Ernährung und Krebs aus der Sicht der westlichen Wissenschaft

Für 35 Prozent aller Krebserkrankungen werden heute Ernährung und Ernährungsgewohnheiten verantwortlich gemacht. Diese Einschätzung erfolgte erstmalig 1981 von den britischen Epidemiologen Sir Richard Peto und Sir Richard Doll (Universität Oxford). Derzeit läuft nun schon seit einigen Jahren in Europa eine große Studie zur Erforschung dieser Zusammenhänge (“European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition”, EPIC), an der zehn europäische Staaten mit mehr als 52.000 Teilnehmern beteiligt sind. Die erste Zwischenauswertung 2003 brachte teils erwartete, teils unerwartete Ergebnisse:[1]Da amerikanische Studien aus vielfältigen Gründen (z.B. andere Ernährungsgewohnheiten und andere Nahrungsmittelzusammensetzungen) schwierig auf europäische Verhältnisse zu übertragen sind, … weiterlesen

  • Obst und Gemüse besitzen einen vor Krebs schützenden Effekt.
    Der tägliche Verzehr von etwa 500 Gramm insgesamt reicht aus, um die Anzahl der neuen Erkrankungsfälle von Tumoren der oberen Atemwege und des oberen Verdauungstraktes um 50 Prozent zu reduzieren.
  • Alkohol und Tabak, vor allem in Kombination, erhöhen das Krebsrisiko.
    Der Konsum von mehr als 60 Gramm Ethanol pro Tag (das entspricht etwa 0,75 Liter Wein) erhöht die Gefahr, an einem Tumor der oberen Atemwege oder des Verdauungstraktes zu erkranken, um das Neunfache.
  • Häufiger Verzehr von verarbeiteten Fleischwaren – z.B. Wurst und Schinken – steigert das Risiko für Dickdarm- und Magenkrebs. Ein häufiger Verzehr von Fisch hingegen reduziert das Risiko.
    Im Gegensatz zu einigen US-Studien zeigt sich kein Zusammenhang zwischen dem Risiko von Dickdarmkrebs und dem Verzehr von “dunklem” Fleisch (Muskelfleisch von Säugetieren). Nicht berücksichtigt wurden allerdings die verschiedenen Zubereitungsarten von Fleisch wie Kochen, Braten oder Grillen.
  • Der häufige Verzehr von Ballaststoffen, besonders aus Gemüse und Obst, reduziert das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken.
    Dieses Ergebnis widerspricht den Ergebnissen der amerikanischen “Nurses Health Study”, in der sich kein auffällig günstiger Einfluss fand. Zu bedenken bei der Interpretation der bisherigen Forschungen ist jedoch, dass bislang keine Differenzierungen zwischen den verschiedenen Ballaststoffen (wie Zellulose, Hemizellulose, Pektinen oder Stärke etc.) gemacht werden. Deren Anteile in der Nahrung unterscheiden sich aber deutlich von Land zu Land.

Folgt man den Empfehlungen des Weltkrebsforschungsfonds und des Amerikanischen Krebsforschungsinstituts, so sollten in Deutschland jährlich mindestens 80.000 Krebsfälle vermeidbar sein.[2]Einschätzung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Nuthetal bei Potsdam auf Basis der Daten von 1997. Die Empfehlungen, die auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagiert werden:

  • Reichlich Gemüse und Obst: täglich mindestens drei Portionen Gemüse mit insgesamt ca. 400 Gramm und mindestens zwei Portionen Obst mit zusammen ca. 300 Gramm
  • Gewicht im Normalbereich (BMI zwischen 19 und 25)
  • Regelmäßig Sport
  • Alkohol (wenn überhaupt) nur moderat konsumieren
  • Wenig Salz und wenig tierische Fette
  • Lebensmittel schonend zubereiten und hygienisch aufbewahren
  • Nicht rauchen

 
Krebs fördernde Substanzen und Faktoren eines erhöhten Krebsrisikos

Beispiele für natürliche Karzinogene (Krebs erzeugende Substanzen) sind Schimmelpilze wie Aflotoxine, Patulin und Fumonisine, die unter anderem in Nüssen, Getreide und Kaffee vorkommen. Viele dieser Gifte sind erbgutverändernd (mutagen) und krebserregend (karzinogen). Wer stark damit verunreinigte Lebensmittel sehr oft isst, riskiert damit vor allem Leber- und Nierenkrebs, weshalb man verschimmelte Lebensmittel grundsätzlich nicht verzehren sollte. Ein weiterer karzinogener Faktor in Lebensmitteln sind Nitrosamine, die etwa in gepökelten Fleischwaren (in geringen Konzentrationen) enthalten sein können. Sie bilden sich auch im Körper aus nitratreicher Nahrung.[3]Es gibt derzeit keine wissenschaftlich gesicherten Befunde, dass dieser innere Prozess mit der Entwicklung von Krebs beim Menschen zu tun hat. Der häufige Verzehr von gepökelten Fleischwaren (wie Wurst und Schinken) führt deshalb, so die Daten der EPIC-Studie, zu einem erhöhten Krebsrisiko.

Auch beim Zubereiten – Kochen, Braten, Backen oder Grillen – können karzinogene Substanzen entstehen. Ein Beispiel dafür ist Acrylamid, das temperaturabhängig beim Braten, Frittieren und Backen von stark stärkehaltigen Lebensmitteln (wie beispielsweise Kartoffeln) entsteht. Besonders knusprig dunkle Pommes frittes enthalten relativ hohe Konzentrationen von Acrylamid.[4]Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Acrylamid als potentielles Karzinogen der Stufe 2 ein, d.h. seine Wirkung ist nur im Tierversuch nachgewiesen.Eine kürzlich veröffentlichte Studie … weiterlesen Durch das Grillen oder Räuchern fetthaltiger Fleischwaren können polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe wie Benzpyren entstehen, die Krebs erregend sind und auch bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt werden. Die eingeatmete Luft in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung gilt deshalb als größere Gefahrenquelle als gegrillte und geräucherte Fleischwaren. In Lebensmitteln können sich zudem auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln finden, wie z.B. das (verbotene) Nitrofen. Außerdem können landwirtschaftliche Produkte mit organischen Chlorverbindungen wie Dioxinen oder polychloriertem Biphenylen verunreinigt sein, deren Grenzwerte von den Behörden sehr niedrig angesetzt sind und kontrolliert werden.

Insgesamt aber deuten die wissenschaftlichen Studien der letzten Jahre darauf hin, dass wahrscheinlich nur ein geringer Teil (etwa 2 Prozent) aller Krebserkrankungen auf karzinogene Stoffe in Lebensmitteln zurückzuführen sind. Größer scheinen demgegenüber die Gefahren vor allem durch Alkoholmissbrauch, starkes Übergewicht oder eine unausgewogene Ernährung: Ein hoher Alkoholkonsum erhöht generell das Krebsrisiko, speziell aber das für Tumore des Rachens, der Speiseröhre, des Magens, der Leber und des Dickdarms. Kontrovers diskutiert wird allerdings, ab welcher Alkoholmenge das Risiko steigt. Ein moderater Konsum (maximal 10 Gramm Alkohol täglich für Frauen bzw. maximal 20 Gramm täglich für Männer) jedoch scheint unproblematisch zu sein. Kommt allerdings Rauchen dazu, wächst das Krebsrisiko massiv. Und Übergewicht hat sich als weiterer wesentlicher Risikofaktor für fast alle Krebsformen erwiesen. Massives Übergewicht (BMI von 40 und mehr) erhöht das Krebsrisiko bei Männern um mehr als 50 Prozent, bei Frauen um mehr als 60 Prozent.


Vor Krebs schützende Stoffe

Beim ernährungsbedingten Krebsrisiko kommt es aber nicht nur darauf an, was in der Nahrung drinnen ist, sondern auch, was eben nicht drinnen ist. Es kann ihr nämlich auch an Schutzstoffen mangeln. Der Schwerpunkt der Forschung liegt hier auf den so genannten sekundären Pflanzenstoffen, die – anders als die primären – nicht zum Grundstoffwechsel der Pflanzen gehören. Ungefähr 50.000 sekundäre pflanzliche Inhaltsstoffe kommen in unserer Nahrung vor, aber erst für wenige lässt sich angeben, wie sie möglicherweise ihren Schutzeffekt entfalten. Zu diesen Stoffen gehören beispielsweise Flavonoide, Glucosinolate und Carotinoide.

Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) neigen zu Dickdarmkrebs. Aus Arzneimittelstudien wiederum ist aber bekannt, dass Acetylsalicylsäure das Risiko mindert. Dieser Wirkstoff von Aspirin hemmt ein Schlüsselenzym, das zur Bildung von Prostaglandinen benötigt wird. Diese körpereigenen Substanzen sind maßgeblich an entzündlichen Prozessen beteiligt. Bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Flavonoide, die in vielen Obst- und Gemüsesorten vorkommen, hemmen das Schlüsselenzym ebenfalls effektiv und haben möglicherweise ebenfalls eine ähnlich krebsvorbeugende Wirkung wie Acetylsalicylsäure. Potentiell schützende Substanzen in Pflanzen sind beispielsweise:

Stoffe
 
enthalten in
 
Sulfide wie Diallylsulfid und AllylmethyltrisulfidZwiebel, Knoblauch, Spargel
Carotinoidevielen farbigen Gemüsen und Früchten
BallaststoffeGemüse und Obst sowie Getreide, Nüssen und Samen
DithiothioneKreuzblütlern wie Kohl und Rettichen
Flavonoidevielen Gemüsen und Früchten, grünem und schwarzem Tee, Wein
Folsäurehauptsächlich grünblättrigen Gemüsen und Salaten
Isoflavonehauptsächlich Hülsenfrüchten, insbesondere Soja
IsothiocyanateKreuzblütlern wie Kohl und Rettichen
Lignaneals Ballaststoffkomponenten in Leinsamen und Vollkornprodukten; Bakterien erzeugen daraus im Dickdarm ebenfalls schützendes Enterolacton und Enterodiol
Selenweithin in Pflanzen, abhängig von der Konzentration im Boden
Vitamin Cvielen Gemüsen und Früchten
Vitamin EGetreidekörnern, Nüssen, Samen und Ölen

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Da amerikanische Studien aus vielfältigen Gründen (z.B. andere Ernährungsgewohnheiten und andere Nahrungsmittelzusammensetzungen) schwierig auf europäische Verhältnisse zu übertragen sind, erhofft man sich aus dem Vergleich zwischen Nord- und Südeuropa – und den zwischen diesen Ländern bestehenden großen Unterschieden in den Ernährungsgewohnheiten – Hinweise auf mögliche Zusammenhänge zwischen Krebs und Ernährung.
2 Einschätzung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Nuthetal bei Potsdam auf Basis der Daten von 1997.
3 Es gibt derzeit keine wissenschaftlich gesicherten Befunde, dass dieser innere Prozess mit der Entwicklung von Krebs beim Menschen zu tun hat.
4 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Acrylamid als potentielles Karzinogen der Stufe 2 ein, d.h. seine Wirkung ist nur im Tierversuch nachgewiesen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie schwedischer Wissenschaftler vom Karolinska-Institut in Stockholm zeigt keinen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von acrylamidhaltigen Lebensmitteln und Krebs.