Das Eine Shiatsu. Ein persönlicher Bericht von der GSD-Fachtagung 2009 (Frank Seemann)

Da lagen sie nun nach jahrelangen Ringen um die Textentwürfe endlich zur Fachtagung in Berlin 2009 vor: Die beiden Einleger zu unseren Anwendungsfeldern „Heilen” und „Gesundheitsförderung”.

Ein toller Moment eigentlich. Dennoch war da in mir ein „Aber”. Bereits in den vergangenen Vorstandssitzungen war in Teilen des Vorstands ein Unbehagen an der Ausdifferenzierung dieser beiden Bereiche gewachsen. Waren wir dabei, unsere gewonnene Klarheit wieder in Fraktionen zu verlieren? Wie die anderen VS-Kolleglnnen hatte ich maßgeblich an der Idee des einen Shiatsu in verschiedenen Anwendungsfeldern mitgearbeitet. Aber im Vorfeld der Tagung hatte das Ringen um genaue Formulierungen deutlich zugenommen. Fast war es wie die Bewegung zwischen Yin und Yang:

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Wollte das eine, die ausdifferenzierte Formulierung Überhand nehmen, zeigte sich sofort die Gegenbewegung: „Wir machen doch alle das gleiche Shiatsu, wo und wie sollen also die wesentlichen Unterschiede sein?”

Deutlich wurde dies auch noch einmal in der Dialogrunde des Schulentreffens. Ohne den Druck einer letztgültigen Formulierung beschrieben all die alten Shiatsu-Hasen und -Häsinnen ihr Tun doch recht ähnlich: „Raum geben, Dasein, zu Lebendigkeit einladen, Wohlsein zulassen”. Vermutlich nicht nur mein Verstand war äußerst unzufrieden mit dieser Situation. Da saßen Vertreterinnen des therapeutischen Shiatsu zusammen mit den „Gesundheitsförderinnen” und beschrieben ihr Shiatsu in gleicher Weise. Wo waren nun die Differenzierungen?

Dies setze sich fort in den Impulsreferaten der Fachtagung von Wilfried Rappenecker und Susanne Löhner-Jokisch. Wirklich klar wurde mir der Unterschied in dem was sie beschrieben nicht. Tanzten beide nur um den heißen Brei oder warum konnte keiner sagen: Mein Shiatsu ist so Deines aber so ? Mein Kopf rebellierte.

In der anschließenden Klärungsrunde mit Bruno Endrich und zwei Shiatu-Kolleginnen fiel mir dann plötzlich wieder der Shiatsukreisel ein. Zwischenzeitlich hatte ich manchmal den Zugang dazu verloren. Warum ziert er eigentlich unsere Produkte? Nun wurde es mir plötzlich wieder klar. Diese Vorstellung entlastete meinen Verstand und erschien mir eine Lösung aus dem intellektuellen Dilemma.

Stellen wir uns den Kreisel bildlich vor, so lassen sich zwei Ebenen in sein Bild legen:

Die flache Oberfläche des Kreisels, auf der wir zur Zeit 5 Anwendungsfelder benannt haben und die Ebene auf der sich die Spitze des Kreisels um die Achse dreht.

Könnte nicht die Ebene der Anwendungsfelder die sein, auf der wir uns entsprechend der jeweiligen politischen und sozialen Realität erklären und ausdifferenzieren müssen? Die Ebene der Spitze symbolisiert dagegen unser gemeinsames Tun. In den Anwendungsfeldern bildet sich unsere berufliche Herkunft und unsere Positionierung in der Shiatsuwelt ab. Die Ausdifferenzierung ermöglicht es uns und unseren Shiatsukolleglnnen von ihrem Berufsfeld anerkannt und rechtlich abgesichert das eine Shiatsu auf ihre jeweilige Art und Weise zu beschreiben und auszuüben.

Bewegen wir uns aber auf die andere Ebene an der Kreiselspitze, dann rücken die Felder immer näher zusammen und wir finden nur noch das eine Shiatsu, das wir gemeinsam teilen. Die eine Ebene beschreibt, wie wir unser Shiatsu in der jeweiligen Welt positionieren, die andere, was wir im Shiatsu tun, die eine unsere Einordnung in äußere Systeme, die andere den Wesenkern von Shiatsu.

Sie ist die wunderbare Mitte von Shiatsu, wo wir oft nicht wirklich klar in Worten beschreiben können was wir da tun und warum es wirkt, wo wir das Wunder des Lebens berühren und zugeben müssen, da geschieht etwas, das wir nicht in der Hand haben. Hinzu kommt, nicht nur in der Abwärtsbewegung zur Kreiselspitze, sondern auch in der Bewegung zur Drehachse in der Anwendungsfeldmitte geschieht das Gleiche. Die an sich an ihren Rändern schon unscharfen Bereiche fallen in das Wesentliche des Shiatsu zusammen, den stillen Kern unseres Tuns. Kein Wunder also, fragen wir die Kolleginnen, was sie denn eigentlich tun im Shiatsu, so sind die Auskünfte recht ähnlich. Fragen wir aber, in welchem Zusammenhang und unter welchen Bedingungen sie es tun, dann erhalten wir differenzierte Beschreibungen.

Die Kernfrage wäre demnach gar nicht, wie unterscheidet sich therapeutisches von gesundheitsförderndem Shiatsu, sondern in welchen Zusammenhängen, vor welchem Hintergrund, mit wel¬chen Zielen, Voraussetzungen und Einschränkungen wird Shiatsu in den beiden (und weiteren) Anwendungsbereichen gegeben. Im Teilen diesen Gedankens mit meinen Schulleiterkolleginnen und dem Plenum der Fachtagung wurde mir klar, dieses Bild beruhigt nicht nur meinen Verstand. Es ermöglicht scheinbar Gegensätzliches zu denken: Wir müssen uns in der gesellschaftlichen Positionierung differenzieren und dennoch tun wir im Kern alle das Gleiche.

Doch auch dieses Bild ist nur ein Bild. Das Tao das genannt werden kann ist nicht das wahre Tao. Wenn man den Kreisel dreht, wird sowieso alles eins.


Quelle

  • Shiatsu Journal Nr. 58

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© Frank Seemann, Vorstandsmitglied GSD, Ressort nationale/internationale Kontakte