Chronobiologie & Chronomedizin

Unser Organismus wird, solange wir leben, von Rhythmen bestimmt, von Rhythmen im Millisekundentakt, wie den Nervenimpulsen, bis hin zu längerfristigen Rhythmen, wie dem Schlaf/Wach-Rhythmus. Während die hochfrequenten Rhythmen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit perioden Vorgängen in der Umwelt stehen, stimmen die niederfrequenten Rhythmen mit Zyklen der Umwelt (wie Tageszeit, Gezeiten, Mondphasen, Jahreszeiten) – zumindest bei einigen Lebewesen – überein.[1]Die vier umweltsynchronen Rhythmen beruhen auf periodischen Prozessen, die im Organismus selbst ihren Ursprung haben. Sie sind endogene Rhythmen. Der Schlaf/Wach-Rhythmus beispielsweise bleibt auch … weiterlesen Circadiane (Rhythmen, die etwa dem Tagesrhythmus entsprechen) sind bei allen Lebewesen bis zum Menschen hin nachgewiesen worden. Sie gehören zur biologischen Ausstattung des Organismus. Eine entscheidende Rolle spielen dabei zentrale Schrittmacher (“innere Uhren”), die im Nucleus suprachiasmaticus (SCN) liegen, einem Hirnbereich direkt über der Kreuzung der Sehnerven (Chiasma optica).[2]Bei Reptilien und Vögel liegt ein weiterer Schrittmacher in der Zirbeldrüse, bei wirbellosen Tieren in den Augenstielen oder den optischen Lappen.     Die Frage, wie der SCN … weiterlesen

Diese Rhythmen[3]Rhytmus wird definiert als die Wiederkehr gleicher Zustände oder Ereignisse nach etwa gleichen Zeiten.  Dass wir so etwas wie eine innere Uhr besitzen, war in den 1950er-Jahren noch … weiterlesen haben den Charakter von “inneren Uhren”, die vom Organismus zur Zeitsteuerung genutzt werden. Unter natürlichen Bedingungen werden sie durch periodische Signale der Umwelt (Zeitgeber) mit dem Umweltzyklus synchronisiert, an den sie angepasst sind.[4]Die zentrale innere Uhr des Menschen liegt in einem nur wenige Millimeter großen Hirnbereich direkt über der Kreuzung der Sehnerven (Chiasma opticum), weshalb diese Region als suprachiasmatischer … weiterlesen Circa-Rhythmen ermöglichen es dem Organismus, sich in die Zeitprogramme der Umwelt sinnvoll einzupassen. Bei Tieren und beim Menschen verlaufen viele Prozesse sowohl tages- wie jahresperiodisch (circadian, circannual). Circatidale und circalunae Rhythmen (Gezeiten- und Mondphasenrhythmen) findet man insbesondere bei Meereslebewesen. Circadiane Uhren gewährleisten, dass die Vielzahl der in einem Organismus ablaufenden Prozesse zeitlich geordnet bleiben und dass der Organismus zu jeder Stunde des Tages auf die Anforderungen der nächstfolgenden Stunde vorbereitet ist. So wird beispielsweise noch im Schlaf durch das Ansteigen der Körpertemperatur und die Ausschüttung wichtiger Hormone auf den beim Erwachen erforderlichen Zustand umgeschaltet.

Rhythmus
 
Beispiele
 
MillisekundenrhythmusNervenimpulse
SekundenrhythmusHerzschlag, Atmung, Blutdruck
Minutenrhythmusperiphere Durchblutung
Ultradianrhythmus (Takt von einer bis zu mehreren Stunden)Ablauf der Schlafstadien, Hormondrüsen
Circadianrhythmus (24-Stunden-Rhythmus)Schlaf-/Wachrhythmus[5]Beim Säugling herrscht der circadiane Rhythmus noch nicht über den Schlaf/Wach-Rhythmus. Nach der Geburt besteht noch keine deutliche Tagesperiodik, vielmehr braucht es eine individuell … weiterlesen, Zellteilungsrhythmus, Stoffwechsel, Hormonhaushalt , Körpertemperatur
Infradianrhythmen (längere Rhythmen)Regelzyklus der Frau[6]Die westliche Wissenschaft geht davon aus, dass der Regelzyklus der Frau nicht mit dem Mondzyklus gekoppelt, also nicht circalunear ist.
Circannualrhythmen (Jahresrhythmus)jahreszeitliche Rhythmen

Alle Gewebe und Funktionen des Körpers ändern ihren Zustand regelhaft im Verlauf von 24 Stunden. So steigt die Körpertemperatur von einem Tiefpunkt kurz vor dem Ende der Schlafzeit zu einem Maximus am späten Nachmittag. Ähnlich verhält sich die Katecholaminausschüttung in den Nebennieren. Etwa spiegelbildlich dazu verlaufen jedoch die Kurven psychosomatischer Reaktionen (z.B. Fehler und Reaktionszeiten am Fahrsimulator), die einen nachmittäglichen Leistungsabfall zeigen. Die Lungenaktivität nimmt nachts ab und erreicht ihren Höhepunkt nachmittags. Die Haut regeneriert sich am besten um Mitternacht, die Blase füllt sich am stärksten morgens, und der Magen produziert gegen 20 Uhr besonders viel Säure …

Die einzelnen Rhythmen im Organismus schwingen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander, sondern verhalten sich vielmehr – bildlich gesprochen – wie die Instrumentalisten eines Orchesters, die aufeinander hören. Dabei gilt, dass ein Organismus umso gesünder ist, desto öfter sich die vitalen, körpereigenen Rhythmen zueinander auf ganzzahlige Verhältnisse einstellen.

Gunther Hildebrandt – bis zu seinem Tod 1999 Direktor des Marburger Instituts für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung (und einer der Väter der modernen Chronobiologie und -medizin) – beobachtete die Beziehung zwischen Puls- und Atemfrequenz, Blutdruck und Durchblutung: Bei 70 Prozent aller Menschen nimmt die Pulsfrequenz im Tiefschlaf das Vierfache der Schwingung des Blutdrucks an, und die Schwingung des Blutdrucks das Vierfache der Durchblutung der peripheren Blutgefäße. Im Lauf des Tages, so fand Hildebrand, variieren diese Zahlenverhältnisse, neigen aber zu ganzzahligen Relationen.

Umgekehrt gilt, dass krank macht, was dem natürlichen Rhythmusgefüge zuwider läuft. Beispiele dafür sind:

  • Die Störung des 24-Stunden-Tagesrhythmus (mit Jetlag) bei Piloten, so zeigte eine isländische Studie, korreliert mit einer häufigeren Erkrankung an Hautkrebs (verglichen mit Piloten, die tageszeitneutrale Nord-Süd-Routen fliegen).
  • Frauen, die Nachtarbeit leisten, so verschiedene Untersuchungen, haben bereits nach sieben Dienstjahren ein um 60 bis 70 Prozent höheres Brustkrebsrisiko als “Tagarbeiterinnen”.
  • Eine Studie der Pariser Chronobiologen Francis Lévi und Marie-Christine Mormont zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Krebsstadium und dem Verlust der Synchronizität

Synchronisationsstörungen der Circadianrhythmik sind unter anderem bei bestimmten Formen der Depression festgestellt worden. Änderungen der normalerweise in Ruhe beobachteten ganzzahligen Frequenzabstimmung zwischen Herz- und Atemrhythmus stehen in enger Beziehung zu vegativen Regulationsstörungen und können beispielsweise nach einem Herzinfarkt auftreten. Auch führen die tagesrhythmischen Umstellungen des Organismus zu charakteristischen tageszeitlichen Häufungen von Erkrankungen wie etwa Asthmaanfälle, Lungenödeme oder Herzinfarkte.

Bei der Anwendung von physikaler Medizin oder Massage ist zu beachten, dass der Mensch vormittags besonders kälteempfindlich, abends jedoch zunehmend wärmeempfindlich ist. Und die Zufuhr gleicher Nahrungsmittelmengen am Morgen führt – wegen des erhöhten Stoffwechsels – eher zu einer Gewichtsreduktion, wohingegen am Abend die gleiche Menge (und Qualität) eher die Gewichtszunahme fördert.


Auswirkungen der Nachtarbeit

Bei Nachtarbeit (normalerweise zwischen 22  und 6 Uhr, die Schlafphase liegt dann entsprechend zwischen 8 und 14 Uhr) kommt es, Untersuchungen zufolge, zwar zu einer Abflachung der Körpertemperatur-Amplitude, nicht aber zu einer Umkehrung der Tagesperiodik. Da sich gewisse physiologische Funktionen, wie z.B. die Adrenalinausscheidung im Urin, schneller an die veränderten Lebensbedingungen anpassen, kommt es in den ersten sieben Tagen zu einer “internen Desynchronisation” der circadianen physiologischen Funktionen – was vermutlich eine wichtige Ursache für die von Schichtarbeitern beklagten Beschwerden darstellt.

Der führende Beschwerdekomplex bei Schichtarbeitern sind Schlafstörungen, die sowohl die Länge wie auch die Qualität betreffen können. Nachtarbeiter schlafen nach Nachtschichten durchschnittlich sechs Stunden (gegenüber acht Stunden bei Normalschicht), wobei die Schlaflänge ganz wesentlich vom Zeitpunkt des Schlafengehens mitbestimmt wird. Die Schlafqualität hingegen hängt mehr von (störenden) Umweltbedingungen ab (z.B. dem größeren Tageslärm oder höheren Temperaturen im Sommer oder in wärmeren Ländern).

Generell ist bei der Betrachtung der Auswirkungen von Nacharbeit zu bedenken, dass es sich hier nicht um ein rein biologisches Phänomen handelt, sondern dass vielmehr das gesammte soziale Umfeld mitbetroffen ist. Auch kann beim Menschen – im Unterschied zu vielen Ergebnissen bei Tierversuchen – nicht der Hell/Dunkel-Wechsel als entscheidender Zeitgeber angesehen werden, sondern sein Zeitbewusstsein und seine sozialen Kontakte. K. Immelmann, K.K. Scherer, C. Vogel & F. Schmook (“Psychobiologie. Grundlagen des Verhaltens”, 1988) gehen in der Diskussion dieses Themas davon aus, dass schnell rotierende Systeme von Früh-, Spät- und Nachtschicht physiologisch günstiger sind, weil es hier zu keinen ohnehin nutzlosen Anpassungsversuchen des Organismus kommt.


Jetlag

Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts Reisen mit Zeitzonenüberquerungen keine Beachtung fanden, da die Reisegeschwindigkeit so langsam war, dass sich die circadiane Periodik ständig anpassen konnte, änderte sich dies mit den schnelleren Reisegeschwindigkeiten moderner Verkehrsmittel. Erste diesbezügliche Beobachtungen (heute spricht man von Jetlag) wurden mit der Transsibierischen Eisenbahn gemacht. Hier fiel auf, dass die Reisenden bei der Fahrt nach Osten täglich später zum Frühstück kamen, ihr Schlaf/Wach-Rhythmus also offensichtlich “nachhinkte”.

Da wir nach einem Fernflug über mehrere Zeitzonen allen kognitiven und sozialen (wie auch biologischen) Zeitgebern der neuen Zeit ausgesetzt sind, passen sich die verschiedenen circadianen Systeme innerhalb von drei bis 14 Tagen dem Zeitsystem der neuen Zeitzone komplett an. Die Zwischenphase ist jedoch gekennzeichnet durch eine verringerte Leistungsfähigkeit wie auch Schlaf- und Appetitstörungen.

Kleinere Verschiebungen des Tag- und Nacht-Wechsels, wie etwa bei einer Reise über eine Zeitzone, gleichen wir meist problemlos aus, wohingegen wir bei längeren Reisen mit einer Umstellungszeit von etwa einem Tag pro Zeitzone rechnen müssen.


Gesundheit beruht auf einem Gleichgewicht von Anspannung und Entspannung

Ein wesentlicher Garant für Gesundheit ist, folgt man der chronobiologischen Forschung, ein Gleichgewicht im Tagesverlauf zwischen der Dominanz des Sympathikus und der Dominanz des Parasympathikus. Ob dies ausreichend der Fall ist, zeigt sich an der so genannten Schlafarchitektur, wo es eine klare Abfolge zwischen längren tief entspannten Ruhigschlafphasen, in denen der Atemrhythmus den Herzschlag ruhig und vorhersagbar moduliert, und den REM-Phasen, in denen (wie tagsüber) der chaotischere Zustand dominiert.[7]Wenn der Parasympathikus (vagotoner, entspannter Zustand) dominiert, folgen die Veränderungen der Herzfrequenz denen des Atems. Wenn diese Abfolge gestört ist, bedeutet das, dass der Organismus nicht in der Lage ist, mit der Beanspruchung fertig zu werden. Die Anspannung, das Chaos des Tages wird damit in die Nacht getragen, wo eigentlich Ordnung vorherrschen sollte.

 Ob eine Anforderung eine (positive und befriedigende) Herausforderung ist oder eine (negative und zerstörerische) Überforderung, zeigt sich also nicht primär in der Phase der Aktivität, sondern darin, ob der Organismus noch erholungsfähig ist (ob man noch “abschalten” kann). Kann man abschalten, regeneriert sich der Organismus, indem die Belastung des Tages in der folgenden Nacht wieder in eine Ordnung umgewandelt werden kann. Gelingt dies nicht, ist man auf dem Weg zum Burn-out.

Als einer der wichtigsten Zyklen im Tagesablauf wird der Basic Rest/Activity Cyle (BRAC) angesehen: In einer Zeitspanne von etwa 90 Minuten schaltet der BRAC den Organismus für jeweils etwa 70 Minuten auf “aktiv”. In dieser Zeit fällt es leicht, die Aufmerksamkeit zu fokusieren und sich zu konzentrieren. Danach folgen zwanzig Minuten eines passiven, rezeptiven Zustandes, in dem die rechte Gehirnhälfte in den Vordergrund tritt. Jetzt wird das, was aus dem Rhythmus gekommen ist, wieder ausgeglichen, und die Ressourcen werden wieder aufgeladen.

Ignoriert man diese Bedürfnisse, so werden die Abweichungen immer größer und damit verliert der Organismus immer mehr die Fähigkeit, selbst in seine Ordnung zurückzufinden. Gefährlich ist es auch, die passiven Phasen des BRAC z.B. mit Kaffee oder einem anderen Aufputschmittel zu übertauchen, denn damit erreicht man genau das Gegenteil: Während (scheinbar) Leistungsfähigkeit demonstriert wird, wird der Organismus daran gehindert, diese zu erhalten.

Der Rhythmus, der unsere innere Lebensführung bestimmt, wirkt bis in die Zellchemie. Stress, der nicht abgebaut werden kann, beeinträchtigt das Immunsystem, indem es die Produktion von “Killerzellen” hemmt und die Produktion von freien Radikalen fördert, die u.a. die Alterung beschleunigen. Umgekehrt kann umso mehr Immunglobulin A im Speichel nachgewiesen werden, je entspannter ein Mensch ist.


“Rhythmusräuber” und “Rhythmusgeber”

Als “Rhythmusräuber” nennt Psychologie Heute (Juli 2005) Stress ohne nötige Entspannung (z.B. überlange Sitzungen, Autofahrten etc.), Reizüberflutung (z.B. überlanges oder pausenloses Fernsehen, Computerspielen etc.), Schlafstörung ohne Ausgleich durch Ruhe am Tag, unregelmäßige Lebensweisen, vor allem in Bezug auf Arbeits-, Schlaf- und Essenszeiten (z.B. Nacht- und Schichtarbeit etc.) und Südflüge im Winter und Fernflüge über mehrere Zeitzonen. “Rhythmusgeber” hingegen sind regelmäßiger Schlaf und regelmäßige Essenszeiten, Pausen zur rechten Zeit (etwa 70 Minuten konzentriertes Arbeiten, dann 15 bis 20 Minuten Loslassen, Entspannen, Nachsinnen …), den eigenen Rhythmus kennen lernen und respektieren sowie Atemwahrnehmung und Atemübungen. Als Regulationstechniken, wenn der natürliche Rhythmus verloren gegangen ist, werden  beispielsweise gut gestaltete Kuren angesehen, Urlaub mit Nichtstun, Therapieformen, die dem Atem Ruhe und Fülle zurückgeben, oder das Rezitieren der Silbe “om” u.ä.m.


Störungen der inneren Uhr

Störungen der circadianen Rhythmik zeigen sich häufig in Veränderungen des Schlafmusters. Zerrissener Schlaf oder abnorme Schlafzeiten sind ein häufiges Symptom bei vielen psychischen Leiden, besonders bei Depressionen. Aber auch im Alter kommt es zu Veränderungen im Schlaf. Viele alte Menschen schlafen zwar sehr gut, aber nicht mehr dann, wenn sie eigentlich schlafen möchten, nämlich nachts[8]Bei älteren Menschen zeigen sich Veränderungen im suprachiasmatischen Nucleus (SCN), so dass es für sie generll schwieriger wird, ihre innere Uhr auf den Tag-Nacht-Wechsel einzustellen. Zudem … weiterlesen Bei Menschen, die an Morbus Alzheimer leiden, verschärft sich diese Problematik aber dramatisch. Ihre circadianen Rhythmen hinken um Stunden hinterher.[9]Amerikanische Forscher haben nachgewiesen, dass die Körpertemperatur mancher Betroffener erst mittags ihren tiefsten Punkt erreicht – statt zwischen drei und fünf Uhr morgens wie bei gesunden … weiterlesen

Die Anwendung von starkem Licht in den Aufenthaltsräumen von an Alzheimer erkrankten Menschens[10]In einem der Aufenthaltsräume in den Amsterdamer Pflegeheimen wurden um zwei Uhr nachmittags nur 27 Lux gemessen, wohingegen es selbst ein trüber Wintertag auf 5.000 Lux Beleuchtungsstärke … weiterlesen bewirkt (vor allem mit der zusätzlichen Gabe von Melatonin am Abend), so konnte ein Experiment in Amsterdamer Pflegeheimen zeigen, eine zunehmende Stabilisierung der Schlafverhaltens. Zudem besserten sich ihre Stimmungslage und ihre kognitive Leistungsfähigkeit.[11]Die Anwendung von LIcht wirkte fast so gut wie eine Therapie mit Cholinesterase-Hemmern (Standard-Therapie bei Alzheimer). Licht zusammen mit Melatonin wirkte sogar noch besser.

Abweichungen zeigen sich auch in den Rhytmen von Menschen, die an Schizophrenie leiden. Ihre innere Uhr scheint wie völlig von der Umgebung entkoppelt. Da zu den typischen Krankeitszeichen bei Schizophrenie auch depressive Verstimmung, kognitive Einschränkungen, Gedächtnisprobleme und psychotische Schübe gehören, geht man derzeit der Frage nach, ob es sich dabei nicht um die sekundäre Folge der Entgleisung des Schlaf-Wach-Rhythmus handeln könnte – und damit einen völlig anderen (zusätzlichen) Ansatz der Therapie erforderlich machen würde.


Quellen und weiterführende Literatur

  • Alfred Meier-Koll: Chronobiologie. Zeitstrukturen des Lebens. Verlag C.H. Beck 1995             
  • K. Immelmann, K.K. Scherer, C. Vogel & F. Schmook: Psychobiologie. Grundlagen des Verhaltens. Gustav Fischer Verlag 1988      
  • G. Hildebrandt, M. Moser & M. Lehofer: Chronobiologie & Chronomedizin. Hippokrates Verlag 1998        
  • Psychologie Heute, Juli 2005         
  • Geist & Psyche Nr. 7/2004
  • Geist & Psyche Nr. 7/2005
  • Geist & Psyche Nr. 11/2006

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die vier umweltsynchronen Rhythmen beruhen auf periodischen Prozessen, die im Organismus selbst ihren Ursprung haben. Sie sind endogene Rhythmen. Der Schlaf/Wach-Rhythmus beispielsweise bleibt auch dann erhalten, wenn ein Lebewesen dem Einfluss der Umweltperiodik entzogen ist. Unter solchen Bedingungen weichen die Perioden aber etwas vom exakten 24-Stunden-Rhythmus ab, weshalb sie auch als “circadian” (circa: ungefähr, dies: Tag) genannt werden.         
Bei Tieren und beim Menschen verlaufen viele Prozesse sowohl tages- wie auch jahresperiodisch (circadian und circannual). Circatidale und circalunare Rhythmen (Gezeiten- und Mondphasenrhytmen) findet man insbesondere bei Meereslebewesen. Ein circalunearer Rhythmus findet sich beispielsweise  bei der Eintagsfliege Povilla adusla, der nur etwa ein Tag zur Fortpflanzung zur Verfügung steht, deren Entwicklungszeit aber etwa vier Monate beträgt: Männchen und Weibchen schlüpfen deshalb jeweils an wenigen Tagen um Vollmond herum. Der circatidale Rhythmus findet sich bei vielen Meeresbewohnern, die sich damit an Ebbe und Flut anpassen. Ein bekanntes Beispiel für den circannualen Rhythmus zeigen Zugvögel, die auch dann eine lebhafte “Zugunruhe” zeigen, wenn sie künstlichen Umweltbedingungen ausgesetzt werden.
2 Bei Reptilien und Vögel liegt ein weiterer Schrittmacher in der Zirbeldrüse, bei wirbellosen Tieren in den Augenstielen oder den optischen Lappen.     
Die Frage, wie der SCN (suprachiasmatischer Nukleus) “erfährt”, wie lange die Sonne draußen scheint, war lange Zeit ungeklärt. Während bei Fischen, Reptilien und Vögeln spezialisierte Rezeptorzellen im Gehirn, die das durch die Haut und die Schädeldecke dringende Licht registrieren, diese Information an die circadianen Schrittmacher weiterreichten, wurde der für den Menschen zuständige Mechanismus erst vor kurzem gefunden. Alles deutet derzeit darauf hin, dass vor allem bestimmte retinale Ganglienzellen, die den suprachiasmatischen Nukleus innervieren und das Pigment Melanopsin enthalten, sowie Stäbchen und Zapfen für die circadiane Lichtreaktion verantwortlich sind (darüber hinaus geht die Forschung davon aus, dass Cryptochrome, neben Melanopsin ein weiterer Photopigmenttyp, bei der nichtvisuellen Bestimmung der Beleuchtungsintensität wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielt). Die lichtempfindlichen retinalen Ganglienzellen (RGC) reagieren im Vergleich zu Stäbchen und Zapfen äußerst träge auf Veränderungen der Helligkeit, denn sie mitteln die Lichtintensität über einen langen Zeitraum. Das verhindert, dass sich die innere Uhr bereits verstellt, wenn wir beispielsweise tagsüber durch einen dunklen Tunnel fahren.
3 Rhytmus wird definiert als die Wiederkehr gleicher Zustände oder Ereignisse nach etwa gleichen Zeiten.  
Dass wir so etwas wie eine innere Uhr besitzen, war in den 1950er-Jahren noch höchst umstritten. Damals begannen Colin Pittendrigh (Stanford University in Kalifornien) und Jürgen Aschoff (Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Starnberg) die Biorhythmen von Menschen und Tieren zu untersuchen und stießen mit ihrer These, dass eine innere Uhr zahlreiche Körperfunktionen mit dem Tag-Nacht-Wechsel synchronisiert, auf heftigen Widerstand. Vor allem der aufkommende Fernflugverkehr war es dann, der die Existenz einer inneren Uhr mit den unangenehmen Auswirkungen des Jetlag deutlich vor Augen führte. Der körpereigene Taktgeber behält nämlich seinen Rythmus zunächst auch dann noch bei, wenn sich die äußeren Zeitgeber wie Sonnen- auf und -untergang plötzlich vollkommen ändern. Generell gilt heute als Richtlinie, dass für die Umstellung des Organismus mit etwa einem Tag pro Stunde Zeitverschiebung zu rechnen ist.
4 Die zentrale innere Uhr des Menschen liegt in einem nur wenige Millimeter großen Hirnbereich direkt über der Kreuzung der Sehnerven (Chiasma opticum), weshalb diese Region als suprachiasmatischer Nucleus (SCN) bezeichnet wird. Lange Zeit dachte man, dass die Information über den Tag-Nacht-Rhythmus beim Menschen ausschließlich über die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut (Retina) erfolgt. Diese These musste jedoch in den 1990er-Jahren aufgegeben werden. Schließlich konnte nachgewiesen werden, dass sowohl bestimmte retinale Ganglienzellen (RGC), die den suprachisasmatischen Nucleus innervieren und das Pigment Melanopsin (chemisch ein Vewandter des in den Stäbchen der Netzhaut enthaltenen Rhodopsin) enthalten, wie auch Stäbchen und Zapfen an der Aufrechterhaltung der circadianen Rhythmik beteiligt sind. Im Vergleich zu den Stäbchen und Zapfen reagieren die photosensitiven retinalen Ganglienzellen allerdings träge auf Veränderungen der Helligkeit, denn sie mitteln die Lichtsintensität über einen langen Zeitraum. Das verhindert, dass sich unsere innere Uhr bereits verstellt, wenn wir beispielsweise tagsüber durch einen dunklen Tunnel fahren. Aber auch damit ist das System zur Messung der Tageslänge noch nicht gänzlich aufgeklärt und neben Melanopsin scheint scheint zumindest noch ein weiterer Photopigmenttyp – nämlich Chryptochrom – beteiligt zu sein, der sich ebenfalls in der Reina als auch im suprachiasmatischen Nucleus nachweisen lässt.
5 Beim Säugling herrscht der circadiane Rhythmus noch nicht über den Schlaf/Wach-Rhythmus. Nach der Geburt besteht noch keine deutliche Tagesperiodik, vielmehr braucht es eine individuell unterschiedlich lange Entwicklungsspanne von Wochen und Monaten bis sich eine Tagesperiodik im Wach-Schlaf-Muster des Säuglings fest eingestellt hat. Bei einer genaueren Betrachtung der sich entwickelnden circadianen Verteilung der Schlaf- und Wachperioden zeigt sich, dass ein schneller ultradianer (etwa vierstündiger), die ersten Lebenswochen bestimmender Rhythmus hineinverwoben ist (zudem auch noch der Zyklus der REM- und NONREM-Phasen des Schlafs) und dass sich der circadiane Rhythmus gleitend mit der Tageszeit zu synchronisieren beginnt.         
Die Veränderung des Schlaf-Wachrhythmus spiegelt die (individuelle) Reifung des Gehirns im Laufe der ersten Lebenswochen, denn anfänglich vermag das Nervensystem des Neugeborenen den Zustand des Wachens noch nicht lange aufrecht zu erhalten, weshalb der ultradiane Rhythmus erst langsam vom circadianen Rhythmus abgelöst wird.
6 Die westliche Wissenschaft geht davon aus, dass der Regelzyklus der Frau nicht mit dem Mondzyklus gekoppelt, also nicht circalunear ist.
7 Wenn der Parasympathikus (vagotoner, entspannter Zustand) dominiert, folgen die Veränderungen der Herzfrequenz denen des Atems.
8 Bei älteren Menschen zeigen sich Veränderungen im suprachiasmatischen Nucleus (SCN), so dass es für sie generll schwieriger wird, ihre innere Uhr auf den Tag-Nacht-Wechsel einzustellen. Zudem nimmt die Produktion von Mellatonin altersbedingt ab.       
Vom suprachiasmatischen Nucleus angeregt, setzt die Zirbeldrüse im Gehirn Melatonin fast ausschließlich nachts frei. Das Hormon wirkt zugleich auf den internen Zeitgeber zurück und stellt dort die Zeichen auf “Schlafen”.
9 Amerikanische Forscher haben nachgewiesen, dass die Körpertemperatur mancher Betroffener erst mittags ihren tiefsten Punkt erreicht – statt zwischen drei und fünf Uhr morgens wie bei gesunden Menschen.
10 In einem der Aufenthaltsräume in den Amsterdamer Pflegeheimen wurden um zwei Uhr nachmittags nur 27 Lux gemessen, wohingegen es selbst ein trüber Wintertag auf 5.000 Lux Beleuchtungsstärke bringt.      
Um die Auswirkungen der Tageslicht-Beleuchtung zu überprüfen, wurden in manchen Institutionen die für die innere Uhr entscheidenden Frequenzanteile herausgefiltert. Subjektiv war das Licht allerdings genau so hell.
11 Die Anwendung von LIcht wirkte fast so gut wie eine Therapie mit Cholinesterase-Hemmern (Standard-Therapie bei Alzheimer). Licht zusammen mit Melatonin wirkte sogar noch besser.