Die Einführung des Buddhismus in Tibet

Die Einführung des Buddhismus in Tibet hat etwa 500 Jahre gedauert, vom siebenten bis zum elften Jahrhundert nach Christi – eine Zeit großer politischer Umwälzungen. Historisch verbunden ist die Einführung des Buddhismus in Tibet mit vier religiösen Königen (den so genannten dharmarajas) Songtsen Gampo, Trisong Detsen, Ralpachen und Yeshe Ö.


Songtsen Gampo

Songtsen Gampo regierte im 7. Jahrhundert. Er setzte das Werk seines Vaters fort und vereinigte die Fürstentümer, in die Tibet zu dieser Zeit zersplittert war. Die Verwaltung wurde zentralisiert und Tibet wurde eine politische Macht mit militärischer Schlagkraft.

Wenngleich Tibet nun vereint war und eine beträchtliche Stärke besaß, so war es zum damaligen Zeitpunkt allen seinen – buddhistischen – Nachbarn (Khotan im Nordwesten, Kashmir im Westen, Nepal im Südwesten und die chinesische Tang-Dynastie im Osten) kulturell und wirtschaftlich unterlegen.

Songtsen Gampo beschloss deshalb, neben sozialen Reformen und kulturellen Anstrengungen, die Einführung des Buddhismus, von dem die umliegenden Länder hochgradig geprägt waren. Unterstützt wurde er dabei von seinen beiden Hauptfrauen, einer nepalesischen und einer chinesischen Prinzessin, die beide fromme Buddhistinnen waren. Songtsen Gampo errichtet die ersten buddhistischen Tempel in Tibet und schickte auch ein Gruppe junger Tibeter nach Kashmir, um dort den Buddhismus zu studieren. Wegen des für Tibeter schwierigen Klimas in Kashmir überlebte allerdings nur einer dieser Gruppe, Tönmi Sambhota, der 632 zurückgekehrt das tibetische Alphabet nach dem Vorbild indischer Schriftsysteme entwickelte.

Nun – bislang hatte es keine tibetische Schrift und daher auch keine Literatur gegeben – entstanden die ersten tibetischen Übersetzungen buddhistischer Texte. Der Überlieferung zufolge wurde das Mani Kabum, das sich auf das Mantra “om mani padme hum” bezieht, als erster Text übersetzt.

Songtsen Gampo legte mit seinen Reformen die Grundlagen für die tibetische Gesellschaft, für Kultur, Literatur wie auch für den tibetischen Buddhismus – weshalb er von den Tibetern auch als Manifestation des Avalokitesvara, dem Bodhisattva des Mitgefühls, angesehen wird.


Trisong Detsen

Nach dem Tod von Songtsen Gampo wurden immer mehr buddhistische Schriften ins Tibetische übersetzt und kamen Mönche aus verschiedenen Nachbarländern (teilweise auf der Flucht vor muslimischer Verfolgung) ins Land. Zur selben Zeit aber kam es in Tibet selbst zu einer wachsenden Opposition gegen den Buddhismus von Anhängern der einheimischen Bön-Religion.

Trisong Detsen, ein glühender Anhänger des Buddhismus, der im 8. Jahrhundert herrschte, wurde zu Anfang seiner Regierungszeit von Anhängern der Bön-Religion behindert. Trisong Detsen lud deshalb den bedeutenden indischen Gelehrten Santaraksita ein, dessen Mission allerdings nicht erfolgreich war, da gerade zur Zeit seiner Anwesenheit eine Epidemie ausbrach, deren Verursachung die Bön-Priester dem Einfluss des Buddhismus zuschrieben. Santaraksita riet König Trisong Detsen deshalb, den großen indischen Meister Padmasambhava nach Tibet einzuladen.

Padmasambhava (in Tibet auch Guru Rinpoche, Kostbarer Lehrer, genant) war sowohl ein bedeutender Gelehrter, Redner und Philosoph wie auch ein großer meditativ erfahrener Yogi, Mystiker und Meister der okkulten Wissenschaften. Er hielt sich insgesamt nur 18 Monate in Tibet auf, brachte aber in dieser Zeit die “Bön-Geister” unter seine Kontrolle. Viele von ihnen nahm er in das tantrische buddhistische Pantheon auf, indem er sie zu schützenden Gottheiten für den buddhistischen Glauben erklärte.

Nachdem die “Bön-Geister” zum Buddhismus “übergetreten” waren, gründeten Padmasambhava und Santaraksita im Jahre 779 gemeinsam das erste tibetische Kloster in Samye. Gestaltet nach einem indischen Vorbild wurde es 787 fertig gestellt. Padmasambhava und Santaraksita ordinierten auch die ersten sieben buddhistischen Mönche Tibets und begründeten damit den tibetischen Mönchsorden.

Ein weiteres, für den tibetischen Buddhismus wichtiges Ereignis in der Regierungszeit von Trisong Detsen war das “Konzil von Lhasa”, das eigentlich in Samye stattfand und mehr eine Debatte zwischen Kamalasila, einem indischen Schüler von Santaraksita, und einem chinesischen Mönch, der die chinesische Chan-Schule (Ursprung des japanischen Zen-Buddhismus) vertrat. Bei dem Streitgespräch ging es vor allem um die Frage, ob Erleuchtung allmählich und stufenweise stattfindet oder ob es sich dabei um ein plötzliches Erlebnis handelt. Kamalasila trat für die stufenweise Erleuchtung ein, der chinesische Mönch hingegen dafür, dass die Erleuchtung plötzlich stattfindet. König Trisong Detsen schließlich entschied sich für Kamalasilas Ansichten und damit die Debatte. Weiterhin legt König Trisong Detsen fest, dass der tibetische Buddhismus allen drei yanas (Hinayana oder “kleines Fahrzeug”, Mahayana oder “großes Fahrzeug” und Vajrayana oder “Diamantfahrzeug”) folgt und sie integriert.


Ralpachen

Ralpachen, der im 9. Jahrhundert regierte, war ein eifriger Buddhist, der weitere Tempel und Klöster errichtete sowie buddhistische Kunst und buddhistisches Kunsthandwerk förderte. Seine nachhaltigste Tat jedoch war die Einsetzung einer dauernden Kommission für die Übersetzung buddhistischer Schriften ins Tibetische. Es bedurfte nunmehr einer Erlaubnis dieser Kommission, die Regeln für die Übersetzung vorgab. Mit einem Glossar buddhistischer Fachausdrücke in Sanskrit und Tibetisch wurden die Übersetzungen reglementiert und vereinheitlicht.

Ralpachen wurde jedoch von Bön-Anhängern ermordet und ihm folgte 836 sein Bruder Langdarma, der vehement gegen den Buddhismus eingestellt war, auf den Thron. Buddhistische Tempel und Klöster wurden nun aufgelöst, Mönche vertrieben oder getötet, Schriften verbrannt. Als Ergebnis war der Buddhismus – vor allem in Zentraltibet – für fast zwei Jahrhunderte praktisch erloschen. In dieser Zeit politischer Umwälzungen zerbrach schließlich auch das Reich in eine Anzahl kleinerer Fürstentümer. Es war eine Zeit der religiösen Wirrnisse, in der fragwürdige Praktiken verbreitet wurden.


Yeshe Ö

Yeshe Ö war im 11. Jahrhundert König in West-Tibet, wo es dem Buddhismus während der Zeit der Verfolgung ein klein wenig besser gegangen war. Yeshe Ö unternahm innerhalb seiner Landesgrenzen sehr viel, um den Buddhismus wieder zu beleben und zu verbreiten. Gegen Ende seines Lebens, auf dem Weg um von seinen Untertanen Geld dafür aufzutreiben, den großen Lehrer Atisa nach Tibet einzuladen, wurde Yeshe Ö von einem benachbarten muslimischen König gefangen gesetzt. Er sollte sich entweder zum Islam bekennen oder sein Gewicht in Gold als Lösegeld bezahlen. Yeshe Ö, der zu diesem Zeitpunkt schon ein alter Mann war, allerdings bestimmte, dass nicht sein Lösegeld bezahlt, vielmehr das Gold dazu verwendet werden sollte, Atisa nach Tibet einzuladen. Als der muslimische König davon erfuhr, ermordete er Yeshe Ö.

So kam Atisa, der größte buddhistische Lehrer Indiens dieser Zeit, nach Tibet und blieb dort zwölf Jahre lang bis zu seinem Tod. Atisa reformierte die Mönchsdisziplin, reinigte die tantrischen Praktiken und schrieb eine Reihe spiritueller Unterweisungsbücher für die Tibeter. Hauptsächlich durch seinen Einfluss lebte der Buddhismus in Tibet wieder kräftig auf.

Insgesamt haben sich in Tibet mehrere Schulen oder Traditionen ausgebildet, von denen heute noch vier große Schulen bestehen: die Nyingmapa-Schule, die Kagyüpa-Schule, die Sakyapa-Schule und die Gelugpa-Schule. Die ersten drei Schulen nennt man auch die “alten Schulen”, die Gelugpa-Schule hingegen wird als “reformierte Schule” bezeichnet. Während die “alten Schulen” durch Indien oder in Indien ausgebildete Tibeter gegründet wurden, ist die erst im 14. Jahrhundert gegründete Gelugpa-Schule rein tibetischen Ursprungs.

Die Nyingmapa-Schule geht der Überlieferung zufolge direkt auf Guru Rinpoche (Padmasambhava) zurück und ist damit die älteste Tradition Tibets. Die Kagyüpa-Schule wurde Ende des 11. Jahrhunderts von Marpa und Milarepa begründet, die Sakyapa-Schule von Drog mi im Jahre 1073 und die jüngste Tradition Tibets, die Gelugpa-Schule, von Tsongkhapa im 14. Jahrhundert.[1]Darstellung nach Sangharakshita – Einführung in den tibetischen Buddhismus. Herder Verlag 2000

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Darstellung nach Sangharakshita – Einführung in den tibetischen Buddhismus. Herder Verlag 2000