Dosis- und zeitabhängige Umkehreffekte

Dosisabhängiger Umkehreffekt

Von einem dosisabhängigen Umkehreffekt (Hormesis) spricht man, wenn ein Medikament (ein Stimulus) abhängig von der Dosis (Intensität) unterschiedliche Wirkungen zeigt. Entgegen der Erwartung eines (durchgehend) linearen Zusammenhangs (“je größer die Dosis, desto stärker die Wirkung”) kann ein Medikament z.B. in geringer und steigender Dosis eine zunehmend blutdrucksenkende Wirkung haben. Bei einer weiteren Dosissteigerung kann die Blutdruck senkende Wirkung jedoch wieder geringer werden und das Medikament schließlich sogar die gegenteilige, eine Blutdruck erhöhende Wirkung entfalten. Solche Umkehreffekte sind nun aber keine ungewöhnlichen Einzelfälle, sondern zeigen sich, im Gegenteil, relativ häufig, wobei die Dosis-Wirkungs-Beziehung zudem von individuellen Faktoren abhängt.[1]Hormesis – griechisch: Anregung, Anstoß. Schon Paracelsus formulierte im 16. Jahrhundert: “Die Dosis macht das Gift”. K. Linde (“Dosisabhängige Umkehreffekte. Eine … weiterlesen

Ähnliche Aussagen macht auch das Arndt-Schultz´sche Gesetz, das (in einer seiner Formulierungen) aussagt, dass Therapien (Medikamente, Behandlungen) in geringer Dosis anregend (stärkend, fördernd) wirken, in höherer Dosis abschwächend und in hoher Dosis sogar unterdrückend.[2]In einem Artikel in “Nature” (vom 13. Februar 2003) plädiert Edward Calabrese (Universität von Massachusetts in Amherst) im Sinne der Hormesis für einen Paradigmenwechsel in der … weiterlesen


Zeitabhängiger Umkehreffekt

Eine nicht-lineare Beziehung besteht auch zwischen den Faktoren Zeit und Wirkung: Eine therapeutische Intervention kann eine kurzfristig positive und langfristig negative (oder eine kurzfristig negative und langfristig positive) Wirkung haben. In der Homöopathie ist dieses Phänomen als Erstverschlimmerung bekannt, der eine langfristig positive Wirkung folgt (folgen soll). Umgekehrt kann die reine Symptombekämpfung als Erstverbesserung interpretiert werden, der eine Langzeitverschlimmerung folgt.[3]Ein ähnlicher, nicht linearer Zusammenhang zeigt sich beispielsweise auch beim Bau einer neuen Straße zur Verkehrsentlastung. Kurzfristig ist der gewünschte Effekt da, mittelfristig aber reagieren … weiterlesen

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Hormesis – griechisch: Anregung, Anstoß. Schon Paracelsus formulierte im 16. Jahrhundert: “Die Dosis macht das Gift”.

K. Linde (“Dosisabhängige Umkehreffekte. Eine differenzierende Literaturbetrachtung”. Dissertation, München 1991) und M. Oberbaum & J. Cambar (“Hormesis: dose-dependent effects of low and very low doses”. In: P.C. Endler & J. Schulte: “Ultra High Dilution. Physiology and Physics”. Kluwer, Dordrecht 1994) – zitiert nach K.W. Kratky (“Komplementäre Medizinsysteme”. Ibera, Wien 2003).

Einen dosisabhängigen Umkehreffekt beschreibt die Traditionelle Chinesische Medizin auch in ihrer Differenzierung zwischen dem “Botschaftsgeschmack” (kurzfristig anregender Geschmack) und dem “ernährenden Geschmack” (physiologischer Geschmack).

2 In einem Artikel in “Nature” (vom 13. Februar 2003) plädiert Edward Calabrese (Universität von Massachusetts in Amherst) im Sinne der Hormesis für einen Paradigmenwechsel in der Toxikologie. Calabrese sammelte (zusammen mit der Koautorin Linda Baldwin) in der Fachliteratur Tausende von Beispielen für paradoxe Wirkungen geringer Substanz- und Strahlungsmengen. Vor dem Erreichen des Nullpunktes nämlich soll – entgegen dem etablierten linearen Dosis-Schaden-Modell – die tatsächliche Kurve oft sogar U-förmig unter das Schadensniveau bei Abwesenheit des Schadstoffes sinken. Kleine Dosen, so Calabrese, schaden demnach nicht, sondern nützen sogar. Aus seinen Daten folgert er, dass die Hormesis allgegenwärtig sei und erklärt sie mit einer überkompensierenden Abwehrreaktion des Organismus.     
Fachkollegen reagieren mit dem Hinweis auf oft verdeckte schädliche Neben- und Nachwirkungen eher skeptisch auf die Thesen von Calabrese. Es wird – zumindest im Bereich der Schwellenwertdebatte von Giftstoffen und Strahlenbelastung – befürchtet, dass der Organismus für die zunächst erfolgreiche Abwehr-Überreaktion eine Preis zahlt, durch den er – wenn auch verzögert – erst recht Schaden nimmt.
3 Ein ähnlicher, nicht linearer Zusammenhang zeigt sich beispielsweise auch beim Bau einer neuen Straße zur Verkehrsentlastung. Kurzfristig ist der gewünschte Effekt da, mittelfristig aber reagieren die Autofahrer auf die neue Möglichkeit, wodurch die neue Straße “Verkehr anzieht”, so dass die Situation langfristig – durch vermehrten Umstieg aufs Auto – noch schlechter werden kann, als wenn man die Straße gar nicht gebaut hätte.