Typologie negativer Antworten – eine Shiatsu Case Study (Andrew Long et al.)

Eine zentrale Frage jeder Form von komplementärer und alternativer Behandlungsmethode ist ihre Sicherheit. Ihre Unbedenklichkeit („no harm“) bedeutet eine wesentliche Grundlage für politische Entscheidungsträger und Anbieter konventioneller Medizin, um eine Methode der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der traditionellen Medizin werden dabei „Nebenwirkungen“ („side effects“; wenn diese Wirkungen als sekundär gegenüber einer Haupt- oder Therapiewirkung beurteilt werden)  und „unerwünschte Wirkungen“ („adverse effects“) unterschieden.

Die vorliegende Studie „A typology of negative responses: a case study of shiatsu „ von Andrew Long, Lisa Esmonde und Seamus Connolly[1]Andrew F. Long, Lisa Esmonde, Seamus Connolly: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov … weiterlesen bezieht sich auf die Drei-Länder-Kohortenstudie, die zwischen Februar und Dezember 2006 in Österreich, Spanien und Großbritannien durchgeführt wurde.[2]Siehe: Andrew F. Long: The Effectiveness of Shiatsu: Findings from a Cross-European, Prospective Observational Study. Journal of Alternative and Complementary Medicine Volume 14, Number 8, 2008, pp. … weiterlesen

Im Kontext von Medikamentenwirkungen unterscheiden Edwards und Aronson „unerwünschte Wirkungen“ („adverse effect“; eine dem Medikament zuzurechnende Wirkung), „unerwünschte Reaktionen“ („adverse reaction“; eine unerwünschte Wirkung aus der Sicht der PatientIn) und „unerwünschte Ereignisse“ („adverse event“; ein unerwünschtes Ereignis, das während der Einnahme des Medikaments auftritt, aber nicht unbedingt auf dieses zurückzuführen ist).[3]Edwards IR, Aronson JK. Adverse drug reactions: definitions, diagnosis and management. Lancet 2000;356:1255—9. Doi: 10.1016/S0140-6736(00)02799-9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11072960.

In der CAM[4]CAM: Complementary and Alternative Medicine-Literatur werden verschiedene Konzepte verwendet, die von „Nocebo-Effekten“[5]Von lateinisch nocere = „schaden“, analog zum Placebo-Effekt, eine negative Wirkung durch ein Arzneimittel oder eine Behandlung., „direkten Nebenwirkungen“ (z.B. allergische Reaktionen) und „Wechselwirkungen“ (mit anderen Präparaten oder Behandlungen)[6]Ernst E.: Direct risks associated with complementary therapies. In: Ernst E, editor. Complementary medicine. An objective appraisal. Oxford: Butterworth-Heinemann; 1996. p. 112—25. bis hin zu einer Unterscheidung zwischen einem „positiven“ Nebeneffekt (einem unbeabsichtigten Effekt, den der Klient als positiv empfindet, z.B. besserer Schlaf), einem „negativen“ Nebeneffekt (einem unbeabsichtigten Effekt, der als negativ empfunden wird, wie z.B. Ohnmacht oder Schmerzen) und einer „Komplikation” (eine unbeabsichtigte Folge, die das Leben der Person gefährden kann).[7]Odsberg A, Schill U, Kaker E.: Acupuncture treatment: side effects and complications reported by Swedish physiotherapists. Complement Therap Med 2001;9:17—20.

In CAM, so führen die Autoren weiter aus, wie auch in konventioneller Medizin kennt man beispielsweise die Jarisch-Herxheimer-Reaktion, eine Entzündungsreaktion, die zu Beginn einer Behandlung auftritt.[8]Fekade D, Knox K, Hussein K, Melka A, Lalloo DG, Coxon RE et al.: Prevention of Jarisch-Herxheimer Reactions by treatment with antibodies against tumor necrosis factor. N Engl J Med 1996;335:311—5. Ähnlich sieht man in diversen CAM-Methoden das Auftreten einer „Healing Response“ als positives Zeichen, dass der Organismus „anspricht“. Komplette Symptomreaktionen und -effekte werden in diesem Deutungskontext als normaler Teil des Behandlungs- und Heilungsprozesses angesehen und erwartet, ähnlich wie ein untrainierter Mensch auf erste Sporteinheiten reagiert.[9]Vgl. MacPherson H.: How safe is acupuncture? Developing the evidence on risk. J Alternative Complement Med 1999;5(3):223—4 und Mackereth PA. An introduction to catharsis and the healing crisis in … weiterlesen Dazu gehören auch „negative Reaktionen“, analog zu manchmal durchaus deutlichen Schmerzen („Muskelkater“) in der  „Sportmetapher“.

In Shiatsu geht man davon aus, dass eine Reaktion des Körper-Geist-Systems erwartet werden kann, d.h. es können sowohl „körperliche“ (Müdigkeit, leichtes Fieber, Verstärkung der Symptome etc.) als auch „emotionale“ Reaktionen (Gefühl von Wut, Weinen, Freisetzung von emotionalem Stress etc.) auftreten – was nicht verwunderlich ist, da die Unterdrückung von Emotionen ebenso wie Stress zu körperlichen Beschwerden führen können.

Die Literatur spricht hier auch von „vorübergehenden Reaktionen“ („transient reactions“), die meist mild ausfallen und von denen einige möglicherweise eine positive Reaktion auf die Behandlung anzeigen[10]Vgl. MacPherson H, White A, Bensoussan A.: The safety of acupuncture. In: MacPherson H, Hammerschlag R, Lewith G, Schnyer R, editors. Acupuncture research. Strategies for establishing an evidence … weiterlesen, und „Übergangseffekte“ („transitional effects“), die zunächst für kurze Zeit negativ erlebt werden, dann aber in positive Effekte übergehen und so als Teil des Heilungsprozesses wahrgenommen werden.[11]Vgl. Long AF, Mackay H.: The effects of shiatsu: findings from a two-country exploratory study. J Alternative Complement Med 2003;9:539—48.

Das mögliche Auftreten solcher Reaktionen bedeutet für die BehandlerIn, dass sie die KlientIn über mögliche Formen, die die Heilungsreaktion annehmen kann, aufklären sollte und auch wie sie (die KlientIn) damit umgehen könnte/sollte. Dazu gehört auch, dass sich die KlientIn einer Reaktion gewahr sein muss, die (anfangs) negativ empfunden werden könnte.

Dazu kommt als Herausforderung für ForscherInnen, dass sie (vorübergehende) Heilungsreaktionen von „echten negativen“ Wirkungen und Ereignissen unterscheiden müssen. Und genau an dieser Problemstellung setzt die vorliegende Arbeit an und stellt – basierend auf der longitudinalen Kohortenstudie zu den Wirkungen von und Erfahrungen mit Shiatsu – eine Typologie zur Klassifizierung der Erfahrungen der KlientInnen und der von ihnen berichteten negativen Reaktionen vor.


Studiendesign

Die Daten der vorliegenden longitudinalen Kohortenstudie wurden aus Kundenerfahrungen von Behandlungen (nach einem definierten Studienprotokoll) in „normalen“ Shiatsu-Praxen in Österreich, Spanien und Großbritannien gewonnen. Teilgenommen haben 85 Shiatsu-PraktikerInnen, die (nach ihrem Abschluss gemäß nationalen Dachverbänden) über zumindest zwei Jahre Berufserfahrung mit durchschnittlich mindestens 20 KlientInnen pro Woche verfügten.

Die KlientInnen waren mindestens 18 Jahre alt und haben Shiatsu aus unterschiedlichen Gründen in Anspruch genommen. Die Behandlungen wurden individuell gestaltet und hatten neben der eigentlichen Körperarbeit oft auch andere Inhalte, wie z.B. Ratschläge in Bezug auf die Lebensgestaltung der KlientInnen. In die Auswertung aufgenommen wurden nur TeilnehmerInnen, die alle vier Fragebögen ausfüllten.

Die Daten wurden durch postalische Fragebögen zu vier Zeitpunkten erhoben: bei der Rekrutierung („Baseline”), im Anschluss an die erste Shiatsu-Sitzung, 4 bis 6 Tage nach der ersten Shiatsu-Sitzung sowie 3 und 6 Monate später.[12]Der erste Fragebogen („Baseline“) erfasste insbesondere soziodemographische Merkmale, frühere Nutzung von Shiatsu, Gründe für die Ananspruchnahme von Shiatsu, Schwere der „Beschwerden“, … weiterlesen

Um Daten über negative Reaktionen zu erhalten, enthielten drei der vier Fragebögen (4 bis 6 Tage nach der ersten Shiatsu-Sitzung sowie 3 und 6 Monate später) Fragen darüber, ob eine (kurzfristige oder auch längerfristige) „negative Reaktion” auf die Shiatsu-Behandlung  erlebt wurde oder nicht. Wenn ja, wurden die TeilnehmerInnen gebeten, diese zu beschreiben, ihre Dauer anzugeben und die Schwere und Auswirkungen auf ihr Leben zu bewerten. In den 3- und 6-monatigen Folgefragebögen wurden die KlientInnen gebeten, ihre „schlimmste negative Reaktion” zu beschreiben.


Typologie „negativer“ Antworten

Zur Entwicklung der Typologie wurden alle „negativen“ Antworten im theoretischen Rahmen von Shiatsu[13]Konkret im Rahmen des „Masunaga-/Zen-Shiatsu“, das in Großbritannien vorwiegend praktiziert wird. zusammen mit Angaben zu Dauer und Schwere der Reaktion und ihres Einflusses auf das tägliche Leben (Auswirkungen auf Aktivitäten und Ursache für Sorgen und/oder Stress) und analysiert.[14]Die Personen, die an dieser Analyse teilnahmen, waren nicht an der Behandlung von TeilnehmerInnen im Rahmen der Studie beteiligt. Letztlich wurden damit fünf Typen identifiziert.

  • Typ 1: Antworten, die in keinem Zusammenhang mit der Behandlung stehen („unconnected responses“, z.B. der Ausbruch einer Grippe)
  • Typ 2: Vorübergehende Effekte („transitional effects“, die theoriekonsistent sind und sich von „negativ“ zu „positiv“ verändern; sie werden von der KlientIn anfänglich als negativ gesehen, im Laufe der nächsten Tage aber als positiv; sie belasten die Kundin nicht, dauern nur kurz und hindern sie auch nicht an ihren normalen Aktivitäten, z.B. Müdigkeit nach der Behandlung, so dass der/die Behandelte kurz ruhen muss, und sich danach deutlich besser fühlt)
  • Typ 3: Vorübergehende Effekte („transitional effects“, die als Reaktion theoriekonsistent „auftreten können“; auch sie verändern sich von „negativ“ zu „positiv“, werden von der KlientIn aber nicht explizit in dieser Form wahrgenommen; sie belasten die Kundin nicht, dauern nur kurz und hindern sie auch nicht an ihren normalen Aktivitäten, z.B. größere Erschöpfung am Tag der Behandlung)
  • Typ 4: Unerwünschte aber ungefährliche Ereignisse oder Auswirkungen („undesired, but not unsafe events or effects“, die von die Kundin als negativ dargestellt werden, sie beunruhigen und ihre Aktivitäten beeinträchtigen, z.B. „Gefühl der Depression“ zwei Tage lang nach der Behandlung)
  • Typ 5: Potenziell unerwünschte Ereignisse oder Auswirkungen und ein mögliches Risiko für die Sicherheit der Kundin („potentiell Averse Event Ort Effekt an passable riss tot Client Safet“, entweder von der Kundin angegeben oder aus der Perspektive des externen Gutachters, z.B. häufig starke Rückenschmerzen)


TeilnehmerInnen

Über einen Zeitraum von 11 Monaten (Februar bis Dezember 2006) wurden 948 TeilnehmerInnen für die Studie rekrutiert. 633 (67 %)[15]49 % in Spanien, 70 % in Österreich und 72 % in Großbritannien. von ihnen füllten alle vier Fragebögen aus und wurden in die Studie aufgenommen. Die durchschnittliche Teilnehmerin war weiblich (80 bis 84 %), um die 40 Jahre alt, berufstätig und hatte schon vorab Erfahrung mit Shiatsu (84 bis 88 %). Ihr Gesundheitszustand war „gut“ oder besser und ihr Ziel für die Shiatsu-Behandlungen ihre Gesundheit zu erhalten oder (noch) zu verbessern. Die häufigsten Probleme waren solche mit Muskeln, Gelenken und Körperstruktur (Rückenschmerzen und Haltungsprobleme eingeschlossen), gefolgt von Spannung oder Stress und „Energielosigkeit“ oder Müdigkeit.


Teilnehmende Shiatsu-PraktikerInnen

Die typische Shiatsu-PraktikerIn war ebenfalls weiblich, in der Mitte der 40er-Jahre mit höherer Bildung (zumindest Maturaniveau). Ihre Shiatsu-Berufserfahrung war durchschnittlich neun Jahre und sie praktizierte den Masunaga-/Zen-Shiatsu-Stil. Außerdem gaben alle teilnehmenden Shiatsu-PraktikerInnen an, gegebenenfalls Ratschläge in Bezug auf Bewegung, Ernährung, Lebensgewohnheiten und Körperhaltung zu geben.[16]Neben der Anwendung von Druck verwendeten 77 % der Shiatsu-PraktikerInnen „manchmal“ auch Dehnungen und 55 % Moxa (bzw. „wenn notwendig“). Auffällig war zudem, dass die britischen … weiterlesen


„Negative“ Antworten

Insgesamt gab es 218 „negative“ Antworten und damit eine Prävalenzrate von 12 bis 22 (pro 100) in allen drei Ländern. Überwiegend ging es dabei um körperliche Reaktionen und zu etwa einem Viertel um emotionale Befreiung. Am häufigsten genannt wurden:[17]Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtzahl der „negativen“ Antworten.

  • Schmerzen in Nacken, Schulter, Rücken, Hüfte: 30 %
  • Müdigkeit, Erschöpfung, ohne Energie: 26 %
  • Kopfschmerzen: 18 %
  • Muskel- und Gelenksschmerzen, Krampfe: 11 %
  • Verstärkung oder Akzentuierung der Symptome: 10 %
  • Emotionale Reaktionen (angerührt, weinerlich, traurig, deprimiert): 10 %
  • Steifigkeit oder Spannung in Gelenken und Muskeln: 9 %
  • Weggetreten, schwindelig, fehlende Konzentration: 8 %
  • Emotionale Reaktionen (ängstlich, unruhig, panisch, nervös): 6 %
  • Emotionale Reaktionen (wütend, aggressiv): 6 %
  • Grippig, fiebrig, Kältegefühl, Hitzegefühl: 6 %

Die Raten waren 4 bis 6 Tage nach der Erstbehandlung am höchsten (18 bis 21%) und nach 6 Monaten (Follow-up) am niedrigsten (12 bis 17%). Die durchschnittliche Dauer der „negativen“ Reaktion variierte zwischen ein und zwei Tagen, der durchschnittliche Schwergrad war „moderat“[18]4 bis 5 auf einer 7-Punkte-Skala, wobei 1 = „sehr gering“ und 7 = „sehr schwer“ war.

„Negative“ Antworten nach Typ

Insgesamt gab es 334 „negative“ Antworten, 142 in Österreich, 47 in Spanien und 145 in Großbritannien:

Antwort-TypÖsterreichSpanienGroßbritannienGesamt
Typ 16 %6 %2 %4 %
Typ 213 %17 %44 %27 %
Typ 366 %68 %39 %55 %
Typ 410 %6 %13 %11 %[19]Acht Antworten (vier in Österreich, je zwei in Spanien und Großbritannien) kamen erst in der nachträglichen Analyse (zu den schon zuvor erfassten PatientInnenangaben) dazu.
Typ 55 % (n=7)2 % (n=1)1 % (n=2)3 % (n=10)[20]9 TeilnehmerInnen (10 Antworten) berichteten über Reaktionen, die als Typ 5 eingestuft werden konnten, in der Analyse kamen noch 2 weitere Antworten (beide in Österreich) dazu.

Die meisten „negativen“ Antworten, insgesamt 82 Prozent, sind „vorübergehende Effekte“ (Typ 2 und Typ 3), wobei der Anteil der Typ 2-Antworten in Großbritannien (44 %) deutlich höher ist als in Österreich (13 %) und Spanien (17 %). Umgekehrt verhält es sich mit den Typ 3-Antworten: 39 % in Großbritannien, hingegen 66 % in Österreich und 68 % in Spanien.[21]Die Autoren führen dazu aus, dass die KlientInnen in Großbritannien häufig detailliertere Beschreibungen abgaben, die als Antwort eher den „Wechsel zu positiv“ (also Typ 2) beschrieben („the … weiterlesen

In der vorliegenden Studie dominierten generell (sowie in Spanien und in Österreich) die Typ 3-Antworten, die alle mit der Shiatsu-Theorie konsistent waren, von den KlientInnen jedoch nicht explizit als „Wendung zum Positiven“ wahrgenommen wurden.

Typ 4-Antworten, 11 % aller „negativen“ Antworten, zeigen auf, dass die wahrgenommenen Effekte und Reaktionen beunruhigend waren und die täglichen Aktivitäten der KlientIn beeinflussten. In keinem Fall allerdings bedeuteten sie eine konkrete Gefahr dar. Beispiele dafür sind ein Gefühl des „Spaced out“ nach der Behandlung, Kopfschmerzen und Weinen am nächsten Tag, immer noch vorhandene Nackenverspannungen, depressive Befindlichkeit zwei Tage nach der Behandlung, zu starker Druck durch die BehandlerIn[22]Die KundIn wechselte daraufhin ihre BehandlerIn („My Shiatsu teacher was too intense, too much pressure, I changed to a female practitioner!!“). oder verstärkte Schmerzen im unteren Rücken für zwei Tage nach der Behandlung.[23]In diesem Fall behalf sich die KundIn mit Yoga („Pain in lumbar region intensified—–length 2 days, thanks to Yoga, pain has gone away“).

Die erhobenen Beispiele zeigen auf, dass es der BehandlerIn in manchen Fällen durchaus möglich (und wünschenswert) wäre, der KundIn die Behandlung zu erleichtern, indem man ihr spezifische Informationen und Hilfen zur Verfügung stellt.[24]Eine KundIn hat sogar explizit formuliert, dass sie sich mehr Unterstützung im Umgang mit den nachfolgenden Reaktionen gewünscht hätte: „Headache and weepiness the next day. I would have liked … weiterlesen Manche KundInnen griffen in dieser Situation zu Selbsthilfe und lösten ihr Problem mit Hilfe anderer Behandlungstechniken (z.B. Yoga) oder durch BehandlerInnen-Wechsel.

Typ 5-Antworten, 3 % aller „negativen“ Antworten[25]Die zehn Typ 5-Antworten bezogen sich auf insgesamt acht Shiatsu-PraktikerInnen. Bei einer Shiatsu-PraktikerIn wurden sogar zwei Typ 5-Antworten von zwei verschiedenen KlientInnen gemeldet, die sich … weiterlesen, berichteten über Effekte und Reaktionen, die sie in ihrem Alltag einschränkten und beunruhigen wie Schmerzen im Bereich von Rücken, Knie (nach Dehnungsübung) und Nacken, starke emotionale Reaktion oder auch Verbrennungen nach einer Moxa-Behandlung.[26]Moxa-Behandlungen sind nicht Teil des Shiatsu, können aber (eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt) ergänzend und unterstützende im Rahmen der Shiatsu-Behandlung angewendet werden. Im … weiterlesen


Diskussion der Ergebnisse

In der Analyse „negativer“ Antworten zeigte sich, dass nur wenige davon „potenziell unerwünschte Ereignisse oder Auswirkungen“ sind. Die Mehrzahl (82 %) der von den KlientInnen rückgemeldeten „negativen“ Antworten wurden als theoriekonforme und letztlich „positive“ „Übergangseffekte“ klassifiziert.[27]Dieses Bild ist mit Forschungsergebnissen aus der Akupunktur vergleichbar, siehe MacPherson H, Thomas K, Walters S, Fitter M: The York acupuncture safety study: prospective survey of 34,000 … weiterlesen

Ähnlich wie in der vorliegenden Arbeit unterscheiden Yamashita et al.[28]Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229—36. in ihrer Klassifizierung von unerwünschten Ereignissen in der Akupunktur- und Moxibustionsbehandlung zunächst einmal, ob diese durch „Fahrlässigkeit“ der AnwenderIn hervorgerufen werden oder nicht (z.B. Nichtdurchführung oder falsche Durchführung eines erforderlichen Verfahrens). Bei den nicht-fahrlässig herbeigeführten Ereignissen, wird dann zwischen „eindeutig“ („definite“), „wahrscheinlich“ („probable“), „möglich“ („possible“) oder „zweifelhaft“ („doubtful“) unterschieden. Unterscheidungsmerkmale dazu sind die Zeit des Auftretens nach der Behandlung und ein erneutes Wiederauftreten bei einer weiteren Behandlung.

So tritt ein „eindeutig“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit auf und auch bei jeder weiteren Behandlung, ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit und gelegentlich bei weiteren Behandlungen, ein „möglich“ unerwünschtes Ereignis tritt nach einer angemessenen Zeit und nicht wieder auf und ein „zweifelhaftes“ unerwünschtes Ereignis zu einem späteren Zeitpunkt und dann nicht mehr.

Wendet man diese Definition auf die Typ 5-Antworten an, dann erweisen sich die wiederholt auftretenden Rückenschmerzen („back pain, many times“) als definitiv unerwünschtes, aber nicht fahrlässiges Ereignis (und „unerwünschter Effekt“): Die Schmerzen traten in einem zeitlich angemessenen Zusammenhang auf und wiederholten sich bei erneuten Shiatsu-Behandlungen.

Im Gegensatz dazu würden Beschwerden, die nach der ersten Behandlung stärker wurden („complaints got stronger after the first treatment (spine)“), als „mögliches“ unerwünschtes Ereignis (aber nicht als „möglicher“ unerwünschter Effekt) eingestuft. Beschwerden, die auch bei der erneuten Anwendung stärker werden („complaints got stronger“), wären ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis (oder „wahrscheinlich“ unerwünschter Effekt).

Die endgültige Klassifizierung  würde aber mehr Informationen erfordern, vor allem hinsichtlich der Interaktion zwischen BehandlerIn und KlientIn und hier insbesondere über die energetische Einschätzung und die Präsentation der „Symptome“ durch die Shiatsu-PraktikerIn. Das wäre insbesondere hilfreich und notwendig für die Unterscheidung von „negativen“ Antworten von Typ 2 und 3 wie auch von Typ 4 und 5.

Gleichwohl wäre es auch (für zukünftige Untersuchungen) wichtig herauszufinden, ob KundInnen, die erstmalig eine Shiatsu-Sitzung erhalten haben, „negative“ Reaktionen anders bewerten als KlientInnen, die Shiatsu häufiger erfahren haben, weil letztere eine negative Reaktion eher akzeptieren können bzw. sie als Arbeitsweise des Shiatsu wahrnehmen.[29]Die AutorInnen betonen diesen Umstand auch für die Schulmedizin, was nachvollziehbar ist, allein wenn man an eine zahnärztliche Behandlung und deren unterschiedliche Bewertungen denkt.

Wichtig für Methoden wie Shiatsu ist das grundlegende Verständnis, dass es sich bei „negativen“ Reaktionen, insbesondere vom Typ 2 und 3, nicht um „unerwünschte Nebenwirkungen“ handelt, sondern um einen Teil der Funktionsweise dieser Methode.

Zusammenfassend greifen die AutorInnen nochmals auf, dass manche KlientInnen auftretende „Übergangseffekte“ als negativ empfinden, darauf hindeutet, dass Shiatsu-PraktikerInnen ihre KundInnen mehr über diese Vorgänge (und ihre Hintergründe) informieren sollten (Stichwort: „Systemreaktionen“)[30]Es scheint wichtig, dass eine KundIn erfährt (und später dann erlebt), dass sich eine anfänglich negativ erlebte Reaktion (z.B. ein Gefühl von Müdigkeit oder ein Symptom, das sich verschlimmert) … weiterlesen und eine sorgfältige Nachsorge und Nachbetreuung von Bedeutung ist.

Aus Sicht des CAM-Berufs, so die AutorInnen abschließend, ist es daher notwendig, die „richtige“ Anwendung von Behandlungstechniken zu gewährleisten, um zu wissen, wann Behandlungsmöglichkeiten für eine KlientIn unter welchen Symptomen/Gründen/ kontraindiziert sind.


Conclusio

Die Anwendung der Typologie auf eine europaweite prospektive, pragmatische Studie von Shiatsu unterstützt das Argument, dass Shiatsu von Natur aus eine sichere Behandlungsform ist, zumindest wenn sie in den Händen einer kompetenten (und im aktuellen Kontext erfahrenen und akkreditierten) PraktikerIn liegt.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Andrew F. Long, Lisa Esmonde, Seamus Connolly: A typology of negative responses: a case study of shiatsu. Complement Ther Med. 2009 Jun;17(3):168-75. Doi: 10.1016/j.ctim.2008.09.004. Epub 2008 Nov 17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19398071.
2 Siehe: Andrew F. Long: The Effectiveness of Shiatsu: Findings from a Cross-European, Prospective Observational Study. Journal of Alternative and Complementary Medicine Volume 14, Number 8, 2008, pp. 921–930. Doi: 10.1089/acm.2008.0085.
Die Studie wurde auf Basis der Entschließung der Europäischen Union vom 29. Mai 1997 zur Rechtsstellung der nichtkonventionellen Medizinrichtungen (A4-0075/97) von Europäischen Dachverband für Shiatsu (ESF) initiiert. In dieser Entschließung „ersucht die Kommission, vorrangig eine gründliche Studie über Unbedenklichkeit, Wirksamkeit, Anwendungsgebiet und ergänzenden bzw. alternativen Charakter der einzelnen nichtkonventionellen Therapien durchzuführen sowie eine vergleichende Studie zwischen den bestehenden nationalen Rechtsmodellen, denen die Personen unterliegen, die Formen der nichtkonventionellen Medizin ausüben, zu erstellen“.
Vgl. auch Fønnebø V, Grimsgaard S, Walach H, Ritenbaugh C, Norheim AJ, MacPherson H, et al. Researching complementary and alternative treatments—–the gatekeepers are not the same. BMC Med Res Methodol 2007;7(7). Doi:10.1186/1471-2288-7-7.
3 Edwards IR, Aronson JK. Adverse drug reactions: definitions, diagnosis and management. Lancet 2000;356:1255—9. Doi: 10.1016/S0140-6736(00)02799-9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11072960.
4 CAM: Complementary and Alternative Medicine
5 Von lateinisch nocere = „schaden“, analog zum Placebo-Effekt, eine negative Wirkung durch ein Arzneimittel oder eine Behandlung.
6 Ernst E.: Direct risks associated with complementary therapies. In: Ernst E, editor. Complementary medicine. An objective appraisal. Oxford: Butterworth-Heinemann; 1996. p. 112—25.
7 Odsberg A, Schill U, Kaker E.: Acupuncture treatment: side effects and complications reported by Swedish physiotherapists. Complement Therap Med 2001;9:17—20.
8 Fekade D, Knox K, Hussein K, Melka A, Lalloo DG, Coxon RE et al.: Prevention of Jarisch-Herxheimer Reactions by treatment with antibodies against tumor necrosis factor. N Engl J Med 1996;335:311—5.
9 Vgl. MacPherson H.: How safe is acupuncture? Developing the evidence on risk. J Alternative Complement Med 1999;5(3):223—4 und Mackereth PA. An introduction to catharsis and the healing crisis in reflexology. Complement Therap Nurs Midwifery 1999;5:67—74.
10 Vgl. MacPherson H, White A, Bensoussan A.: The safety of acupuncture. In: MacPherson H, Hammerschlag R, Lewith G, Schnyer R, editors. Acupuncture research. Strategies for establishing an evidence base. Edinburgh: Churchill Livingstone; 2008. p. 57—76.
11 Vgl. Long AF, Mackay H.: The effects of shiatsu: findings from a two-country exploratory study. J Alternative Complement Med 2003;9:539—48.
12 Der erste Fragebogen („Baseline“) erfasste insbesondere soziodemographische Merkmale, frühere Nutzung von Shiatsu, Gründe für die Ananspruchnahme von Shiatsu, Schwere der „Beschwerden“, Medikamenteneinnahme, Gesundheitszustand und Erwartungen.

Der zweite Fragebogen („unmittelbare Auswirkungen und Erfahrungen“ nach der ersten Shiatsu-Behandlung) erfasste insbesondere die unmittelbaren positiven und negativen Effekte und Reaktionen, Zufriedenheit mit der Behandlung und Erfüllung der Erwartungen.

Der dritte Fragebogen („längerfristige Auswirkungen“) nach drei Monaten erfasste insbesondere die Veränderungen hinsichtlich der Symptome, Änderungen in der Verwendung anderer medizinischer und komplementärer Behandlungen, Änderungen in der Verwendung von Medikamenten, Änderungen des Lebensstils, negative Reaktionen, aktueller Gesundheitszustand, erfüllte Erwartungen und Zufriedenheit mit den Behandlungen.

Der vierte Fragebogen („langfristige Auswirkungen“) nach sechs Monaten erfasste ebenfalls insbesondere die Auswirkungen auf die Symptomatik, Änderungen in der Verwendung anderer medizinischer und komplementärer Behandlungen, Änderungen in der Verwendung von Medikamenten, Änderungen des Lebensstils, negative Reaktionen, aktueller Gesundheitszustand, erfüllte Erwartungen und Zufriedenheit mit den Behandlungen.

In die Auswertung aufgenommen wurden nur TeilnehmerInnen, die alle vier Fragebögen ausfüllten.

13 Konkret im Rahmen des „Masunaga-/Zen-Shiatsu“, das in Großbritannien vorwiegend praktiziert wird.
14 Die Personen, die an dieser Analyse teilnahmen, waren nicht an der Behandlung von TeilnehmerInnen im Rahmen der Studie beteiligt.
15 49 % in Spanien, 70 % in Österreich und 72 % in Großbritannien.
16 Neben der Anwendung von Druck verwendeten 77 % der Shiatsu-PraktikerInnen „manchmal“ auch Dehnungen und 55 % Moxa (bzw. „wenn notwendig“). Auffällig war zudem, dass die britischen Shiatsu-PraktikerInnen – im Vergleich zu ihren spanischen und österreichischen KollegInnen – signifikant häufiger (65 % versus 35 %) keine zusätzlichen Methoden anwandten. Cranio-Sakral war die in diesem Zusammenhang am häufigsten genannte Methode.
17 Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtzahl der „negativen“ Antworten.
18 4 bis 5 auf einer 7-Punkte-Skala, wobei 1 = „sehr gering“ und 7 = „sehr schwer“ war
19 Acht Antworten (vier in Österreich, je zwei in Spanien und Großbritannien) kamen erst in der nachträglichen Analyse (zu den schon zuvor erfassten PatientInnenangaben) dazu.
20 9 TeilnehmerInnen (10 Antworten) berichteten über Reaktionen, die als Typ 5 eingestuft werden konnten, in der Analyse kamen noch 2 weitere Antworten (beide in Österreich) dazu.
21 Die Autoren führen dazu aus, dass die KlientInnen in Großbritannien häufig detailliertere Beschreibungen abgaben, die als Antwort eher den „Wechsel zu positiv“ (also Typ 2) beschrieben („the UK clients commonly gave more detailed descriptions that were more likely to depict the response as ‘changing to positive’“) – möglicherweise auch eine Folge der besseren Aufklärung der TeilnehmerInnen durch die Shiatsu-PraktikerInnen in Großbritannien.
22 Die KundIn wechselte daraufhin ihre BehandlerIn („My Shiatsu teacher was too intense, too much pressure, I changed to a female practitioner!!“).
23 In diesem Fall behalf sich die KundIn mit Yoga („Pain in lumbar region intensified—–length 2 days, thanks to Yoga, pain has gone away“).
24 Eine KundIn hat sogar explizit formuliert, dass sie sich mehr Unterstützung im Umgang mit den nachfolgenden Reaktionen gewünscht hätte: „Headache and weepiness the next day. I would have liked some advice (on) how to soften that aftereffect“.
25 Die zehn Typ 5-Antworten bezogen sich auf insgesamt acht Shiatsu-PraktikerInnen. Bei einer Shiatsu-PraktikerIn wurden sogar zwei Typ 5-Antworten von zwei verschiedenen KlientInnen gemeldet, die sich beide auf Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule bezogen.
26 Moxa-Behandlungen sind nicht Teil des Shiatsu, können aber (eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt) ergänzend und unterstützende im Rahmen der Shiatsu-Behandlung angewendet werden. Im vorliegenden Fall dürfte die Anwendung nicht sachgemäß erfolgt sein.
27 Dieses Bild ist mit Forschungsergebnissen aus der Akupunktur vergleichbar, siehe MacPherson H, Thomas K, Walters S, Fitter M: The York acupuncture safety study: prospective survey of 34,000 treatments by traditional acupuncturists. Br Med J 2001;323:486—7 und White A, Hayhoe S, Hart A, Ernst E: Adverse events following acupuncture: prospective survey of 32,000 consultations with doctors and physiotherapists. Br Med J 2001;323: 485—6.
28 Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229—36.
29 Die AutorInnen betonen diesen Umstand auch für die Schulmedizin, was nachvollziehbar ist, allein wenn man an eine zahnärztliche Behandlung und deren unterschiedliche Bewertungen denkt.
30 Es scheint wichtig, dass eine KundIn erfährt (und später dann erlebt), dass sich eine anfänglich negativ erlebte Reaktion (z.B. ein Gefühl von Müdigkeit oder ein Symptom, das sich verschlimmert) bald löst und“positiv“ wird. Das Auftreten einer „negativen“ Reaktion vom Typ 4 beispielsweise könnte eine KundIn beispielsweise davon abhalten, ihre Behandlungen fortzusetzen.