Die Kraft des Mannes. Einführung in die chinesische Medizin bei Störungen des Mannes (Andreas Bayer)


Alle Männer kennen das Problem. Am Anfang ihres Lebens haben wir so viel Energie. Sie scheint unerschöpflich. Da wissen wir meist nicht, wohin damit. Mit zunehmendem Alter vermindert sich aber die Leistungskraft. Der Bauch wird zur ständigen Besorgnis. Die Haare verlassen uns schneller als wir Tonika in dieselben verteilen können. Die Sexualkraft ist zwar vorhanden. Die Lust an ihrer Verwendung wird uns durch den Alltag mehr als gründlich vertrieben. Wir sollen sanft, verständnisvoll und weich in Familie und Partnerschaft sein, aber im Geschäftsleben erfolgreich, dynamisch und durchsetzungsstark. Dieser psycho-soziale Spagat raubt über die Jahre hinweg nicht nur körperliche Funktionen. Auch unser seelisches Wohlbefinden bleibt auf der Strecke. Irgendwann sitzen wir dann vor uns selber und fragen uns, ob ein anderer Weg nicht besser gewesen wäre. Die Midlife Crisis bewirkt dann den Egotrip, die vorschnelle Scheidung, den Kauf des Cabrios und die junge Freundin, um die irgendwo verlorene Jugend wieder zu riechen.

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Nun, es gibt einen anderen Weg, den man gehen kann. Einen Weg, der uns zufrieden zurückblicken lässt. Die chinesische Medizin und Philosophie setzt sich seit Jahrtausenden mit den Prozessen des Alterns auseinander. Die Serie der folgenden Wochen soll Ihnen helfen, diese Konzepte zu verstehen und für sich zu nutzen.


Was ist das Konzept des Alterns in der TCM?

Die Zyklik des Lebens spielt in China eine entscheidende Rolle. Geachtet werden jene Menschen, die diesen Kreislauf erfolgreich durchlaufen und am Ende gesund und leistungsfähig ihr Alter genießen können. Während in der westlichen Welt der junge, dynamische und erfolgreiche Manager als Symbol für Männlichkeit steht, ist es in Asien der weise, glückliche und gesunde Greis. Letzterer ist es, von dem man für das Durchlaufen des eigenen Lebensrades viel lernen kann. Bei den jungen erfolgreichen Managern höre ich von chinesischer Seite immer: „ Na warten wir mal, bis der 60 ist!“

Männer durchlaufen im chinesischen Denken einen 8 jährigen Rhythmus:

  • In den ersten 8 Jahren wird die Niere und damit die Essenz und Manneskraft gestärkt. Die Niere speichert Lebenskraft oder „Power“, die der Mann später haben wird. Die Niere wird mit Wasser assoziiert. Junge Männer erhalten daher viel aquatische Nahrung (Shrimps, Fisch, Kalamari etc.) und Nahrung, die im Wasser wächst (Reis) sowie viel Wasser enthält (Gurkengewächse). Schlecht sind Süßigkeiten, Eis, kalte Getränke oder Speisen. Kälte schädigt die Niere.
    • In den zweiten 8 Jahren wird die Milz als Synonym für das Verdauungssystem aufgebaut. Dies bestimmt, wie leicht später Energie für die Leistung aus der Nahrung entzogen werden kann. Wichtig sind Fleisch und Getreide. Belastend sind hier fettreiche Nahrung, frittierte oder gebratene Speisen. Die Milz mag es immer warm und trocken.
    • In den dritten 8 Jahren wird die Leber als Synonym für die Dynamik und Entscheidungs- sowie Leistungskraft gestärkt. Hier steht Blutwurst, Wildfleisch, Ente und viel Gemüse auf dem Speiseplan. Hier schädigen sowohl die Fette als auch die einseitige Ernährung. Hitze, scharfe Nahrung und Alkohol sind der Feind der Leber.

Danach wiederholt sich das Rad wieder mit der Niere als erstes, der Milz als zweites und der Leber als drittes Organ. Es gibt auch noch ein übergeordnetes Rad. Dieses Rad folgt einem Zyklus von 24 Jahren. Ein Durchlauf (Niere-Milz-Leber) stellt so ein großes Rad dar. Je ein Organsystem regiert es. In den ersten 24 Jahren die Niere. In den zweiten die Milz. In den dritten die Leber. Und dann wieder die Niere. Der große Zyklus äußert sich vor allem in Störungsanfälligkeiten und Erkrankungen des Körpers.


Organuhr

  • 00 – 08 Jahre Niere
  • 08 – 16 Jahre Milz
  • 16 – 24 Jahre Leber
  • 24 – 32 Jahre Niere
  • 32 – 40 Jahre Milz
  • 40 – 48 Jahre Leber
  • 48 – 56 Jahre Niere
  • 56 – 60 Jahre Milz
  • 60 – 66 Jahre Leber
  • 66 – 72 Jahre Niere
  • 72 – 80 Jahre Milz

Die Entwicklung eines Kindes bis zum Erwachsenen wird in der TCM mit der Errichtung eines Gebäudes verglichen. Bis zum achten Lebensjahr wird das Fundament des Hauses Mensch gesetzt. Zwischen dem achten und sechzehnten Jahr entsteht das Gebäude. Bis zum vierundzwanzigsten Jahr die Inneneinrichtung.

In Europa werden Kinder als »Kleine Erwachsene« betrachtet und auch so behandelt. Vorhandene Stärken werden gefördert und entwickelt, um später das Leben zu meistern. Kinder werden mit medizinischen Medikamenten für Erwachsene behandelt. Ab dem achten Lebensjahr werden sie wie Erwachsene ernährt. Die europäische Kultur versucht bis in die Volksschule, das Kind durch spielerische Einflussnahme an die Anforderungen der Leistungsgesellschaft zu gewöhnen. In Haupt- und Mittelschule wird der Druck dann spürbar.

In China sieht man das Kind sowohl in psychischer als auch physischer Hinsicht als unterentwickelt und schwach. Vorhandene Schwächen werden in allen drei Entwicklungsphasen besonders gefördert und entwickelt. Die chinesische Medizin kennt eine eigenständige Dialektik, Diagnose und Therapie bei Kindern. Die Erkrankungen, das Meridiansystem, die Akupunkturpunkte und Puls und Zunge sind nicht mit dem von Erwachsenen vergleichbar.

Im Wen Bin Tiao Bian (Systematische Identifikation von fieberhaften Infekten) aus dem Jahr 1798 wird das Kind wie folgt beschrieben: Bei Kindern sind die Organe der Niere, Lunge und Milz in einem dauerhaften Schwächezustand. Die Nierenschwäche führt zu fünf Verzögerungen (Anm.: Verzögerung der Entwicklung von Stehen, Gehen, Haarwachstum, Zahnentwicklung und Fähigkeit der Sprache). Falls das Nierenwasser zu schwach ist, kann das Leberholz nicht genährt werden. Dies führt zum Aufsteigen von Leberwind (Anm.: Hyperaktivität, Konzentrationsstörungen, oftmaliges Schreien, Zornausbrüche). Da die Milz schwach ist, kommt es leicht zu Verdauungsstörungen wie Erbrechen, Durchfall, Nahrungsstagnation und Bauchschmerzen. Die Lungenschwäche führt oft zu Infekten der oberen Luftwege, Asthma und hohem Fieber.

Die asiatische Mutter kümmert sich daher um den Schutz des Kleinkindes vor den organischen Schwächen. Die Erziehung und Ernährung wird von der erfahrenen älteren Generation geleitet. An erster Stelle steht das Stärken der Organsysteme. An zweiter Stelle das Erlernen der Spielregeln der konfuzianistischen Gesellschaft. Hier nehmen die Familie sowie Respekt, Wahrhaftigkeit und Achtung des Älteren einen zentralen Stellenwert ein. Die politisch verordnete Einkindfamilie hat heute im städtischen Bereich in China die Konzepte aufgeweicht.

Neugeborene stehen in allen Kulturen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Stillen stellt in der TCM eine wichtige Grundlage der Körperentwicklung dar. Bereits 652 n. Chr. wurde vom chinesische Arzt SUN SIMIAO im dem Werk QIAN JIN YAO FANG (1000 Dukaten Formeln) das Konzept der einzelnen Entwicklungsschritte des Neugeborenen und die Wichtigkeit der Muttermilch zusammengefasst. Die Muttermilch entsteht in der Milz der Mutter (Anm.: Synonym für das Verdauungssystem) und enthält ihr gesamtes YANG QI (Anm.: wärmende Energie). Gleichzeitig sind die nährenden Komponenten (YING QI) bereits aufgeschlüsselt und »mundgerecht« zubereitet. Schließlich erhält das Kind durch die Mutter WEI QI (Anm.: schützende Energie), welche die Entstehung von Krankheiten verhindert.

Gestillte Kinder sind einfach gesünder, kräftiger und widerstandsfähiger als nicht Gestillte. Wer möchte schon aus rein persönlichen Gründen der Schönheit der Brust seinem eigenen Kind die Kraft und Energie für sein späteres Leben vorenthalten ? Die chinesische Medizin kennt daher viele Mittel zur Regulation von Milchfluss und Produktion. Besonders die Nahrungsaufnahme der Mutter beeinflusst dies.

Männliche Kinder werden in der TCM anders erzogen als weibliche, da bei ihnen das dynamische YANG als männliches Element überwiegt. Durch das von Natur aus vorhandene YANG wird besonders ruhiges, nährendes YIN (weibliches Element) zugeführt.

Die Niere dominiert im ersten Zyklus des Lebensrades sowohl im kleinen Kreis (0 – 8 Jahre) als auch im großen Kreis (0 – 24 Jahre). Der kleine Kreis steht für die Organentwicklung. Der große Kreis für die Schwere von Störungen.

In den ersten acht Jahren wird die Niere und damit die Essenz und Manneskraft gestärkt. Die Niere speichert Lebenskraft oder „Power“, die der Mann später haben wird. Die Niere wird mit Wasser assoziiert. Ihr System reflektiert sich in den Ohren, Knochen und im urologischen Apparat. Wenn Kinder daher Entwicklungsstörungen oder Ohrenentzündungen haben sowie unter Harnwegsinfekten leiden, dann ist in Asien sehr oft langfristige Fehlernährung schuld. Die Kinder erhalten daher viel aquatische Nahrung (Shrimps, Fisch, Kalamari etc.) und Nahrung, die im Wasser wächst (Reis) sowie viel Wasser enthält (Gurkengewächse). Als nicht förderlich gelten Süßigkeiten, Eis, kalte Getränke oder Speisen. Die Kälte schädigt besonders die Niere. Das Frühstück ist immer reichhaltig und warm. Auch fettige Produkte (Pommes Fritte) oder Gewürze (Ketchup) werden von den Kindern fern gehalten. Sie erzeugen im Körper Nässe (und damit Fettleibigkeit und Trägheit) bzw. Hitze und fördern damit Unruhe und Konzentrationsstörungen).

In China sieht man die meisten Kleinkinder mit »Schnellfeuerhosen« ausgestattet. Sie haben alle einen Schlitz in der Mitte. Es ist für einen Chinesen nicht vorstellbar, dass ein Kind im eigenen Kot oder Urin herumgetragen wird. Die Kinder erlernen bereits in den ersten drei Monaten durch ein einfaches Belohnungssystem jedes Mal zu quäken, wenn sie sich entleeren wollen. Die Mütter schnappen die Kinder aus dem Kinderwagen, spreizen die Beinchen und halten es über den Boden. So kann sich das Kind entleeren ohne sich zu verschmutzen. Chinesische Kinder werden in Folge viel früher selbstständig als bei uns.

In den zweiten acht Jahren wird die Milz als Synonym für das Verdauungssystem aufgebaut. Dies bestimmt, wie leicht später Energie für die Leistung aus der Nahrung entzogen werden kann. Wichtig sind Fleisch und Getreide. Belastend sind hier fettreiche Nahrung, frittierte oder gebratene Speisen. Die Milz mag es immer warm und trocken. Zu energiereiche und süße Ernährung führt zu einem frühzeitigen Reifen des Kindes. Dabei ist die Entwicklung des Verdauungssystems noch nicht abgeschlossen. Das Kind tritt schon in die nächste Phase der Pubertät. Zurück bleibt die Unfähigkeit, Nahrung aber auch Ereignisse ausreichend zu verdauen. Ersteres führt zur Fettleibigkeit. Letzteres zu Kopflastigkeit im Alltag. Jede Möglichkeit wird zu einem Problem.

In den dritten acht Jahren wird die Leber als Symbol für Dynamik und Entscheidungs- sowie Leistungskraft gestärkt. Hier steht Blutwurst, Wildfleisch, Ente und viel Gemüse auf dem Speiseplan. Es schädigen Fette und einseitige Ernährung. Hitze, scharfe Nahrung und Alkohol sind der Feind der Leber. In dieser Zeit erzeugte Hitze belastet den Mann ein Leben lang. Er läuft und läuft, ohne jemals anzukommen. Schon kleine Kinder haben oft ein schwaches Herz- und Lebersystem. Unsere reizüberflutete Gesellschaft trägt das ihre dazu bei. Resultat sind besonders bei Buben leichte Erregbarkeit, Unruhe und Konzentrationsstörungen sowie Reizbarkeit, Ärger, Zornattacken und Schlafstörungen. Kinder und Jugendliche reagieren sensibel auf Stress, welcher durch einen unregelmäßigen Tagesrhythmus zustande kommt. Die pünktliche Nahrungsaufnahme und geregelte Schlafzeiten (Mittagsschlaf!) sind für die Entwicklung einer inneren Organuhr unerlässlich. In der Kindheit entsteht ein Metronom, welches das ganze Leben den Takt angibt. In der Jugend wird dieses Metronom verankert und erlaubt so mit in einer Harmonie von Körper, Seele und Geist in das bevorstehende Leben zu treten.

Die Nutzung der Kraft als erwachsener Mann bedeutet in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) das weise Verwalten einer nur vorgeblich unerschöpflichen Energie.

Geschafft! Endlich erwachsen. Hinein ins Leben und mit vollen Händen ausgegeben. Der Körper erscheint in den ersten Jahren des Erwachsenenlebens als selbstreinigendes Backrohr. Es gibt nichts, was er nicht aushält. Und wenn, dann kurz die Zähne zusammengebissen und weiter in der Leistungsgesellschaft. Man möchte ja schließlich nicht der Letzte sein, der den Gipfel erreicht. Spätestens beim Durchlaufen des zweiten acht Jahre dauernden Zyklusteiles (jenem der Milz) beginnt man auf einmal zu spüren, dass die Leistungskraft sinkt. Das am Anfang eingeschlagene Tempo beginnt Tribut zu verlangen. Der Bauch beginnt zu wachsen und die Kopfhaare lichten sich zunehmend. Der Marathon des Lebens wurde einfach zu schnell angegangen. Auf einmal fällt man zurück, kommt außer Atem und fragt sich, wie das alles weitergehen soll.

In China ist das Erwachsenenalter die eigentliche Prüfung der Fähigkeit, die Körperenergien zu regenerieren und zu stärken. In den ersten acht Jahren (24 – 32), so sagen die alten Chinesen, soll man ein Haus bauen, eine Familie gründen und Kinder zeugen. In den zweiten acht Jahren (32 – 40) soll man das Bewusstsein schärfen, damit man die eigene Kraft schützen lernt. In den dritten acht Jahren (40 – 48) ist die Ordnung des Erreichten und das bedachte Handeln im Vordergrund.


Das Leben als Wanderung

Das Leben wird in Asien als eine Wanderung über einen Berg gesehen. Der Aufstieg ist der Abschnitt der Entwicklung der Persönlichkeit und des Körpers von Geburt bis zum 24 Lebensjahr. Der Abschnitt auf dem Plateau des Berges ist die Leistungszone zwischen 24 und 48 Jahren. Der Abschnitt der Verwaltung und Lehre an junge Menschen, die den Berg hinauf eilen, beginnt ab dem 48. Lebensjahr. Junge, dynamische und hyperaktive Menschen, die unsere Gesellschaft so schätzt, werden in China misstrauisch betrachtet. Warten wir einmal, bis er 60 Jahre alt ist und ob es ihm immer noch so gut geht, sagen die Asiaten dann. Geachtet und respektiert wird derjenige, der im Alter noch voller Kraft und Energie steckt.

Das in den letzten Jahren in den Industrieländern populär gewordene Anti-Aging ist in China gänzlich unbekannt. Bewusstes Altern steht im Vordergrund. Altern gilt als natürlicher Prozess, den man selber begleiten muss. Die Verhinderung des Alterns ist nicht nur nicht möglich sondern hat auch negative Konsequenzen für den Weg, den wir alle gehen. Man wird kaum einen Asiaten treffen, der seiner Jugend nachweint. Jeder Abschnitt hat seine Vor- und Nachteile. Die Kraft der Niere im Alter von 24 bis 32 wird durch das erweiterte Bewusstsein zwischen 32 und 40 mehr als kompensiert. Schließlich beginnt man ab 40 zunehmend die Früchte seiner Arbeit zu ernten und lernt, dass Leistung alleine noch nicht alles gewesen ist. Jeder der drei 8-Jahres Abschnitte hat seine Wertigkeit und seine eigene Qualität. Nutzung der Kraft bedeutet in diesem Sinne das bewusste Durchlaufen jedes Abschnittes. Mit 42 Jahren zu versuchen, sich wie ein 24 jähriger Mann zu gebärden, wirkt nicht nur lächerlich sondern gefährdet auch die eigene Gesundheit.


Die Kraft der Niere

Die Nutzung der Kraft der Niere bedeutet bis zum 32 Lebensjahr, dass die schöpferische Komponente und die Durchsetzungskraft gestärkt wird. Der Geist steckt voll unkonventioneller Ideen, die man unbedingt probieren sollte. Auch wenn das bedeutet, zu scheitern. Nur jene Handlungen, die man ständig wiederholt, werden zu Fehlern, sagt Chuang Tse (369 – 286 v.Chr.). Sport sollte auf jeden Fall im Vordergrund stehen. Hier empfehlen die chinesischen Quellen Kampfsportarten wie Gong Fu oder Schwert Qi Gong. Wichtig ist auch die energiereiche Ernährung. Der Schwerpunkt liegt auf Fischen, aquatischen Produkten, Wurzelgemüse und Fleisch. Besonders schädlich sind Salz, Alkohol und rohe Ernährung im Übermaß.


Die Kraft der Milz

Die Nutzung der Kraft der Milz im Alter von 32 bis 40 Jahren bedeutet das Erlernen der Nutzung des Bewusstseins. Als sportliche Aktivität wird in Asien das Gehen bzw. Wandern empfohlen. Man erlernt die Techniken des Ba Duan Jin (8 Brokatübungen) des Qi Gong, um seine eigene Kraft gezielt einsetzen zu können. Die Ernährung sollte fettarm und arm an schleimenden Produkten (Milch und Milchprodukte, Zucker, Weißmehl) sein. Besonders Gemüse und gekochtes Fleisch braucht nun der Körper. Kalte und rohe Kost gehören vermieden. Zur Kraft des Handelns der Niere kommt das Bewusstsein der Verantwortung für die Konsequenzen. Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man unterlässt, meint Laotse (604 v. Chr.) hiezu.


Die Kraft der Leber

Im besten Fall hat man mit 40 Jahren die Kraft gestärkt, das Bewusstsein geschult und genug Erfahrung gesammelt, um langfristig positive berufliche und private Entscheidungen zu treffen. In Asien erklimmt man in diesem Alter die ersten Leitungspositionen, um seine erworbenen Kenntnisse einzusetzen. Nun erst kann man die eigene Dynamik wirklich ausschöpfen, ohne zu impulsiv und unbedacht zu handeln. Als sportliche Aktivität wird zunehmend auch die Meditation und die langsame Bewegung geübt. Tai Chi Chuan (Schattenboxen) steht jetzt auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Die Schärfung des Verstandes und der Fähigkeit zu kombinieren verlangt eine neue Form des Lernens. Der Körper und der Geist benötigt nun leichte und vollwertige Ernährung mit hohem Gemüseanteil, geringerem Fleischanteil und der Vermeidung von Fetten und Alkohol. Habe keine Angst langsam zu gehen, habe nur Angst stehen zu bleiben, sagt Chuang Tse (369 – 286 v.Chr.).

Die Periode der Kraft von 24 bis 48 Jahren gibt den Takt für das restliche Leben vor. Korrektes Handeln in dieser Periode führt zum Gefühl „alles richtig gemacht zu haben“. Die Wurzel des Glücks des Lebens wird in China in diesen Lebensabschnitt gelegt. Ebenso aber auch die Wurzel der Weisheit. Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: Erstens durch Nachdenken, das ist der Edelste. Zweitens durch Nachahmen, das ist der Leichteste. Und drittens durch Erfahrung, das ist der Bitterste, beschreibt dies Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.)

Die Gesundheit ist in der chinesischen Medizin (TCM) kein dauerhafter Zustand. Sie ist vielmehr das Ergebnis des sorgfältigen Verwaltens der eigenen Ressourcen.

Beruflich passt alles. Der Familie geht es gut. Das Einfamilienhaus ist bald ausbezahlt. Die Kinder werden langsam flügge. Man hat sich das Leben geordnet. Alles scheint in Ordnung. Aber irgend etwas stimmt nicht. Ständig begleitet einen das Gefühl, auf etwas Wichtiges vergessen zu haben. Eines Tages holt der Körper sein Recht. Und meldet sich lautstark zu Wort. Man reagiert überrascht. Bisher war doch alles in Ordnung. Man musste nur danach trachten, weiter zu kommen. Was soll denn das schon wieder, denken sich viele. Und ignorieren die Signale. Kompensieren sie mit noch mehr Leistung. Versuchen durch einen Erholungsurlaub die verlorene Zeit wett zu machen. Doch irgendwie gelingt das nicht. Die im Laufe der Jahre angehäuften kleinen Schäden beginnen zu dauerhaften Belastungen zu werden.

In Asien wird das Alter zwischen 48 und 72 Jahren als eine Periode des vorausschauenden Verwaltens gesehen. In den ersten acht Jahren (48 – 56) sollte man versuchen, die Aktivität auf den eigenen Körper zu konzentrieren. In den zweiten acht Jahren (56 – 64) steht das Auseinandersetzen mit dem Leben und die Vorbereitung der Zeit nach der beruflichen Tätigkeit im Vordergrund. Im dritten Abschnitt (64 – 72) hat die Pflege der körperlichen Reserven und die Aufrechterhaltung der Funktionssysteme absolute Priorität.


Das Leben als Weg der Erkenntnis

Das Leben ist in der chinesischen Philosophie ein langer Weg der Erkenntnis. Im dritten Abschnitt blickt man auf eine Vielzahl von Erfahrungen zurück. Das Lernen aus dem Erlebten wird als einzige Möglichkeit gesehen, dauerhaft den Körper vor Schaden zu schützen. Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, wie in der europäischen Kultur. Sie ist vielmehr ein dynamischer Prozess, der auf der einen Seite von den belastenden und negativen Ereignissen und auf der anderen Seite durch selbst gesetzte positiv wirkende Maßnahmen beeinflusst wird.

Handeln, um den Körper zu stärken und auf den nächsten Abschnitt vorzubereiten, steht daher zwischen 48 und 56 Jahren im Vordergrund. Als Bewegungstechnik wird in Asien das Tai Chi Chuan erlernt. Nicht das Schaffen von Kraft sondern vielmehr das Zirkulieren der körpereigenen Energien steht hierbei im Vordergrund. Die Ernährung sollte auf mediterrane Kost umgestellt werden. Fette (wie Olivenöl oder Sesamöl) und Salz sind Freund und Feind zugleich. In Maßen nützen sie. Im Übermaß schaden sie dem Körper besonders. Der Nierenzyklus von 48 bis 56 Jahren ist jener, in dem Osteoporose, Gelenkskrankheiten und Dem Urogenitalsystem am Besten vorgesorgt werden kann. Er ist aber auch jener Abschnitt, in dem Störungen der oben genannten Systeme gehäuft auftreten. Potenzprobleme, Prostatavergrößerung und das Gefühl der sinkenden Willenskraft gehören genauso zur Niere wie Hörstörungen, Bandscheibenprobleme und Erkrankungen des Zahnapparates. Empfohlen wird die Überprüfung der Körpersysteme. Vorsorgeuntersuchungen gehören ebenso dazu wie die Stärkung entdeckter Schwächen. Als größte Schwäche gilt die Unfähigkeit, den jeweiligen Lebensabschnitt zu erkennen und den Körper entsprechend zu unterstützen.


Die Verwaltung der Milz

Die Milz ist zuständig für das Denken, die Fähigkeit zur Analytik und Kombinatorik, sowie für das Muskel(fleisch) und die Festigkeit des Bindegewebes. Im zweiten acht Jahre dauernden Zyklus der Milz (56 – 64) liegt der Schwerpunkt in der Bewegung. Bürohengste sollten sich wieder auf die Weide stellen. Nicht die sportliche Leistung steht hierbei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Leben als Marathon verlangt Ausdauer und Kontinuität. Besonders schädigend sind mangelnde Bewegung, sowohl in körperlicher als auch geistiger Hinsicht. In China werden Arbeitskräfte in diesem Alter aus dem Produktionsprozess herausgenommen und in der Lehre und Führung junger Mitarbeiter eingesetzt. Ein zufriedenes Leben kann nur erzielt werden, wenn die im Leben mühsam erlernten Erkenntnisse auch an die jüngere Generation weitergegeben werden. Das Wissen um das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen ist ein kostbarer Schatz, der vielen Anderen nützen kann. Die Kost orientiert sich an kräftigender, fleischhältiger Kost mit einem wesentlichen Gemüseanteil. Fettreiche Nahrung schädigt hier genauso wie ein Übermaß an zuckerhältiger Nahrung oder Alkohol.


Die Verwaltung der Leber

Zwischen dem 64. und 72 Lebensjahr dominiert die Leber den menschlichen Zyklus. Schlafstörungen, Unruhezustände und Griesgrämigkeit belasten den alternden Mann. Neue Dinge irritieren zunehmend. Der gesunde Mann in dieser Altersgruppe st biegsam wie ein Haselnussstrauch, sagen die alten Chinesen. Die geistige und körperliche Steifheit gilt als größte Gefahr. Der Grund liegt im zunehmenden YIN Mangel des Körpers. YIN ist das ruhige, befeuchtende Element. Wenn man nicht aufpasst, dann vertrocknet man richtiggehend. Ausreichende Zufuhr von wasserhältigen Nahrungsmitteln (Gemüse) und aquatischen Produkten schützt davor. Blutstärkende Ernährung mit gekochter Hühner- oder Entenleber, Rotkraut und Tomaten, aber auch Melanzani oder Azukibohnen oder schwarzer Sesam auf dem Speiseplan erzeugt das notwendige YIN und unterstützt auch den Kampf gegen die zunehmende Vergesslichkeit. Bewegung am Morgen ist der beste Schutz vor Versteifung des Körpers. Das kann klassische Gymnastik genauso gut sein, wie asiatische Bewegungstechniken. Übermäßige Ruhe schadet. Auch dem Geist. Stellen Sie ihrem Geist und ihrem Körper jeden Tag neue Aufgaben. Trainieren Sie ihre Denkfähigkeit.. Üben Sie mit Qi Gong Kugeln die Koordination der Finger.

Leben ist ein dynamischer Prozess, der ständiges Handeln und Denken verlangt. Das gesunde Alter ist der Lohn für das sorgfältige Verwalten der Lebenskraft. Die Gegenwart ist im asiatischen Denken die Vergangenheit der Zukunft. Was Sie heute tun (oder unterlassen), ist das, woran sich ihr Körper und Geist morgen erinnern werden. Lernen sie aus den Erkenntnissen der Jahrtausende alten Erfahrung der Asiaten. Setzen sie für sich so viele positive Akzente wie möglich. Ihr Körper und ihre Seele werden es Ihnen im Alter mit wohlbefinden danken.

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© Univ. Prof. Dr. Andreas Bayer, des. Rektor TCM-Privatuniversität Li Shi Zhen, Tel.: +43 (1) 641 67 38, Fax: +43 (1) 641 67 28, www.tcm-university.edu, Mail:wie@tcm-academy.edu (veröffentlicht in “Ihr Einkauf”, Frühjahr 2004)