Burnout nein danke. Prävention und Nachbehandlung im Shiatsu (Joachim Schrievers)

Der Begriff Burnout („ausgebrannt“) bezeichnet einen Zustand, in dem das Körper-Geist-Seele-System nicht mehr in der Lage ist, die äußeren und inneren Herausforderungen des Lebens zu bewältigen, d.h. zu verarbeiten oder zu kompensieren. Dieser Zustand kann vorübergehend oder auch dauerhaft sein. In einigen Fällen sind die Betroffenen auch später nicht mehr in der Lage, ihren Beruf wie vorher auszuüben. Tiefe Umbrüche im Leben und im inneren Wertesystem stehen an, für die außerhalb der sogenannten Burnout-Kliniken kaum Begleiter zur Verfügung stehen. Verstärkt wird dieser leidvolle Zustand oft dadurch, dass Kollegen und Menschen im Umfeld Burnout vielfach noch für eine „Modeerkrankung“ halten, die umso mehr um sich greift, je mehr in den Medien darüber berichtet wird. Sowohl in der Nachbehandlung als auch in der Prävention können wir die Betroffenen mit Shiatsu wesentlich unterstützen.

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Offiziell wird ein Burnout zur Zeit nicht als Krankheit angesehen, sondern als ein Zustand, aus dem sich Krankheiten entwickeln. Diese Sicht ist aber problematisch, weil sich die Symptome eines Burnouts und die einer Depression, die ja als eine schwere Erkrankung gilt, so überschneiden, dass man sie oft gar nicht auseinanderhalten kann. Es gibt namhafte Therapeuten, die zwischen diesen beiden Leidenszuständen gar nicht unterscheiden. Beides ist Ausdruck einer Entfremdung von sich selbst, von den eigenen Gefühlen, dem eigenen Körper, den inneren Bedürfnissen. Je mehr dabei die äußeren Umstände, wie z.B. ein zu großes Arbeitspensum oder eine Verdichtung des Lebens durch Mehrfachbelastung (Umstrukturierung in der Arbeit, ein krankes Kind und eine pflegebedürftige Mutter…) eine Rolle spielen, desto eher würden wir von einem Burnout sprechen. Je mehr die mitgebrachte psychische Grundbelastung, z.B. durch unverarbeitete traumatische Erlebnisse, oder eine innere Entwurzelung eine Rolle spielen, desto eher würde man von einer Depression sprechen. In Wirklichkeit spielen innere und äußere Ursachen so ineinander, dass wir sie nicht voneinander trennen können. Der Begriff Burnout hat allerdings den Vorteil, dass er längst nicht so stigmatisierend wirkt wie Depression. Aus der Sicht des Shiatsu-Behandlers ist nicht die Bezeichnung wichtig, sondern der Grad der Entfremdung und vor allem der Weg zurück in einen gesunden Selbstkontakt.

Da Körper, Geist und Seele miteinander ein System bilden, kann sich ein Burnout auch auf allen Ebenen des menschlichen Daseins manifestieren und auch auf allen Ebenen seine Ursachen haben. Die auftretenden Symptome reichen von Schwindel und Migräne über Hörstürze, Mittelohrentzündungen, Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Neurodermitis bis zu Konzentrationsstörungen, die es unmöglich machen, auch nur ein E-Mail zu beantworten. Auf der seelischen Ebene kommt es oft zu Ängsten, das Leben nicht mehr bewältigen zu können und sorgenvollen Gedankenkreisen, die die Betroffenen nicht mehr abstellen können. Ähnlich vielfältig wie die Symptome sind auch die ineinander verwobenen Ursachen. Wenn der am Arbeitsplatz vorhandene Leistungsdruck auf einen Menschen mit großem Ehrgeiz trifft, der sich über Leistung und Erfolg definiert und die Fähigkeit, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen verloren hat, verstärken sich die äußeren und inneren Ursachen gegenseitig. In einem solchen Fall ist die Burnout-Gefährdung hoch. Heute steht nicht mehr, wie noch vor einigen Jahrzehnten, die körperliche Erschöpfung, sondern die des Nervensystems im Vordergrund. Unser Geist hat so viele Informationen zu verarbeiten, dass er an seine Grenzen stößt. Während sich unser Bewegungsapparat nach Überanstrengung durch entsprechende Signale meldet und wir ihm leicht eine Ruhepause verschaffen können, ist vielen Menschen die Fähigkeit verloren gegangen, ihren Geist zur Ruhe zu bringen, damit er sich erholen kann. Finden belastende Gedanken erst einmal ihren Weg in den wohlverdienten Feierabend und in die Nachtruhe hinein, wird die Fähigkeit zu regenerieren mehr und mehr eingeschränkt – ein fruchtbarer Boden für einen Burnout bzw. das erste Stadium eines Burnout.

In der achtsamen Berührung des Shiatsu machen wir täglich die Erfahrung, dass Körper, Geist und Seele ganz eng miteinander verbunden sind, ja eine Einheit bilden. Wir werden Zeuge eines Geschehens, in dem nicht wir regulieren, sondern sich das System selbst reguliert und organisiert. In der Stille und Achtsamkeit und in der besonderen Art respektvollen Kontakts, in dem der Klient sich in der Tiefe berührt fühlt, setzt, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, ein heilsames Geschehen ein, das natürlich, „aus sich selbst heraus“, geschieht. Dies ist ein großer Schatz des Shiatsu. Wir begegnen unseren Klienten auf der Ebene des Kreises, der auf der folgenden Darstellung das sich gegenseitig beeinflussende System von Körper, Geist und Seele umschließt. Es ist die Ebene, auf der sich die Trennung, die für unsere abendländische Betrachtungsweise so typisch ist, noch nicht vollzogen hat. Es ist die Erfahrungsebene, von der sich der Burnout-Klient entfremdet hat, mit der Folge, dass sein natürliches Selbstheilungssystem das entstandene Ungleichgewicht nicht mehr ausgleichen kann.

Burnout nein danke. Prävention und Nachbehandlung im Shiatsu (Joachim Schrievers)

Gelingt es uns als Shiatsu-Praktiker, unsere Klienten auf dieser Ebene zu berühren, so können die Lebenskräfte selbst wieder beginnen, ihre wundersame Arbeit tun.


Nicht nur behandeln, sondern auch begleiten

Obwohl ein tiefes Shiatsu-Erleben für den Burnout-Betroffenen ein wichtiger Wegweiser sein kann, führt das alleine aber nicht immer zum Ziel. Als Ziel bezeichne ich hier eine Selbstkompetenz, mit der unser Klient in der Lage ist, selbst für eine gute innere Energiebilanz zu sorgen. Je nach Vorerfahrungen sind dazu einige wesentliche, manchmal auch viele kleine Schritte notwendig. Es reicht nicht, dass der Klient im Shiatsu eine angenehme und vielleicht sogar tiefe Erfahrung macht, er muss sich dieser Erfahrung und ihrer Bedeutung auch bewusst werden, damit sie eine kleine Richtungsänderung in seinem Leben, eine kleine Veränderung in seiner Werteordnung bewirken kann. Sonst kann es wie bei einem meiner gestressten Klienten passieren, der zwar aus vielen Shiatsu-Behandlungen energetisch gestärkt nach Hause ging, aber die gewonnene Energie dazu benutzte, im Rahmen seines pathologischen Musters weiterzumachen, mit dem Ergebnis, dass er irgendwann ganz zusammenbrach. Er verbrachte viele Wochen in einer Klinik und konnte und wollte anschließend auch seinen Beruf nicht mehr ausüben. Zu seinem Muster gehörte, wie bei den meisten Betroffenen, dass er sich über Leistung und Erfolg definierte und seine Sache immer möglichst gut, um nicht zu sagen perfekt machen wollte. Das Tun und nicht das Sein standen in seinem Leben im Mittelpunkt.

Bei der Begleitung eines Burnout-Klienten geht es nicht in erster Linie um die Auswahl der passenden Punkte und Meridiane, sondern um das Erleben des Klienten, auf das er dann langsam selbst lernen kann, positiven Einfluss zu nehmen. Wir können ihn z.B. vor Beginn der Shiatsu-Behandlung mit folgenden oder ähnlichen Worten in eine innere Entspannung führen:

„Wenn Sie mögen, dürfen Sie die Augen schließen und sich erst einmal Zeit nehmen ganz anzukommen. Schauen Sie, ob Sie gut liegen und richten sich in Ihrer vertikalen Achse aus! Sie dürfen Ihre Schultern ablegen und entspannt nach unten sinken lassen, das Gewicht Ihrer Arme spüren und sie ganz auf der Unterlage ablegen. Spüren Sie Ihren Rumpf vom Schultergürtel bis zum Becken und vertrauen Sie ihn zusammen mit Ihren Beinen ganz der Unterlage an! Jetzt nehmen Sie sich noch einmal Zeit, in sich hinein zu spüren und zu schauen, wie es Ihnen geht, wie Sie sich wahrnehmen! Am Schluss der Behandlung werden Sie noch einmal Gelegenheit haben, in sich hinein zu spüren und Ihr Erleben mit dem jetzigen zu vergleichen. Sie können die folgende Behandlung als eine Hilfe ansehen, sich in jeder Berührung, in jedem Punkt und in jeder Behandlungslinie zu spüren.“

Diese Einstimmung dauert ca. drei bis fünf Minuten (manchmal auch länger) und hilft dem Klienten, vom Denk-Modus in den Spür-Modus zu kommen. Dabei sind verschiedene Aspekte von Bedeutung. Als erstes hilft es ihm – soweit es in der Kürze der Zeit geht –, in die Entspannung und zur Ruhe zu kommen, eine gute Voraussetzung für die folgenden Shiatsu-Behandlung. Die Ruhe entsteht vor allem dadurch, dass er seine Aufmerksamkeit vom wilden Treiben in seinem Kopf (schon die alten Chinesen sagten: „Der Geist ist wie eine Horde wilder Affen“) abzieht und seinem Körpererleben zuwendet. Er entwickelt eine Achtsamkeit in Bezug auf seine Tiefenempfindungen und dies wiederum ist die Voraussetzung für eine sanfte Einflussnahme. Schließlich ist es schwierig, Einfluss auf etwas zu nehmen, das wir nicht wahrnehmen.

Daneben gibt diese kleine geführte Achtsamkeitsübung unserem Klienten die Möglichkeit, dies auch zu Hause allein zu üben und so langsam die Fähigkeit zu entwickeln, sich aus eigener Kraft in einen Zustand der Ruhe, Entspannung und des Bei-sich-seins zu bringen.

Wenn die an die geführte Entspannung anschließende Shiatsu-Behandlung unseren Klienten in der Tiefe erreicht und vielleicht sogar in einen Zustand erfüllten Daseins führt, in dem er sich aufgehoben und in seinem eigenen Körper geborgen fühlt – ohne etwas geleistet haben zu müssen –, dann kann sich langsam das tiefe Defizit auffüllen, das dem „Besser-machen-wollen“ und „Mehr-haben-wollen“ zugrunde liegt. Wenn wir ihn allerdings darauf nicht aufmerksam und ihm den Wert dieses Erlebens nicht bewusst machen, so bleibt es vielleicht wie ein schöner Traum, an den wir uns schon kurz nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern und aus dem wir später folglich auch nicht mehr schöpfen können. Die ganze Kraft eines solchen Erlebens kann ihm erst zufließen, wenn er es wahrnimmt und wertschätzen lernt.

Wenn wir unseren Klienten aber nach der Behandlung, noch mit geschlossenen Augen im Behandlungszustand, bitten, mit ein paar Worten sein Erleben zu beschreiben, so wird er sich im Suchen passender Worte dieses Erlebens bewusst. In einem zweiten Schritt könnten wir ihn fragen, was in seinem Leben anders wäre, wenn er dieses innere Erleben als ständigen Begleiter zur Verfügung hätte. Eine solche Verknüpfung hilft, die Bedeutung des Shiatsu-Erlebens zu realisieren. Wenn das Erleben so bewusst geworden ist, lernen die meisten Klienten in einer angemessenen Zeit, durch Erinnerung selbst in diesen Zustand einzutreten, wenn auch nicht in der gleichen Intensität. Damit entwickelt sich langsam die Fähigkeit, auf den eigenen inneren Zustand Einfluss zu nehmen. Dies vermindert das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem eigenen inneren Geschehen, einem der größten Stressfaktoren beim Burnout.

Shiatsu kann Menschen in ein lebendiges Selbsterleben zurückführen und den einem Burnout (und einer Depression) zugrundeliegenden Entfremdungsprozess langsam rückgängig machen. Je mehr sie daran mitarbeiten, desto wahrscheinlicher wird dies geschehen.


Schlussbemerkung

In diesem Artikel habe ich versucht, im vorgegebenen Rahmen die wichtigsten Zusammenhänge darzustellen. Vieles müsste eigentlich hinzugefügt und ausführlicher beschrieben werden. Ich hoffe, dass es trotz der verkürzten Darstellung zu keinen Missverständnissen kommt.

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© Joachim Schrievers, Shiatsu-Lehrer in Deutschland (GSD), Qigong- und Taiji-Lehrer, Autor des Buches „Durch Berührung wachsen“ (Huber Verlag).