Wissen wir über die Motive unserer Handlungen Bescheid?

Schon Sigmund Freud war der Ansicht, dass wir nicht so sehr bewusste Entscheidungen treffen, sondern die Motive für unser Handeln vor allem dem Unbewussten entspringen. So wie wir uns fragen, weshalb sich ein anderer Mensch so oder so verhält, sind wir – folgen wir der Ansicht Freuds – auch bei der Erklärung unseres eigenen Handelns auf Deutungen angewiesen. Zwar glauben wir unsere Motive sicher zu kennen, doch sind diese Erklärungen in der Sprache Freuds Rationalisierungen, d.h. nicht die wahren Motive für unser Tun, sondern vielmehr Erklärungen, die uns gerade in den Kram passen.

Ergebnisse der modernen Hirnforschung belegen, wie es scheint, die These Freuds. Spektakulär sind die Funde bei „Split-Brain-Patienten“, bei denen man den Balken, die Verbindung zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte, durchtrennt hat. Der Sinn dieser Operation, die insbesondere bei Epileptikern durchgeführt wurde, lag darin (heute wird dieser Eingriff kaum mehr vorgenommen), die beiden Hemisphären voneinander zu trennen, so dass im Falle eines epileptischen Anfalls dieser auf eine Hirnhälfte beschränkt bleibt und die zweite Hemisphäre die Kontrolle behalten kann.

Auswirkungen auf die so behandelten Patienten ergeben sich durch die zum Teil unterschiedlichen Funktionen der beiden Hirnhälften. So ist beispielsweise in der linken Hemisphäre die Sprachsteuerung lokalisiert, während die rechte Hirnhälfte zwar etwas Sprache „versteht“, aber nicht sprechen kann. Durch die Split-Brain-Operation können die beiden Hemisphären nun aber ihre Informationen nicht mehr untereinander austauschen.

In Experimenten von Roger Sperry (California Institute of Technology, Pasadena) wurde Versuchspersonen mit durchtrenntem Balken (split brain) beispielsweise die Aufforderung „Gehen Sie“ in die rechte Hirnhälfte projiziert.[1]Das was sich in unserem Gesichtsfeld rechts befindet, wird in die rechte Hirnhälfte projiziert, das was sich links befindet in die linke Hirnhemisphäre. Werden also in einer speziellen … weiterlesen Wenn die Forscher die Versuchspersonen, die daraufhin aufgestanden waren, fragten, wo sie so plötzlich hin wollten, gaben sie typischerweise eine Erklärung wie z.B. „Ich wollte mir nur eine Cola holen.“

Die Erklärung der Forscher für dieses Verhalten ist, dass die Begründung („Ich wollte mir nur eine Cola holen“) von der linken Hemisphäre kommt, denn nur sie kann „sprechen“. Den Befehl aber hatte die rechte Hirnhälfte gesehen, sie allein kennt den wahren Grund des Verhaltens. Da der Austausch zwischen den beiden Hirnhälften nicht möglich ist, kann die linke („sprechende“) Hemisphäre nicht darüber informiert werden. Und anstatt zu schweigen oder zuzugeben, dass sie keine Erklärung hat, erfindet die linke Hemisphäre kurzerhand eine Erklärung, die ihr im Moment plausibel erscheint.

In einem anderen Versuch wurde der Versuchsperson links eine Hühnerkralle gezeigt, rechts ein eingeschneites Haus. Aus einer Anzahl von Bildern (mit Motiven wie Huhn, Kuh, Schaf, Hund, Pickel, Schaufel, Rechen, Rasenmäher), die vor ihr lagen, sollte die Versuchsperson dazu passende heraussuchen. Entsprechend dem, was die Versuchsperson sah, wählte die linke Hand (befehligt von der rechten Hemisphäre, die ein eingeschneites Haus sah) die Schaufel und die rechte Hand (befehligt von der linken Hirnhälfte, die eine Hühnerkralle sah) ein Huhn.

Auf die Frage, warum die Versuchsperson die entsprechenden Bilder ausgewählt hatte, kam die Antwort, dass das Huhn zur Kralle gehört und man eine Schaufel braucht, um den Hühnerstall sauber zu machen – der Schnee und das eingeschneite Haus wurden mit keinem Wort erwähnt (da die „sprechende“ Hemisphäre das eingeschneite Haus nicht gesehen hatte).

Auffälligerweise hat keiner der Split-Brain-Patienten ehrlich geantwortet, dass er/sie für sein/ihr Verhalten, seine/ihre Auswahl (etc.) keine Erklärung habe. Stattdessen gab es unterschiedliche Spekulationen der linken Hirnhemisphäre, die zwar oft plausibel, aber dennoch reine Erfindungen waren. Und immer waren die Versuchspersonen vollkommen davon überzeugt, den wahren Grund für ihr Verhalten erkannt zu haben – in der Psychologie und Psychotherapie wird ein solches Verhalten als Konfabulation bezeichnet.

Diese und ähnliche Experimente und Erfahrungen[2]Ähnliche Erfahrungen finden sich auch in Experimenten mit Reizungen bestimmter Hirnregionen oder auch bei „posthypnotischen Befehlen“. werden dahingehend interpretiert, dass wir gleichsam einen „Interpretor“ im Kopf haben, der sich darauf spezialisiert hat, für alles eine Erklärung zu finden. Der Interpretor als „Deutungsmaschine“ bringt Ordnung in unsere Welt. Mit seiner Hilfe „verstehen“ wir die Welt – genauer gesagt deuten wir sie. Und selbst dort, wo unsere Deutung in die Irre geht, vermittelt uns der Interpretor das Gefühl, den wahren Grund erkannt, die Sache „durchschaut“ zu haben. Dies gilt sowohl für Ereignisse in der Welt „draußen“ wie auch für unser eigenes Handeln und Fühlen – letztlich aber (wenn wir den radikalen Ergebnissen der modernen Bewusstseinsforschung folgen) ist das Gefühl die Welt zu verstehen und unter Kontrolle zu haben, nichts als eine wohltuende Illusion.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Das was sich in unserem Gesichtsfeld rechts befindet, wird in die rechte Hirnhälfte projiziert, das was sich links befindet in die linke Hirnhemisphäre. Werden also in einer speziellen Versuchsanordnung Split-Brain-Patienten Bilder nur rechts gezeigt, so „erfährt“ die linke Hirnhemisphäre nichts davon.        
Umgekehrt steuert die rechte Hirnhemisphäre die Bewegungen der linken Körperhälfte, die linke Hirnhälfte die der rechten Körperseite.         
Normalerweise merken wir nichts von dieser Projektionsweise, weil wir zum einen die Augen hin und her bewegen und zum anderen, weil die Hemisphären über den Balken ihre Informationen austauschen.
2 Ähnliche Erfahrungen finden sich auch in Experimenten mit Reizungen bestimmter Hirnregionen oder auch bei „posthypnotischen Befehlen“.