Missbrauch (Friederike Denner)

Der folgende Artikel soll einen Einblick in das Thema „Missbrauch“ ermöglichen.
Beiträge und das, was in Gruppenarbeiten im SupervisorInnen Training
für Shiatsu-TherapeutInnen herausgearbeitet wurde, sind darin
zusammengefasst und als Einführung und Anregung zu verstehen.

Missbrauch, zu dem auch Übergriffe zählen, kann physisch, psychisch, sexuell, emotional, spirituell, verbal und energetisch erlebt werden. In jedem Fall findet ein Angriff auf die menschliche Würde und Identität statt. Dazu werden vertrauensvolle Beziehungen (z.B. im familiären Umfeld) auf machtvolle und auch manipulierende Weise, ausgenutzt. Missbrauch stellt eine Form von Gewalt dar und kann sehr subtil sein. Je früher im Leben eines Menschen ein Missbrauch stattfindet, desto stärker sind die kurz- bzw. langfristigen Folgen, die sich in körperlichen Symptomen, im Verhalten, und der Beeinträchtigung der Lebensqualität ausdrücken.

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Missbrauchte Menschen haben Schock erlebt, sind erschüttert, ängstlich bis panisch, zeigen ein mangelndes Selbstwertgefühl, oft innere Zerrissenheit oder Abgespaltenheit, fühlen sich ohnmächtig, auch sprachlos, hegen Selbstzweifel „verkehrt zu sein“, können abhängig bis zur Handlungsunfähigkeit sein. Sie ziehen die Missbrauchthematik in ihrem Leben an, sind sucht- und suizidgefährdet. Sexueller Missbrauch im frühkindlichen Alter kann zur Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Multiplen Persönlichkeit führen.


Generelle Auffälligkeiten, die sich während einer Shiatsusitzung zeigen können

  • Abgrenzungsproblematik (wo höre ich auf, wo fängt die andere Person an)
  • Innen-Aussen kann nicht unterschieden werden
  • Gestörte zwischenmenschliche Bindungsfähigkeit
  • Kontrolliertes Verhalten (z.B.Augen sind während Shiatsusitzung offen, die Brille wird nicht abgelegt)
  • Mental grosses Kontrollbedürfnis – der Kopf „hält zusammen“
  • Wie ein „Wasserfall“ reden, jedoch innerlich nicht verbunden sein
  • Abgetrenntes Verhalten: „die Kindheit war wunderbar“ oder plätschernd über Missbrauch reden
  • Erinnerungsverlust – keine oder eine lückenhafte Erinnerung an den Missbrauch haben, in den Zellen ist jedoch die Erinnerung daran vorhanden
  • Erinnerungen an Missbrauch zeigen sich über bestimmte Körperstellen oder – bewegungen
  • Missbrauch sitzt auch im Energiekörper/Ätherischen in und um den Menschen herum
  • Viel Aufmerksamkeit wollen
  • Sich nicht ernst genommen fühlen
  • Sich nicht wehren können
  • Nicht NEIN sagen können, Ohnmachtsgefühle
  • Wahrnehmungsstörungen, selektives Wahrnehmen, den eigenen Wahrnehmungen nicht trauen
  • Mühe haben, Wut zu spüren und diese auszudrücken
  • Ängstliches Verhalten, Angst, Panik
  • Überaktivität, Überlebensstrategien
  • Starke Abwehrmechanismen, Verleugnen, Verdrängen, Bagatellisieren, Um-interpretieren, Werte verdrehen
  • Scham-, Schuldgefühle
  • Quälende Gedanken – Alpträume
  • Emotionale „Versteinerung“, gleichzeitig emotional bedürftig
  • Depressive Stimmungen, emotionale Labilität
  • Selbstschädigendes Verhalten


Mögliche körperliche Symptome, die auftreten können

  • Schlafstörungen, konstante Müdigkeit, Schlafsucht
  • Geschwächtes Abwehrsystem
  • Allergische Hautsymptome, Hautrötungen
  • Sehstörungen
  • Atemnot, Erstickungsgefühle
  • Schluckbeschwerden, der Hals geht zu
  • Kieferverspannungen, – sperren
  • Übelkeit
  • Verdauungsschwierigkeiten
  • Lähmungserscheinungen, Erstarrung, Totstell-Reflex
  • Epilepsieverdächtige Anfälle
  • Unbestimmte (auch plötzlich auftretende) Schmerzen bzw. körperliche Symptomatiken

 
Erkennungsmerkmale für einen möglichen sexuellen Missbrauch

  • Gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper (z.B. ihn ablehnen)
  • Berühren wird als Übergriff empfunden
  • Übergriffe nicht spüren können
  • Keine Grenzen spüren können
  • Aus dem Körper gehen, Apathie
  • Sich anpassen – keine Grenze kennen – Funktionieren
  • Bagatellisieren, abspalten, sich selbst täuschen
  • Sich verraten fühlen
  • Sozialer Rückzug, Abkapselung
  • Verpflichtung oder Zwang zur Geheimhaltung des Übergriffs
  • „Nein“ sagen ist nicht möglich, oder fällt extrem schwer
  • Besondere Sensibilität beim Berührt-werden oder das Gegenteil
  • Nicht in der Lage sein, zu unterscheiden
  • Enormes Schutzbedürfnis, sich nicht berühren/anfassen lassen
  • Körperteile oder ganzen Körper nicht wahrnehmen können
  • Gefühllosigkeit einzelner Körperteile
  • Energetisch „zerrissen“
  • Körperlich/energetisch zerteiltes Gefühl
  • Im Oberkörper grenzenlos, im Unterkörper Enge
  • „Tot“ im Unterleib
  • Körper Trennung oben – unten
  • Abgetrennte Beine, Füsse
  • Mühe körperlich loszulassen
  • Extrem entspannt oder extrem verkrampft
  • Bauch und Sacrum möchten keine Berührung
  • Beine lassen sich kaum bewegen oder öffnen
  • Beinrotationen sind nicht, kaum oder nur „eckig“, in kleinem Radius möglich
  • Verdichtung um die Schulterblätter
  • Zeigt sich über Dünndarm- und Dreifacher Erwärmer Meridiane
  • Alpträume
  • Suchtverhalten
  • Zwangshandlungen, Zwangstörungen, Autoaggressionen
  • Ess – Störungen (Bulimie, Anorexie, Fettsucht)
  • Hautreaktionen, Ausschläge um den Mund, plötzlich auftretende Rötungen am Hals, im Gesicht usw.
  • Taubheitsgefühle, Lähmungserscheinungen
  • Stottern
  • PMS, Menstruationsbeschwerden, Migräne
  • Sexuelle Funktionsstörungen


Erkennungsmerkmale für einen möglichen körperlichen Missbrauch durch Schlagen

  • Ist häufig mit sexuellem Missbrauch kombiniert
  • Jede Berührung ist Gewalt (Schmerzen sitzen noch im Körper)
  • Aus dem Körper gehen (es ist „niemand zu Hause“, z.B. an den Augen zu erkennen)
  • Sich ganz zurückziehen
  • Meinen, nicht gut genug zu sein
  • Misstrauen/Angst in den Augen
  • Schreckhaftigkeit, Unruhe
  • Reizbar, extrem irritierbar
  • Aggressions-taub, Panzer
  • Aggressionsgehemmt
  • Gefühllosigkeit
  • Unfähigkeit sich wahrzunehmen
  • Spürt sich am ehesten über den Schmerz
  • Abwesend, nicht verbunden
  • Nichts mehr wahrnehmen
  • Keine Empfindungen haben, apathisch sein
  • Stimme ist schrill, metallartig
  • Sich auflösend in Stimme und Ausdruck
  • Schutzhaltung
  • Sich zusammenziehen, verkrampft sein
  • LU / Atmung – Oberkörper ist eingezogen
  • gehaltene/verhaltene/kontrollierte Bewegungen
  • Verspannungen/Zusammenziehen der Gelenke
  • Schultersperre/n
  • Erwartungsdruck – Verspannung um die Schädelbasis
  • Zeigt sich über Dünndarm-, Dreifacher Erwärmer Meridiane
  • Diffus wandernde Schmerzen
  • Scham-, Schuldgefühle

 
Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Begleitung mit missbrauchten Menschen?

Als Shiatsu-TherapeutIn kann ich erleben, dass selbst erfahrene Übergriffe und Verletzungen während einer Shiatsusitzung „berührt“ werden können. Dies erfordert die Fähigkeit eigene Gefühle und Muster zu erkennen, mit diesen umgehen zu können, den (möglichen) eigenen Missbrauch verarbeitet zu haben und sich disidentifizieren zu können. Diese Voraussetzungen ermöglichen, Emotionen der KlientInnen zulassen und „halten“ zu können, mit Angst, Trauer, Wut, Scham und Schuld umzugehen. Ein Teil des Prozesses beinhaltet, dass flashbacks (Rückblenden) „überfallartig“ auftauchen können und wenn der Missbrauch in Erinnerung kommt, dieser oft auch physisch nacherlebt wird. Eine grosse Wachsamkeit und Achtsamkeit ist in der Arbeit mit missbrauchten, traumatisierten Menschen, sehr wichtig. (Vorsicht vor Retraumatisierung!)

Es wird empfohlen, stark missbrauchte Menschen nur dann mit Shiatsu zu begleiten, wenn sie in einem sozialen Netz gehalten sind und sich gleichzeitig in einer Psycho- oder Traumatherapie befinden.


Wie begleite ich Menschen, die Missbrauch erlebt haben?

In der therapeutischen Begleitung ist es wichtig, einen vertrauensvollen Raum zu kreieren, in dem Begegnung und Veränderung stattfinden kann – der ermöglicht auszusprechen und Gefühle zeigen zu dürfen. Unbewusstes darf bewusst werden. Dabei ist die eigene innere Haltung, mit sich selbst in Kontakt und Fühlung, echt und respektvoll zu sein, mit liebevoller Präsenz, Klarheit, Transparenz, Offenheit und Akzeptanz zu begegnen, Stabilität gebend. Der missbrauchte Mensch sollte mit seinen Anliegen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Sich auf das Potenzial und die Selbstregulierungskräfte der KlientInnen zu beziehen, ist wesentlich. Physische und psychische Grenzen zu respektieren ist zentral, ebenso die Fähigkeit Grenzen angemessen setzen zu können. Integrierendes Arbeiten und den Rhythmus von KlientInnen zu achten, ermöglichen das Wandlungsgeschehen und, dass neue Erfahrungen und Möglichkeiten entstehen können.

Als Shiatsu-TherapeutIn begleite und unterstütze ich KlientInnen, sich wahrzunehmen, die eigenen Grenzen und Bedürfnisse ernst zu nehmen, Vertrauen und Verantwortung für das eigene Leben aufzubauen.


Empfehlungen

Stabilisieren, Halt geben, den Rahmen besprechen, Struktur geben, Kontinuität aufbauen, ein Unterstützungsnetz aufbauen helfen.


Literaturhinweise

  • Es gibt eine grosse Anzahl von Büchern zu dem Thema „Missbrauch“. Luise Reddemann hat mehrere Bücher veröffentlicht, die zur Vertiefung anregen.
  • Herman, Judith – Die Narben der Gewalt. Junfermann Verlag Paderborn 2003
  • Wirtz, Ursula – Seelenmord. Kreuzverlag 2001

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© Friederike Denner (Präsidentin der SGS und verantwortlich für das Ressort Beruf-Praxis), 2005