Lustige Geschichten mit Shiatsu (Werner Brünner)

Ich arbeite seit 2003 in verschiedenen geriatrischen Einrichtungen und habe im Zuge der Behandlungen viele Gespräche geführt. Sehr berührende und tiefgehende, aber auch viele Gespräche die sich um höchst einfache Dinge drehen. Dabei entstehen immer wieder die schönsten Stilblüten. Gut so, den Lachen ist ja sowieso „Medizin“.

Shiatsu an alten Menschen anzuwenden ist eine sehr erfüllende Aufgabe. Ich habe dabei sehr viel gelernt und deshalb die größte Hochachtung vor dem Wissen und der Lebenserfahrung meiner KlientInnen. Deshalb bedanke ich mich an dieser Stelle für viele nette Gespräche und Erlebnisse, die vor allem mich sehr bereichert haben.

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Ältere Menschen leiden oft unter Einsamkeit. Viele suchen das Gespräch. Bei der Behandlung ist das Zuhören ein wichtiger Bestandteil. Es offenbaren sich Ansichten und Verhaltensweisen die über Jahrzehnte gepflegt wurden. Außerdem verstärkt das Alter noch manche Charaktereigenschaft – die positiven, wie die negativen.

In diesem Spannungsfeld entstehen dann sehr lustige Situationen.

Einen Teil dieser Gespräche und Erlebnisse möchte ich wiedergeben und diese Geschichten erzählen. Es sollen hier keine Kalauer, sondern wahre Begebenheiten geschildert werden. Es geht nicht darum lustige Vorfälle zu beschreiben, sondern darum, auch den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen. Mit all seinen Schrullen, Merkwürdigkeiten, und vielleicht ein paar liebenswürdigen Marotten die man im Alter bekommt. Ich habe mir vorgenommen im Alter auch dieses wissende, verschmitzte Lächeln zu bekommen, dass aus großer Lebenserfahrung resultiert und das meine Klienten so an mein Herz bindet Die Menschlichkeit steht im Vordergrund, den Shiatsu ist noch viel, viel mehr als nur eine fernöstliche Behandlungsmethode.

Die Erlebnisse mit meinen KlientInnen haben mich gelehrt, dass Shiatsu vor allem eines ist: „Begegnung und Berührung auf allen Ebenen“.

 
Nacken-Schulter-Behandlung einmal anders

Die Dame, von der hier die Rede ist, kann man sich gut vorstellen wenn man Agatha Christie Filme kennt. Sie ist 98 Jahre alt, adelig, sitzt im Rollstuhl und hat eine durch und durch noble Ausstrahlung vom Typ „russische Gräfin in schwarze Spitze gehüllt“. Zusätzlich ist sie mit einem unverwüstlichen, aber trockenen Humor ausgestattet, der mir schon sehr viel Freude bereitet hat.

Sie kam zu mir mit Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich und äußerte den Wunsch, man möge ihr das hoheitliche Genick reparieren. Da sie den Kopf nicht drehen könne, schlafe sie auch sehr schlecht und das schade ihrem blassen Teint auf das Gefährlichste.

Da ich nun auch ihre Ungeduld kenne und diese Dame keinen Widerspruch duldet, ging ich ans Werk. Die Verspannungen waren ziemlich massiv, vor allem die Verkürzung der Mm. Sternocleidomastoideus beidseits können nur als problematisch angesehen werden. Es war nicht möglich den Kopf in die eine oder andere Richtung zu drehen ohne Schmerz zu verursachen.

Meine Klientin war der Ansicht, dass ein Könner seines Faches, diese Bagatelle selbstverständlich schmerzfrei zu beheben habe. Da nun aber auch die restliche Hals- und Nackenmuskulatur sehr hochgespannt war und jede Berührung bereits Schmerz verursachte, schlug ich vor den Rest der Behandlungszeit damit zu verbringen eine Rundfahrt durchs Haus zu machen. Ich sagte ihr, sie möge sich das als hohen Besuch vorstellen, bei dem sie ihre Untertanen huldvoll begrüßen könnte. Als zusätzliche Maßnahme legte ich eine Wärmepackung auf die betroffene Stelle um wenigstens so die Muskulatur etwas zu lockern. Selbstverständlich wurde die Wärmepackung unter einem Spitzentuch versteckt. Ich schlüpfte in die Rolle des Lakaien, setzte eine stoische Miene auf und fuhr mit der Dame gemessenen Schrittes durchs Haus. Im Speisesaal ergab sich dann die Gelegenheit nach beiden Seiten hoheitsvoll zu winken (Gute Übung für die Außenrotation in der Schulter) und dabei musste auch der Kopf gedreht werden, am besten begleitet von der Andeutung eines wohlwollenden Nickens. Sie konnte dabei sogar milde lächeln. Zu Beginn knirschte es bedenklich in der Halswirbelsäule, aber für den guten Zweck ging die Dame über den Schmerz hinweg. Sie wollte sich ja auch vor ihren „Untertanen“ keine Blöße geben. Wie in Adelskreisen üblich, gilt: immer die Contenance bewahren. (In der Behandlung hätte ich niemals den Kopf so weit drehen können ohne furchtbare Schmerzensschreie auszulösen). Am Ende des Rundganges offenbarte sie mir, dass es ihr großen Spaß gemacht hätte. Sie kann den Kopf jetzt viel besser drehen und ich bekam ein huldvolles Lächeln mit dem ich sozusagen entlassen wurde. „Holen sie sich 5 Euro“ sagte sie noch, vergaß aber ganz zu sagen wo ich mir das Geld holen könnte.

Die Äußerung „Holen sie sich 5 Euro“ hat sich dann nach jeder Behandlung wiederholt. Die Dame kommt seit Jahren 3x pro Woche zu mir. Mittlerweile habe ich irgendwo möglicherweise ein Vermögen liegen, aber immer noch nicht erfahren wo ich mir das Geld holen könnte. Eigentlich genügt mir ihr Lächeln.


Gespräch mit einer Baronesse

Reden ist ein Teil der Behandlung, wenn man mit alten Menschen arbeitet. Manchmal muss man einfach zuhören können. Die aufgestauten Dinge müssen ausgesprochen werden. Das entstaut die Leber.

In meinen Behandlungen lasse ich es daher zu, dass gesprochen wird. Das stärkt unter anderem auch das Vertrauen. Im Folgenden ergab sich nun ein Dialog mit einer sehr netten 98jährigen Dame. Ich musste sie von der Pflegestation in meinen Behandlungsraum bringen und da ich spät dran war bin ich etwas schneller mit ihrem Rollstuhl gefahren.

In ihrer, ihr eigenen noblen Art, machte sie mich darauf aufmerksam, dass, wenn ich weiter so um die Kurven „brettere“ ihr womöglich eine Frühgeburt drohe. Nachdem wir ohne weitere Komplikationen (die Chance auf eine Frühgeburt ist mit 98 wohl nicht sehr groß) im Behandlungsraum angekommen waren, begann ich mit der Behandlung.

Mittendrunter erteilte sie mir plötzlich eine Auszeichnung. Sie erklärte mir, dass sie das Privileg hätte, darauf zu bestehen, mit „Ihre Hoheit“ angesprochen zu werden. Schließlich sei sie eine Baronesse und damit eine Prinzessin, was man unschwer an dem Ring, an ihrem Finger erkennen könne. Einem alten, sehr wertvollen Familienerbstück, verliehen von seiner kaiserlichen Hoheit Franz Josef dem I/II an ihre hochwohlgeborene Familie. Bei mir allerdings wolle sie davon Abstand nehmen, da ich ihr schon sehr viel geholfen habe und nur durch mich ihre Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduziert seien. Zum Dank dafür dürfe ich ihre Hunde ausführen. (Sie hatte nie Hunde).

Das Gespräch nahm dann eine ernstere Wendung. Sie befürchtete bald sterben zu müssen. Sie wolle aber so gern 100 Jahre alt werden. Also bat sie mich um eine Einschätzung ihrer Lebenserwartung. Da sie in einem sehr guten körperlichen Zustand ist, (auch laut unserer Ärztin) habe ich mir erlaubt mit der gleichen Übertreibung die eigentlich allen unseren Gesprächen sozusagen als Markenzeichen innewohnt, zu antworten. Um meinen Worten mehr Gewicht zu verleihen sprach ich langsam und fügte entsprechend lange Pausen ein um die Tragweite des eben Gesagten zu erhöhen.

Natürlich versuchte ich auch den gewohnt noblen Stil meiner Klientin zu treffen. Ich blickte ihr in die Augen und sagte: „Nach reiflicher Überlegung. – und aufgrund der Tatsache, – dass wir uns schon über Jahre hinweg kennen, – traue ich mir eine Beurteilung zu. – (Tiefer Atemzug) Ihr derzeitiger Zustand, – ihre Energie – und die gute körperliche Verfassung  –  lassen letztendlich nur einen Schluss zu. – Lassen sie es mich ein wenig salopp formulieren. –  So wie es aussieht werden wir sie vermutlich mit 120 erschießen müssen“.

Sie hat so herzlich gelacht, dass sie mir fast aus dem Rollstuhl gefallen wäre.

Derart deftige Aussagen sind nur möglich wenn man sich lange kennt und das Vertrauen soweit gediehen ist, dass hinter der Aussage die Sorge um ihr Wohlbefinden deutlich zu spüren ist. Außerdem liebt sie derart maßlose Übertreibungen.

Ich wurde daraufhin zu ihrer Feier anlässlich ihres 100. Geburtstages eingeladen. Nebenbei wollte sie mir noch einen Wunsch erfüllen. Sie sagte: „Wünschen sie sich was, egal was, ich bezahle alles“. Ich gab zu bedenken, dass meine Wünsche keinen Preis haben. „das gibt es nicht“ war ihre Antwort. Also wünschte ich mir die Ehre, auf ihrer Geburtstagsfeier, den 1. Walzer mit ihr zu tanzen. Jetzt will sie unbedingt 100 Jahre alt werden und macht Übungen für die Beine damit sie auch wirklich fit ist in 2 Jahren. Unter anderem begründete sie dies auch damit: „was glauben sie wie neidisch die anderen alten Weiber sein werden, wenn wir beide Walzer tanzen“.


Der Segen der Hüftgelenks- und Knieprothesen

Die Klientin von der hier die Rede ist, kann man nur als liebenswert bezeichnen. Unsere Unterhaltungen können durchaus auch als deftig beschrieben werden. Sie hat, wie man in Österreich sagt, eine etwas „resche“ Art. Sie nimmt sich, sozusagen kein Blatt vor den Mund. Einmal pro Woche kommt sie zu mir um eine Behandlung der Rückseite zu genießen.Die Beine sind energetisch unterversorgt, da die Dame 2 Hüftgelenks- und 2 Knieprothesen hat.

Das erste Beispiel ihrer „reschen Art“ sei hier dokumentiert. Als sie mir ihre Krankengeschichte erzählte, bemerkte sie, dass sie früher ziemliche Säbelbeine gehabt hätte und jetzt aufgrund der Prothesen endlich gerade Beine hat. Das freue sie umso mehr, da das ihrer Ansicht nach, die Heiratschancen beträchtlich erhöhe. Sie hat allerdings nicht vor zu heiraten, aber man kann ja nie wissen.

Um auf das Alter der Dame einzugehen sei eine weitere Geschichte erzählt. Eines Tages kam sie zu mir und erklärte mir (Sie spricht mich immer mit „Du, Herr Werner“ an) „Du, Herr Werner, heute musst mir was am Kreuz machen, ich fühle mich wie eine 80jährige“. Mein Kommentar dazu war: „Da müsste es ihnen ja eigentlich sehr gut gehen“ Die Dame ist 92 Jahre alt und hat den Vergleich mit der 80jährigen nur als Metapher für „uralt“ verwendet. Ihre Antwort war ein strafender Blick mit dem ihr eigenen Grinsen und den echt wienerischen Worten: (man verzeihe mir die mundartliche Widergabe) „hoit die Pappn, bleder Bua“. Der Versuch einer Übersetzung würde ergeben: „ Es ist besser den Mund zu halten, du dummes Kind“. Wir hatten danach eine sehr schöne und entspannende Sitzung und die Dame verließ mich mit einem Lächeln und den immer noch geraden Beinen.

Ich habe immer die größte Freude an unseren Gesprächen, da es mir immer wieder gelingt sie zum Lachen zu bringen.


Auf Abwegen

Eine dramatische Begebenheit hat sich Nächtens auf einer unserer Pflegestationen zugetragen. Diesmal soll von einem sehr netten und ruhigen älteren Herrn im 82. Lebensjahr die Rede sein. Eine sehr zierliche Person die unter Morbus Alzheimer leidet. Zum Krankheitsbild gehört unter anderem, dass nächtliche Unruhephasen den Klienten zum Aufstehen und Umherwandern bewegen.

Ich habe erst am nächsten Tag von dem nächtlichen Vorfall erfahren als ich den Klienten zur Behandlung holen wollte. Als ich ihn sah, erschrak ich ziemlich da er über die linke Gesichtshälfte ein großes Hämatom hatte. Ich dachte natürlich an einen Sturz mit entsprechenden Verletzungen. Daraufhin habe ich mich sofort bei der Pflegeleitung erkundigt was den passiert sei und so die Geschichte erfahren.

Um etwa 3.30 Uhr erwachte der Klient, zog sich die Kleider an und verließ ganz leise sein Appartement. So leise, dass die diensthabende Schwester dies nicht bemerkte. Nach einiger Zeit des Umhergehens wollte er wieder in seine Unterkunft zurück. Allerdings stellte es sich als schwierig heraus wieder nach Hause zu finden, da alle Eingangstüren gleich aussehen. Der Klient ist jedoch ziemlich pragmatisch veranlagt und betrat kurzerhand ganz leise ein Appartement um sich zur Ruhe zu begeben. Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus und legte sich ins Bett.

Dummerweise lag in dem Bett bereits eine Dame in friedlichem Schlummer (ebenfalls Patientin mit Morbus Alzheimer). Sie bekam einen Riesenschreck als plötzlich ein Mann neben ihr lag. (Sie ist schon seit Jahren Witwe) Ohne lange zu fackeln schlug sie zu. Die Dame hatte in ihrer berechtigten Erregung eine „ordentliche Handschrift“. Das Ergebnis konnte ich dann im Gesicht des Klienten bewundern. Die diensthabende Schwester wurde auf den Tumult aufmerksam. Die erregte Dame war dem älteren Herren körperlich bei weitem überlegen. Sie kämpfte sozusagen in einer anderen Gewichtsklasse. Er konnte nur versuchen schreiend zu fliehen. Die Nachtschwester hatte alle Hände voll zu tun die Beteiligten wieder zu beruhigen und auf die richtigen Zimmer zu verteilen.

Hier erwies sich Morbus Alzheimer insofern als hilfreich, da die beteiligten Personen Tischnachbarn sind und am nächsten Tag nichts mehr von dem Vorfall wussten. So legte sich ein gnädiger Schleier des Vergessens über den nächtlichen Vorfall und die beiden konnten in Ruhe zusammen frühstücken ohne Erinnerung an die Schrecken der Nacht. In diesem Fall hatte Morbus Alzheimer ausnahmsweise auch eine positive Wirkung.

In der Behandlung hütete ich mich davor den Vorfall anzusprechen. Der liebenswerte ältere Herr trug seine sichtbaren Verletzungen mit Fassung ohne sie besonders zu erwähnen. Mir blieb, als Eingeweihtem, nur ein stummes Lächeln.


Wo die Liebe hinfällt

Die folgende Geschichte ist ein bisschen deftig, aber auch sehr lieb. Ein 90jähriger, sehr rüstiger Herr kam zu mir in die Praxis. Wir kennen uns schon seit Jahren und ich behandelte auch seine inzwischen verstorbene Gattin. Die bisherigen Behandlungen liefen alle nach dem gleichem Schema ab, doch diese Behandlung sollte anders verlaufen.

Er kam zur Tür rein mit den Worten: „blöde Weiber“. Und immer wieder: „blöde Weiber“. Er konnte sich gar nicht beruhigen. Also fragte ich was den los sei. Er war ziemlich aufgeregt und sagte immer noch „blöde Weiber, das mir sowas passiert“ und „da muss man erst 90 werden, damit einem sowas passiert“. Dann erzählte er mir die Geschichte.

Vor ca. 3 Wochen hatte er eine 86jährige Dame kennengelernt und sich verliebt. Die Gefühle wurden anfänglich erwidert. Man war sich sympathisch und hat sich zur Jause getroffen. Kaffee getrunken, Kuchen gegessen und etwas Smalltalk geführt. Danach blieb man noch bis zum Abendessen zusammen. Es wurde beschlossen sich auch noch den Musikantenstadl im Fernsehen gemeinsam anzusehen. Dann passierte es. Sie lehnte sich an ihn und er streichelte sie sanft. Dazu die Musik vom Musikantenstadl. Es war ein romantischer Abend und man beschloss dies zu wiederholen.

Ich freute mich sehr für ihn, da erst kürzlich seine Gattin verstorben war. Allerdings fand ich den Ausspruch „blöde Weiber“ in diesem Zusammenhang merkwürdig. Es musste mehr passiert sein. Die Worte sprudelten nur so aus meinem Klienten. Er erzählte mir von dem „schönen Dekolleté“ seiner 86jährigen „Freundin“ und was sie sonst noch an körperlichen Vorzügen hätte. Es gab auch ein Gespräch über Sex. Mein Klient meinte, dass das mit dem Sex nicht mehr so klappen würde. Seine Freundin wäre darüber sehr erfreut, da sie sich deshalb schon Sorgen gemacht habe. Dann blickte er mir in die Augen und meinte, ich solle das nicht falsch verstehen. Bei ihm sei das kein Problem, er könne schon, aber für sie stelle es sehr wohl ein Problem dar, da sie ja seit 26 Jahren Witwe sei und…. ich darf jetzt den Klienten zitieren: „Die ist sicher schon zugewachsen“. (Da muss man ruhig bleiben und darf nicht lachen). Ich biss mir also auf die Zunge und folgte den weiteren Ausführungen.

Mein rüstiger Klient wollte trotzdem. Er konsultierte daraufhin unsere Ärztin und wollte sich Viagra verschreiben lassen. Dies wurde abgelehnt mit der Begründung das Viagra seinen angegriffenen Koronargefäßen vermutlich weiteren Schaden zufüge. Man könne aber mit einer Vitaminspritze eine gewisse Leistungssteigerung unterstützen. (Neuerlicher Biss auf die Zunge!!)

Allerdings war er dann ein bisschen zerknirscht, da er zwar die Spritze erhalten könne, aber die Freundin sei ihm aufgrund der eindeutigen Angebote abhanden gekommen. Sie wollte nicht!!! In weiterer Folge entwickelte sich ein 3-Wochen-Rhythmus. Alle 3 Wochen wurde die Beziehung beendet. Nach 3 Wochen wurde wieder verziehen und die Beziehung hielt wieder 3 Wochen. Danach wurde mein Klient wieder rausgeworfen. Die Spritze kam so nie zum Einsatz und die Koronargefäße blieben auch geschützt. So erklärte sich der Ausdruck „blöde Weiber“.

Eine gewisse Regelmäßigkeit in der Beziehung hat sich dann eingestellt und es wurden auch gemeinsame Unternehmungen gestartet.

Zum Eklat kam es dann, als er im Speisesaal mit einem Bekannten über seine Beziehung sprach und dabei äußerte, dass sie wohl „lesbisch“ sein müsse, weil sie nichts von ihm wissen wolle. Anders könne er sich die Ablehnung nicht mehr erklären. Daraufhin war mit der Beziehung Schluss. Seitdem sucht er den Schuldigen, der diese, wohl unqualifizierte Äußerung, an sie verraten hatte. Ich regte an in Zukunft nicht mehr solche Vermutungen auszusprechen und mit einem großen Strauß Blumen um Entschuldigung zu bitten. Die 3wöchige Beziehungspause wurde auf ca. 7 Wochen ausgedehnt. Jetzt sind sie wieder zusammen. Ich freu mich immer wenn er zu mir in die Praxis kommt und mich mit den Worten „Der Geliebten geht’s gut“ begrüßt. Wenn es im hohen Alter noch zu solchen Berg- und Talfahrten kommt, kann man sich nur auf ein langes Leben freuen.

Die Shiatsu-Behandlungen wurden natürlich auf die neuen Bedürfnisse ausgerichtet. Die Schwerpunkte lagen daher im Nähren, Aufbauen und Stützen. Im Ausgleichen und ins Fließen bringen. Hin und wieder auch Shenmen (He7) um ein bisschen zu beruhigen.

Ich wünsche den beiden von Herzen noch viele schöne Jahre.


Einsamkeit

Die Dame von der ich erzählen möchte ist 84 Jahre alt. Die Geschichte ist auch ein gutes Beispiel wie sehr die Erziehung, die wir genossen haben, unser Leben beeinflusst.

Besagte Dame kam 1 mal pro Woche zur Behandlung. Sie jammerte immer über ihre Schmerzen und darüber wie lieblos die Schwestern seien. Alles unqualifiziertes Personal, ihrer Ansicht nach. Sei war ziemlich verbittert über ihre derzeitige Situation. Nichts passte ihr. Das Essen ist schlecht. Die Betreuung miserabel. Das Leben bietet keine Freuden mehr. etc… Außerdem sei sie so allein. Niemand kümmere sich um sie. Ich sei der einzige Lichtblick der ganzen Woche. Die Einsamkeit nehme ihr jeden Lebenswillen. Das machte sie sehr traurig.

Ich gab zu bedenken, dass ich eigentlich nicht verstehe warum sie so einsam sei. Immerhin wohnen ungefähr 300 Personen in unserem Haus. Sie war noch nie sehr kontaktfreudig und deshalb sei es eben ein großes Problem auf andere Leute zuzugehen. Ich wagte den Schritt nach vorne und regte an, ihre Tischnachbarin beim Mittagessen anzusprechen.

Das löste weitere Probleme aus. Zum Ersten spielt hier die Erziehung eine Rolle. Es gilt als höchst unfein beim Essen zu reden. (das haben schon die Eltern gesagt: „Beim Essen spricht man nicht“)  Ich bin immer wieder verblüfft wenn ich zufällig zur Mittagszeit in den Speisesaal gehe. Man hört nur dezentes klappern mit dem Besteck. Es finden fast keine Gespräche statt. Höchstens im Flüsterton um die anderen nicht zu stören.

Zweitens hat mich die Antwort der Klientin noch mehr verblüfft. Sie sagte nämlich: „Was, mit der Alten rede ich doch nicht“.

Ich gab zu bedenken, dass es immerhin möglich wäre, dass ihre Tischnachbarin auch bei mir in Behandlung sei und mir in ähnlicher Weise ihre Ansichten über sie darlegt. Nämlich die Barriere mit dem Tischnachbarn nicht zu sprechen. Weil, „mit der Alten rede ich doch nicht“.

Bei der nächsten Sitzung war sie wie ausgewechselt. Sie begrüßte mich mit den Worten: „ich hab es getan“. Blöderweise konnte ich mich nicht erinnern was ich ihr geraten hatte. (Seitdem protokolliere ich auch diese Dinge)

Binnen kurzem klärte sich jedoch auf, was sie getan hätte. Nämlich, ihre Tischnachbarin doch angesprochen zu haben.(Ich bewundere den Sprung über den Schatten. Das war sicher nicht leicht für meine Klientin). Die beiden verstehen sich gut. Treffen sich fortan auch sozusagen privat und die Laune meiner Klientin verbesserte sich derart, dass sogar das Pflegepersonal bei mir nachgefragt hat, was ich den mit ihr gemacht hätte. Sie sei wie ausgewechselt, ist freundlich zu den Schwestern und lacht den ganzen Tag.

Manchmal sind es nur ganz kleine Dinge die Lebensqualität erzeugen. Das hat im engeren Sinne nichts mit Shiatsu zu tun. Im weiteren Sinne allerdings schon. Den Shiatsu ist nun mal Begegnung und die ist in diesem Fall gelungen.


Heiratsantrag

Ganz besonders nett ist die folgende Geschichte. Eine kleine, sehr zierliche Dame im 92 Lebensjahr die 2 mal pro Woche von mir betreut wird, machte mir, einen nicht ganz ernst gemeinten Heiratsantrag.

Nach der Sitzung stellte sie sich vor mich hin, blickte mir tief in die Augen, und sagte:„Die Behandlungen halten mich am Leben. Sie fühle sich so wohl und genieße die Sitzungen immer sehr“. In der Freude darüber, dass es ihr so gut geht, meinte sie mit einem gewinnenden Lächeln: „ Wenn ich 10 Jahre jünger wäre, hätte ich mich um sie bemüht“. Die Dame wäre dann 82 Jahre alt gewesen. Das ist nicht ganz das Alter meines bevorzugten Kreises von möglichen Freundinnen. Selbstverständlich quittierte ich das Outing meiner Klientin mit einem Lächeln und zog es vor keine Stellung zu beziehen. Das Lächeln genügte und ich bekam daraufhin ein Bussi auf beide Wangen und wurde herzlich umarmt. Das Strahlen in den Augen der Dame hat mein Herz berührt. Es war ein schönes Kompliment für meine Arbeit. Manche Dinge kann man eben nicht mit Geld bezahlen.

In diesem Fall stimmen wohl die Worte „vereint bis das der Tod Euch scheidet“. Ich werde sie bis zum Schluss begleiten.


Diese Geschichten haben mit Shiatsu nur am Rande zu tun. Es werden keine Techniken erklärt, keine Behandlungen beschrieben. Die Begegnung mit dem Menschen steht im Vordergrund. Die kleinen Marotten, auf die man Rücksicht nimmt. Die Ansichten und Lebensgewohnheiten von älteren Menschen sind zeitweise vielleicht sogar ein wenig anstrengend, aber auch das gehört zur Behandlung. Die Lebensweisheit, die bei Menschen im hohen Alter auftritt, wiegt das alles auf.

Ich habe sehr viel von meinen Klienten gelernt und dadurch auch mein Shiatsu verbessert. Der Umgang ist behutsamer geworden. Das Eingehen auf ihre Bedürfnisse wurde geschärft und ich lernte die Behandlungen an die jeweilige Situation anzupassen.

Eines möchte ich daher meinen Shiatsu-KollegInnen und allen die diesen Artikel lesen sagen: Fad wird einem nicht. Es ist jede einzelne Sitzung aufs Neue spannend. Meine Klienten erfüllen auch mich immer wieder mit Freude, Lachen und Energie.

Ich hoffe noch viele dieser Geschichten erleben zu können.

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© Werner Brünner, Shiatsu-Lehrer und -Praktiker in Stockerau, www.shiatsu-zentrum-korneuburg.at (veröffentlicht in “Shiatsu Journal 53 / 2008”)