Emotionen und Gefühle. Ergebnisse der Neurowissenschaften nach Antonio R. Damasio

Emotionen sind nach außen gerichtet und größtenteils öffentlich, Gefühle hingegen sind nach innen gerichtet. Sie sind die private, mentale Erfahrung einer Emotion. Die Mechanismen, die einer Emotion zu Grunde liegen, benötigen kein Bewusstsein, selbst wenn sie sich dessen manchmal auch bedienen. Sie können die Kaskade von Prozessen in Gang setzen, die zum emotionalen Ausdruck führen, ohne dass wir uns des emotionalen Auslösers (und der Zwischenschritte) bewusst sein müssen.[1]Mit der Evolution des Bewusstseins zeigen sich Emotionen in einem Kontext von Bewusstsein. Wir können unsere Emotionen nahezu ständig fühlen und wir wissen, dass wir sie fühlen.

Emotionen unterliegen nicht unserer Kontrolle. Nur teilweise können wir ihren Ausdruck kontrollieren, z.B. in dem wir Ärger unterdrücken oder Traurigkeit nicht zeigen.[2]Das hat zur Folge, dass sich bei den meisten Menschen relativ genau an ihren Emotionen ablesen lässt, wie sehr die Umwelt zu ihrem Wohlbehagen beiträgt (oder zumindest, wie ihr Organsimus diesen … weiterlesen Auch müssen wir uns des Auslösers einer Emotion nicht bewusst sein.[3]Repräsentationen von Emotionen, die wiederum Gefühle nach sich ziehen, müssen nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit sein (unabhängig davon, ob sie durch ein äußeres Objekt oder einen inneren … weiterlesen Eine sorgfältige Prüfung kann vielleicht mögliche Gründe zutage fördern, und der eine oder andere Grund mag plausibler sein als ein anderer, aber wir können uns oft einfach nicht sicher sein.[4]Die nichtbewusste Auslösung von Emotionen (wenn der psychologische und physiologische Kontext stimmt, folgt eine Emotion), erklärt auch, warum es schwer fällt, sie willkürlich nachzuahmen. Wir … weiterlesen


Definition von Emotion und Gefühl

Emotionale Zustände lassen sich definieren durch eine Vielzahl von Veränderungen im chemischen Profil des Körpers, durch Veränderungen im Zustand der Viszera und durch Veränderungen in der Kontraktion verschiedener quergestreifter Muskeln des Gesichts, der Kehle, des Rumpfes und der Gliedmaßen. Sie werden aber auch durch Veränderungen in jenen neuronalen Strukturen definiert, die diese Veränderungen verursachen und die darüber hinaus andere bedeutende Veränderungen im Zustand mehrerer Schaltkreise im Gehirn selbst hervorrufen. Vereinfacht lässt sich eine Emotion als eine spezifisch verursachte, vorübergehende Veränderung im Zustand des Organismus beschreiben.

Das Gefühl (einer Emotion) ist die Repräsentation der vorübergehenden Veränderung im Zustand des Organismus in Form neuronaler Muster und der daraus folgenden Vorstellungen. Wenn diese Vorstellungen einen Augenblick später vom Selbst-Sinn im Akt des Erkennens begleitet und verstärkt wurden, dann gelangen sie ins Bewusstsein. Sie sind dann in der eigentlichen Bedeutung des Wortes “Gefühle von Gefühlen”.


Klassifikation und biologische Grundlage der Emotionen

Damasio unterscheidet im Bereich der Emotionen zwischen:

  • primären (oder universellen) Emotionen wie Freude, Trauer, Furcht, Ärger, Überraschung und Ekel;
  • sekundären (oder sozialen) Emotionen wie Verlegenheit, Eifersucht, Schuld, Stolz u.a.m; und
  • Hintergrundemotionen wie Wohlbehagen, Unbehagen, Ruhe, Anspannung u.a.m.[5]Hintergrundemotionen nehmen wir an Hand von kleinen, unauffälligen Details wahr (z.B. Körperhaltung, Geschwindigkeit oder Schema der Bewegung, minimale Veränderungen in der Häufigkeit und dem … weiterlesen

Der biologische Kern der Emotionen:

  • Emotionen sind komplizierte Bündel von chemischen und neuronalen Reaktionen, die ein Muster bilden. Ihre Aufgabe besteht darin, den Organismus darin zu unterstützen, am Leben zu bleiben.
  • Emotionen sind biologisch determinierte Prozesse, die von angeborenen Hirnstrukturen abhängen. Kulturelle Einflüsse und Lernen können nur den Ausdruck von Emotionen ändern und ihnen neue Bedeutungen verleihen.
  • Die Strukturen, die Emotionen hervorbringen, befinden sich in einem relativ eng begrenzten Gebiet von subcorticalen Regionen.
  • Alle Mechanismen können automatisch, d.h. ohne bewusste Auslösung, in Gang gesetzt werden.
  • Allen Emotionen dient der Körper (das innere Milieu, viszerale und vestibuläre Systeme sowie der Bewegungsapparat) als “Bühne”, doch Emotionen beeinflussen auch die Arbeitsweise zahlreicher Schaltkreise des Gehirns. Die Gesamtheit der Veränderungen in der Landschaft des Körpers und des Gehirns bilden das Substrat der neuronalen Muster, die schließlich zu gefühlten Emotionen werden.

Emotionen sind Teil der bioregulativen Mechanismen, die unserem Überleben dienen[6]Emotionen rangieren gewissermaßen zwischen der Grundausstattung für das Überleben (z.B. Regulation des Stoffwechsels, einfache Reflexe, Motivationen, Biologie von Schmerz und Lust) und den … weiterlesen, und haben daher eine doppelte Funktion:

  • Sie rufen auf eine auslösende Situation eine spezifische Reaktion hervor (z.B. davonlaufen, den Feind wütend angreifen, sich freundlich verhalten etc.).
  • Sie regulieren den inneren Zustand des Organismus, damit er auf die spezifische Reaktion vorbereitet ist (z.B. Erhöhung der Blutzufuhr der Beinarterien, so dass die Beinmuskulatur zusätzliche Mengen an Sauerstoff und Glukose für die Fluchtreaktion erhält).


Bedeutung und Auslösung der Emotionen

Die Bedeutung von Emotionen liegt darin, den Organismus mit überlebensorientierten Verhaltensweisen zu versorgen. Zugleich wirken Emotionen bei ihrem Auftreten im Hier und Jetzt auf den Geist ein, und Organismen, die mit Bewusstsein ausgestattet sind (die also erkennen können, dass sie Gefühle haben), erreichen eine andere Ebene der Regulation, wodurch die innere Wirkung der Emotionen unterstützt wird.

Auf der fundamentalsten Ebene sind Emotionen Teil homöostatischer Regulationen und dazu bestimmt, jeden Verlust von Unversehrtheit zu verhindern oder eine Quelle aufzusuchen, die Energie, Schutz oder Sexualität verspricht. Als Ergebnis von Lernprozessen können Emotionen aller Schattierungen dazu beitragen, homöostatische Regulationen und “Überlebenswerte” mit zahlreichen Ereignissen und Objekten unserer autobiographischen Erfahrung zu verbinden.

Emotionen treten unter zwei Bedingungen auf:

  • wenn der Organismus bestimmte Objekte oder Situationen mit einem seiner Sinnesapparate verarbeitet, und
  • wenn der Geist eines Organismus aus der Erinnerung bestimmte Objekte und Situationen abruft und sie als Vorstellungen im Denkprozess repräsentiert.

Unter Berücksichtigung individueller Schwankungen (und des Umstandes, dass wir gemischte Emotionen haben können) gibt es eine grobe Entsprechung zwischen Kategorien emotionaler Auslöser und den resultierenden emotionalen Zuständen. Organismen haben im Laufe der Evolution die Möglichkeit erworben mit dem Reaktionsbündel “Emotion” auf bestimmte Reize zu reagieren, besonders aber auf jene, die unter dem Gesichtspunkt des Überlebens potentiell nützlich oder potentiell gefährlich sind.

Unabhängig von der Tatsache, dass die emotionalen Mechanismen einem gewissen Maß an biologischer Vorprogrammierung unterliegen, haben Entwicklung und Kultur einen wesentlichen Anteil an ihrer letztendlichen Ausprägung, indem sie:

  • das prägen, was nachher einen angemessenen Auslöser einer gegebenen Situation darstellt,
  • einige Aspekte des emotionalen Ausdrucks prägen und
  • die Kognition und das Verhalten prägen, die auf die Manifestation einer Emotion folgen.[7]Zwar spielt die Gesellschaft bei der Ausprägung sekundärer Emotionen (wie z.B. Schuld und Scham) eine größere Rolle als bei primären Emotionen und treten sekundäre Emotionen erst später in der … weiterlesen

Im Zuge ihrer Entwicklung erwerben Organismen faktische und emotionale Erfahrungen mit verschiedenen Objekten und Situationen, was dazu führt, dass ursprünglich emotional neutrale Objekte und Situationen mit Objekten und Situationen assoziiert werden, die evolutionär (biologisch) dafür vorgesehen sind, Emotionen auszulösen.[8]Diese Form des Lernens wird als Konditionierung bezeichnet. Letztlich kann jedes Objekt emotional besetzt werden, unsere primäre biologische Anlage jedoch beeinflusst unsere sekundären Erwerbungen … weiterlesen Letztlich wird jede Vorstellung, unabhängig davon, ob sie tatsächlich wahrgenommen oder aus dem Gedächtnis abgerufen wird, von einer emotionalen Reaktion begleitet.

Ihre maximale Wirkung aber entfalten Gefühle, wenn Bewusstsein vorliegt. Mit dem Vorliegen von Bewusstsein (und damit Vernunft) hat das Individuum die Möglichkeit, zu überlegen und zu planen, wie auch – in einem gewissen Maß – seine Emotionen zu kontrollieren.


Mechanismen der Emotionen

Die Reaktionen, die durch Emotionen konstituiert werden, sind vielfältig und höchst unterschiedlich. Einige der Reaktionen sind uns leicht anzusehen, wie z.B. unser Gesichtsausdruck, Erbleichen, Erröten, feuchte und kalte Hände etc. Andere Reaktionen hingegen bleiben dem Betrachter verborgen (z.B. Ausschüttung von Cortisol, das das chemische Profil des inneren Milieus ändert, oder die Freisetzung von Neurotransmittern wie Noradrenalin, Serotonin und Dopamin, die die Arbeitsweise vieler zerebraler Schaltkreise verändern).

Auch werden verschiedene Emotionen von verschiedenen Gehirnsystemen hervorgerufen, d.h. bei verschiedenen Emotionen (z.B. Glück oder Trauer) werden unterschiedliche Hirnsysteme aktiv. Neurologisch zeigt sich dabei:

  • Es gibt im Gehirn nur eine kleine Zahl von Strukturen, die Emotionen auslösen. Diese Strukturen liegen vor allem unter der Großhirnrinde, weshalb sie als subcortical bezeichnet werden. Wichtige Gebiete sind das periaquäduktale Grau (PAG) und die Amygdala. Von den corticalen Regionen wichtig für die Auslösung von Emotionen sind Abschnitte des anterioren cingulären Cortex und der ventromedialen frontalen Region.
  • Diese Regionen sind in der Verarbeitung von Emotionen beteiligt. Die Auslösung und Erfahrung der verschiedenen Emotionen, wie Trauer, Ärger, Furcht und Glück, führen zu unterschiedlichen Aktivierungsmustern. Unterschiedliche Systeme sind für die verschiedenen emotionalen Muster zuständig.[9]Trauer beispielsweise aktiviert den ventromedialen präfrontalen Cortex, den Hirnstamm und den Hypothalamus. Ärger und Furcht hingegen involvieren weder den präfrontalen Cortex noch den … weiterlesen
  • Einige dieser Regionen sind auch an der Erkennung von Reizen beteiligt, die auf bestimmte Emotionen hinweisen.[10]Die in der Tiefe beider Schläfenlappen liegende Struktur der Amygdala beispielsweise ist unentbehrlich, um den Gesichtsausdruck von Furcht zu erkennen, um auf Furcht konditioniert zu werden und … weiterlesen


Die Folgen von Emotionen

Bei einer typischen Emotion senden bestimmte Hirnregionen, die zu einem weitgehend vorprogrammierten neuronalen System gehören, Signale (Befehle) sowohl an andere Hirngebiete wie auch an fast jeden anderen (übrigen) Ort des Körpers. Übertragen werden diese Signale zum einen nerval (über Nervenzellbahnen, die auf andere Neuronen, Muskelfasern und Organe einwirken) und zum anderen chemisch (über die Ausschüttung chemischer Moleküle in die Blutbahn, die auf die Rezeptoren von Zellen in Körpergeweben einwirken). Ergebnis dieser sowohl chemischen wie auch neuronalen Kommandos ist eine globale, umfassende wie auch tief greifende Änderung im Zustand des Organismus. Dabei werden auch das Gehirn und seine Funktionen grundlegend modifiziert. So ändert beispielsweise die Freisetzung von Monoaminen und Peptiden im Hirnstamm und im basalen Vorderhirn die Verarbeitungsweise zahlreicher anderer neuronaler Schaltkreise, löst bestimmte spezifische Verhaltensweisen aus (z.B. Bindung, Spielen, Weinen) und modifiziert Signale, die das Gehirn über Körperzustände informieren.[11]Eine Emotion, die in uns stattfindet, stellt einen flüchtigen und angemessenen Komplex von Reaktionen auf Umstände dar, die die Emotion auslösen. Die bewusste Wahrnehmung der Emotion ist dabei … weiterlesen

Drei Stufen also umfasst dieser Prozess:

  • Einbeziehung des Organismus durch einen Emotionsauslöser (z.B. ein bestimmtes Objekt).
  • Signale im Anschluss an die Verarbeitung des Objektbildes aktivieren alle neuronalen Regionen, die programmiert sind, auf die besondere Klasse von Auslösereizen zu reagieren, zu der das Objekt gehört.[12]Eine – beispielsweise – visuelle Vorstellung entspricht nicht einfach einer Abbildung in Form etwa eines Passbildes, sondern erwächst aus neuronalen Mustern, die durch mehrere Aspekte … weiterlesen
  • In Reaktion darauf senden emotionsauslösende Regionen Signale an andere Hirnregionen (z.B. Monoaminkerne, somatosensorische Cortexfelder, cinguläre Cortexgebiete) und an den Körper (z.B. Viszera, endokrine Drüsen).


Substrat der Repräsentationen von Emotionen und Gefühlen

Das Substrat für die Repräsentationen von Emotionen ist eine Anzahl von neuronalen Dispositionen in mehreren Hirnregionen, die sich weitgehend in subcorticalen Kernen des Hirnstamms, des Hypothalamus, des basalen Vorderhirns und der Amygdala befinden.

Als Dispositionen sind die Repräsentationen latent und dem Bewusstsein nicht zugänglich. Sie liegen als potentielle Aktivitätsmuster in Neuronenensembles vor. Wird eine solche Disposition aktiviert, so repräsentiert das Aktivierungsmuster innerhalb des Gehirns eine bestimmte Emotion als neuronales “Objekt”. Zudem erzeugt das Aktivierungsmuster explizite Reaktionen, die sowohl den Zustand des Körpers als auch den Zustand anderer Hirngebiete verändern (ab diesem Zeitpunkt kann ein externer Beobachter die emotionale Beteiligung erkennen). Dem Organismus selbst ist sein innerer Zustand, in dem die Emotion stattfindet, auf zweifache Weise zugänglich:

  • die Emotion als neuronales Objekt (das Aktivierungsmuster), und
  • das Empfinden der Aktivierungskonsequenzen (unter der Bedingung, dass die resultierenden neuronalen Muster zu Vorstellungen im Geist werden).

Die neuronalen Muster, die das Substrat eines Gefühls darstellen, erwachsen aus zwei Klassen von biologischen Veränderungen:

  • Veränderungen, die den Körperzustand betreffen, und
  • Veränderungen, die den kognitiven Zustand betreffen.


Veränderungen, die den Körperzustand betreffen

Diese Veränderungen werden durch zwei Mechanismen hervorgerufen:

  • Durch die “Körperschleife”: Unter dem Einfluss humoraler (chemische Botschaften, die sich über den Blutkreislauf ausbreiten) und neuronaler Signale (elektrochemische Botschaften, die von Nervenbahnen übertragen werden) verändert sich die Körperlandschaft und wird anschließend in somatosensorischen Strukturen des Zentralnervensystems repräsentiert.
  • Durch die “Als-ob-Körperschleife”: die Repräsentation von körperbezogenen Veränderungen wird direkt in sensorischen Karten des Körpers hervorgerufen, die von anderen neuronalen Regionen (z.B. präfrontaler Cortex) kontrolliert werden. Es hat den Anschein, “als ob” der Körper wirklich verändert worden wäre (was tatsächlich aber nicht der Fall ist).


Veränderungen, die den kognitiven Zustand betreffen

Der emotionale Prozess bewirkt eine Ausschüttung bestimmter chemischer Stoffe in Kernen des basalen Vorderhirns, des Hypothalamus und des Hirnstamms, die anschließend in mehrere andere Hirngebiete befördert werden. Die so ausgeschütteten Neuromodulatoren, wie z.B. Monamine, bewirken Veränderungen (Modifikationen) der Gehirnfunktionen:

  • die Auslösung bestimmter Verhaltensweisen, die zu Bindung, Ernährung, Exploration etc. führen;
  • eine Veränderung der fortlaufenden Verarbeitung von Körperzuständen und zwar dergestalt, dass Körpersignale ausgefiltert oder durchgelassen, selektiv gehemmt oder verstärkt oder in ihrer angenehmen oder unangenehmen Qualität verändert werden; und
  • eine Veränderung der kognitiven Verarbeitungsweise, derart dass beispielsweise die Produktionsrate von akustischen oder visuellen Vorstellungen verändert wird oder dass ich der Fokus von Vorstellungen ändert.

Diese Vorgänge beschreiben, wie es einem Organismus möglich ist, eine Emotion zu erleben, zu zeigen und sich vorzustellen (d.h. eine Emotion zu fühlen) – erklärt aber noch in keiner Weise, wie der Organismus erkennen kann, dass er die Emotion fühlt, die er durchlebt.


Gefühle fühlen

Wir wissen, dass wir Emotionen haben, wenn wir in unserem Geist ein fühlendes Selbst spüren. Bevor sich dieser Sinn für ein fühlendes Selbst ausgebildet hat (stammesgeschichtlich wie auch individuell), gibt es abgestimmte Reaktionen, die eine Emotion darstellen, und anschließend Gehirnrepräsentationen, die ein Gefühl erzeugen. Wir wissen erst, dass wir ein Gefühl haben, wenn wir spüren, dass diese Emotion in unserem Körper gespürt wird.

Dieser Sinn für das “Geschehen im Organismus” entsteht, wenn das Proto-Selbst und seine Veränderungen in Strukturen zweiter Ordnung repräsentiert werden. Wir spüren die “Emotion als Objekt”, weil sich die Aktivitätsmuster in den Auslöseregionen der Emotion in Strukturen repräsentieren, die für die Repräsentationen zweiter Ordnung zuständig sind. Die entsprechenden Vorgänge sind:

  • Das (Ausgangs-) Proto-Selbst wird auf einer Ebene zweiter Ordnung repräsentiert.
  • Das “Objekt”, welches in Begriff ist, das Proto-Selbst zu verändern (das neuronale Muster in emotionsauslösenden Gebieten), wird auf einer Ebene zweiter Ordnung repräsentiert.

Die anschließenden Veränderungen im Proto-Selbst (ausgeführt durch die Mechanismen von “Körperschleifen” oder “Als-ob-Körperschleifen”) werden ebenfalls auf einer Ebene zweiter Ordnung repräsentiert.

Um eine Emotion zu fühlen, bedarf es Vorstellungen, die aus neuronalen Mustern entstehen, die die Veränderungen in Körper und Gehirn repräsentieren, die wiederum eine Emotion konstituieren. Erkennen jedoch, dass wir eine Emotion haben, können wir erst, nachdem Repräsentationen zweiter Ordnung angelegt sind, die für das Kern-Bewusstsein verantwortlich sind. Der Mechanismus, mit dem wir uns über ein Gefühl bewusst werden (es fühlen), entspricht letztlich dem für ein äußeres Objekt. Im Unterschied zu äußeren Objekten findet eine Emotion aber innerhalb des Organismus statt. Für das Verständnis von Emotionen ist daher wichtig:

  • Es gibt mehrere Hirnregionen, deren Aktivitätsmuster die Aktionssequenz auslösen, die zu einer Emotion wird.
  • Diese Aktivitätsmuster können in Strukturen zweiter Ordnung repräsentiert werden.


Die Aufgabe von Gefühlen

Gefühle zu haben, ist von Wert für die Organisation des Überlebens. Emotionen sind nützlich, aber erst der Prozess des Fühlens macht den Organismus aufmerksam auf das Problem, mit dessen Lösung die Emotionen begonnen haben.

Der Prozess des Fühlens liefert dem Organismus einen Anreiz, auf die Ergebnisse des emotionalen Prozesses zu achten. Das Vorhandensein von Gefühlen ist auch der Ausgangspunkt für das Gefühl des Erkennens, dass wir Gefühle haben. Und dieses Erkennen wiederum ist der Ausgangspunkt für die Planung spezifischer und nicht stereotyper Reaktionen, die entweder eine Emotion vervollständigen oder dafür sorgen, dass der unmittelbare Nutzen, der durch eine Emotion erzeugt wird, über längere Zeit bewahrt wird (oder beides). Das Fühlen von Gefühlen erweitert die Wirkung von Emotionen, indem es die Planung von neuen spezifischen Anpassungsreaktionen fördert.


Hintergrundgefühle

Die auch von Damasio beschriebenen Grundtypen der Emotionen (“sechs Universalemotionen”: Furcht, Ärger, Traurigkeit, Ekel, Überraschung und Glück) haben sich in Hinblick auf Gesichtsausdruck und Erkennbarkeit als universale Emotionen erwiesen. Infolgedessen wurden lange Zeit vor allen diese Gefühle betrachtet, welche die bewusste Ausgabe dieser Basisemotionen sind. Das hat den Blick von der Tatsache abgelenkt, dass wir ständig Gefühle haben, die aber weder unbedingt zu den sechs Universalgefühlen gehören noch zu den sekundären (sozialen) Emotionen. Wir erleben auch andere Arten von Emotionen, manchmal schwächer, manchmal heftiger, und wir empfinden den körperlichen Zustand unseres Seins. Die Wiedergabe dieser Hintergrundstörung bezeichnet Damasio als Hintergrundgefühle.[13]Hintergrundgefühle deshalb, weil sich diese Gefühle nicht im Vordergrund unseres Geistes abspielen. Das Konzept der Hintergrundgefühle von Damasio hat viel Ähnlichkeit mit dem Konzept der … weiterlesen Hintergrundgefühle entstehen aus Hintergrundemotionen, und diese Emotionen sind – obwohl eher nach innen als nach außen gerichtet – für andere auf vielfältige Weise wahrzunehmen (z.B. in der Körperhaltung, dem Tempo und der Ausrichtung der Bewegung, in Tonfall und Sprachrhythmus etc.).

Häufige Hintergrundgefühle sind Ermüdung, Energie, Aufregung, Wohlsein, Krankheit, Spannung, Entspannung, Elan, Lethargie, Stabilität, Instabilität, Gleichgewicht, Ungleichgewicht, Harmonie und Dissonanz.

Hintergrundgefühle sind ein zuverlässiger Index für temporale Parameter des inneren Organismuszustandes, insbesondere für:

  • die zeitliche und räumliche Form der Operationen, die in den glatten Muskeln der Blutgefäße und verschiedener Organe sowie in den quergestreiften Muskeln von Herz und Brust vor sich gehen;
  • das chemische Profil des Milieus in der Nachbarschaft aller dieser Muskelfasern; und
  • das Vorhandensein oder Fehlen eines chemischen Profils, das je nachdem eine Bedrohung für die Unversehrtheit lebender Gewebe darstellt oder für die Bedingungen einer optimalen Homöostase sorgt.


Quelle

Antonio R. Damasio – “Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins”. Ullstein Taschenbuchverlag (List) , München 2002

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Mit der Evolution des Bewusstseins zeigen sich Emotionen in einem Kontext von Bewusstsein. Wir können unsere Emotionen nahezu ständig fühlen und wir wissen, dass wir sie fühlen.
2 Das hat zur Folge, dass sich bei den meisten Menschen relativ genau an ihren Emotionen ablesen lässt, wie sehr die Umwelt zu ihrem Wohlbehagen beiträgt (oder zumindest, wie ihr Organsimus diesen Beitrag einschätzt). Wir können unsere Emotionen zwar trainieren, aber nicht vollständig unterdrücken – die Gefühle in unserem Inneren zeugen vom Scheitern dieses Bemühens.
3 Repräsentationen von Emotionen, die wiederum Gefühle nach sich ziehen, müssen nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit sein (unabhängig davon, ob sie durch ein äußeres Objekt oder einen inneren Prozess hervorgerufen werden) – und sind es auch häufig nicht.
4 Die nichtbewusste Auslösung von Emotionen (wenn der psychologische und physiologische Kontext stimmt, folgt eine Emotion), erklärt auch, warum es schwer fällt, sie willkürlich nachzuahmen. Wir haben keine Möglichkeit, die verantwortlichen neuronalen Prozesse, deren auslösende Hirnstrukturen tief im Hirnstamm liegen, direkt unserer Willkürkontrolle zu unterwerfen.
5 Hintergrundemotionen nehmen wir an Hand von kleinen, unauffälligen Details wahr (z.B. Körperhaltung, Geschwindigkeit oder Schema der Bewegung, minimale Veränderungen in der Häufigkeit und dem Tempo von Augenbewegungen, Kontraktionen der Gesichtsmuskeln). Wir “spüren”, dass jemand “angespannt”, “nervös”, “niedergeschlagen” oder “fröhlich” ist.          
  • Die Auslöser von Hintergrundemotionen liegen in der Regel im Organismus selbst, z.B. in inneren Regulationsprozessen oder andauernden geistigen Konflikten, die zur Befriedigung oder Hemmung von Trieben und Motivationen führen. So können Hintergrundemotionen durch lange körperliche Anstrengungen hervorgerufen werden (z.B. ein “Hoch” beim Joggen oder ein “Tief” bei einer langweiligen monotonen Arbeit), durch ein andauerndes Brüten über eine schwierige Entscheidung oder durch die Aussicht auf ein Vergnügen, das auf uns wartet.        
  • Hintergrundemotionen unterscheiden sich von “konventionellen” Emotionen dadurch, dass 1) die Quelle des unmittelbaren Auslösers intern ist (bei “konventionellen” Emotionen jedoch gewöhnlich extern) und 2) die Hintergrundemotionen vorrangig das innere Milieu (“konventionelle” Emotionen mehr den Bewegungsapparat und das viszerale System) betreffen.            
  • Die Äußerung von Wörtern und Sätzen – vom einfachen “Ja”, “Nein”, “Hallo” bis zum “Guten Morgen” und “Auf Wiedersehen” – wird gewöhnlich durch Hintergrundemotionen moduliert. Diese Modulation kommt in der Prosodie zum Ausdruck, dem musikalischen und rhythmischen Charakter der Sprachlaute, aus denen die Wörter bestehen. Die Prosodie kann aber nicht nur Hintergrundemotionen ausdrücken, sondern auch spezifische Emotionen – so kann “Wie nett, dich zu sehen” durch die Prosodie durchaus auch geradezu unmissverständlich Gleichgültigkeit erkennen lassen.   
  • Im Vergleich von Hintergrundemotionen, primären Emotionen und sekundären (“sozialen”) Emotionen zeigt sich – in der angegebenen Reihenfolge – eine wachsende Spezifität der Auslösefaktoren der Reaktion und der Ziele wie auch eine zunehmende Differenzierung der Kontrollmechanismen, die von der globalen zur lokalen Ebene verläuft.             
  • Wenn Emotionen über einen längeren Zeitraum anhalten oder ziemlich häufig werden, schlägt Damasio vor, besser von Stimmungen zu sprechen. Eine Hintergrundemotion, die über eine längere Zeit beibehalten wird, ruft eine Stimmung hervor. Stimmungen bestehen aus modifizierten und anhaltenden Hintergrundgefühlen sowie aus modifizierten und anhaltenden Gefühlen primärer Emotionen (Traurigkeit in Falle von depressiver Stimmung). Werden Stimmungen pathologisch, so kann man von Verstimmungen sprechen.            
  • Stimmungen als “verschleppte” Emotionen weisen die für Emotionen typischen Merkmale auf: endokrine Veränderungen, Veränderungen des Autonomen Nervensystems, muskuloskelettale Veränderungen und Veränderung der Stimmung bei der Vorstellungsverarbeitung. 
  • Triebe, Motivationen, Schmerz und Lust sieht Damasio als Auslöser oder Bestandteile von Emotionen, nicht aber als Emotionen im engeren Sinne. Emotionen sind komplexer als Triebe und Motivationen, als Schmerz und Lust.        
  • Unter Affekt versteht Damasio einen weitläufigen Begriff, der sowohl Emotionen, Stimmungen und Gefühle umfasst, die man einem Objekt oder einer Situation an emotionalen Reaktionen zeigt oder (an Gefühlen) erlebt.
  • 6 Emotionen rangieren gewissermaßen zwischen der Grundausstattung für das Überleben (z.B. Regulation des Stoffwechsels, einfache Reflexe, Motivationen, Biologie von Schmerz und Lust) und den Mechanismen höherer Denkprozesse.
    7 Zwar spielt die Gesellschaft bei der Ausprägung sekundärer Emotionen (wie z.B. Schuld und Scham) eine größere Rolle als bei primären Emotionen und treten sekundäre Emotionen erst später in der Entwicklung des Menschen auf, doch sind auch sie kein ausschließliches Produkt der Kultur, sondern größtenteils biologisch angelegt.
    8 Diese Form des Lernens wird als Konditionierung bezeichnet. Letztlich kann jedes Objekt emotional besetzt werden, unsere primäre biologische Anlage jedoch beeinflusst unsere sekundären Erwerbungen bezüglich der Welt, die uns umgibt (weshalb bestimmte Objekte weit häufiger emotional besetzt werden).     
    Durch die Allgegenwart der Emotionen wird praktisch jedes Objekt und jede Situation unserer Erfahrung durch Konditionierung mit den fundamentalen Werten der homöostatischen Regulation (Belohnung und Bestrafung, Lust und Schmerz, Annäherung und Rückzug, Gut und Böse etc.) verbunden.            
    Emotionen können auch indirekt ausgelöst werden, wobei der Auslöser sein Ergebnis gewissermaßen negativ erzielen kann, indem er den Fortschritt einer gerade stattfindenden Emotion blockiert. So führt die Blockade eines freudigen Gefühls in einer bestimmten Situation zu Enttäuschung und eventuell Ärger. Der Auslöser der Enttäuschung bzw. des Ärgers ist die Vereitelung der Aussicht z.B. auf Sexualität oder Nahrung. Umgekehrt kann die Aufhebung einer Bestrafung hingegen Wohlgefühl und Glück auslösen.  
    Da die Vernunft auch auf die grundlegende Wirkung der Emotionen angewiesen ist, relativiert sich ihr regulierender und kontrollierender Einfluss zugleich auch wieder.
    9 Trauer beispielsweise aktiviert den ventromedialen präfrontalen Cortex, den Hirnstamm und den Hypothalamus. Ärger und Furcht hingegen involvieren weder den präfrontalen Cortex noch den Hypothalamus. Bei allen drei Emotionen wird allerdings der Hirnstamm aktiviert.
    10 Die in der Tiefe beider Schläfenlappen liegende Struktur der Amygdala beispielsweise ist unentbehrlich, um den Gesichtsausdruck von Furcht zu erkennen, um auf Furcht konditioniert zu werden und auch, um Furcht auszudrücken. Andererseits aber hat die Amygdala nachweislich keinen Bezug zur Erkennung von Glück oder Ekel.
    11 Eine Emotion, die in uns stattfindet, stellt einen flüchtigen und angemessenen Komplex von Reaktionen auf Umstände dar, die die Emotion auslösen. Die bewusste Wahrnehmung der Emotion ist dabei keine Voraussetzung. Damit Emotionen erkannt (d.h. bewusst) werden können, müssen zwei weitere Schritte stattfinden: 1) das Fühlen (die Vorstellung von den stattfindenden Veränderungen) und 2) die Anwendung des Kern-Bewusstseins auf den gesamten Komplex der Phänomene.
    12 Eine – beispielsweise – visuelle Vorstellung entspricht nicht einfach einer Abbildung in Form etwa eines Passbildes, sondern erwächst aus neuronalen Mustern, die durch mehrere Aspekte der primären Hirnrinde erzeugt werden (vorwiegend in den Hinterhauptslappen). Signale, die sich aus dem Vorhandensein des Vorstellungsbildes ergeben, wandern weiter und wirken auf Hirnbereiche ein, die ihr Interesse durch spezifische Reaktionen bekunden.
    13 Hintergrundgefühle deshalb, weil sich diese Gefühle nicht im Vordergrund unseres Geistes abspielen. Das Konzept der Hintergrundgefühle von Damasio hat viel Ähnlichkeit mit dem Konzept der Vitalitätsaffekte von D. Stern.