Shiatsu Wenn der Täter zum Opfer wird. Shiatsu und das Stress-Syndrom militärischer Einsätze oder das Posttraumatische Stresssyndrom (PTSS) (Marianne Steele)

Das Posttraumatische Stresssyndrom (PTSS) ist ein psychologischer Zustand hervorgerufen durch die Erfahrung extrem beängstigender oder peinigende Vorfälle wie militärische Kampfhandlungen, Naturkatastrophen, Terrorakte und gewalttätige Angriffe gegen die eigene Person. PTSS wird auch als Kriegsneurose oder Stresssyndrom militärischer Einsätze bezeichnet, die Bezeichnung Posttraumatisches Stresssyndrom wurde erstmals nach dem Vietnamkrieg gebraucht. Es ist jetzt anerkannt, dass auch traumatische Ereignisse außerhalb von Kriegshandlungen die gleichen Wirkungen hervorrufen können. 1980 wurde PTSS in das von der amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie erstellte Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders aufgenommen. Es gibt keinen Ort der mehr von Stress gekennzeichnet ist, als ein Land im Kriegszustand. Krieg verursacht Schrecken und lebenslange Traumata, die nicht nur die Teilnehmer, sondern auch deren Familien betreffen. Von außen betrachtet, besteht die Tendenz die Täter zu verachten und die Opfer des Kriegs zu bemitleiden.

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Meine Erfahrung bei der Ausübung von Shiatsu mit Kindern, die vom Balkankrieg betroffenen waren und mit Soldaten, die direkt an der US-Invasion im Irak beteiligt waren, hat mir eine Gelegenheit gegeben meine Vorstellungskraft zu erweitern, in Bezug darauf, was aktives Erbarmen für meine Shiatsu Tätigkeit bedeutet. Es ist leichter den Kriegsopfern helfen zu wollen, Empathie für ihren Schmerz zu entwickeln und etwas von ihrem Leid nehmen zu wollen. Während meiner Arbeit in dem Programm Ferien vom Krieg, unter der Schirmherrschaft vom Komitee für Menschenrechte und Demokratie, in Bosnien mit jungen Menschen die klare Erinnerungen an die Greuel des Kriegs haben, habe ich etwas darüber gelernt, wie Kinder mit Traumata umgehen und ich war erstaunt über ihre Stärke und ihren Willen weiter zu leben und so normal wie nur möglich zu sein obwohl die körperlichen als auch die emotionalen Symptome des Stresses aus den Kampfhandlungen sie ein Leben lang begleiten werden. Die Auswirkungen von PTSS bei Kindern sind sehr verschiedenen von denen der Erwachsenen. Dr. John A. Talbot, Professor für Psychiatrie an der Universität von Maryland in Baltimore, stellt verschiedene bedeutende Anzeichen von PTSS bei Kindern fest, ausgehend davon wie sich ihre Reaktion von der der Erwachsenen unterscheidet. Professor Talbot zu Folge zeigen Kinder oft:

  • Desorganisiertes oder aufgeregtes Verhalten, anstatt der Furcht, Hilflosigkeit und dem Horror den Erwachsene beschreiben.
  • Sich wiederholende Spiele in denen eher die Themen der Traumata zum Ausdruck kommen statt der klassischen ‚Flashbacks’ und wiederkehrenden Erinnerungen des traumatischen Ereignisses.
  • Beängstigende Träume, die oft nicht mit dem Ereignis zu tun haben und noch nicht einmal einen erkennbaren Inhalt haben, im Gegenteil zu Erwachsenen mit PTSS.
  • Traumata spezifische Neuinszenierungen finden statt, anstelle von dem Gefühl sich im Augenblick des Traumas zu befinden. Ein klassisches Beispiel für letzteres ist der Kriegsveteran der sich reflexartig zu Boden wirft, hört er das Geräusch einer Fehlzündung oder eines Hubschraubers.

Als ich damit anfing US-amerikanische Soldaten die von ihrem Einsatz im Irak zurück waren, mit Shiatsu zu behandeln, hatte ich ein seltsames Gefühl. Wie kann ich an die Behandlung herangehen ohne voreingenommen zu sein? Ich bin in jeder Hinsicht gegen diese Invasion und teile die Gefühle des Zorns und der Hilflosigkeit gegen den Betrug der US-amerikanischen Regierung, die ihre Bevölkerung so versucht hat von der Notwendigkeit dieses Kriegs zu überzeugen. Die meisten Militärangehörigen die ich behandle, habe keine körperlichen Schäden. Sie leiden an chronischen Muskelschmerzen, allgemeiner Müdigkeit und Depressionen. Sie haben hohe Dosen an Abwehrmittel gegen Anthrax und eine lange Reihe anderer chemischer und biologischer Vernichtungswaffen verabreicht bekommen. Sie ernähren sich von Fertigmahlzeiten, die voller Chemikalien und Konservierungsstoffe sind, und dem in Bomben enthaltenen Uran und Plutonium ausgesetzt wurden. Doch das Schlimmste, sie haben andere Menschen getötet und deren Heimatland zerstört und die meisten sind in keiner Weise davon überzeugt, dass ihr Handeln notwendig war. Die militärische Abteilung für Psychiatrie beschreibt Dangerous Battle Fatigue Symptoms wie folgt:

  • Vorsätzlich fahrlässige Handlungen
  • Vernachlässigung der persönlichen Hygiene
  • Verlust der Erinnerung
  • Angst vor dem Einschlafen
  • Halluzinationen
  • Rückzug, Apathie
  • Depressionen, andauerndes Traurigkeitsgefühl
  • Drogen und Alkoholmissbrauch

Die Symptome der Kriegsneurosen sind gleich sowohl für Täter wie Opfer, die Reaktion unterscheidet sich nur bei Kindern und Erwachsenen, das Leiden und die Angst scheint sich gleichmäßig auf alle Gruppen zu verteilen. Als Shiatsupraktikerin weiss ich, ich sollte nicht danach fragen wer mehr leidet und wer eine Behandlung verdient und wer nicht.

Die Frage ist, wie kann ich am Besten helfen. Die wenigsten Menschen wollen bemitleidet werden und noch weniger sind sie offen dafür Hilfe und Erbarmen anzunehmen. Jemanden zu bemitleiden heißt auf ihn herabzusehen und zu denken, das arme Ding, ich bin froh, dass ich nicht so bin. Erbarmen ist aktiv, es heißt Empathie für die innere Stärke und Integrität sowie die Unversehrtheit einer anderen Person zu entwickeln. Es ist eine Handlung, mit der man einer anderen Person hilft diese Eigenschaften zu erkennen, und ich bin (vielleicht naiver Weise) davon überzeugt, dass wir sie alle besitzen, einer mehr, andere weniger, doch sind sie Teil unseres Menschseins.

Opfer von PTSS sind Opfer der Auswirkungen einen Langzeitschocks. In den anfänglichen Stadien des Schocks verändert der Körper sich dramatisch, das Gefäßvolumen reduziert sich, doch der Druck nimmt zu. Die Abzweigung des Blutes aus Bereichen wie der Haut und den Nieren hin zum Gehirn und dem Herzen kann zu einem Versagen jener Organe führen, von denen das Blut abgezweigt wurde. Dies bedeutet in den meisten Fällen, dass eine Körperfunktion aufgegeben wird, um einer anderen zu helfen, was einen bösartigen Kreislauf bewirkt, der den Schock noch verstärkt, obwohl der Körper nur versucht sich zu schützen.

Deshalb ist es aus der Sicht von Shiatsu das Beste langsam zu beginnen. Die Kinder und Erwachsenen die ich mit Shiatsu behandelt habe sprechen niemals mit mir über ihre Erlebnisse; die Kinder im Balkan wegen der Sprachbarriere, die Soldaten weil es ihnen nicht erlaubt ist. Doch ist Sprache nicht notwendig, ihre gesamte Geschichte ist eingeschlossen im Energiefeld ihres Körpers oder der Meridianenergie, dort gibt es Löcher wie Krater die Bomben und Landminen hinterlassen angefüllt mit verirrten Schmerzen, und enge Festungen zur Verteidigung, abgeschlossen, isoliert und uneinnehmbar. Deshalb ist es nur normal, dass man körperliche Krankheitssymptome aufweist, nachdem man ein bedeutendes Trauma überlebt hat. Viele aus dem Militär kommen zu mir, nachdem sie mit Weichteilrheumatismus, Reizdarm, Störung der Schmerzempfindung, chronischen Müdigkeitserscheinungen, Schwindel, Sehproblemen, Lähmungserscheinungen und Muskelschwäche diagnostiziert wurden. Man verabreicht ihnen Schmerzmittel sowie Muskelweichmacher und Antidepressiva und sagt dann, dass die Symptome sich nur in ihren Köpfen ereignen.

Im Idealfall würde die Behandlung von einem Team aus Therapeuten, Psychologen und Bodywork specialists durchgeführt, die den Opfern von PTSS helfen Sicherheitszonen innerhalb ihres Lebens zu schaffen , in denen Vertrauen wachsen kann und neue Erinnerungen entstehen, obwohl sie wahrscheinlich nie ganz frei sein werden von den immer wieder aufkommenden Ängsten und den mit PTSS in Zusammenhang stehenden emotionalen Symptomen.

Es war nicht einfach, während der Shiatsubehandlungen mit Kindern und Soldaten die Kampfhandlungen überlebt haben, unvoreingenommen und frei von Emotionen zu bleiben. Und ich weiß, wie wichtig es ist, mich selbst täglich neu darauf einzustellen, um mit der Arbeit fortfahren zu können. Ich schaffe das, indem ich selbst regelmäßig Shiatsubehandlungen bekomme und vor allem durch Gespräche mit Spezialisten für psychische Störungen. Kürzlich las ich den Artikel Quantenphysik und Shiatsu von Patriza Stefanni, Shiatsu Journal Nr.38, Sommer 2004, der mich zusätzlich angeregt hat, Unsere Arbeit sollte respektvoll und demütig sein und dem Menschen helfen, seine inneren Schätze und Meridianenergien zu nutzen, um sich auf bestmögliche Weise zu verwirklichen. Wenn wir vielleicht alle etwas mehr Aufmerksamkeit gegenüber unseren eigenen und den inneren Schätzen anderer aufbringen würden, wären wir in der Lage vorsätzliche Gewaltakte gegeneinander zu vermeiden. In diesem Sinn ist Shiatsu eine gute Möglichkeit Friedensaktivismus zu praktizieren.

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© Marianne Steele (karuna.shiatsu@t-online.de), Jahrgang 1959, eigene Shiatsu-Praxis in Brühl, arbeitet seit drei Jahren mit Soldaten und deren Angehörigen, die aktiv im Kriegseinsatz in Irak und Afghanistan sind (veröffentlicht in Shiatsu Journal 43, Winter 2005)