Shiatsu und Psychotherapie. Workshop am 1. Österreichischen Shiatsu-Kongress 1999 (Eduard Tripp)

Unterschiede zwischen Shiatsu und Psychotherapie

Der Unterschied zwischen Psychotherapie und Shiatsu wird deutlich, wenn man die offiziellen Definitionen beider Therapien vergleicht. Analytisch orientierte Psychotherapie wird folgendermaßen definiert: „… im weiten Sinne jene Methode zur Behandlung psychischer oder körperlicher Störungen, die psychologische Mittel und genauer die Beziehung zwischen Therapeut und Patient verwendet …”. Vor allem der letzte Abschnitt dieser Definition ist wichtig, denn ein großer Teil der analytischen Therapieformen beruht auf der Beziehung zwischen Therapeut und Klienten. Die Technik findet innerhalb dieser Beziehung statt und die Beziehung ist auch bestimmend für die Veränderung und den psychotherapeutischen Prozess.

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Von Anbeginn an, wenn ein Klient zum Therapeuten kommt, tritt er mit diesem in Beziehung, wobei die therapeutische Beziehung gleichsam als Spiegel der Beziehungen des Klienten zur Welt betrachtet wird. Der Klient überträgt seine Vorstellungen und Erwartungen, die durch seine Lebenserfahrungen geprägt sind, auf den Therapeuten. Aufgrund dieser Erfahrungen „sieht” der Klient im Therapeuten und in seiner Beziehung zu ihm das, was er sehen will und kann. Je größer der innere Druck ist, desto größer wird die Bereitschaft, im anderen das zu sehen, was man sehen möchte. Der Phantasie des Klienten wird deshalb im therapeutischen Setting Raum gegeben, um Verhaltensweisen und Einstellungen klarer erkennen zu können. Durch bestimmte Techniken kann (korrekt und zum richtigen Zeitpunkt angewendet) die Übertragung aufgelöst und der Blick auf eine „größere Wirklichkeit” freigegeben werden.

Die Definition von Shiatsu: „Shiatsu hat seinen Ursprung in fernöstlichen Heilmethoden, deren Grundlage die Vorstellung die Existenz einer allen Lebewesen innewohnenden dynamischen Lebensenergie ist. Gesundheit und Wohlbefinden eines Menschen in seiner Körper/Seele-Einheit sind Zustände harmonischer Ausgewogenheit bedingt durch das gleichmäßige Fließen und die gleichmäßige Verteilung der Energie in den Meridianen”.

Es geht im Shiatsu um Qi (Ki), um harmonische Ausgewogenheit von Yin und Yang, um Ausgeglichenheit in den Meridianen. Shiatsu zielt konkret auf den Zustand des Körpers und des Geistes ab. Das Ziel ist ähnlich wie in der Psychotherapie, die Technik jedoch ist ganz anders. Während in der Psychotherapie primär mit der Beziehung zwischen Klient und Therapeut gearbeitet wird, arbeitet der Shiatsu-Praktiker vor allem mit seinen Händen auf und mit dem Körper des Klienten, um das Gleichgewicht in den Meridianen wiederherzustellen.

Auch Shiatsu wird innerhalb einer Beziehung ausgeübt, und es gibt wie auch im psychotherapeutischen Setting Übertragungen. Der Klient überträgt seine Erwartungen und Wünsche auf den Praktiker. Er begibt sich besipielsweise in „sichere Hände”, er sucht jemanden, der sich um seine Probleme kümmert, er läßt sich „in den Händen des Praktikers fallen”, ist ängstlich oder angespannt … Umgekehrt kann auch der Praktiker seine Sehnsüchte und Wunschbilder in die Begegnung mit dem Klienten übertragen. Er kann sich als „großer Heiler” erleben, er kann sein Selbstbewusstsein über seine Erfolge definieren. Im Unterschied zur Psychotherapie wird im Shiatsu jedoch nicht mit der Analyse von Übertragung und Gegenübertragung gearbeitet.

Wenn man von der Definition beider Therapieformen ausgeht, ist das Ziel in etwa dasselbe. Es geht um Gesundheit von Körper, Seele und Geist. Würde man die Beziehung zwischen dem Shiatsu-Praktiker und dem Klienten in den Prozess des Shiatsu mit einbeziehen, so wäre der Unterschied in der Praxis nicht mehr sehr groß. Mit Shiatsu könnte man deshalb im Prinzip auch psychotherapeutisch arbeiten, wenn bestimmte Voraussetzungen dazu gegeben sind. In der Ausbildung zum Psychotherapeuten liegt deshalb ein Schwerpunkt auf Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis. Denn wie kann man als Psychotherapeut erkennen, was der Klient überträgt, wenn man sich selbst nicht kennt. Und zusätzlich werden Techniken erlernt, um deutlich zu machen, in welchen Verhaltensweisen sich die Übertragung wieder finden lässt.

In der Psychotherapie gibt es den Begriff der „frühen Störung” oder „Grundstörung”. Es handelt sich dabei um „Störungen”, die sehr früh in der Kindheit entstehen und bei denen die direkte und körperliche Erfahrung von Beziehung eine entscheidende Rolle spielt. Shiatsu wäre prinzipiell ein hervorragendes Mittel, um mit solchen Störungen zu arbeiten, da durch den körperlichen Kontakt rasch und direkt mit dieser Ebene Kontakt aufgenommen werden kann. Fehlt allerdings das notwendige psychotherapeutische Handwerkzeug, um mit den daraus entstehenden Situationen und Phänomenen korrekt und fördernd umgehen zu können, kann durch die Shiatsu-Behandlung auch ein Prozess hervorgerufen werden, dem weder Klient noch Praktiker gewachsen sind. Shiatsu soll und kann deshalb ohne entsprechende psychotherapeutische Ausbildung und Erfahrung kein primäres Werkzeug sein, um psychotherapeutisch zu arbeiten, kann jedoch – verantwortungsbewusst ausgeübt – eine psychotherapeutische Behandlung positiv unterstützen.


Wirkungen von Shiatsu in Bezug zur Psychotherapie

Man kann bei Shiatsu zwischen direkten und indirekten Wirkungen im psychischen Bereich unterscheiden. Direkte Wirkungen auf psychischer Ebene stehen in Zusammenhang mit bestimmten Punkten und Meridianen. So wirken beispielsweise Punkte des Herz-Meridians beruhigend, Punkte des Lungen-Meridians bei Zukunftsangst … Shiatsu hat jedoch auch indirekte Wirkungen, berührt die Menschen auf einer für sie wesentlichen und tiefen Ebene. Um die indirekten Wirkungen von Shiatsu zu verstehen, ist das Modell der psychoanalytischen Entwicklungstheorie hilfreich und wichtig.

Im Mutterleib erlebt das noch ungeborene Kind (so die Ansicht der Psychoanalyse, ähnlich auch die der Daoisten) einen Zustand vollkommenen inneren Gleichgewichts ohne jegliche Bedürfnisse, da diese ganz von selbst befriedigt werden und sich als solche deshalb gar nicht erst entwickeln können. In diesem „zeitlosen” und „unendlichen” Universum gibt es weder Wünsche noch deren Befriedigung. Der noch ungeborene Mensch ist in seinem Universum, das mit dem Universum schlechthin verschwimmt, allmächtig, autonom und kennt nichts anderes als sich selbst. Dieser als „erhebend-erhaben” bezeichnete Zustand endet für das Kind jedoch abrupt und grundlegend mit seiner Geburt. Es wird seiner Allmacht und Unabhängigkeit beraubt und wird sich zugleich seiner Triebe und Bedürfnisse, wie auch seiner Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit bewusst.

Eine gute und einfühlsame Bemutterung des Kindes nach seiner Geburt bildet die Grundlage für das Kind, das Trauma seiner Geburt zu überwinden. Die Mutter (oder eine andere nahe und vertraute Bezugsperson) ist es vor allem, die durch ihre Liebe zu ihrem Kind ein positives Klima schafft, das es dem Kind ermöglicht, sich dem Leben und der Welt vertrauensvoll zuzuwenden.

Vermittelt wird dieses grundlegende gefühlsmäßige Klima zwischen Mutter und Kind durch eine ganzheitliche Wahrnehmung, die als „coenästhetisch” bezeichnet wird. Im Vordergrund stehen dabei Haut- und Körperkontakt, Schwingung, Rhythmus, Spannung und Entspannung, Körperhaltung, Temperatur und Stimmlage (und damit die glatte Muskulatur und das Autonome Nervensystem, d.h. Sympathikus und Parasympathikus). Vor allem drei Qualitäten, nämlich Wärme, Rhythmus und Konstanz, sind es, die in dieser frühen Zeit, die Psychoanalyse spricht von den ersten sechs Lebensmonaten, von entscheidender Wichtigkeit sind und die Basis für die weitere Entwicklung bilden.

Aus dem schützenden und warmen Universum des Mutterleibs ausgestoßen und in eine kalte Welt geboren, ist Wärme für das Kind lebensnotwendig. Die adäquate Erfahrung von Wärme (weder Mangel noch Überangebot), die die Mutter (Bezugsperson) aufgrund ihrer Liebe und Zuneigung vermittelt, lässt das Kind zugleich auch emotionale Wärme und Geborgenheit erfahren und bildet die frühe Basis für Vertrauen in die Welt und für Genussfähigkeit im späteren Leben.

Den zweiten grundlegenden Bereich bildet der Rhythmus. Im Mutterleib pulsiert das Kind im Rhythmus der Mutter, in ihrem Atemrhythmus, ihrem Herzschlag, ihrem Schlaf-Wachrhythmus. Mit der Geburt jedoch tritt das Kind aus dieser rhythmischen Gleichklang mit der Mutter und muss seine eigenen Rhythmen entwickeln und stabilisieren. Unterstützt wird es darin durch ein entsprechendes Rhythmus-Angebot von außen, so wie das Neugeborene seinen eigenen Schlaf-Wachrhythmus durch die im familiären Zusammenleben vorgegebenen Ruhe- und Aktivitätszeiten entwickelt. Ein verlässlicher und adäquater Rhythmus (nicht zu schnell und nicht zu langsam) gibt Sicherheit und Halt und ermöglicht das Wahrnehmen von Form und Grenzen – insbesondere auch die Wahrnehmung der eigenen Körpergrenzen. Rhythmus und Wärme zusammen schließlich, gleichsam Form und Inhalt, bilden die Basis für das Gewahrwerden und Erleben des eigenen Körpers und dessen innere Vorstellung, die uns unser ganzes Leben, bewusst und unbewusst, begleitet (die Psychoanalyse spricht von Repräsentanz oder auch Körperbild und meint damit die Art und Weise, wie wir uns als unser Körper begreifen und erleben).

Konstanz oder Verlässlichkeit als dritte grundlegende Qualität festigt die Erfahrungen von Wärme und Rhythmus, macht sie im Inneren beständig. Urvertrauen entwickelt sich und bildet die stabile Grundlage der weiteren Entwicklung. Letztlich ermöglicht das Erleben von Beständigkeit, komplexe emotionale Beziehungen (Bindungen) einzugehen und – positiv – zu bewältigen.

Diese sehr frühen emotionalen Erfahrungen bilden unseren inneren, „narzisstischen” Kern, jene Struktur in uns, die vor allem für die Regulierung unseres Selbstwertes verantwortlich ist. Erlebt ein Kind also eine (ausreichend) gute Bemutterung und erfährt damit adäquat Wärme, Rhythmus und Konstanz, so bedeutet das aus psychotherapeutischer Sicht die Voraussetzung für psychische Gesundheit und Ausgeglichenheit und kann durchaus auch als grundsätzliches, energetisches In-Balance-Sein interpretiert werden.

Wenn das innere (und damit auch energetische) Gleichgewicht jedoch gestört ist, ist dies im Allgemeinen (zumindest mit-)bedingt durch einen Mangel im basalen, narzisstischen Bereich. Die Psychotherapie trägt dem dann insofern Rechnung, als dieses grundlegende Defizit in der therapeutischen Begegnung mit berücksichtigt wird. Wärme, Rhythmus und Konstanz werden dazu als Struktur bildende und -unterstützende Maßnahmen in die therapeutische Situation einbezogen, so z.B. durch die Förderung eines emotional-warmen Klimas (Wärme), durch regelmäßige Termine und einen annähernd gleich bleibenden Ablauf der Sitzungen (Rhythmus) sowie durch die gleich bleibend offene, zugewandte und verlässliche Haltung des Therapeuten (Konstanz).

Und gerade hier, in der Begegnung zwischen zwei Menschen, liegen auch die ureigensten Stärken von Shiatsu, denn Shiatsu ist geprägt vom offenen und aufrichtigen Kontakt und der liebevollen und ehrlichen Kommunikation zwischen zwei Menschen, die sich in einer Shiatsu-Sitzung begegnen, zwischen dem Gebenden und dem Empfangenden. Im direkten Körperkontakt, in der direkten Berührung lässt Shiatsu die sinnliche (coenästhetische) Wahrnehmungs- und Erlebniswelt wieder aufleben und unterstützt damit unsere innere Entwicklung.

Wärme als Qualität in einer Shiatsu-Behandlung vermittelt sich einerseits ganz direkt durch den unmittelbaren Körperkontakt, aber auch im emotional zugewandten Klima, in dem die Sitzung, die Begegnung stattfindet, und im Eingehen auf unseren Partner, im Eintauchen in seine und letztlich in eine gemeinsame coenästhetische Beziehungs- und Wahrnehmungswelt.

Rhythmus ist ein weiteres wichtiges Element jeder Shiatsu-Behandlung: der Rhythmus von Druck und Entspannung oder die Arbeit mit den körpereigenen Rhythmen, dem Atemrhythmus zum Beispiel, den man stärken und festigen oder aber erweitern, flexibler und durchgängiger machen kann. Immer auch sprechen wir in einer Shiatsu-Sitzung durch die direkte Berührung unseren Partner im Erleben seines Körpers, dessen Grenzen und seiner Gefühlsqualitäten an und erfahren in unserer Arbeit, dass wir als Menschen unser Körper sind und nicht nur einen Körper haben.

Konstanz schließlich vermittelt sich vor allem durch den in seinen Grundzügen immer ähnlichen Sitzungsablauf, durch das vertraute Setting, durch die vertraute Technik und durch die im wesentlichen gleich bleibende, offene, ehrliche und zugleich professionelle, das Wesentliche erfassende Zuwendung des Praktikers zum Empfangenden. Erlebte Beständigkeit befähigt uns, mit ambivalenten, einander zumindest scheinbar entgegengesetzten Gefühlen und Impulsen umzugehen und diese zu integrieren. Und gerade ein solch reifer Umgang mit einander widerstreitenden Inhalten bildet die Grundlage für Ausgeglichenheit, Gesundheit und stabile, verbindliche, reife und „ganze” Beziehungen.

Durch die offene und vertrauensvolle Begegnung unterstützt Shiatsu unsere innere Strukturierung und Differenzierung. Shiatsu vermittelt Wärme, Rhythmus und Konstanz, was sein großes Wirkungsspektrum verstehen lässt, das weit über den Ausgleich von spezifischen, energetischen Disharmoniemustern hinausgeht. Diese „indirekten” Wirkungen von Shiatsu machen es zu einer sehr effektiven Technik. Allerdings sei auch noch einmal auf die Gefahr hingewiesen, dass Shiatsu kann zwar helfen kann, basale Entwicklungen zu unterstützen, ebenso aber kann es auch Problemstellungen aus dieser Zeit wachrufen. Fehlt dann die entsprechende persönliche und professionelle Reife und Stabilität, können damit mitunter auch problematische Situationen und Entwicklungen initiiert werden.


Gesprächsführung und emotionale Begleitung

Der Shiatsu-Praktiker sollte sich bewusst sein, dass er über den Körperkontakt vergangene Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle „auslösen” kann. Ursache dafür ist das „Körpergedächtnis” oder „viszerale Gedächtnis” (Kern-Selbstempfinden der neuen Säuglingsforschung), das im Unterschied zu dem uns meist vertrauteren „semantischen Gedächtnis” schon von Beginn unseres Lebens an wirksam ist und alle unsere Erfahrungen in unserem Körper speichert. Und bestimmte Körperbereiche sind, wie auch die Erfahrung zeigt, für das Ansprechen von – oft traumatischen, aber auch positiven – Erfahrungen besonders „geeignet”. Hals- und Bauchbereich zum Beispiel aktivieren im Falle einer Missbrauchserfahrung häufig die entsprechenden Erinnerungen und Gefühle. Shiatsu Praktiker sollten sich dieser Möglichkeit bewusst zu sein, und im Zweifelsfalle ihre Klienten an einen Spezialisten weiterzuleiten (Modell der Zusammenarbeit).

Werden Erfahrungen beim Klienten wachgerufen, die mit heftigen Gefühlen wie beispielsweise Schmerz, Trauer, Wut oder auch Lust einhergehen, sollte der Shiatsu-Praktiker über das notwendige Maß an Erfahrung und Reife verfügen, um mit diesen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen auch adäquat umgehen zu können. Sie müssen nicht im Rahmen einer Shiatsu-Sitzung mit psychotherapeutischem Anspruch bearbeitet werden. Dafür gibt es Spezialisten. Der Praktiker sollte jedoch fähig sein, auch heftige und stark berührende Emotionen – ebenso wie Sehnsüchte und Bedürfnisse – anzunehmen. Sie nicht abwürgen müssen oder bagatellisieren, keine Ratschläge geben oder aber persönliche Grenzen des Klienten überschreiten.

Das ist ein sehr sensibler Bereich. Einerseits wird man mitunter vom Klienten dazu quasi „eingeladen”. Und andererseits verlocken persönliche (unbewusste) Bedürfnisse nach Nähe, Kontakt oder auch Macht den Shiatsu-Praktiker, die professionellen Grenzen der Shiatsu-Behandlung zu überschreiten.

Diese Grenzen immer zu wahren – manchmal auch einfach nur zu erkennen, was noch „korrekt” ist und was nicht –, ist oft schwierig. So können sich hinter dem scheinbar uneigennützigen und „natürlichem” Wunsch, den Klienten in einer schwierigen Situation Trost und Stütze zu geben, durchaus eigene Wünsche (z.B. nach Berührung oder Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls) verbergen.

Hier ist die Selbsterfahrung des Shiatsu-Praktikers ein wichtiger Punkt. Hat der Praktiker bei sich selbst mit gewissen Emotionen und Situationen Schwierigkeiten, kann er sie bei sich selbst nicht annehmen und mit ihnen umgehen, dann wird er mit diesen Emotionen auch dann Schwierigkeiten haben, wenn sie in einer Sitzung auftauchen oder durch eine Sitzung ausgelöst werden.

Nochmals: Es geht grundsätzlich nicht um den (therapeutischen) Anspruch, diese Emotionen oder die ihnen zugrunde liegenden Konstellationen zu lösen. Der Klient sollte aber auch nicht das Gefühl bekommen, das Auftauchen solcher Emotionen und Erfahrungen sei unerwünscht. Oder sollten sie bereits aufgetaucht sein, dass keine Möglichkeit besteht, ihnen Raum zu geben. Gefährlich nahe liegt hier auch die Möglichkeit des Missbrauchs, der in jedem Fall eine Überschreitung der (persönlichen, sexuellen, wirtschaftlichen …) Grenzen des Klienten darstellt. Meiner Meinung nach sollte deshalb in jede Shiatsu-Ausbildung die Selbsterfahrung und persönliche Reifung des Praktikers mit einbezogen werden.

In diesem Zusammenhang ist auch die begleitende Gesprächsführung von Bedeutung. Im Unterschied zur „östlichen Form des Shiatsu” hat in unserer westlichen Kultur die Sprache, der sprachliche und emotionale Ausdruck eine andere Bedeutung. Wir Europäer neigen viel mehr dazu, unsere Probleme im Gespräch mitzuteilen, während im Osten das Aussprechen von Problemen nicht in diesem Maße kulturell verankert ist.

Ziel des Gesprächs sollte es keinesfalls sein, für den Klienten eine Lösung zu finden. Insbesondere sollte der Shiatsu-Praktiker nicht versuchen, den Klienten mehr oder weniger direktiv in eine Richtung zu drängen. Im (partnerschaftlichen) Gespräch kann ein Problem vielmehr ausgedrückt werden, und es kann ihm auch ein konkreter Rahmen gegeben werden. Probleme können über die Sprache präzisiert, fassbar und damit auch behandelbar, bearbeitbar gemacht werden. Deswegen sollte in Shiatsu-Sitzungen gegebenenfalls Raum für das partnerschaftliche, nicht direktive Gespräch geschaffen werden, so dass das Mitteilen, der respektvolle Umgang und das einfühlsame Verstehen zusätzliche und tragende Elemente der Begegnung im Shiatsu werden können.

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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).