Wie arbeitet die ESF auf politischer Ebene für die Anerkennung von Shiatsu? (Juni 2015)

Der europäische Dachverband für Shiatsu, die European Shiatsu Federation (ESF, www.shiatsufederation.eu, seit kurzem auch auf Facebook: www.facebook.com/pages/ESF-European-Shiatsu-Federation/298750456802166), wurde 1994 gegründet und hat heute 9 Mitgliedsländer: Großbritannien, Irland, Spanien, Italien – Federshiatsu, Griechenland, Belgien, Tschechien, Schweden und Österreich. Sein primäres Ziel ist das Recht zu etablieren, dass Shiatsu als ein unabhängiger, selbst-regulierter Gesundheitsberuf in ganz Europa ausgeübt und als frei wählbare Behandlung in Anspruch genommen werden darf. Die Vorgehensweise, mit der das erreicht werden soll, ist so genannte „Political Action Work“.


Warum ist politische Arbeit überhaupt wichtig?

Der Grund dafür liegt letztendlich darin, dass diejenigen, die sich für ihre Ziele engagieren, eine größere Chance haben diese zu verwirklichen, im Kontext unserer Arbeit Shiatsu als Beruf in Europa zu etablieren. Those who take it get what´s going. Those who don´t get what´s left, drückt man diesen Umstand im Englischen aus.

Der Schlüssel, die eigenen Ziele verwirklichen zu können, ist Partizipation, Teilnahme. Die rechtliche Situation von CAM In Europa sind bislang CAM-Methoden (komplementäre und alternative Medizin- bzw. Gesundheitsmethoden) – und Shiatsu zählt hier dazu – kaum anerkannt, oft im Gegenteil und existieren vielfach nur in einem „Grauraum“, ihre freie Anwendung über Landesgrenzen hinaus existiert nicht. Auch Forschungsarbeiten zu CAM gibt es kaum und die üblichen, weit verbreiteten Forschungsansätze (Placebo kontrollierte Blindstudien, RCTs, Random Controled Trials) lassen sich auf die meisten CAM-Techniken nicht anwenden. Insgesamt zeigen sich deutliche Unterschiede in vielen Bereichen zwischen konventioneller Medizin und CAM-Methoden.


Die Vorgehensweise der EU

Die Europäische Union (EU) verfolgt eine länderübergreifende öffentliche Gesundheitspolitik und Gesundheitsprogramme, die konventionelle Medizin, CAM und Patientenrechte betreffen und erlässt dazu Gesetze und Richtlinien, die von den nationalen Regierungen befolgt und in ihre Gesetzgebung aufgenommen werden müssen. Ein wichtiges Grundrecht ist die so genannte Niederlassungsfreiheit (freedom of movement und freedom of establishment) über Landesgrenzen hinaus.

Ihr Ziel im Bereich der Gesundheitspolitik bis 2020 ist die Verbesserung der Gesundheit ihrer Bürger, die Vermeidung chronischer, vor allem Lebensstil-Erkrankungen, eine Reduktion der Kosten des Gesundheitssystems, die Reduktion von Krankenständen, die Reduktion von sozialen Ungleichheiten, Gesundheit zu erlangen und zu bewahren und die Verlängerung der Lebensspanne ihrer Bürger bei guter Gesundheit um zwei Jahre.

Europaweit praktizieren 160.000 Ärzt*innen CAM. Sie haben eine einflussreiche Lobby und genügend finanzielle Mittel, um ihr Ziel „Integrated Medicine“ bzw. „Evidence Based CAM“, also die (ausschließlich) ärztliche Anwendung von CAM, zu fördern. Zudem haben CAM-Ärzt*innen eine gute Verbindung zu Forscher*innen und schon jetzt die Möglichkeit einer professionellen Anerkennung.

Auf der anderen Seite werden nahezu 50 CAM-Methoden von etwa 180.000 Praktiker*innen angewendet. Nur wenige dieser Methoden sind geregelt (und wenn, oft nur in einem Land oder einigen Ländern, nicht aber einheitlich) und werden deshalb kaum legal – außerhalb eines rechtlichen Grauraums – praktiziert.

Zum Vergleich ein paar offizielle Zahlen aus einer Zusammenstellung von Seamus Connolly (nach Angaben der jeweiligen Verbände), um sich die Größenverhältnisse ein wenig besser vorstellen zu können:

Naturopathy praktizieren in Europa 31.700 Menschen, Akupunktur und Chinesische Medizin 30.410, Phytotherapy 29.100. Shiatsu kommt in dieser Auflistung mit 7.470 offiziellen Praktiker*innen an 8. Stelle, deutlich vor den Homöopathen mit 4.542 Praktizierenden an der 10. Stelle.

Die gegenwärtige EU-Strategie sucht herauszufinden, wo CAM am besten (d.h. insbesondere effektiv, kostengünstig und sicher) „arbeitet“. Gegenwärtig gibt es eine Tendenz hin zur „medizinischen CAM“, die auch in und durch die Forschung gefördert wird. CAM-Methoden entsprechen aber auf vielfältige Weise den EU-Gesundheitszielen. Damit die sich daraus ergebenen Chancen aber genutzt werden können, bedarf es einer starken Lobby für (auch nicht-medizinische) CAM, ein starkes gemeinsames Auftreten und qualitativ hochwertige und einheitliche Ausbildungen. Wichtig ist auch Forschung, die den Charakter von CAM mehr berücksichtigt und die Praktiker*innen (Anwender*innen) mehr einbezieht. Eine solche könnte nun auf EU-Ebene gefördert werden – wenn die entsprechenden Weichen dazu richtig gestellt werden können – und das liegt auch zu einem Teil in unseren Händen.


Anerkennung von CAM in der EU: EFCAM

Um Shiatsu (als eine CAM-Methode) in der EU Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen (eine einzelne Methode, Organisation, hat kaum Möglichkeiten genügend Einfluss zu erreichen, abgesehen davon dass die politische Arbeit auch höchst zeit- und geldintensiv ist), hat die ESF (European Shiatsu Federation) EFCAM (European Forum for CAM, www.efcam.eu) gegründet.

Heute umfasst EFCAM sieben europäische Organisationen, 18 CAM-Methoden und repräsentiert 170.000 Praktiker*innen. Präsident ist Seamus Connolly, der zugleich political and research officer der ESF ist. Ursprünglich waren auch die CAM-praktizierenden Ärzt*innen Mitglied im EFCAM, haben dann aber ihre eigene Organisation, CAMDOC, gegründet. Gemeinsam bilden EFCAM, CAMDOC und Patient*innen- und Hersteller*innenorganisationen EUROCAM – mit der Zielsetzung innovative Partnerschaften zu ermöglichen. Eine wichtige Aufgabe von EFCAM ist hier – neben der Förderung von CAM in Europa – die Balancierung des starken Einflusses der CAM-Ärzte.

Aktuelle Erfolge von CAM sind die Mitgliedschaft (als einzige CAM-Organisation) im EU Health Policy Forum (EUHPF) und in CAMBRELLA.


European Health Forum (EUHPF)

Das Health Policy Forum (EUHPF) ist das wichtige politische Beratungsforum des DG Sanco („EU Gesundheitsministerium“) und hat damit unmittelbaren Einfluss auf die europäische Gesundheitspolitik. Die Mitgliedschaft im EUHPF bedeutet zugleich die Einladung zu EU-Konsultationen und -Programmen wie AHAIP (Active and Healthy Aging Innovation Partnership).


CAMBRELLA

EFCAM ist – einzig auf Grund der ESF-Studie zu Shiatsu – Mitglied in CAMBRELLA, einem Konsortium von 12 Universitäten, das die Research Road Map für die nächsten fünf Jahre festlegt: Also das, was und wie in der EU geforscht (und auch entsprechenden finanziell unterstützt) wird, welche Methoden und Prioritäten. Das Problem hier ist, dass nur zwei CAMBRELLA-Mitglieder definitiv auch nicht-medizinische CAM-Methoden unterstützen und dass es kaum und wenn, dann kaum aussagekräftige Forschung zu CAM gibt.

Die im medizinischen, vor allem pharmakologischen Bereich (und von der Pharmaindustrie sehr gefürderten) Placebo kontrollierten Blindstudien (RCTs, Random Conteoled Trials, „Goldstandard“)) machen bei CAM-Methoden im Allgemeinen wenig Sinn. Hier geht es mehr um „Context and Meaning Research“ und damit weg von Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit (efficacy) hin zu Wirksamkeit und Effektivität (effectiveness). Forschungsansätze (vgl. Prof. Harald Walach), die von konventionellen Forschern eher ablehnend abgetan werden. Hier eine Meinungsänderung zu erreichen, wäre ein großer Schritt hin zu aussagekräftiger Forschung für CAM und – aus dieser heraus – zu einer breiteren gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung dieser Methoden in Europa.


Kosten und Finanzierung

Die gesamte politische Arbeit ist nicht nur sehr zeit- sonder auch kostenintensiv, weshalb Seamus Connolly als political und research officer neben den sich aus seiner Arbeit ergebenen Unkosten (wie z.B. Reisekosten) auch eine finanzielle Entschädigung erhält. Letztlich betrugen die jährlichen Kosten für diesen Bereich 18.000 Euro und damit den Hauptanteil der Einkünfte der ESF (ca. 32.000 Euro), die sich ausschließlich aus den Mitgliedsbeiträgen der nationalen Verbände finanziert. Österreich zahlt – berechnet durch einen aliquoten Anteil pro Mitglied (Praktiker*in) jährlich etwa 8.000 Euro.

Obwohl das viel Geld ist, ist es zugleich wenig für die Arbeit, die geleistet werden muss. Ganz aktuell findet demnächst eine CAM-Konferenz statt, für die EFCAM einen finanziellen Beitrag aufbringen muss/müsste, der derzeit nicht (noch nicht?) finanzierbar ist, um teilnehmen zu können. Gelingt dies aber nicht, werden nur die CAM-Ärzt*innen (CAMDOC) dort vertreten sein, nicht aber die nicht-ärztlichen Methoden – was für uns alle zum Nachteil werden könnte.


Weiterführende Informationen

Seamus Connolly: olitische Arbeit für die ESF (November 2011)