Der Atem in der Arbeit mit Shiatsu (Eduard Tripp)

Im Normalfall, soweit ich die verschiedenen Stile hier in Österreich (und ein wenig angrenzend) kenne, wird in Shiatsu-Sitzungen selten direkt mit der Atmung gearbeitet – nur indirekt, zum Beispiel über das Ansprechen des Systems Lunge oder über eine entspannte Ruhe, die sich durch die Behandlung einstellt, und der Atmung die Möglichkeit gibt, vom Bewusstsein unkontrolliert zu fließen und den ihr adäquaten Rhythmus zu finden.

Man kann sich den Atem wie Wellen an einer Meeresküste vorstellen:[1]Das Bild des Atems als Welle an der Meeresküste stammt in der vorliegenden Form von Walter Johannes (Die heilende Kraft des Atems, 1987). Eine Welle nach der anderen rollt an, überschlägt sich und zieht sich wieder zurück. Das wiederholt sich in einem unaufhörlichen Fluss. Die Welle wird von einer sanften Kraft getragen, die sowohl Teil ihrer selbst wie auch des Meeres ist. Sie wird von einer unsichtbaren Kraft geformt, und sobald sie Gestalt angenommen hat, ist sie die sichtbare Form jener Energie, der sie ihre Entstehung verdankt.

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Das Leben einer Welle ist kurz, denn bereits nach wenigen Augenblicken erreicht sie die Höhe ihrer Kraft, überschlägt sich dann, löst sich auf und wird wieder Teil des Ozeans, aus dem sie hervorgegangen ist. Und sie baut die darauffolgende Welle mit auf. In einem ewigen Kreislauf entsteht Welle auf Welle aus dem Meer. Und immer, sobald eine Welle zusammengesunken ist, rollt schon die nächste heran. All das geschieht ganz natürlich, mühelos und selbstverständlich.

Rhythmus ist das, was den Atem strukturiert und ihm seine Kraft gibt – so wie auch die Wellen ihre Kraft aus dem Rhythmus schöpfen. Äußere Reize (z.B. Schmerzen, Kälte, Hitze), starke Gefühle (z.B. Angst, Zorn) und körperliche Anstrengungen allerdings können die Atmung hemmen oder auch anregen, so wie ein Boot auf einem See oder dem Meer durch die von ihm erzeugten ungeordneten, chaotischen Wasserbewegungen Wellen bricht, quasi auflöst. Und erst nach einer längeren oder kürzeren Übergangszeit entsteht dann wieder eine rhythmische Wellenbewegung.


Rhythmen

Die Traditionelle Chinesische Medizin kennt viele Rhythmen, die unser Leben bestimmen. Das wohl bekannteste rhythmische Geschehen ist der Energiekreislauf, der Fluss des Qi in den Meridianen. Als Versorgung des Organismus mit der für ihn lebensnotwendigen Energie dargestellt, wird hier ein grundlegendes Verständnis der regelhaften Abläufe der Lebensvorgänge beschrieben, wie es, zumindest in dieser Radikalität, erst etwa zweitausend Jahre später Eingang in die westliche Medizin findet.

Unser Organismus, so die mittlerweile gesicherten Erkenntnisse der modernen Chronobiologie, die noch in den 1950er-Jahren umstritten waren[2]In den 1950er-Jahren begannen Colin Pittendrigh (Stanford University in Kalifornien) und Jürgen Aschoff (Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Starnberg) die Biorhythmen von Menschen und … weiterlesen, wird von einer Vielzahl von Rhythmen bestimmt, also der Wiederkehr von gleichen Zuständen oder Ereignissen nach etwa gleichen Zeiten. Solange wir leben, unterliegen wir Rhythmen im Millisekundentakt, in dem beispielsweise unsere Nerven pulsieren, bis hin zu längerfristigen Rhythmen, wie dem Wach/Schlaf-Rhythmus oder auch jahreszeitlichen Abläufen.

Während die hochfrequenten Rhythmen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den zyklischen Abläufen in unserer Umwelt stehen, stimmen die niederfrequenten Rhythmen mit Zyklen der Umwelt (wie Tageszeit oder Jahreszeit[3]Circatidale und circalunare Rhythmen (Gezeiten- und Mondphasenrhythmen) findet man bei Meereslebewesen. Inwieweit sie auch den Menschen beeinflussen, wird wissenschaftlich noch kontrovers diskutiert … weiterlesen) überein.[4]Beispiele: Im Millisekundenrhythmus schwingen, wie schon oben im Text angeführt, Nervenimpulse, im Sekundenrhythmus Herzschlag, Atmung, Blutdruck, im Minutenrhythmus die periphere Durchblutung, im … weiterlesen Circadiane Rhythmen, die etwa dem Tagesrhythmus entsprechen, sind mittlerweile bei allen Lebewesen nachgewiesen worden. Sie gehören zur biologischen Ausstattung und beruhen auf periodisch ablaufenden Prozessen, die im Organismus selbst ihren Ursprung haben.[5]Eine entscheidende Rolle spielen dabei zentrale Schrittmacher („master clocks“), die durch zunehmende und abnehmende Helligkeit gesteuert („synchronisiert“) werden.

Alle Gewebe und Funktionen des Körpers, so weiß man heute und das wussten auch schon die „alten Chinesen“, ändern ihren Zustand regelhaft im Verlauf von 24 Stunden.[6]Beispielsweise steigt die Körpertemperatur von einem Tiefpunkt kurz vor dem Ende der Schlafzeit zu einem Maximum am späten Nachmittag. Ähnlich verhält sich die Katecholaminausschüttung in den … weiterlesen Die einzelnen Rhythmen im Organismus schwingen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander, sondern verhalten sich vielmehr – bildlich gesprochen – wie die Instrumentalisten eines Orchesters, die aufeinander hören und zusammenspielen.[7]Dabei gilt, dass ein Organismus umso gesünder ist, desto öfter sich die vitalen, körpereigenen Rhythmen zueinander auf ganzzahlige Verhältnisse einstellen. Gunther Hildebrandt – bis zu … weiterlesen Das harmonische Ineinander-Schwingen der vielzähligen Systeme des Organismus beschreibt die Traditionelle Chinesische Medizin als freien Fluss der Energie.[8]Weitere Rhythmen, denen der Mensch unterliegt, werden in der chinesischen Medizin und Philosophie vorrangig durch die Fünf Elemente beschrieben, die Energieschichten und den Rhythmus des Yuan Qi, … weiterlesen   


Atem

Ein Rhythmus, der in der Traditionellen Chinesischen Medizin wie auch im Shiatsu meist weniger berücksichtigt wird, ist der Atem, der sich in seiner ursprünglichen Bedeutung in vielerlei Hinsicht mit Qi gleichsetzen lässt. Atem ist Leben. Dass ein Mensch atmet, war in früherer Zeit, das wesentliche Kriterium, um zu entscheiden, ob jemand lebt. Und göttlicher Atem (Odem[9]Im „alten Griechenland“ bedeuteten die Begriffe Pneuma und Odem sowohl Atem wie auch Geist und Seele.) ist es dem christlichen Schöpfungsmythos zufolge, der die Materie belebt, so wie auch die daoistischen Meister das Geheimnis des Lebens darin sehen, dass sich die Yang-Kräfte mit der Yin-Materie verbinden, sie gewissermaßen durchdringen: Das Feuer des Herzens sinkt nach unten und verdampft das Wasser der Niere nach oben. Auf diese Weise verschränkt, verpflichten sich die beiden polaren Kräfte gegenseitig und ermöglichen in Wechselwirkung alle Lebensprozesse.

In unserem Körper fließt der Atem etwa sieben- bis fünfzehnmal pro Minute (in Ruhe). Der Atem ist ein unspezifischer und zugleich alles bestimmender und alles durchdringender Rhythmus: der Rhythmus des Lebens. Zugleich ist der Atem ein Mittler zwischen „Bewusst“ und „Unbewusst“, ebenso wie auch zwischen körperlichen und geistig-seelischen Phänomenen – eine Rolle, die dem Atem seit alters her zugesprochen wird. So haben die Griechen den Sitz der Seele in das Zwerchfell verlegt.[10]Wenn man bedenkt, dass das Zwerchfell in der chinesischen Tradition der Leber zugeordnet wird, findet sich damit eine erstaunliche Parallele mit der Konzeption des Hun, dem Sitz der „Wanderseele“ … weiterlesen Auch in den noch älteren asiatischen Kulturen, wie Indien und China, wurde der Atem mit allen Ebenen des menschlichen Wesens in Verbindung gebracht.[11]In Indien spricht man von Prana, Atem. Pranajana sind Atemübungen, Qi-Übungen, deren Ziel die Aktivierung und Stärkung der Lebensprozesse ist. Eine Sichtweise, die auch die moderne Medizin teilt, ist der Atem doch von allen Funktionen des Menschen am intensivsten mit den anderen Ebenen und Bereichen verknüpft. In der Formatio reticularis, einem komplex vernetzten Zentrum in der Tiefe des Stammhirns, strömen alle Informationen zusammen, die im Körper wie auch im Gehirn entstehen, und jeder Reiz, ob er nun von außen oder von innen kommt, verändert den Atem. Die Atmung reagiert damit unmittelbar und feinfühlig auf psychische und physische Veränderungen, und sie beeinflusst auf der Ebene des Zentralnervensystems die Bewusstseinsvorgänge des Menschen, seine Empfindungen und Gefühle.

Als überlebensnotwendige Funktion ist der Atem tief in unsere autonomen Lebensabläufe[12]Nicht willkürlich (bewusst) gesteuerte Lebensprozesse. eingebettet, und obwohl er ununterbrochen unwillkürlich abläuft, ist er zugleich die einzige autonome Körperfunktion, die auch bewusst gesteuert werden kann. Dass wir unseren Atem kontrollieren können, hat tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben: Der Atem ist der primäre Mechanismus, mit dem wir als Säuglinge lernen, unsere Emotionen zu kontrollieren und unser Leben eigenverantwortlich zu steuern. Zuvor sind wir vielfach hilflos den auf uns einwirkenden Einflüssen (und den daraus entstehenden Emotionen und Gefühlen) ausgeliefert. Mit der Kontrolle des Atems bekommen wir erstmalig ein aktiv steuerbares Werkzeug in die Hand, mit dem wir „den Kurs bestimmen“ können, indem wir Emotionen zulassen oder blockieren können. So wie es auch von den Sufis überliefert ist: „Kannst du deinen Atem kontrollieren, dann kannst du dein Leben kontrollieren.“

Der Atem durchdringt alle Lebensprozesse und beeinflusst damit auch den Meridian-Kreislauf, fördert oder hemmt den Fluss der Energie. Und so lassen sich mit der Arbeit am Atem alle Ebenen und Bereiche des Menschen erreichen und ansprechen.[13]In der indischen Chakrenlehre sagt man, dass die feinstofflichen Energiezentren durch den Strom der Atmung gereinigt und genährt werden.      


Erfahrungen manifestieren sich im Körper

Geboren werden wir mit einer grundlegenden genetischen Ausstattung und einem darin angelegten individuellen Potential. Was von diesem Potential wir leben, hängt von unserem Schicksal ab[14]Für diese Betrachtung ist es unerheblich, ob man an eine (wie auch immer geartete) Vorbestimmung glaubt oder an ein mehr oder weniger zufälliges Geschehen. und davon, welche Erfahrungen wir in unserem Leben machen. Diese Erfahrungen, wie schon Wilhelm Reich aufzeigt[15]Wilhelm Reich: „Charakteranalyse“ (1933), verfestigen sich und „leben“ so in unserem Charakter einerseits und unserem Körper andererseits. Körper und Geist sind, um mit Reich zu sprechen, „die funktionale Summe aller vergangenen Erlebnisse“.

Unser Körper „erzählt“ durch seinen Muskeltonus, seine Spannkraft, seine Haltung, seine Bewegungen und seine Vitalität unsere gesamte emotionale Lebensgeschichte und selbst unsere tiefsten Gefühle. Er zeigt unseren Charakter und unsere Persönlichkeit, denn unsere körperlichen Haltungs- und Bewegungsstrukturen verfestigen sich als muskuläre und fasziale (bindegewebige) „Muster“ und sind fortan entscheidend für die Art, wie wir leben.

Wesentlich in jeglicher Körperarbeit ist, dass wir mit körperlichen Berührungen einen Menschen in seiner Gesamtheit berühren und damit auch in Kontakt mit seinen Gefühlen und Gedanken treten. Arbeiten wir an Muskulatur und Faszien, dann setzen wir – entsprechendes Wissen und Fertigkeiten vorausgesetzt – am Fasziennetz der individuellen Körperstruktur an, um die Beziehungen der Körperteile zueinander (und zur Schwerkraft) zu verändern. Fehl-, Schon- und Schutzhaltungen bedeuten nämlich immer Verspannungen und verminderte Vitalität und wirken negativ auf das physiologische und psychische Befinden.

Zugleich bedeutet die Arbeit an körperlichen Strukturen immer auch eine Arbeit an energetischen und seelischen Blockaden, die unsere Lebendigkeit und Spontanität einschränken. Diese lassen sich durch stimulierte Atmung (von innen) und durch Berührung und Massage (von außen) aktivieren und verändern, um wieder zu einem guten Körper- Energie- und Bewusstseinsfluss zu gelangen – im Sinne von Ida Rolf: „Wenn der Körper anfängt, so zu funktionieren, wie es seiner Natur entspricht, kann die Schwerkraft ihn durchströmen. Und wenn dies eingetreten ist, heilt er sich spontan selbst.“         


Atmung

Physiologisch betrachtet strömt beim Atemvorgang die Luft durch den Mund oder die Nase in die Lungen, wo ein Gasaustausch stattfindet. Sauerstoff wird in das Blut aufgenommen und Kohlendioxid aus dem Blut in die Luft abgegeben. Damit man sich den Atemvorgang bildlich und ein wenig vereinfacht vorstellen kann, greift Frank Deman[16]Senmotic Therapy zu einem bildlichen Vergleich: Man stelle sich einen kleinen Gummiball vor, der ein kleines Loch hat. Presst man diesen Ball mit der Hand leicht zusammen, so strömt die im Gummiball befindliche Luft nach außen. Wenn man den Ball anschließend loslässt, dehnt er sich wieder aus und kehrt in seine Ausgangsform zurück.

So ähnlich funktioniert die Atmung: Unser Rumpf wird von einer Körperfaszie umhüllt, in der flache, kräftige Muskeln eingelagert sind, die eine aktive Muskelspannung besitzen und den Rumpf zusammenhalten. Wenn sich das Volumen des Rumpfes bei der Einatmung ändert, ist das nur deshalb möglich, weil diese Muskeln loslassen und sich geschmeidig der Volumenveränderung anpassen. Die Muskeln und faszialen Bindegewebe müssen sich mühelos verlängern können, damit sich der Rumpf ausdehnen und die Einatmung wie von allein erfolgen kann.[17]Was dabei im Inneren geschieht: Die Lungenflügel füllen bis auf einen schmalen Spalt die so genannte Pleurahöhle im Brustraum aus. Dieser Spalt vergrößert sich durch das Aufrichten der Rippen … weiterlesen Die frei schwingende Bewegung des Einatmens dehnt, sofern sie nicht Verspannungen oder sonstige Blockaden einschränken[18]Man spricht in diesem Fall von einer restriktiven Atembeschränkung., auf sanfte Weise alle Muskeln und lässt sie im Ausatmen wieder zurück schwingen. Die Atemwelle breitet sich so über den gesamten Körper aus.

Einer der wenigen Muskeln, der aktiv an der Einatmung beteiligt ist, ist der M. scalenus anterior, ein „tiefer“ Halsmuskel, der die erste Rippe[19]Diese liegt auf Höhe des Schlüsselbeins, ziemlich genau hinter dem Schlüsselbein. beim Einatmen anhebt. Nur wenn sich der Brustkorb auch von oben weitet (weiten kann), kann die Luft richtig einströmen, so  Frank Deman, denn unter zu starker Spannung stehende Muskeln pressen gemeinsam mit ihren Faszienschichten den Brustkorb regelrecht in ein Korsett und verhindern damit eine mühelose Bewegung des Brustkorbs: Sie schränken die Atmung ein.

Einatmen geschieht, wenn keine Einschränkungen vorliegen, wie von allein durch Loslassen und Verlängern der Muskulatur am und im Rumpf. Wir holen keine Luft, vielmehr strömt die Atemluft in uns ein und die geschmeidige Beweglichkeit des gesamten Körpers trägt die primäre Verantwortung für Atemvolumen und Atemtiefe.

Das Atemzentrum garantiert, dass unsere Muskeln selbst unter extremen körperlichen und seelischen Belastungen, auch in Schlaf und Koma, die für die Atmung notwendigen Bewegungen ausführen. Für die Regulation der Atmung sind vor allem der Sauerstoff- und der Kohlendioxidgehalt von Bedeutung.    


Atmungsformen

Die Unterscheidung zwischen Bauch- und Brustatmung ist anatomisch betrachtet nur bedingt sinnvoll. Die Bewegung des Bauches entsteht, weil die Bauchorgane dem tiefer sinkenden Zwerchfell und der Volumenveränderung des Brustkorbs durch die Atemluft ausweichen.[20]Die Fasziengewebe sorgen beim Einatmen auch dafür, dass die Organe im Bauchraum nach unten verschoben werden können, ohne dass eines dieser Organe das andere in seiner Funktion beeinträchtigt. Wegen der knöchernen Wirbelkörper auf der Rückseite des Körpers, ist eine Ausdehnung nach vorne hin viel einfacher, weshalb sich normalerweise bei der Einatmung eine leichte Wölbung des Bauchs nach außen beobachten lässt. Zudem sind die Bauchmuskeln an der Ausatmung beteiligt. Sie helfen mit, die Luft aus den Lungen zu pressen.

Beim Einatmen verlängert sich die Wirbelsäule nach oben, weshalb die Atembewegung (bei vorhandener Flexibilität des Körpers) immer auch im Rücken zu sehen und zu spüren sein sollte, und die Vorderseite des Körpers (vom Schambein bis zu den Schlüsselbeinen) nimmt eine konvexe Form an.[21]Wölbt sich nur der Bauch nach vorne, ist dies zumeist ein Hinweis auf einen unbeweglichen Brustkorb. Der gesamte Rumpf dehnt sich beim Atmen, wenn auch ungleichmäßig, in alle Richtungen aus. Selbst der Beckenboden bewegt sich im Atemrhythmus mit, und die Beine rotieren in der Rückenlage bei der Einatmung leicht nach außen und bei der Ausatmung wieder nach innen.

Die Einatmung erfolgt bei der Bauchatmung durch Kontraktion des Zwerchfells, wodurch der Unterdruck im Brustraum verstärkt wird. Diesem Unterdruck folgend dehnt sich die Lunge aus und Luft wird angesaugt. Das Ausatmen hingegen erfolgt durch das Entspannen des Zwerchfells. Die Lunge zieht sich zusammen, und die Luft wird „auspresst“. Bewusst kann die Ausatmung durch die Anspannung der Bauchmuskeln unterstützt werden.

Diese Form der Atmung findet unbewusst insbesondere dann statt, wenn der Körper entspannt ist, insbesondere beim Schlafen. Bewusst wird die Bauchatmung von Sängern und Blasmusikern zur Atemstütze sowie in vielen asiatischen Kampfkünsten eingesetzt. Dadurch, dass bei dieser Form der Atmung nur ein geringer Anteil der Atemmuskulatur aktiv ist, wird weniger Energie verbraucht als bei der Brustatmung. Zudem wird der Blutdruck gesenkt und die Verdauung durch die Massage der Bauchorgane gefördert. Auch wird generell das venöse und Lymphsystem im gesamten Bauchraum angeregt bzw. unterstützt.

Die Brustatmung erfolgt durch die Erweiterung des Brustkorbs durch Anheben der Rippen mittels der Zwischenrippenmuskulatur („Atemhilfsmuskulatur“) und dient insbesondere der Bewältigung von Not- und Angstsituationen. Mit Hilfe der Brustatmung kann dem Körper in kurzer Zeit viel Sauerstoff zugeführt werden. Dabei wird primär die Atemhilfsmuskulatur im Brust- und Schulterbereich für diese Atembewegung genutzt (anstelle des Zwerchfells). Und durch die Anspannung der Bauchdecke werden zugleich die inneren Organe geschützt.

Für viele Menschen ist die Brustatmung die gewohnte, alltägliche Atemform, die typischerweise Verspannungen im Hals- und Nackenbereich mit sich bringt. Charakteristisch für die Brustatmung ist die Anspannung bei der Ausatmung. Da wir uns bei der Brustatmung zumeist im Stress befinden, wird in dieser Situation auch die Ausatmung vom sympathischen Nervensystem gesteuert, und das für die Entspannung zuständige parasymapthische Nervensystem wirkt bei dieser Form der Atmung nicht (oder kaum) mit.

Das Senken der Rippen kann bei langsamer Atmung durch die Kontraktion der inneren Zwischenrippenmuskeln unterstützt werden.

Die Verbindung von Bauch- und Brustatmung wird auch als volle Atmung bezeichnet. In ihr kommen, so Atman[22]Österreichischer Verein für Integratives Atmen, die Gaben der Entspannung und der vollen Brust- und Bauchatmung zusammen. Der volle Atem ist kraftvoll und gelöst zugleich. Eine ebenmäßige Bewegung füllt den ganzen Atemraum von unten nach oben beim Einatmen und leert ihn beim Ausatmen wieder vollständig. Jeder Atemzug beinhaltet so die Öffnung für Neues und Entspannung.[23]Die indischen Yogis unterscheiden vier Phasen im Atemvorgang, wobei sie insbesondere sie Übergänge zwischen den beiden Atembewegungen (-richtungen) als wichtig erachten: Ausatmen, Übergang vom … weiterlesen         


Atemmuster

Schon in der Kindheit sind wir Einflüssen und Erfahrungen ausgesetzt, die uns verändern. Ängste, Verlassenheitsgefühle und andere Emotionen, die nicht ausreichend verarbeitet werden können, führen zu Schutzmechanismen und Verhaltensmustern, die unser Leben beeinflussen und mitunter nachhaltig prägen. Dazu kommen später im Leben Stress in der Arbeitswelt sowie in familiären und freundschaftlichen Beziehungen und generell eine Flut von unterschiedlichsten Emotionen, die uns belasten. Können wir Stress und Emotionen weder ausagieren noch verarbeiten, werden die dafür freigesetzten Stoffe im Körper gebunden.

Mit solchen Erfahrungen verändert sich unser Atem, er wird kurz und flach. Es stockt uns der Atem, die Brust wird eng, das Ausatmen fällt schwer. Wir bekommen kaum mehr Luft. Es kommt zu Verspannungen, Festhaltungen und psychosomatischen Beschwerden, bis hin zu Krankheiten. In dieser Verfassung trifft der Atem auf Strukturen, die er alleine nicht mehr ausgleichen kann. Die Lebensmuster haben sich im Körper manifestiert und auch entsprechende Atemmuster erzeugt.

Ganz anders hingegen, wenn wir uns freuen und lachen. Dann werden wir weit und frei im Atem.

Der Atem reagiert auf jegliche Bewegung unseres Lebens. Ein gestörter Atem ist deshalb immer ein deutlicher Hinweis auf eine Störung in den Lebensfunktionen eines Menschen, in seiner Verbindung mit dem Strom des Lebens, dem Fluss des Qi. Der Rhythmus des Atems zwischen den komplementären Polen Ein und Aus, Leer und Voll, Aktiv und Passiv, Sein und Vergehen ist ein Abbild des „großen Rhythmus“, der allen Lebensvorgängen zugrunde liegt. Die Art und Weise, wie wir atmen, zeigt wie sicher wir uns in unserem Körper und auf der Erde fühlen und in welchem Maß wir bereit sind, das anzunehmen, was mit dem Atem, mit dem Leben auf uns zukommt.

Wir haben die Wahl: Entweder wir machen uns weit und öffnen uns (hingebend) dem Lebensstrom, indem wir den Atem frei ein- und austreten lassen, oder wir schränken unser Potential ein und begnügen uns mit einem Minimum an Lebensenergie. Mit der Zeit verfestigen sich diese Einschränkungen und man kann von fazial verfestigten, „eingefrorenen Atemmustern“ sprechen, die im Verständnis der Körperarbeit zwei grundlegende Richtungen aufweisen: die „Blockade im ausgeatmeten Zustand“ und die „Blockade im eingeatmeten Zustand“.

Auf psychischer Ebene bedeutet Atmen einen fortwährenden Wechsel von Aktivität zu Passivität und von Passivität zu Aktivität. Beim Einatmen gehen wir nach außen und nehmen die Welt in uns auf. Beim Ausatmen hingegen lassen wir los, was in uns ist, und vertrauen uns der Welt an. Ein gestörtes Einatmen wird deshalb mit Misstrauen gegenüber dem, was von außen kommt, assoziiert, ein gestörtes Ausatmen mit der Angst, uns der Welt und anderen Menschen zu überlassen und anzuvertrauen.

Vereinfachend wird der erste Typ („ausgeatmeter Zustand“) deshalb oft auch als „Lungen-Depression“ oder „No-future-Haltung“ bezeichnet, und der zweite Typ („eingeatmeter Zustand“) als „Pseudo-Optimist“, der nicht loslassen kann. Gemeinsam ist beiden, dass sie das Potential ihres Atems nicht mehr nützen und ihr Leben deshalb in eingeschränkten, aber subjektiv (meist) als „sicher“ erlebten Bahnen verläuft.      


Flight, fight or freeze

Die Fight-or-flight-Reaktion ist ein über das sympathische Nervensystem ausgelöster Überlebensmechanismus, der mit Hoffnung in Zusammenhang steht. Wir aktivieren die Kampf- und Fluchtreaktion, wenn wir glauben[24]Auch wenn die Formulierung so wirkt, als ob wir hier eine bewusste Abschätzung und Entscheidung treffen, fällt diese Entscheidung in Sekundenbruchteilen und vollkommen unbewusst., dass wir eine Chance haben zu entkommen oder den Angreifer zu überwinden. Unser Gehirn setzt Adrenalin frei, wodurch Herzschlag, Muskeltonus (Körperkraft) und Atemfrequenz in Anbetracht einer Bedrohung erhöht werden, um lebenserhaltend reagieren zu können. Im Fall einer längerdauernden Belastung werden zusätzlich stoffwechselanregende Hormone wie Cortisol ausgeschüttet, da das Adrenalin zwar sofort, aber nur kurz wirksam ist.[25]Fight-or-flight ist ein Begriff, der von Walter Cannon, einem Pionier der Stressforschung, 1915 geprägt wurde. Er beschreibt die rasche körperliche und seelische Anpassung von Lebewesen in … weiterlesen

Die Freeze-Reaktion hingegen wird aktiviert, wenn wir durch Handlungen keine Hoffnung mehr auf Überleben haben, weder Kampf noch Flucht aussichtsvoll scheinen.[26]Auch die Entscheidung zur Freeze-Reaktion erfolgt vollkommen unbewusst. Die einzige Hoffnung liegt – evolutionsbiologisch betrachtet – nun nur noch darin, vom Raubtier übersehen zu werden, da dessen Augen vor allem auf Bewegung ansprechen, oder dass wir nicht gefressen werden, weil viele Raubtiere kein Aas fressen. Die Freeze-Reaktion zeichnet sich entsprechend durch eine erhöhte Aufmerksamkeit (Hypervigilanz) und Bewegungslosigkeit (tonische Immobilität) aus.[27]Jeffrey Alan Gray (1988) erweiterte das ursprüngliche Konzept (fight or flight response) auf die Flight-fight-or-freeze-Reaktion (flight fight or freeze response). Gesteuert wird die Freeze-Reaktion … weiterlesen

Auch in unserem Alltagsleben haben wir immer wieder Freeze-Reaktionen, z.B. wenn wir uns so ausgeliefert, kraft- und hoffnungslos fühlen, dass wir ganz ruhig werden und manchmal regelrecht erstarren – körperlich ebenso wie emotional. In traumatischen Situationen allerdings wird die freeze response deutlich stärker[28]Solche Erlebnisse widerfahren Menschen beispielsweise bei Unfällen, Vergewaltigungen oder Raubüberfällen mit vorgehaltener Waffe. Manchmal führen solche Situationen zu völliger Erstarrung, … weiterlesen, geht uns gleichsam durch und durch und auch unser Atem bleibt stehen, friert ein, wie wir in Schreck- und Gefahrensituationen (bei uns und anderen) beobachten können.[29]Das Problem der Freeze-Reaktion im Alltagsleben, wie sinnvoll sie sich in manchen Situationen auch erweist, ist, dass Menschen durch Angst paralysiert werden können – eine Reaktion, die tief aus … weiterlesen

Die Freeze-Reaktion, die Dissoziation aus dem Hier und Jetzt, ist mitunter die sinnvollste Vorgehensweise unseres Organismus, der uns auf diese Weise das Ausmaß der Verletzung, das uns widerfährt, nicht oder nicht im vollen Umfang erleben lässt.[30]Die Kontrolle unserer Gefühle durch die Atmung, basiert im Grunde auf der Freeze-Reaktion, allerdings ist sie hier „dosiert und kontrolliert“ und mehr oder weniger bewusst gesteuert (zumindest … weiterlesen Wir sind gleichsam „sediert“ und haben damit die im Moment besten Voraussetzungen, die Bedrohungssituation zu überleben (deutlich besser auf alle Fälle, als würden wir das Geschehen voll bewusst wahrnehmen). Nichtsdestoweniger aber „brennt“ sich das Erlebnis in unser Körpergedächtnis ein.[31]Besonders in der frühen Kindheit ereignet es sich häufiger, dass wir subjektiv höchst bedrohlichen Situationen ausgesetzt sind, die wir in dieser Entwicklungsphase auf integrative Weise nicht … weiterlesen


Die Kraft der Ausatmung

In vielen Traditionen und Techniken wird besonderer Wert auf die Ausatmung gelegt, schon deshalb, weil eine kraftvolle und vollständige Ausatmung auf natürliche Weise, ohne dass es zusätzlicher Muskelkraft bedarf, die Einatmung unterstützt. Gerade deshalb ist auch in den Kampfsportkünsten die richtige Atmung von Bedeutung, und die Technik ist umso stärker und müheloser, je vollständiger die Ausatmung erfolgt.[32]In manchen Kampftechniken werden Schläge und Tritte, um die Ausatmung möglichst vollständig zu machen, von einem Schrei begleitet.

Eine andere, in mancher Hinsicht noch wichtigere Wirkung der Ausatmung ist es, die Kraft einer auf uns einwirkenden, zerstörerischen Energie, z.B. eines Schlages (oder auch einer anderen massiven Bedrohung[33]Selbst im Kampf kommt die Zerstörungskraft eines Schlages nicht nur durch den physischen Aspekt zustande, sondern auch durch eine möglichst überzeugende “Signalisierung”.), zu „neutralisieren“. Vladimir Vasiliev, der die russische Kampfsporttechnik Systema unterrichtet, erklärt die nötige Technik: „Nehmen wir an, du wirst in den Bauch geschlagen. Wenn du richtig atmest, wird der Aufprall aufgelöst, es bildet sich keine Spannung an der Stelle und es entsteht eine exzessive Durchblutung und deswegen auch kein bis wenig Bluterguss. Darüber hinaus, was besonders wichtig ist: richtige Atmung verhindert, dass Angst und Selbstmitleid aufkommen; du atmest sie quasi aus. Auf diese Art und Weise verursacht selbst ein harter Schlag keinen Schaden, körperlich wie psychisch.“[34]Die von Vasiliev empfohlene Übung: „Um schrittweise die Angst zu reduzieren, fange nicht gleich mit Schlägen an, sondern beginne mit Drücken. Wenn du der Empfänger des Drucks bist, stehe bequem … weiterlesen


Die „richtige“ Atmung

„Richtige“ Atmung bedeutet, dass sich beim Einatmen die inneren Räume ohne Anstrengung öffnen und bei der Ausatmung jede Anspannung losgelassen wird. Dadurch wird das Lungenvolumen optimal genutzt und der Körper ausreichend mit frischem Sauerstoff versorgt sowie von Kohlendioxid entlastet – mit einem Minimum an Energieaufwand. Immer aber soll sich die Atmung an die körperliche/psychische Belastung anpassen: Je größer die Belastung, desto kürzer und intensiver die Atmung.

Die „normale” Atmung vieler Menschen wird von vielen Traditionen allerdings als nicht gesund erachtet: ein übermäßiges Atmen mit zu hoher Frequenz und einem zu hohen Gesamtvolumen an Luft. Viel Luft zu atmen bedeutet aber nicht unbedingt ein Mehr an Sauerstoff in den Körperzellen, da der Transfer von Sauerstoff in die Zellen ein komplexer Prozess ist, der Kohlendioxid benötigt. Durch ein Zuviel an Atmung (eine allgegenwärtige Form der „Hyperventilation[35]Hyperventilation bedeutet wörtlich übersetzt „Überatmung“ und beruht auf einem geänderten Verhältnis zwischen Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut, wobei der Sauerstoffgehalt höher und der … weiterlesen, wie sie Christian Opitz[36]Christian Opitz: “Befreite Atmung” (2012) bezeichnet) verringert sich der Kohlendioxid-Gehalt des Bluts, und Sauerstoff kann damit nicht effektiv in die Zellen transportiert werden.

Ein Anstieg des Kohlendioxid-Spiegels in der Lunge hingegen wird – in bestimmten Grenzen – als durchaus erstrebenswert angesehen. Es ist ein natürlicher Zustand von Menschen, die im Hochgebirge leben, und erhöht die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff zu nutzen – das ist der Grund, warum viele Ausdauersportler in der Höhe trainieren.

Schnelles, chaotisches Atmen jedoch führt rasch zu einem Mangel an Kohlendioxid im Blut. Die Folge ist eine schlechtere Versorgung der Zellen mit Sauerstoff, obwohl das Blut eine minimal höhere Sättigung an Sauerstoff aufweist.[37]Bei normaler Atmung beträgt die Sauerstoffsättigung 96 bis 98 Prozent. Eine intensive Atmung bringt hier nur wenig Verbesserung. Der Verlust an Kohlendioxid hingegen ist erheblich, wenn zwei oder … weiterlesen Zugleich aber werden die Lebensvorgänge übermäßig angeregt und damit, so sehen es die Daoisten, wird übermäßig Jing verbraucht und die Lebenszeit verkürzt. Eine ruhige und sanft fließende Atmung hingegen ist erstrebenswert, es sei denn Anstrengungen oder Belastungen erfordern eine forcierte(re) Atmung.    


Der Atem in der Shiatsu-Sitzung

1) Wie schon zu Beginn des Artikels ausgeführt, vermag der Atem in entspannter Ruhe den ihm gemäßen Rhythmus zu finden – allerdings nur dann, wenn die dafür notwendigen Voraussetzungen gegeben sind: durchlässige und flexible Gewebe und das Fehlen von blockierenden Erfahrungen und Traumata.

In der Shiatsu-Sitzung kann dieser Raum gefördert und die Atemfunktionen angeregt und gestärkt werden. Dies kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, unter anderen:

  • durch direkte Arbeit am Lungen-Funktionskreis und seinen Punkten, wobei sich hier beispielsweise Lu 1 als Alarmpunkt der Lunge und Lu 9 als Tonisierungspunkt der Lunge anbieten;
  • durch Entspannung des Leber-Gallenblasen-Systems, so dass der Atem wieder (Frei-)Raum findet[38]Die Leber hat in der TCM wesentliche Verantwortung für den freien Fluss der Atmung, aber auch deren Blockade. Ein typisches Zeichen der Leber-Qi-Stagnation ist das Seufzen oder tiefe Atemholen – … weiterlesen;
  • durch Stärkung der Nierenkraft, um den eigenen Wünschen und Gefühlen mehr Ausdruck zu verleihen; oder
  • durch rhythmische Arbeit, die Sicherheit und Vertrauen vermittelt und damit in weiterer Folge das Potential für Loslassen und Entspannung in sich trägt.[39]Siehe Eduard Tripp: „Druck und Rhythmus. Stärkung des psychophysischen Kerns“ (https://www.shiatsu-austria.at/druck-und-rhythmus-staerkung-des-psychophysischen-kerns-dr-eduard-tripp)

Ist der Atem jedoch bereits durch chronische Muster blockiert, die sich in Bindegewebe und Charakter gleichsam festgesetzt haben, kann er sich auch im entspannten Zustand nur innerhalb dieser manchmal engen Grenzen entfalten. Es ist, wie die therapeutische Praxis zeigt, eine Illusion zu glauben, dass sich Veränderungen allein und ausschließlich nur durch die Möglichkeit zur Veränderung ergeben. Vielmehr bedarf es bei chronischen Verfassungen zumeist kontinuierlicher Arbeit, um dauerhafte Veränderungen zu erreichen.[40]Selbstverständlich ereignen sich mitunter auch ganz spontan Veränderungen, doch die Erfahrung zeigt, dass sich chronische Muster sehr häufig beharrlich jeglicher Veränderung „widersetzen“.

2) Wenn das „Energieniveau“ des Empfangenden niedrig ist, dann ist jede, auch die beste Shiatsu-Sitzung nur begrenzt wirksam. Grundsätzlich gilt, was für den Verdauungsapparat generell gilt: Alles, was aufgenommen wird, muss aufbereitet und verarbeitet werden. Das benötigt Energie. Deshalb: Je stärker der Verdauungsapparat und je mehr Energie aktuell verfügbar ist, desto besser ist die Verdauung und Assimilierung des Aufgenommenen.

Darum macht es Sinn, dass eine Shiatsu- oder sonstige körpertherapeutische Sitzung mit einem möglichst hohem Energieniveau (der KlientIn) stattfindet.[41]Einschränkend ist anzumerken, dass dies nur dann sinnvoll und angebracht ist, wenn Veränderung das Ziel (und möglich) ist und diese Vorgehensweise in grundsätzlicher Absprache mit der KlientIn … weiterlesen Und der einzig mögliche Weg das Energieniveau kurzfristig und rasch zu erhöhen, ist die Aktivierung der Atmung in oder vor der Sitzung – so wie wir im Alltagsleben die Atmung intensivieren, wenn wir eine Anstrengung unternehmen.

3) Arbeitet man direkt mit der Atmung der KlientIn, so kann man die Einatmung oder die Ausatmung unterstützen. Die Einatmung ist mit aktiver und bewusster Atmung verbunden, ist willentlich. Die Unterstützung der Ausatmung hingegen setzt mehr an den autonomen Funktionen an. Ist die Ausatmung tief (und so vollständig wie möglich), erfolgt die Einatmung von selbst. Das Atemvolumen wird erhöht, der unwillkürliche Rhythmus der Atmung gestärkt und vertieft.[42]Die Wahl, ob man mit der Arbeit primär an der Einatmung oder der Ausatmung ansetzt, ist von mehreren Faktoren abhängig, insbesondere von der Art der Blockade der Atemfunktion (mehr im „Ein“ … weiterlesen

Der Rhythmus, in dem man dabei arbeitet, ist von großer Bedeutung, ist der Atemrhythmus doch eine letztlich alles steuernde Dynamik im Körper, die die anderen Rhythmen des Körpers zu koordinieren und synchronisieren vermag.[43]Gibt die KlientIn einen Atemrhythmus vor, so kann dieser den Ausgangspunkt für die Atemarbeit bilden. Zeigt die KlientIn hingegen einen instabilen, wechselnden Atemrhythmus, so empfiehlt sich die … weiterlesen Fließt der Atem frei, können sich auch die anderen Funktionen des Organismus „einschwingen“ – und letztlich wieder alle Funktionen zu einer Einheit „zusammenschwingen“.

4) Eine fließende und frei schwingende Atmung, die sich an körperliche und psychische Belastungen anpassen kann, ist Ausdruck eines gesunden Menschen im Vollbesitz seines Potentials. Ein starker und koordinierender Atem gibt uns Kraft. Flexibilität in den Atemmustern bringt uns die nötige Anpassung an unsere Lebensumstände.

Zeigt unsere KlientIn einen stabilen Atemrhythmus, so kann der nächste Schritt nunmehr darin bestehen, mehr „Bandbreite“ in die Atmung einzubringen, mehr Flexibilität – eine Arbeit, die durchaus spielerischen (oder auch „tänzerischen“) Charakter annehmen kann.

5) Blockaden können mit forcierter  Atmung gelöst werden, wobei spezielle Techniken ein größeres Atemvolumen und/oder eine höhere Atemfrequenz unterstützen. Und vor allem die Ausatmung ist ein wirksamer Weg, um Spannungen, Schmerz und negative Gefühle aufzulösen.

Eine Erfahrung, die sicherlich die meisten von uns schon gemacht haben: Ein Druck[44]Das gilt auch im übertragenen Sinne. Hier ist aber primär der Druck auf unseren Körper mit Daumen, Finger, Ellbogen … gemeint., dem wir ausgesetzt sind, wird häufig erst dadurch unangenehm und schmerzhaft, dass wir ihm mit Anspannung, mit Gegendruck begegnen. Die Emotion dahinter, auch das können wir sehr gut an uns und anderen beobachten, ist primär Angst. Die Angst vor (befürchteten) Schmerzen lässt uns anspannen, doch genau diese Anspannung führt dazu, dass wir Schmerz erfahren, so wie es das Verständnis der TCM ist: Schmerz entsteht aus der Blockade des Qi – und diese resultiert aus der auf uns einwirkenden Kraft und der Kraft, mit der wir gegen dagegen ankämpfen. Und auch hier haben wir wohl schon oft die Erfahrung gemacht: Wenn wir loslassen, die Gegenspannung zurückfahren, letztlich das Risiko eingehen, verletzt zu werden … sind wir oft höchst erstaunt, dass es gar nicht schmerzt oder zumindest viel weniger als wir erwartet haben. Der Schmerz wird erst mit unserer Angst und der daraus entstehenden Anspannung groß.

Können wir eine Blockade durch forcierte Atmung auflösen, kehren wir danach gleichsam automatisch zu einer nun harmonischeren und ruhigeren, nicht blockierten „Normalatmung“ zurück, so wie Yin auf Yang folgt.

6) Durch intensive Atmung, z.B. in Rebirthing, Bioenergetik, Holotropem Atmen, aber auch in intensiven Massagetechniken wie Rolfing oder Posturaler Integration, wird (meist absichtlich und bewusst) ein Zustand von Hyperventilation ausgelöst, ein physiologischer Notzustand gewissermaßen. Infolge dieses Mangels an Kohlendioxid im Körper, geht der Organismus logisch vor und versorgt primär die lebenserhaltenden Funktionen weiter. Was für das akute Überleben nicht unbedingt notwendig ist, wird hingegen weniger versorgt. Für unser Gehirn bedeutet das beispielsweise, dass diejenigen Areale, die unsere Wahrnehmungen filtern, nicht mehr optimal versorgt werden, anders als „primitivere“ Areale, in denen unsere Ängste und Traumata verankert sind. Das führt dazu, dass infolge von hyperventilationsartigen Zuständen traumatische und andere bedeutsame Erfahrungen und Erlebnisse leichter an die Oberfläche und damit ins Bewusstsein kommen (können) – und eine Auflösung und Neuintegration möglich werden (aber auch, und dessen sollten wir uns bewusst sein, Retraumatisierungen).

Wir sollten diese Funktionsweise des menschlichen Organismus berücksichtigen, wenn wir das Wiederaufleben bedrohlicher und möglicherweise überwältigender Erlebnisse und Erfahrungen für unsere KlientIn in der Shiatsu-Sitzung vermeiden möchten.[45]Von Bedeutung, um solche Situationen vorweg zumindest etwas abschätzen zu können, ist hier die Anamnese, insbesondere Hinweise auf Traumata, Unfälle, Verletzungen, unter Umständen auch … weiterlesen

7) So hilfreich und unterstützend die Arbeit mit dem Atem ist, wie vielfältig und schön die Möglichkeiten sind, die sich hier auftun, sollten wir aber dennoch nie vergessen, dass alles, was Potential in sich trägt, auch Risiken birgt. Nicht alles geht immer gut. Und nie ist es nur die Verantwortung der KlientIn, wie sie mit den Inputs umgeht, die wir setzen. Immer tragen wir Verantwortung für das, was wir tun, und damit auch für das, was daraus resultiert.[46]Im Zweifelsfall, so ein Leitsatz einer meiner Lehrer in der Psychotherapie, ist es besser weniger zu tun als zu viel. Einen problematischen Schritt nicht gemacht zu haben, ist oft die bessere … weiterlesen 


Der eigene Atem

Koordinieren wir unser Shiatsu mit der Atmung, gewinnt unsere Arbeit an Leichtigkeit (Mühelosigkeit) und Effizienz (Stärke) – vor allem, wenn der Druck mit der Ausatmung erfolgt. Verstärkt wird die Effektivität darüber hinaus, wenn sich der Atem der Behandlerin mit dem Atem der KlientIn synchronisiert und wenn BehandlerIn und KlientiIn in einen gemeinsamen Rhythmus zu schwingen beginnen[47]Synchronisierung des Atems muss nicht bedeuten, dass BehandlerIn und KlientIn im gleichen Rhythmus atmen, die Rhythmen sollen aber zueinanderpassen. So kann es z.B. sein, dass wir zweimal atmen, … weiterlesen – so frei und flexibel wie möglich und doch so verbindlich und verbindend wie notwendig, weil ein entspannter und stabiler Atemrhythmus alle Körperfunktionen zu koordinieren und harmonisieren vermag.


Quellen

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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Das Bild des Atems als Welle an der Meeresküste stammt in der vorliegenden Form von Walter Johannes (Die heilende Kraft des Atems, 1987).
2 In den 1950er-Jahren begannen Colin Pittendrigh (Stanford University in Kalifornien) und Jürgen Aschoff (Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Starnberg) die Biorhythmen von Menschen und Tieren zu untersuchen und stießen mit ihrer These, dass eine innere Uhr zahlreiche Körperfunktionen mit dem Tag-Nacht-Wechsel synchronisiert, zunächst auf heftigen Widerstand. Vor allem der aufkommende Fernflugverkehr war es dann jedoch, der die Existenz einer inneren Uhr mit den unangenehmen Auswirkungen des Jetlag deutlich vor Augen führte.
3 Circatidale und circalunare Rhythmen (Gezeiten- und Mondphasenrhythmen) findet man bei Meereslebewesen. Inwieweit sie auch den Menschen beeinflussen, wird wissenschaftlich noch kontrovers diskutiert und ist bislang nicht schlüssig geklärt.
4 Beispiele: Im Millisekundenrhythmus schwingen, wie schon oben im Text angeführt, Nervenimpulse, im Sekundenrhythmus Herzschlag, Atmung, Blutdruck, im Minutenrhythmus die periphere Durchblutung, im Ultradianrhythmus (Takt von einer bis zu mehreren Stunden) Schlafstadien, Hormondrüsen und im Circadianrhythmus (von „circa“ ungefähr und „dies“ Tag) der Wach-/Schlafrhythmus, Zellteilungsrhythmus, Stoffwechsel, Hormonhaushalt und Körpertemperatur.
5 Eine entscheidende Rolle spielen dabei zentrale Schrittmacher („master clocks“), die durch zunehmende und abnehmende Helligkeit gesteuert („synchronisiert“) werden.
6 Beispielsweise steigt die Körpertemperatur von einem Tiefpunkt kurz vor dem Ende der Schlafzeit zu einem Maximum am späten Nachmittag. Ähnlich verhält sich die Katecholaminausschüttung in den Nebennieren. Etwa spiegelbildlich dazu verlaufen allerdings die Kurven psychosomatischer Reaktionen (z.B. Reaktionszeiten am Fahrsimulator), die einen nachmittäglichen Leistungsabfall zeigen. Die Lungenaktivität nimmt nachts ab und erreicht ihren Höhepunkt nachmittags. Die Haut regeneriert sich am besten um Mitternacht, die Blase füllt sich am stärksten morgens, und der Magen produziert gegen 20 Uhr besonders viel Säure.
7 Dabei gilt, dass ein Organismus umso gesünder ist, desto öfter sich die vitalen, körpereigenen Rhythmen zueinander auf ganzzahlige Verhältnisse einstellen. Gunther Hildebrandt – bis zu seinem Tod 1999 Direktor des Marburger Instituts für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung (und einer der Väter der modernen Chronobiologie und -medizin) – beobachtete dies zunächst in der Beziehung zwischen Puls- und Atemfrequenz, Blutdruck und Durchblutung: Bei 70 Prozent aller Menschen nimmt die Pulsfrequenz im Tiefschlaf das Vierfache der Schwingung des Blutdrucks an, und die Schwingung des Blutdrucks das Vierfache der Durchblutung der peripheren Blutgefäße. Im Lauf des Tages, so fand Hildebrand, variieren diese Zahlenverhältnisse, neigen aber (bei gesunden Menschen) zu ganzzahligen Relationen.
8 Weitere Rhythmen, denen der Mensch unterliegt, werden in der chinesischen Medizin und Philosophie vorrangig durch die Fünf Elemente beschrieben, die Energieschichten und den Rhythmus des Yuan Qi, das verantwortlich ist für die langfristigen Entwicklungen in unserem Leben: von Entwicklung und Reifung bis hin zu Alter und Tod.
9 Im „alten Griechenland“ bedeuteten die Begriffe Pneuma und Odem sowohl Atem wie auch Geist und Seele.
10 Wenn man bedenkt, dass das Zwerchfell in der chinesischen Tradition der Leber zugeordnet wird, findet sich damit eine erstaunliche Parallele mit der Konzeption des Hun, dem Sitz der „Wanderseele“ oder „Körperseele“, die auch dann noch Bestand hat, wenn Körper und Geist erloschen sind.
11 In Indien spricht man von Prana, Atem. Pranajana sind Atemübungen, Qi-Übungen, deren Ziel die Aktivierung und Stärkung der Lebensprozesse ist.
12 Nicht willkürlich (bewusst) gesteuerte Lebensprozesse.
13 In der indischen Chakrenlehre sagt man, dass die feinstofflichen Energiezentren durch den Strom der Atmung gereinigt und genährt werden.
14 Für diese Betrachtung ist es unerheblich, ob man an eine (wie auch immer geartete) Vorbestimmung glaubt oder an ein mehr oder weniger zufälliges Geschehen.
15 Wilhelm Reich: „Charakteranalyse“ (1933
16 Senmotic Therapy
17 Was dabei im Inneren geschieht: Die Lungenflügel füllen bis auf einen schmalen Spalt die so genannte Pleurahöhle im Brustraum aus. Dieser Spalt vergrößert sich durch das Aufrichten der Rippen (Brustatmung) und das Herabziehen des Zwerchfells (Bauchatmung). Da der mit Flüssigkeit gefüllte Pleuraspalt sein Volumen nicht ändert, folgt die Lunge dieser Ausdehnung und füllt sich über die Atemwege mit Luft.
18 Man spricht in diesem Fall von einer restriktiven Atembeschränkung.
19 Diese liegt auf Höhe des Schlüsselbeins, ziemlich genau hinter dem Schlüsselbein.
20 Die Fasziengewebe sorgen beim Einatmen auch dafür, dass die Organe im Bauchraum nach unten verschoben werden können, ohne dass eines dieser Organe das andere in seiner Funktion beeinträchtigt.
21 Wölbt sich nur der Bauch nach vorne, ist dies zumeist ein Hinweis auf einen unbeweglichen Brustkorb.
22 Österreichischer Verein für Integratives Atmen
23 Die indischen Yogis unterscheiden vier Phasen im Atemvorgang, wobei sie insbesondere sie Übergänge zwischen den beiden Atembewegungen (-richtungen) als wichtig erachten: Ausatmen, Übergang vom Ausatmen zum Einatmen, Einatmen und Übergang vom Einatmen zum Ausatmen.
24 Auch wenn die Formulierung so wirkt, als ob wir hier eine bewusste Abschätzung und Entscheidung treffen, fällt diese Entscheidung in Sekundenbruchteilen und vollkommen unbewusst.
25 Fight-or-flight ist ein Begriff, der von Walter Cannon, einem Pionier der Stressforschung, 1915 geprägt wurde. Er beschreibt die rasche körperliche und seelische Anpassung von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion.
In gewisser Weise kann der „normale“ Lebensvollzug als „Energiesparmodus“ betrachtet werden. Der Kampf-und-Flucht-Mechanismus hat uns Menschen seit prähistorischen Zeiten das Überleben ermöglicht, indem in Notsituationen in Sekundenbruchteilen eine gewaltige Energiereserve aktiviert wird, die uns Handlungen ermöglicht, die wir sonst nicht könnten, z.B. blitzschnell zur Seite zu springen, härter zu kämpfen oder schneller zu laufen als jemals zuvor.
Zu lang andauernder Stress (Bedrohung) kann allerdings zu Schäden oder sogar zum Zusammenbruch des Organismus führen, fehlt doch die Entspannungsreaktion des parasympathischen Nervensystems, das „Entwarnung“ gibt und die Systeme wieder „runterfährt“.
26 Auch die Entscheidung zur Freeze-Reaktion erfolgt vollkommen unbewusst.
27 Jeffrey Alan Gray (1988) erweiterte das ursprüngliche Konzept (fight or flight response) auf die Flight-fight-or-freeze-Reaktion (flight fight or freeze response). Gesteuert wird die Freeze-Reaktion vom sogenannten Reptiliengehirn, einer entwicklungsgeschichtlich sehr frühen Struktur. Neuere Forschungen zeigen Unterschiede in den Stressreaktionen von Mann und Frau. Die Fight-or-flight-Reaktion trifft auf beide zu, ist bei Frauen jedoch schwächer ausgeprägt. Frauen schließen sich in Gefahrensituationen tendentiell schutzbietenden Gruppen an. Shelley Taylor prägte dazu in den späten 1990er-Jahren den Begriff „Tend-and-befriend“ als eine mögliche Antwort von Frauen auf Stress: den Nachwuchs beschützen (tend) und Freundschaft anbieten (befriend).
28 Solche Erlebnisse widerfahren Menschen beispielsweise bei Unfällen, Vergewaltigungen oder Raubüberfällen mit vorgehaltener Waffe. Manchmal führen solche Situationen zu völliger Erstarrung, manchmal trennen sich betroffene Menschen völlig von ihrem körperlichen Erleben und fühlen den Schmerz einer Verletzung überhaupt nicht (eine Folge der in hohen Dosen in den Blutkreislauf abgegebenen Neurotransmitter, Hormone und „Schmerzkiller“) oder aber haben hinterher überhaupt keine (bewusste) Erinnerung an das Erlebte. Gleichzeitig aber kommt es infolge solcher Schock-Erlebnisse mitunter über mehrere Jahre zu Flashback-Reaktionen.
29 Das Problem der Freeze-Reaktion im Alltagsleben, wie sinnvoll sie sich in manchen Situationen auch erweist, ist, dass Menschen durch Angst paralysiert werden können – eine Reaktion, die tief aus dem Inneren unseres Gehirns kommt. Glücklicherweise aber, so die therapeutischen Erfahrungen und auch die neuere Forschung, lässt sich diese grundsätzlich automatisch ablaufende Reaktion durch bewusste Atmung und der damit verbundenen Aktivierung des Parasympathikus unterbrechen – vorausgesetzt man macht es rechtzeitig und/oder hat diese Verhaltensweise vorab trainiert.
30 Die Kontrolle unserer Gefühle durch die Atmung, basiert im Grunde auf der Freeze-Reaktion, allerdings ist sie hier „dosiert und kontrolliert“ und mehr oder weniger bewusst gesteuert (zumindest aber bewusst steuerbar).
31 Besonders in der frühen Kindheit ereignet es sich häufiger, dass wir subjektiv höchst bedrohlichen Situationen ausgesetzt sind, die wir in dieser Entwicklungsphase auf integrative Weise nicht bewältigen können. Wir sind zu diesem Zeitpunkt verletzlicher und verfügen noch über weniger und weniger differenzierte Möglichkeiten als im späteren Erwachsenenleben, mit der Folge, dass Freeze-Reaktionen in der Kindheit weitaus häufiger auftreten. Und mit der noch weitreichenderen Folge, dass hier die Basis für Ängste, Phobien und Panikattacken liegt, wenn das ursprüngliche, traumatische Freeze-Erlebnis nicht aufgelöst wird. Nicht aufgelöste Traumen verursachen nämlich nicht nur posttraumatische Belastungsstörungen, sondern können durch nahezu beliebige Kleinigkeiten „getriggert“ werden und – völlig unbewusst – Angst und Panik auslösen, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Gegenwart stehen. Erschwerend kommt dann noch dazu, dass die Aktivierung eines früheren Traumas unsere Handlungs- und Bewältigungsmöglichkeiten massiv einschränkt und damit eine positive Bewältigung der aktuellen Situation erschwert, was häufig zu Retraumatisierungen führt, die das Trauma noch verstärken.
32 In manchen Kampftechniken werden Schläge und Tritte, um die Ausatmung möglichst vollständig zu machen, von einem Schrei begleitet.
33 Selbst im Kampf kommt die Zerstörungskraft eines Schlages nicht nur durch den physischen Aspekt zustande, sondern auch durch eine möglichst überzeugende “Signalisierung”.
34

Die von Vasiliev empfohlene Übung: „Um schrittweise die Angst zu reduzieren, fange nicht gleich mit Schlägen an, sondern beginne mit Drücken. Wenn du der Empfänger des Drucks bist, stehe bequem und mit leicht geöffnetem Mund da, damit die ausgeatmete Luft frei aus deinem Mund entweichen kann. Lass deinen Partner seine Faust auf deinen oberen Bauch setzen und immer wieder dagegen drücken, ohne dass seine Faust deinen Bauch verlässt. Lass deinen Atem frei mit jedem Druck aus deinem Mund entweichen. Sobald du ein Gefühl dafür hast, den zusätzlichen Druck auszuatmen, versuche das Gleiche mit geschlossenem Mund, nur um die Alternative zu erfahren. Du wirst sofort feststellen, dass es weniger effektiv ist. Der zusätzliche Druck kann nicht entweichen und du wirst deutlich spüren, wie sich Unbehagen in dir breit macht.“

Das ist auch der Grund, warum in tiefer Körperarbeit empfohlen wird, betont – nach Möglichkeit von einem Ton begleitet – auszuatmen, insbesondere wenn physische und psychische Grenzen angesprochen werden.

Wenn die Wucht eines Schlages auf einen unter Anspannung stehenden Bereich trifft, hat das eine verstärkende Wirkung. Ein Schlag, der die oberflächliche Muskelschicht  durchdringt, trägt diese Kraft mit sich und zerstört Organe und innere Strukturen. Spannung bildet sich in den Muskeln sowohl durch den erwarteten Schmerz wie auch durch den Schlag selbst. Die Atmung aber hilft, die Spannung aufzulösen und beseitigt dadurch den Schmerz, wie auch die negativen Gefühle, so Vasiliev.

35 Hyperventilation bedeutet wörtlich übersetzt „Überatmung“ und beruht auf einem geänderten Verhältnis zwischen Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut, wobei der Sauerstoffgehalt höher und der Kohlendioxidgehalt niedriger ist als beim normalen Atmen. Symptome einer Hyperventilation sind Druck in der Brust, Kurzatmigkeit, Herzklopfen, Spannungen in der Magengegend, Gefühl der Einengung bis hin zur Klaustrophobie und letztlich der Verlust der Kontrolle über den eigenen Atem. Begleitet werden diese Symptome von unkontrolliertem, aggressivem oder ängstlichem Verhalten sowie starkem Kribbeln und Krämpfen in Gesicht, Armen und Beinen – bis hin zu einem heftigen, geradezu panischen Kampf um „Luft“ und der Angst zu ersticken.    
Das Überraschende an hyperventilatorischen Anfällen ist, dass sich die Krämpfe häufig schlagartig auflösen, wenn der/die Betroffene aufhört, gegen sie anzukämpfen (und seinen/ihren Emotionen Ausdruck verleiht). Und meist entstehen überhaupt keine Krämpfe, wenn die Atmung durch eine stimmhafte Ausatmung emotional ausdrucksvoll wird.
36 Christian Opitz: “Befreite Atmung” (2012
37 Bei normaler Atmung beträgt die Sauerstoffsättigung 96 bis 98 Prozent. Eine intensive Atmung bringt hier nur wenig Verbesserung. Der Verlust an Kohlendioxid hingegen ist erheblich, wenn zwei oder drei Minuten lang mehr Volumen geatmet wird, als es für die Sauerstoffsättigung des Bluts nötig ist.
38 Die Leber hat in der TCM wesentliche Verantwortung für den freien Fluss der Atmung, aber auch deren Blockade. Ein typisches Zeichen der Leber-Qi-Stagnation ist das Seufzen oder tiefe Atemholen – in der (wohl meist unbewussten) Absicht, das Zwerchfell und damit die Atmung zu entspannen.
39 Siehe Eduard Tripp: „Druck und Rhythmus. Stärkung des psychophysischen Kerns“ (https://www.shiatsu-austria.at/druck-und-rhythmus-staerkung-des-psychophysischen-kerns-dr-eduard-tripp
40 Selbstverständlich ereignen sich mitunter auch ganz spontan Veränderungen, doch die Erfahrung zeigt, dass sich chronische Muster sehr häufig beharrlich jeglicher Veränderung „widersetzen“.
41 Einschränkend ist anzumerken, dass dies nur dann sinnvoll und angebracht ist, wenn Veränderung das Ziel (und möglich) ist und diese Vorgehensweise in grundsätzlicher Absprache mit der KlientIn steht.
42 Die Wahl, ob man mit der Arbeit primär an der Einatmung oder der Ausatmung ansetzt, ist von mehreren Faktoren abhängig, insbesondere von der Art der Blockade der Atemfunktion (mehr im „Ein“ oder im „Aus“), der Intention der KlientIn („Arbeitsvertrag“) und der Tragfähigkeit der Arbeitsbeziehung zwischen BehandlerIn und KlientIn. Im Zweifelsfall empfiehlt sich die Arbeit mit der Ausatmung. Immer aber ist es wichtig, achtsam und sorgsam und niemals überfordernd zu arbeiten (Gefahr der Retraumatisierung oder auch des Behandlungsabbruchs durch die KlientIn wegen Grenzüberschreitung oder Überforderung).
43 Gibt die KlientIn einen Atemrhythmus vor, so kann dieser den Ausgangspunkt für die Atemarbeit bilden. Zeigt die KlientIn hingegen einen instabilen, wechselnden Atemrhythmus, so empfiehlt sich die Arbeit mit einem (wahrscheinlich) „passenden“ Rhythmus, um dem Organismus Stabilität zu geben.
44 Das gilt auch im übertragenen Sinne. Hier ist aber primär der Druck auf unseren Körper mit Daumen, Finger, Ellbogen … gemeint.
45 Von Bedeutung, um solche Situationen vorweg zumindest etwas abschätzen zu können, ist hier die Anamnese, insbesondere Hinweise auf Traumata, Unfälle, Verletzungen, unter Umständen auch Operationen. Zudem ist zu bedenken, dass wir als Shiatsu-PraktikerInnen für den Umgang mit schwierigen psychischen Krisen nicht ausgebildet sind. Und auch, wenn wir das nötige Rüstzeug dazu haben (durch entsprechende Ausbildung), ist immer verantwortungsvoll zu entscheiden, ob der betreffende Mensch zum Zeitpunkt über die für die Integration eines Traumas erforderlichen Ressourcen verfügt. Ansonsten verschlimmern wir die Situation durch eine Retraumatisierung. Und das einzuschätzen bedarf neben entsprechender Ausbildung auch Erfahrung und insbesondere Achtsamkeit und Respekt im Umgang mit der KlientIn.
46 Im Zweifelsfall, so ein Leitsatz einer meiner Lehrer in der Psychotherapie, ist es besser weniger zu tun als zu viel. Einen problematischen Schritt nicht gemacht zu haben, ist oft die bessere Entscheidung. Besser als etwas „aufzureißen“, das man dann nicht mehr „schließen“ kann. Situationen zu schaffen, mit denen weder KlientIn noch BehandlerIn adäquat umgehen können, macht keinen Sinn und ist zudem in unserer Verantwortung. In der griechischen Mythologie spricht man von der „Büchse der Pandora“, die sich einmal geöffnet nicht mehr schließen lässt – und wenn man es noch so sehr bedauert.
47 Synchronisierung des Atems muss nicht bedeuten, dass BehandlerIn und KlientIn im gleichen Rhythmus atmen, die Rhythmen sollen aber zueinanderpassen. So kann es z.B. sein, dass wir zweimal atmen, während unsere KlientIn einen Atemzug macht, oder umgekehrt, dass unsere KlientIn doppelt so schnell atmet wie wir. Ganz wichtig aber ist auf alle Fälle, dass diese Synchronisation spielerisch und leicht, auf keinen Fall erzwungen und starr erfolgt.