gegen eine Drehung sperrt, bieten wir ihm ein offenes Gefäss an, das ihn stützt und schützt und ihm ermöglicht, Bewegungen selbständig zu finden. So gelingt es dem Organismus, das Vertrauen in diese Bewegungen wiederherzustellen und eine Retraumatisierung zu verhindern. Innerliches Zureden ist oft hilfreich („schau, es ist links wieder sicher, die Gefahr ist vorbei“). Unsere innere Einstellung unterstützt das Nervensystem darin, zu entspannen und nicht mehr benötigte Muster aufzugeben. Gleichzeitig gilt es, energetisch schwache Stellen zu stärken und Verbindungen wiederherzustellen. Bei einem frontalen Aufprall sind in der Regel Dünndarm und Nieren-/Blasen Meridian vom Schock betroffen – physisch und emotional. Bei lateralen Unfällen sind Gallenblase/Leber- und Milz-Meridiane oft besonders betroffen.

Bei länger zurückliegenden Traumata können wir auch in der Geschichte arbeiten, basierend auf einer Hara-Diagnose für den vergangenen Zeitpunkt. Wir können Shiatsu auf diesen energetischen Zustand beziehen und die nicht erfüllten Bedürfnisse (Kyo) mit den energetischen Ressourcen (Jitsu) stärken. Der Zeitpunkt kurz nach dem Geschehen ist wichtig im Hinblick auf die Frage, was am meisten half und wichtig war, und was es allenfalls noch mehr an Unterstützung gebraucht hätte. Energetisch suchen wir das Bedürfnis (Kyo). Manchmal kommt uns in der Behandlung selbst ein Thema in Form eines Bildes oder Stichworts entgegen.

Bei absichtsvoll zugefügten Traumata ist es oftmals wichtig, nicht zu „tun“, sondern mit der Berührung vor allem „da zu sein“, Vertrauen und Wohlbefinden zu vermitteln und nährend, tröstend zu arbeiten. Man muss warten können, mitschwingen, mit der inneren Kraft der Klientin in Kontakt treten. Damit gibt man ihrem Organismus Raum und Zeit, das zu prozessieren und zu integrieren, was angezeigt ist.


Meridianenergien und Trauma

Ausgangsbasis jeder Shiatsu-Behandlung ist der energetische Befund. In einem Workshop liess ich zwanzig Kursteilnehmerinnen einen „Beinahe-Verkehrsunfall“ mental erleben. Die Hara-Diagnosen, die sich auf den Zeitpunkt vor und den nach dem Unfall bezogen, waren wie erwartet völlig unterschiedlich. Zudem waren die Diagnosen für den Schockzustand von Person zu Person unterschiedlich. Deutlich herausragend waren Feuer Jitsu (Herz/Dünndarm) sowie Erde Kyo (Magen/Milz).  Ich interpretiere dies als ein Abheben des Shen, verbunden mit dem Bedürfnis und der Erfordernis, sich wieder zu Erden. Ferner zeigten sich öfters Blase und Dickdarm Jitsu, Leber und Herzkreislauf Kyo.

Die Meridian-Energien geben uns wichtige Informationen, mit denen wir Trauma-bezogen arbeiten können. Im Folgenden gebe ich Beispiele, wobei auch weitere Interpretationen möglich sind. Die Stichworte helfen, Zugang und Kontakt zu finden, und die positiven Wirkungskräfte zu stärken.

  • Herz: Trauma zerbricht das Herz, versetzt einen beinahe tödlichen Stich ins Herz. Das Herz blutet immer noch. Die spirituelle Seele Shen hat fluchtartig ihre Heimat verlassen und ihre Identität verloren. Wir nehmen im Shiatsu mit der achtsamen Bewusstheit und dem tiefsten inneren Kern der Klientin Kontakt auf. Über Dickdarm- und Herzkreislauf-Meridian können wir beitragen, den Schutz des Herzens wieder aufzubauen. Mit der Erdenergie können wir Heimat, Mitgefühl und Trost geben.
  • Dünndarm: Das überwältigende Geschehen ist nur noch teilweise erinnert. Die Dinge sind auseinander gefallen, unverbunden, nicht verstehbar und nicht integrierbar. Wir verbinden im Shiatsu alle Schwingungsebenen miteinander (körperliche Empfindungsebene, unterdrückte, abgespaltene Gefühle, Gedanken, Spiritualität bzw. Bedeutungsebene). Wir verbinden und integrieren Körperteile (z.B. Arme mit Rumpf).
  • Magen: Betroffene haben den Boden unter den Füssen verloren. Zentrierung und Stabilität sind nicht mehr vorhanden, das Erlebnis ist nicht verdaubar und verschlägt der Klientin den Appetit. Wir arbeiten physisch und mit viel Körpergewicht, stärken an den Füssen den Kontakt zur Erde, appellieren an den Hunger auf Leben.
  • Milz: Selbstmitleid, Schuldgefühle, Gedankenrasen und Schwermut können Traumafolgen sein. Der Arbeits-Fokus im Shiatsu ist nährend und tröstend.
  • Blase: Flucht war im Trauma nicht mehr möglich, panische Angst ist ständig präsent, der Lebensfluss ist zu Eis erstarrt, die Knochen sind eiskalt. Wir versuchen, Blockaden sanft zum schmelzen oder zum fliessen zu bringen und an den Mut zu Leben zu appellieren. Wir verbinden das Wasserelement mit dem Feuerelement, mit Leben, Bewusstheit, Freude, Wärme.
  • Niere: Trauma geht an die Niere. Das Urvertrauen ist verloren gegangen, seine Verbindung zum Herzen ist gebrochen, das Nervensystem ist destabilisiert. Wir versuchen, mit der tiefen, ursprünglichen Lebenskraft und einer tiefen Zuversicht in Verbindung zu treten und die Nierenenergie in eine universelle, grösser Herz-Energie einzubetten.
  • Leber: Aggression und Wut sind als Folge der Überwältigung übermässig vorhanden, traumatisierte Menschen sind leicht reizbar. Infolge von Resignation und Verdrängung kann die Wut jedoch auch völlig unterdrückt sein, nicht gespürt werden und gefürchtet werden, weil sie ein latentes „Sprengpotential“ enthält (Angst vor Überwältigung durch die Wut). Es geht zunächst ganz einfach darum, destruktive und negativ bewertete Gefühle achtsam wahrzunehmen, mit ihnen zu sein, sie liebevoll zu halten.
  • Gallenblase: Bewegung und Orientierung sind im Trauma verloren und danach eingeschränkt. Wir können mit rhythmischem Shiatsu aus der Immobilität herausführen und mit Nachfragen und viel Gewicht die körperliche Selbstwahrnehmung fördern.
  • Lunge: Im Schock bleibt einem die Luft weg. Das Leben steht still. Asthma und Atemnot sind häufige Traumafolgen. Wir können dem Körper wieder Raum zum atmen geben. Wir finden Vertrauen im Rhythmus des Lebens, der immer weitergeht, der in die Zukunft weist und für die autonome Kraft des Lebens steht. Es ist somit wichtig, bewusst mit Rhythmus und Raumgebung zu arbeiten.
  • Dickdarm: Grenzen wurden verletzt. Die Bewusstmachung der körperlichen Grenzen kann die Integrität wieder hergestellt werden. Der volle Einsatz von Körpergewicht ist wichtig. Wir können bewusst mit dem Thema Öffnen/Schliessen arbeiten, oder dem Thema loslassen (z.B. Gelenkrotationen zulassen, nach Unten ausstreichen).
  • Herzkreislauf: Der Schutzmechanismus wurde überwältigt, was Immobilität, Rückzug und Beziehungsfähigkeit zur Folge hat. Sich schützen ist eng verbunden mit schliessen, Grenzen ziehen. Beispielsweise können wir bewusst zwischen schützen und öffnen „pendeln“: Am Arm zuerst die schützende Yangseite arbeiten (Dickdarm, Gallenblase), und anschliessend den Arm sanft öffnen und mit Yin-Meridianen arbeiten (Milz, Herzkreislauf, Lunge). Wenn der Mensch stabil ist, kann er sich öffnen und trotzdem geschützt fühlen.
  • Dreifach-Erwärmer: Trauma bewirkt Fragementierung, einen Verlust von Verbindungen, z.B. im Zusammenspiel der Organfunktionen (Verdauungs-, Kreislauf- und Atmungs-System). Die Beziehung zwischen Oben, Mitte und Unten ist gestört. Mit Shiatsu können wir Unverbundenes wieder integrieren.


Der Körper erinnert sich

Mit Shiatsu können traumabedingte energetische Spannungen gelöst werden. Es können sich körperliche Reaktionen zeigen wie tiefe Müdigkeit, Gähnen, Tränen, Schütteln des Körpers, usw. Derartige Entladungen sind positiv zu werten. Die Klientin ist zu ermuntern, sie zuzulassen.

Shiatsu kann unter Umständen traumatische Gefühle, Erlebnisse und Erfahrungen reaktivieren. Dies kann sich in verschiedenen Formen ausdrücken:

  • Körperliche Symptome: erhöhter Puls, Nervosität, Schwitzen oder kalte Haut, Schwindel, Atemnot, Berührung wird unangenehm empfunden, Körperteile werden unempfindlich
  • Flashbacks (bildhafte Erinnerungen an das Trauma)
  • Emotionelle Aufregung, Hochkommen von Angst und Wut
  • Gedanken rasen
  • Schnelles Sprechen und erzählen wollen, Verleugnen („nein, es ist nichts“).

Spannungen dürfen deshalb nur langsam und Schritt für Schritt gelöst werden. Insbesondere ist bei gewissen Körperzonen Vorsicht geboten. So sollte man bei stark traumatisierten Personen nicht zuviel im Kiefergelenk arbeiten, da unterdrückte Schreie und Erfahrungen sexueller Übergriffe dort gespeichert sein können. Der Hals ist eine weitere Zone, die man infolge von Würge-Erfahrungen manchmal überhaupt nicht berühren kann. Bereits die Berührung in Halsnähe kann eine gewisse Aktivierung auslösen, die sich beispielsweise dadurch bemerkbar macht, dass der Kopf heiss und rot wird, der Oberkörper erstarrt und die Atmung schwer wird. Eine leichte Aktivierung kann durchaus gut sein. Wird sie festgestellt, ist darauf zu achten, dass sie bestimmtes Ausmass nicht überschreitet und sich wieder auflöst, entlädt oder entspannt. Zu starke Aktivierungen führen zu Retraumatisierungen und zur Überwältigung durch den negativen Sog des Traumas. Sie sind rechtzeitig zu verhindern.

Mittel, um übermässig starke Aktivierungen zu verhindern, sind

  • Veränderung der Arbeit, z.B. Wechsel der Position, der bearbeiteten Stelle, des Meridians (z.B. Wechsel zu den Füssen)
  • Wechsel von Meridian-Arbeit zu physischer Arbeit („Erdung“)
  • Unterbrechen der Behandlung, Stellen von Rückfragen zum Befinden, damit die Klientin den Kontakt zu sich selbst und zur Therapeutin aufrecht hält
  • Pause machen und die Orientierung im Hier und Jetzt wiederherstellen (die KlientIn soll die Augen öffnen, sich aufsetzen, umschauen und erzählen, was sie sieht; die TherapeutIn soll die Alltagssprache verwenden und die Aufmerksamkeit auf etwas Schönes oder Positives hinlenken)
  • Behandlung abbrechen.

Die Klientin ist beim Behandlungsunterbruch zu fragen, was sie in diesem Moment benötigt, physischen Kontakt, oder ein Taschentuch, das man ihr respektvoll anbietet. Der Klientin ist zu signalisieren, dass man in der Lage ist, den Prozess zu halten, selbst nicht überwältigt wird, dass man mit der Situation sein kann und fähig ist, sie zu einem sicheren Abschluss zu führen.


Das begleitende Gespräch

Oftmals ist sich eine Klientin früher Traumata nicht bewusst. Aufgrund ihrer unangemessenen Verhaltensweisen und rigider Muster vermuten wir jedoch einen entsprechenden Hintergrund. Es kann auch sein, dass die Klientin sich früh erfahrener Traumata bewusst ist, diese jedoch der Shiatsu-Therapeutin gegenüber nicht anspricht, sei dies aus Scham, oder weil sie den Bezug zu ihrer Situation verdrängt.

Es gilt, mit solchen Situationen sehr subtil umzugehen. Der Weg führt am besten über Fragen. Gibt es besonders belastende Gefühle und Situationen im Leben? Kehren diese regelmässig wieder? Seit wann ist es so? Welche Beziehungen zwischen Symptomen und Ereignissen werden gesehen? Man kann der Klientin das Gespräch als ein offenes Gefäss anbieten, das zu Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis hinführt und ihre Resilienz unterstützt. Daraus kann sich möglicherweise auch die Erkenntnis entwickeln, dass eine Psychotherapie oder Traumatherapie hilfreich sein könnte.

Es gibt Klientinnen, die den Zusammenhang zwischen ihren Problemen und Trauma klar sehen und gerade deshalb ins Shiatsu kommen. Gewisse sind gleichzeitig in eine Psychoanalyse, Psychotherapie oder Traumatherapie, andere nicht. Dies gilt es im Erstgespräch zu klären. Sie suchen primär eine Unterstützung durch energetische Körperarbeit, nicht durch das Gespräch. Dennoch ist das Gespräch ein unabdingbarer Bestandteil jeder therapeutischen Begegnung und kann nutzbringend ergänzend zur Behandlung eingesetzt werden.

Die Gesprächsführung bei Trauma orientiert sich an zwei Hauptzielsetzungen

  • Vermeiden von Überwältigung (Ohnmachtsgefühlen usw.)
  • Aufbau von Stabilität und Ressourcen.

Vor jeder Behandlung ist zunächst die seelische und emotionale Stabilität der Klientin zu prüfen. Wir müssen ein Gespür dafür entwickeln, in welchem Rahmen wir uns bewegen können, was die Klientin emotional halten kann. Falls Überwältigung trotzdem eintritt, ist die Orientierung im Hier und Jetzt vordringlich. Zudem ist diese ein Zeichen dafür, dass eine professionelle Traumatherapie dringend erforderlich ist.

Es ist nicht empfehlenswert, dass die Klientin über ihre traumatischen Ereignisse spricht. Es ist jedoch gut, wenn die Shiatsu-Therapeutin weiss, dass Traumata vorliegen. Es reicht vollkommen aus, „die Kapitelüberschriften“ des Buchs zu kennen, man benötigt nicht die Inhalte der Geschichte selbst. Oftmals hat die Klientin das Bedürfnis, alles zu erzählen und einen sogar förmlich zu überfluten. Hier sind klare Grenzen im Eigeninteresse beider Seiten zu setzen. Zuviel und immer wieder über Trauma-Erlebnisse zu sprechen hat auf die KlientInnen erfahrungsgemäss eine retraumatisierende Wirkung, da Gefühle wie panischer Angst und Ausgeliefertsein wieder aktiviert und neuronal verstärkt werden. Nur mit professioneller Traumatherapie gelingt es, dem Teufelskreis eines derart starken Traumas zu entrinnen.

Ein wichtiges Ziel jeder Traumatherapie ist es, dass KlientInnen lernen, sich der Sogwirkung des Traumavortex zu entziehen, und Kompetenzen entwickeln, sich mit dem Thema bewusst aber dosiert beschäftigen zu können. Eine Zielsetzung hierfür ist, Vorzeichen rechtzeitig zu erkennen, wann die Sogwirkung sich zu entfalten beginnt, und zu lernen, rechtzeitig „auszusteigen“, sich nicht überwältigen zu lassen. Aussteigen heisst, wieder zu den Resilienzfaktoren zurückzufinden. Die Bedeutung der Fähigkeit, sich von den Gefühlen möglichst nicht überschwemmen zu lassen und wieder zur eigenen, inneren Kraft zurückzufinden, muss den KlientInnen bewusst gemacht. Es braucht zudem ihre feste Entschlossenheit zur Veränderung. Ist diese gegeben, kann die Shiatsu-TherapeutIn im begleitenden Gespräch bei der Verfolgung der obigen Zielsetzungen mithelfen. So soll die Klientin nicht nur das offensichtlich Beschädigte wahrnehmen, sondern die Aufmerksamkeit beispielsweise zur Kraft bringen, die es ihr ermöglicht hat, unter schlimmen Bedingungen weiter zu leben. Oder die Unterstützung  kann darin bestehen, ihre Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, wert zu schätzen. Dieses Pendeln muss explizit und auf eine sehr subtile Art geschehen, um zu vermeiden, dass zwischen Klientin und  Therapeutin ein „Gezerre“ entsteht, dass sich die Klientin unverstanden fühlt, weil die Therapeutin von ihrem Leid immer wieder ablenkt. Es braucht deshalb eine explizite Übereinkunft, dass die Rolle der Therapeutin darin besteht, immer wieder zum Gesunden, Stärkenden und Nährenden hinzulenken. Fragen sind am besten geeignet, negative Stimmungen und Gefühle auflösen. Es sind Fragen wie: Was würde helfen? Was würde im Moment gut tun, eine Erleichterung bringen?

Das Aufbauen von Ressourcen und das Entwickeln stabilisierender Einstellungen und Muster ist harte Arbeit. Es muss mit Willen und Beharrlichkeit verfolgt werden. Ohne Bereitschaft und Motivation seitens der Klientin führt jede Bemühung der Therapeutin ins Leere und endet in Frustration.

Shiatsu-TherapeutInnen können traumatisierte KlientInnen im Gespräch darin unterstützen, ihre seelischen Kräfte zu erkennen und Stabilität zu entwickeln. Das Ziel besteht darin, dass KlientInnen Wahlmöglichkeiten im Leben erkennen und zu ergreifen beginnen.

  • Der erste Schritt dazu besteht darin, Handlungen möglichst achtsam zu tun, d.h. den Geist nicht rasen zu lassen sondern im Hier und Jetzt halten. Ich fordere sie z.B. auf, beim Gehen auf den Kontakt mit der Erde zu achten und in die Füsse hineinzuspüren, um die Selbstwahrnehmung zu entwickeln.
  • Der zweite Schritt besteht in der Selbstbeobachtung, im liebevollen und nachsichtigen Wahrnehmen der eigenen Reaktionsmuster, Einstellungen und Verhaltensweisen.
  • Der dritte Schritt besteht darin, eigenen Stärken und „nährende“ Ressourcen zu erkennen und Positives zu pflegen und dafür Rituale zu entwickeln.
  • Der vierte Schritt besteht darin, Handlungsalternativen und ihre Wirkungen zu visualisieren und versuchen, das damit verbundene Gefühl zu erspüren.
  • Der fünfte Schritt besteht darin, kleine „Übungsfelder“ (z.B. zum Thema „Grenzen setzen“) bewusst zu nutzen, selbstbestimmt kleine Erfolgserlebnisse zu suchen, die eigenen Grenzen und Handlungsspielräume zu erweitern (nicht gleich den Ehepartner als Übungsfeld nehmen, wenn die Beziehung schwierig und traumatisch verkoppelt ist).

Falls die Klientin sich gleichzeitig in einer Psycho- oder Traumatherapie befindet, sollten wir uns mit der entsprechenden Fachperson absprechen, inwieweit wir ihre Arbeit unterstützen können. Insbesondere sollten wir nichts tun, dass ihrem Konzept zuwiderläuft. Zudem sollten wir vermeiden, mit zusätzliche Ideen und Übungen die Klientin zu „überfrachten“.

Wir können den Klientin helfen, ihre inneren und äusseren Ressourcen zu erkennen, aufzubauen, auszubauen und zu stabilisieren. Wir lenken sie durch Fragen und Impulse beispielsweise zu folgenden Möglichkeiten hin:

  • Unterstützende Beziehungen suchen, wertschätzen, pflegen, nutzen.
  • Freudvolle Aktivitäten unternehmen (Bewegung in der freien Natur, Musizieren, mit anderen Menschen zusammen sein, gut Kochen und bewusst Essen, emotional nährende Bücher lesen, Kontakt mit Tieren usw.)
  • Ein „Tagebuch der Freude“ führen. Ziel ist ein Eintrag pro Tag, um die Aufmerksamkeit von den Problemen auf das auch existierende Erfreuliche zu lenken, um einen wachsenden Beweis von Positivem zu führen, und um Ressourcen zu entdecken.
  • Eine Liste der eigenen Stärken erstellen
  • Kleine Erfolgserlebnisse bewusst suchen und herstellen.
  • Gleichgewichts-Übungen, Tai Chi, Yoga, Atemübungen und on Meditation (um die verlorene Kontrolle und innere Stabilität wieder zu gewinnen).

Positive Gefühle wie Zufriedenheit, Dankbarkeit, Freude, Vertrauen sind wichtig. Sie sind bewusst herbeizuführen, zu erkennen und wertzuschätzen (z.B. Essen mit Kerze, Visualisieren von freudigen Ereignissen). Das Selbstwertgefühl und der liebevolle Umgang mit sich selbst müssen wieder aufgebaut werden. Letztlich ist es die Einstellung im Kopf, die sich vom Negativen und vom Trauma zum Positiven und zu den Ressourcen hin umorientieren muss. Jedem Aspekt des Traumavortex steht mindestens ein Resilienzfaktor gegenüber:

Trauma                                  Resilienz

Ohnmacht                               „Ich kann“

Hilflosigkeit                            Unterstützung haben und holen können

Verzweiflung                          Zuversicht, Hoffnung

Überwältigungsgefühle         Grenzen spüren und ziehen

Sinnlosigkeit des Lebens       Was lernte man durch das Trauma

Wut, Hass                              Dankbarkeit, Verzeihen

Immobilität, Starre                 Bewegung

Dissoziation                           Kontakt, Körper

Starre Muster                         Flexibilität, Angemessenheit, Achtsamkeit


Das therapeutische Feld

Aus der Psychotherapie weiss man, dass eine mitfühlende Beziehung für den Therapieerfolg mitentscheidend ist. Es geht darum, sich auf die Klientin „einzuschwingen“ und ein Feld zu gestalten, in dem Transformation und Heilung der Wunden möglich ist. Dieses Feld muss bewusst konstelliert werden. Dies benötigt bei traumatisierten KlientInnen besonders viel Bewusstheit. Bei Trauma ist es wichtig, dass die TherapeutIn selbst emotional und spirituell stabil ist, damit sie den Raum und die Orientierung im Hier und Jetzt mitfühlend zu halten vermag und die Zuversicht in die Weisheit des Lebens aufrecht halten kann.

Trauma benötigt die Fähigkeit der TherapeutIn,

  • die seelischen Wunden und körperlichen Leiden anzusprechen und sie voller Mitgefühl zu spüren, ihre Energie auf der Schwingungsebene zu berühren, sich von den Emotionen aber nicht über- und mitschwemmen zu lassen
  • den Kontakt zum Hier und Jetzt jederzeit zu halten und die Orientierung zu haben, was gerade geschieht
  • das Einsetzen der Sogwirkung des Traumas zu erkennen und die Klientin respektvoll zu unterbrechen, damit sie vom Traumavortex nicht überwältigt wird
  • alle Erfahrungen der Klientin in einem „grösseren Feld“ zu halten, d.h. nicht nur mit dem Geschehen an der „Oberfläche“ sondern der tiefen inneren Lebenskraft, der Zuversicht und dem „kosmischen Feld“ verbunden zu sein.

Die Gefahr besteht, mit gut gemeintem Helferwillen zuviel zu tun und Eigenes zu wollen, die Klientin zu überfordern und sie einzuengen. Es ist essenziell, im Kontakt mit Traumaklientinnen  sich selbst gut zu spüren und zu beobachten, sich zurückzunehmen, bewusst das richtige Mass von Nähe und Distanz, Intervention und Nicht-Tun zu finden. Mitgefühl ist zu unterscheiden von Mitleid, bei dem die Therapeutin ihre Grenzen verliert, sich mit der Klientin identifiziert und deren Leid zu sehr auf sich lädt, was zu Burnout führen kann.

Aussagen der KlientInnen können eigene Traumata aktivieren, sodass man sich z.B. plötzlich selbst dissoziiert fühlt. Zudem haben KlientInnen die unbewusste Tendenz, TherapeutInnen in ihr energetisches Trauma-Muster hineinziehen. Typisch sind  Idealisierungen („Sie sind meine letzte Hoffnung“), Abwertung („Shiatsu bringt auch nichts“) und Erpressung („Wenn Sie mir nicht helfen, dann…“). Man soll als TherapeutIn nicht RetterIn sein, keine wohlfeilen Ratschläge erteilen und keine privaten Beziehungen mit der Klientin pflegen. Selbstentwertungen sind häufig. Die Klientin sucht unbewusst immer wieder die Bestätigung, dass sie „der letzte Mensch“ und ein hoffnungsloser Fall sei. Man sollte keine entwertenden Formulierungen aufgreifen oder verwenden – selbst nicht in Scherzform.

Man sollte keine Trauma-KlientInnen behandeln, wenn diese Arbeit als zu belastend empfunden wird. Die Arbeit mit stark traumatisierten Menschen ist nur möglich, wenn man als TherapeutIn intensiv mit der eigenen Persönlichkeit gearbeitet hat und mit „Beziehungsfallen“ umgehen kann. Man sollte zudem unbedingt Supervision in Anspruch nehmen.


Literatur

  • Peter Levine, Trauma-Heilung, Synthesis, 1998
  • Judith Herman, die Narben der Gewalt – traumatische erfahrungen verstehen und überwinden, Junfermann, 2003
  • Diane Poole Heller. Laurence Heller, Crash Kurs zur Selbsthilfe nach Verkehrsunfällen, Synthesis 2001
  • Peter Levine, Maggie Kline, Verwundete Kinderseelen heilen, Kösel 2004
  • Luise Reddemann, Imagination als heilsame Kraft – Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren, Pfeiffer bei Klett-Kotta, 2003
  • Luise Reddemann, Eine Reise von 1’000 Meilen beginnt mit einem ersten Schritt, Herder Spektrum 2004
  • Luise Reddemann, Cornelia Dehner-Rau, Trauma. Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen – Ein Übungsbuch für Körper und Seele. Trias 2004
  • Michaela Huber, Wege der Traumabehandlung, Junfermann, 2004
  • Babette Rothschild, Der Körper erinnert sich – Die Psychophysiologie des Traumas und Traumabehandlung, Synthesis, 2002
  • Angwyn St. Just, Soziales Trauma, Kösel 2005

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© Peter Itin (http://peteritin.wordpress.com), Shiatsu-Therapeut und Kursleiter in der Schweiz. Autor von “Shiatsu als Therapie”.