Traditionelle Fernöstliche Medizin und Shiatsu – ein historischer Abriss (Eduard Tripp)

Die chinesischen Wurzeln

Die Anfänge der chinesischen Medizin liegen schon in der Altsteinzeit. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass es bereits vor etwa 10 000 Jahren Behandlungsformen gab, die als Vorläufer der Akupunktur betrachtet werden können. Für die Ältere Steinzeit fand man Steinnadeln, für die Jüngere Steinzeit Nadeln aus Knochenmaterial, Bambus und später aus verschiedenen Metallen wie Gold, Silber und Eisen als Zeugen der frühen Akupunkturbehandlung.

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Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), so wie sie heute als Gesamtheit zahlreicher diagnostischer, therapeutischer und philosophischer Konzepte verstanden wird, begann dann frühestens in der Xia-Dynastie (2205 – 1766 v. Chr.), spätestens aber in der Shang-Dynastie (1766 – 1122 v. Chr.). Basis des traditionellen Medizinverständnisses war – und ist bis heute – die Vorstellung vom Eingebundensein des Menschen in seine natürliche Umgebung sowie die Verbindung von Naturbeobachtungen mit kosmologischen und geomantischen Vorstellungen.

Wenn auch der Beginn der chinesischen Medizingeschichte noch wesentlich durch schamanistische Vorstellungen und Praktiken bestimmt war, so wurden in der Folge zunehmend empirische, medizinisch-biologische Erfahrungen und Ansätze integriert: Pulsbefundung, Zungendiagnostik, die Lehren von Yin und Yang, von den Fünf Elementen, von den Körpersubstanzen und den Organen wurden in die bestehenden daoistischen und konfuzianischen Medizinmodelle aufgenommen.

Daoismus und Konfuzianismus, deren Entstehung zwischen dem 8. und 5. Jahrhundert vor Christi Geburt angesetzt wird, bilden zusammen mit dem Buddhismus, der zur Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 221. n. Chr.) von Indien nach China gekommen war, die „Drei Lehren”, jene drei philosophisch-religiösen Systeme, deren Einfluss sich in der gesamten chinesischen Kultur- und Staatsgeschichte findet.

Charakteristisch für den auf Kong Zi zurückgehenden Konfuzianismus ist eine rein rational geprägte Staats- und Sittenlehre, wohingegen der Daoismus, als dessen Begründer Lao Zi gilt, gesellschaftliche Institutionen weitestgehend ablehnt. Der Daoismus, der damit geradezu im Gegensatz zur konfuzianischen Lehre steht, betont, dass der Mensch als Teil des Kosmos seinem Wesen nach vollkommen ist und nach Möglichkeit nicht in den Lauf der Natur eingreifen sollte. Der Daoismus fordert ein enges Verhältnis mit der Natur, die Orientierung an der direkten Beobachtung und die intuitive Verbindung der beobachteten Phänomene zur Herstellung kosmologischer und symbolischer Zusammenhänge.

Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zur chinesischen Heilkunst stammen aus dem 14. bis 13. Jahrhundert vor Christi Geburt, enthalten aber noch keine medizinischen Zusammenhänge und Einsichten. Auf bei Ausgrabungen zutage geförderten Orakelknochen finden sich Schriftzeichen für verschiedene Erkrankungen, ebenso wie sich in dem – im wesentlichen Teilen zumindest – zwischen dem 10. und 6. Jahrhundert vor Christi entstandenem „Buch der Lieder” nur Namen von Krankheiten und Pflanzen finden, die auch später für medizinische Zwecke verwendet wurden.

Die für die gesamte Medizintradition des Ostens grundlegende Lehre von Yin und Yang wurde erstmals etwa 700 v. Chr. im „Buch der Wandlungen” (Yi Jing) beschrieben, und das älteste medizinische Fachwerk, das „Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin” (Huang Di Nei Jing), entstand wahrscheinlich zwischen 475 und 221 v. Chr. (Zeit der Streitenden Reiche). Im Zwiegespräch zwischen dem legendären Gelben Kaiser (Huang Di) und dem (göttlichen) Arzt Qi Bo werden hier erstmals die wesentlichen und basalen Vorstellungen der Traditionellen Chinesischen Medizin dargelegt, die auch heute noch in der traditionellen fernöstlichen Medizin Gültigkeit haben.

In den folgenden Jahrhunderten wurde das bisher vorhandene Wissen systematisiert und ergänzt. So kommentiert und ergänzt der „Klassiker der Schwierigkeiten”, der Bian Que (etwa 500 vor Christi) zugeschrieben wird, schwer verständliche Passagen des Huang Di Nei Jing. Hua Tuo (141 – 212) setzte erstmals Akupunktur und Kräuter zur Anästhesie bei chirurgischen Eingriffen ein, und Zhang Zhong Jing (150 – 219) gilt mit seinem noch heute gültigen Buch „Über kälteinduzierte Krankheiten” (Shang Han Lun) als Begründer der Differentialdiagnostik in der TCM.

Aus dem 3. Jahrhundert stammen die „Vorschriften zur Soforthilfe in Notfällen”, ein grundlegendes Werk über Moxibustion und Notfallsmedizin, und das „Buch der Pulse”, das die Möglichkeiten der Pulsdiagnostik ausführlich beschreibt. Als „Vater des Pulses” jedoch gilt Bin Hu, der im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt lebte und schon damals Diagnosen mit Hilfe der Pulsdiagnostik erstellte.

Das erste sicher datierbare klassische Werk, das sich ausschließlich mit Akupunktur und Moxibustion (Zhen Jiu) beschäftigt, der „Klassiker der Akupunktur und Moxibustion”, stammt ebenfalls aus dem 3. Jahrhundert nach Christi und fasst das damalige Wissen über Akupunktur und Moxibustion systematisch zusammen.

Sun Si Miao, ein berühmter Arzt der beginnenden Tang-Zeit (618 – 907), der in seinen Schriften Grundsatzfragen der damaligen Heilkunde behandelt, erwähnt erstmals die Ashi-Punkte, jene akut schmerzhaften Körperstellen, die in die Akupunkturbehandlung einbezogen werden können.

In der Zeit der Tang-Dynastie (618? – 682) wurden Akupunktur, Moxibustion und Pharmakologie erstmals zu eigenständigen Disziplinen, und die Medizin erhielt gewissermaßen offiziellen Wissenschaftsstatus. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts wurde auf kaiserlichen Erlass die erste Schule für ärztliche Ausbildung eröffnet, deren Ausbildung allgemeine Heilkunde (hierunter wurde damals Chirurgie, Kinderheilkunde, Moxibustion, Augenheilkunde, Nasen- und Ohrenheilkunde und Zahnbehandlung verstanden), Akupunktur, Heilmassage und „Zaubersprüche” (die vor allem aus der buddhistischen Praxis stammten) umfasste. Mit der Einführung staatlicher Prüfungen im Jahre 1188 gab es dann „offiziell geprüfte Ärzte” (Ru Yi), „gewöhnliche medizinische Praktiker” (Yong Yi) und „Wanderärzte” (Chuan Yi), wobei die staatlich geprüften Ärzte in der sozialen Wertungsskala höher eingestuft waren. Diese soziale Ausdifferenzierung des Ärztestandes blieb bis zum Ende der letzten Kaiserdynastie im Jahre 1911 bestehen.

1027 ließ Wang Wei Yi zwei menschliche Figuren aus Bronze gießen, auf welchen die für die Akupunktur und Moxibustion bedeutsamen Punkte kenntlich gemacht waren. Die Schüler konnten an diesen Bronzefiguren, die mit einer Wachsschicht versehen und mit Wasser gefüllt wurden, das Auffinden der Akupunkturpunkte üben. Wurde die Akupunkturstelle vorschriftsmäßig genadelt, trat an der betreffenden Stelle sofort Wasser aus. War dies nicht der Fall, konnte kein Wasser austreten.

1341 erschien die „Darstellung der 14 Hauptmeridiane” und etwa zweihundert Jahre später die „Untersuchungen über die acht Sondermeridiane, beides Lehrbücher, deren Aussagen bis heute Gültigkeit besitzen.

In der Zeit der Jin- (1115 – 1234) und Yuan-Dynastie (1274 – 1368) gab es vier berühmte Schulen, die einen jeweils etwas anderen Therapieschwerpunkt setzten und deren Traditionen ihren Niederschlag bis in die Neuzeit fanden, nämlich die Schulen von Li Dong Yuan („Schule der Mitte” oder „Erde-nährende Schule”), Zhu Dan Xi („Yin-nährende Schule”), Zhang Zi He („Entschlackungsschule”) und Liu Wan Su („Kälte- und Kühle-Schule”).

1530 erschienen die „Fragen und Antworten zu Akupunktur und Moxibustion”, und mit der Veröffentlichung des „Handbuchs der Akupunktur und Moxibustion” sowie 1817 mit der systematischen Auflistung der 361 Akupunkturpunkte auf den 14 Meridianen erlebte die Akupunktur nochmals einen Höhepunkt. Durch den Verlust der Tradition jedoch sank sie in der Qing-Dynastie (1644 – 1840) in der öffentlichen Achtung so weit ab, dass 1822 die Abteilung für Akupunktur und Moxibustion an der Kaiserlich-Medizinischen Hochschule in Peking geschlossen wurde, da sie vom Kaiserhof als nicht mehr angemessene Therapieform für den Kaiser erachtet wurde. Damit begann der Niedergang der Traditionellen Chinesischen Medizin, die ihren Höhepunkt vor allem in der Zeit der Ming-Dynastie (1368 – 1644) erlebt hatte.

Als letzte wichtige Werke erschienen der „Goldene Spiegel der Medizin”, ein Kompendium der traditionellen Heilkunde mit Schwerpunkt auf der Kräuterheilkunde, und 1642 – als Ergänzung des differentialdiagnostischen Werks „Über kälteinduzierte Krankheiten” von Zhang Zhong Jing – die Abhandlung über die „Verbreitung von Fieberkrankheiten”.

Chirurgie (Wai Ke) nimmt innerhalb der chinesischen Medizin nur eine Randstellung ein, ihre Entwicklungsansätze wurden nie konsequent weiterverfolgt und chirurgische Eingriffe nur selten erwähnt. Hua Tuo (141 – 212) war der erste chinesische Arzt, der auch Operationen unter Einsatz von medikamentösen Betäubungsmitteln durchgeführt hat. Als Chirurg bekannt geworden ist auch Chen Shi Gong (1555 – 1636), dessen „Standardlehrbuch zur Chirurgie” auch einen ethischen Kodex für Ärzte, die „Fünf Verbote” enthält:

  • Niemals zu spät kommen, wenn man zu einem Patienten gerufen wird, sei er arm oder reich, und die notwendige Medizin oder Behandlung mit oder ohne Bezahlung verabreichen.
  • Eine Frau, ein Mädchen oder eine Nonne niemals ohne Anwesenheit einer dritten Person untersuchen und die Schweigepflicht beachten.
  • Niemals die wertvollen Bestandteile einer Medizin durch minderwertige ersetzen.
  • Niemals die Praxis während der Ordinationszeiten zu Zwecken der Freizeit oder des Vergnügens verlassen, den Patienten persönliche versorgen und Rezepturen sorgfältig und deutlich lesbar ausstellen.
  • Niemals auf unsittliche Gedanken kommen, wenn der Patient eine Prostituierte oder die Geliebte eines Mannes ist; auch diese Personen wie achtbare Leute behandeln, nach der Behandlung das Haus des Patienten sofort verlassen und nur auf Herbeiruf wieder betreten.

Als Basis der Kräutertherapie (Zhong Cao Yao) gilt der „Klassiker des Shen Nong zur Kräuterkunde”, der Shen Nong, dem Bruder des Gelben Kaisers zugeschrieben, von der Forschung jedoch in die Zeit zwischen dem zweiten Jahrhundert vor und dem zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt datiert wird. In diesem frühen Werk zur Kräutertherapie, auf das sich spätere Autoren immer wieder beziehen, finden sich die Namen und die Anwendungsmöglichkeiten der damals bekannten „Heilkräuter”, die durchaus auch tierischer Herkunft sein können. Anfangs war die Pharmakologie vor allem noch im Bereich der magisch-religiösen Medizin angesiedelt, und in ihrer sozialen Stellung blieb die Kräutertherapie auch bis in die Neuzeit hinter der von Akupunktur und Moxibustion zurück, weil sie vor allem von den Wanderärzten praktiziert wurde.

Über viele Generationen von Ärzten wurde das Wissen der Kräutertherapie weitergegeben, überprüft und neu bewertet, indem veraltete, dem Abglauben verhaftete, unbrauchbare oder geradezu schädliche Rezepturen weggelassen wurden. Im Jahre 1578 beispielsweise erschien das „Handbuch zur chinesischen Materia Medica”, in dem die bislang bekannten 1872 Kräuter und über 10 000 Rezepturen neu systematisiert und zusammengefasst wurden.


Die Traditionelle Chinesische Medizin in China heute

Schon im beginnenden 16. Jahrhunderts setzten sich europäische Handelsgesellschaften in China fest. 1516 gingen portugiesische Schiffe in Kanton vor Anker. Die chinesische Regierung jedoch wollte sich abschließen und keine Fremden in ihre Häfen lassen. Vor allem die jesuitischen Missionare waren es dann im 17. Jahrhundert, die im Versuch, das Christentum in China zu verbreiten, westliches, vor allem wissenschaftliches Gedankengut nach China brachten und – umgekehrt – auch die Kunde der chinesischen Medizin in den Westen.

Die erste Begegnung Chinas mit der modernen westlichen Medizin erfolgte deshalb auch erst in der Zeit der so genannten Opiumkriege (1839 – 1842), in dem sich die westlichen Kolonialmächte ein Tor nach China öffneten – was letztlich den Zerfall der alten chinesischen Ordnung noch beschleunigte. Nach dem Ende des Krieges richtete die Ostinidische Gesellschaft in Kanton und Macao (westliche) Krankenhäuser ein. Wurde anfänglich die westliche Heilkunst gering geschätzt, gewann sie später jedoch durch ihre oft spektakulären und augenscheinlichen Erfolge (vor allem nach der Erfindung der Anästhesie 1846 und der Erforschung der antiseptischen Verfahren 1867) immer mehr an Ansehen.

Nach der bürgerlichen Revolution 1911 fand die westliche Medizin eine weitgehende Verbreitung, während die traditionellen Heilmethoden immer weniger geschätzt wurden. Im Grunde war das Ansehen der Ärzte innerhalb der chinesischen Gesellschaft, die vor allem von konfuzianischen Beamten gelenkt wurde, immer schon relativ gering gewesen, denn die Konfuzianer sahen im Arzt lediglich einen mehr oder weniger geschickten Handwerker. Außerdem hatten nur wenige konfuzianische Gelehrte Interesse an der Medizin. Das Wissen um die Gesunderhaltung des Körpers und die zur Heilung von Krankheiten erforderlichen Maßnahmen und Mittel blieb deshalb vor allem eine Angelegenheit der Familien. Es wurde als Geheimwissen vom Vater auf den Sohn oder vom Meister auf den oder einige wenige Schüler weitergegeben und kaum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ein weiterer Grund für den Niedergang der traditionellen chinesischen Medizin ab etwa 1000 nach Christi war auch der Buchdruck, der in China ungefähr 500 Jahre früher als in Europa erfunden wurde. Durch die Verbreitung des Gedruckten kam es erstmals dazu, dass eine reine Büchergelehrtheit entstand, in der Ärzte ihr Wissen nicht mehr an Patienten erwarben und in der Praxis erprobten. Mehr und mehr fragwürdige Praktikern wurden so in viele Bücher aufgenommen, bis hin zu magischen Praktikern und einer Dämonenmedizin.

Dieser fortschreitende Niedergang der traditionellen Heilkunde, zusammen mit der Kunde über die erfolgreiche Seuchenbekämpfung der westlichen Medizin führte in China, das mit großen Epidemien zu kämpfen hatte, schließlich dazu, dass 1914 ein Ansuchen traditioneller Mediziner auf Bildung einer eigenen Ärztevereinigung abgelehnt wurde. Der Antrag auf ein endgültiges Verbot der traditionellen Heilmethoden wurde erst 1929 in Anbetracht einer massiven Protestbewegung abgewiesen, die offizielle Geringschätzung der Traditionellen Chinesischen Medizin, die gleichsam als unwissenschaftliche Kurpfuscherei betrachtet wurde, jedoch blieb.

In Rotchina schließlich wurden seit der Machtübernahme durch die Kommunisten Akupunktur, Moxibustion und Kräutertherapie gleichberechtigt neben der westlichen Medizin („moderne chinesische Medizin”) praktiziert – heute vielfach mit dem Verständnis, dass die chinesische Medizin an der Wurzel heilt, die westliche Medizin jedoch das Symptom (und dass gerade darin auch ihre Stärken liegen). Seit etwa 1950 werden die alten Klassiker wieder studiert und in Hinblick auf ihre diagnostische und therapeutische Anwendbarkeit überprüft – um sie wieder zum Allgemeingut zu machen. 1958 fasste das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei den Beschluss, dass künftig westliche und traditionelle chinesische Medizin Seite an Seite den Menschen dienen sollen. Beide Richtungen wurden damit rechtlich und institutionell als gleichwertig anerkannt, so dass das China von heute durch eine Koexistenz beider Medizinformen gekennzeichnet ist. 1956 wurden deshalb die ersten „Colleges” für Traditionelle Chinesische Medizin – erstmals in Chengdu, Peking, Nanking und Kanton – eröffnet. Neben den Grundbegriffen der westlichen Medizin – hier vor allem Anatomie, Physiologie und Biochemie – sind jedoch über zwei Drittel des gesamten, vier bis sechs Jahre dauernden Studiums für den Unterricht in Traditioneller Chinesischer Medizin vorgesehen.

Bei uns im Westen bekannt geworden sind auch die so genannten „Barfußärzte”, die zur Zeit der Kulturrevolution in der Mitte der 60er Jahre sowohl eine westliche als auch eine traditionelle medizinische Grundausbildung erhielten und in die weniger entwickelten Landesteile geschickt wurden, um dort für medizinische Betreuung zu sorgen.[1]Jung C`hang (in “Wild Swans”, Flamingo Verlag, ISBN: 0-00717076-9, S. 451f) schreibt zur Ausbildung der Barfuß-Ärzte in China: ” … , and I had been studying a book called A … weiterlesen

Nach der Kulturrevolution Anfang der 70er Jahre wurde die Herrschaft der Politik über die Wissenschaft zunehmend gelockert und die Grundlagenforschung in vielen medizinischen Bereichen intensiviert.


Die traditionelle Medizin in Japan

Die Entwicklung des japanischen Staates und seiner Kultur ist eng mit der chinesischen Geschichte und ihren Geistesströmungen verbunden. Schon sehr früh, etwa im 1. Jahrhundert nach Christi, begann der Handel Japans mit China und Korea. Die ersten Waren, die so nach Japan gebracht wurden, waren vor allem Ackergeräte aus Eisen, später dann wurden auch Gold- und Silberwaren, Stoffe, Gemälde und Bücher eingeführt.

In Anerkennung der Überlegenheit der chinesischen Kultur übernahmen die Japaner in der Folge viel von den fortgeschritteneren Nachbarn, so auch die chinesischen Schriftzeichen, ihre Verwaltung und Medizin sowie den Buddhismus, den im Jahre 552 Gesandte des Königreichs von Paekche (Korea) in Form von buddhistischen Schriften und Skulpturen des Buddha nach Japan brachten.

Die frühen Japaner glaubten das Land erfüllt von „kami”, guten oder auch bösen Göttern. Diese ursprüngliche Naturreligion, später als Shintoismus bezeichnet („shinto” bedeutet „Straße der Götter”), verband sich durch den Kontakt mit den chinesischen (und koreanischen) Strömungen des Konfuzianismus und Buddhismus. Shintoismus und Buddhismus wurden in der Folge miteinander zu einer eigenständigen, japanischen Form des Buddhismus verschmolzen, den auch eine starke Verbindung mit dem Staat kennzeichnete. Und schon unter Fürst Shotoku, der von 593 bis 622 regierte, wurde der Buddhismus fest in Japan etabliert. Zugleich auch rief er das japanische Volk auf, mit der Kultur Chinas, die seine größte Bewunderung besaß, zu wetteifern.

Und so wie der Buddhismus, die chinesischen Schriftzeichen und die Verwaltungsstrukturen aufgenommen, angepasst und gemäß den eigenen Bedürfnissen und Erfordernissen weiterentwickelt und eingebunden wurden, wurde auch das komplexe System der chinesischen Medizin in Japan integriert. So gilt das Shang Han Lun von Zhang Zhong Jing (150 – 219) bis heute als Grundlage für die traditionelle Heilkunde in Japan, für die so genannte „Kaiserliche Medizin” (o kan-i) oder Kampo-Medizin, die als Ausläufer der Traditionellen Chinesischen Medizin in Japan eine eigenständige Entwicklung genommen hat.


Die traditionelle fernöstliche Medizin in Europa

In Europa wurde die Akupunkturbehandlung Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt. Die erste Erwähnung findet sich in „De utriusque Indiae” von W. Piso 1657 mit entsprechenden Beobachtungen aus Japan. Eingehender beschrieben wurde die Nadelstichtherapie dann 1683 von Willem Ten Rhyne, der als Arzt bei der Ostindischen Handelsgesellschaft tätig war und auch den Namen „Akupunktur” prägte. Zuvor schon, im Jahre 1682, wurden theoretische Grundlagen der chinesischen Medizin von Andreas Cleyer in seinem Werk „Specimen medicinae siniacae” ausgeführt.

1816 berichtete der französische Arzt Louis Berlioz erstmals über die stimulierenden Effekte der Elektroakupunktur, die dann 1825 von Sarlandière erfolgreich zur Behandlung von Gicht und Rheuma eingesetzt wurde. In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts wurde von Niboyet nachgewiesen, dass die Akupunkturstellen Bereichen mit niedriger elektrischer Ladung darstellen und sich Erkrankungen in tieferen Schichten des Körpers an den entsprechenden Akupunkturstellen als Veränderungen in den elektromagnetischen Werten äußern. Ausgehend von dieser Entdeckung wurden verschiedene elektrische Apparate entwickelt, um den elektrischen Widerstand auf der Hautoberfläche zu messen und auf die Akupunkturpunkte einzuwirken. In Deutschland entwickelte R. Voll eine entsprechende Elektroakupunkturapparatur, in Japan Nakatani, die er Ryudoraku nannte.

Da die Akupunktur-Therapie in das System der kausal-analytischen Wissenschaft, wie sie die Medizin ab Mitte des 19. Jahrhunderts war (und in dieser Form zu ihrem vermeintlichen Siegeszug ansetzte), nicht integrierbar war, scheiterte der erste Annäherungsversuch dieser beiden Medizinsysteme. Zu einem Umschwung im Verhältnis zwischen westlicher und fernöstlicher Medizin kam es in Frankreich dann durch Soulie de Morant, der nach dreißigjährigem Studium in China (1901 – 1931) erstmals wesentliche Bausteine des theoretischen Hintergrundes und eine ansatzweise Darstellung der chinesischen Physiologie und Diagnostik nach Europa brachte. Seither hat sich die Traditionelle Chinesische Medizin mehr und mehr auch in Europa verbreitet. Anfangs waren es vor allem die Akupunktur und Moxibustion, aber auch chinesische Gesundheitstechniken wie Taiji und Qigong, die einen breiten Bekanntheitsgrad erlangten. Die Akupunktur war es dann auch, die als erstes Teilgebiet der alten chinesischen Heilkunde ärztliche Anerkennung erhielt, wenn auch vielfach von ihren traditionellen Grundlagen “gereinigt” In Österreich ist es vor allem auf Professor Johannes Bischko zurückzuführen, dass die Akupunktur als ärztliches Heilverfahren anerkannt wurde. Gleichzeitig und ergänzend dazu beginnen nun auch mehr und mehr die anderen Teilgebiete der TCM, wie beispielsweise die Kräutertherapie und die traditionelle chinesische Differentialdiagnostik, an Verbreitung zu gewinnen und in den Heilberufen integriert zu werden.


Die Wurzeln des Shiatsu

Die Anfänge von Shiatsu lassen sich einerseits auf Bodhidharma zurückführen, der etwa um 530 v. Chr. ein System von Übungen zur Erhaltung der Gesundheit und zur geistigen Schulung eingeführt haben soll. Dieses Übungssystem, Dao Yin (japanisch Do-in) genannt, umfasste neben körperlichen und Atemübungen auch die Selbstbehandlung durch Massage und die Anregung spezifischer Akupunkturpunkte.

Entsprechend dem Leitsatz von Hua Tuo, dass der kluge Arzt nicht heilt, sondern dass er Erkrankungen vorbeugt, wurde Dao Yin bald zu einem integralen Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin und verbreitete sich im Laufe der Zeit zusammen mit den anderen traditionellen Heilkünsten (Akupunktur, Moxibustion, Kräutertherapie, Schröpfen und Ernährungslehre) über weite Teile Asiens.

Zum anderen entwickelte sich schon sehr früh die von den chinesischen Ärzten ausgeführte Massage (Tui Na oder auch An Mo), die erstmals im Huang Di Nei Jing Erwähnung findet. Etwa zur gleichen Zeit wie das „Buch des Gelben Kaisers” (zwischen 475 und 221 v. Chr.) entstand auch das erste Lehrbuch der Heilmassage, der „Klassiker der zehn Kapitel über Massage und Atemübungen”.

Tui Na basiert auf denselben theoretischen Grundlagen wie Akupunktur und Kräuterheilkunde und besonders wesentlich ist die Erfahrung, dass die inneren Funktionen des Körpers über zuordenbare Bahnen und Kanäle mit der Körperoberfläche in Verbindung stehen. Im Wissen um diese Zusammenhänge können durch die Behandlung bestimmter Punkte und Zonen auf der Körperoberfläche innere Funktionen beeinflusst und Organe ins Gleichgewicht gebracht werden. Akupressur (Zhi Zhen Liao Fa) als Teilbereich von Tui Na, wobei Finger statt Nadeln zur Beeinflussung von Akupunkturpunkten eingesetzt werden, wird ebenfalls in den „Vorschriften zur Soforthilfe in Notfällen” (3. Jahrhundert nach Christi) erwähnt, wo von der Behandlung eines bewusstlosen Patienten durch Fingerdruck auf GV 26 (Ren Zhong) berichtet wird.

Schon sehr früh, in der Zeit der Wei- und Jin-Dynastie (220 – 420) gab es bereits spezialisierte Tui-Na-Kliniken in China, und seit der Gründung der kaiserlichen medizinischen Akademie zu Beginn des 7. Jahrhunderts war Tui Na eine der gelehrten Heilmethoden, mit der insbesondere Kinder behandelt wurden. Während der Ming-Zeit (1368 – 1644) entwickelte sich die Heilmassage für Kinder (Xiao Er Tui Na) dann zu einer eigenständigen Disziplin innerhalb der chinesischen Medizin, da die chinesischen Ärzte schon sehr früh erkannt hatten, dass sich Kinder physiologisch, anatomisch und energetisch von Erwachsenen unterscheiden. Akupunkturpunkte und Meridiane haben bei Kindern nicht im gleichen Ausmaß Gültigkeit. Daraus entwickelte sich ein spezielles Repertoire von Punkten und Behandlungstechniken für Kinder, das sich von Akupunktur und Massagemethoden für Erwachsene unterscheidet. Tui Na kommt auch heute noch in der traditionellen chinesischen Medizin ein hoher Stellenwert zu. Angewendet wird sie vor allem bei sensiblen und nadelempfindlichen Patienten sowie bei Kindern. Auch bei anderen Beschwerden und Dysfunktionen, die auf Akupunktur und Moxibustion ansprechen, kann und wird sie mit Erfolg eingesetzt.

In Japan, das die Lehren der chinesischen Medizin übernahm, hat sich aus Tui Na die „Japanische Massage” (Anma) entwickelt. In der Edo-Zeit (vor etwa 300 Jahren) mussten die japanischen Ärzte Anma studieren und sich mit der Struktur des menschlichen Körpers sowie seinen Energiebahnen und Druckpunkten vertraut machen, um so die Grundprinzipien der östlichen Medizin zu verstehen wie auch die notwendigen praktischen Fähigkeiten zu entwickeln. Angewendet wurde dann, je nach spezifischem Fall, die jeweils adäquat erscheinende Behandlungsmethode, also Kräutertherapie, Akupunktur, Moxibustion oder manuelle Behandlung.

Später verlor sich die therapeutische Anwendung und die Bedeutung von Anma. Massage wurde bald nur noch angewendet, um Muskelverspannungen zu lösen und schließlich überhaupt nur noch, um angenehme und lustvolle Gefühle hervorzurufen, was dazu führte, dass Anma nicht mehr als medizinische Therapieform betrachtet wurde.

Diejenigen Anma-Therapeuten, die weiterhin auf der Grundlage der traditionellen fernöstlichen Medizin arbeiteten und zudem auch Erkenntnisse der westlichen Medizin in ihre Arbeit integrierten, gaben ihrer Arbeit in der Folge den Namen Shiatsu, wörtlich „Fingerdruck”, um den restriktiven gesetzlichen Bestimmungen zu entgehen, denen Anma mittlerweile unterworfen war. Im Jahre 1955 wurde Shiatsu dann als legitime Therapiemethode erstmals (wenn auch noch als Teilgebiet von Anma), 1964 dann als von Anma und anderen Massage-Techniken deutlich getrennte und unabhängige Behandlungsmethode anerkannt:

„Shiatsu ist eine Form von manueller Behandlung, ausgeführt mit den Daumen, anderen Fingern und den Handflächen, ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Instrumente. Durch Druck auf die menschliche Haut beseitigt sie innere Fehlfunktionen, fördert und erhält die Gesundheit und behandelt spezielle Krankheiten”, so lautet die Definition des japanischen Gesundheits- und Wohlfahrtsministeriums.

Die offizielle Anerkennung von Shiatsu in Japan ist vor allem auf die Arbeit von Tokujiro Namikoshi zurückzuführen, der 1925 in Hokkaido ein Institut für Shiatsu-Therapie und 1940 das Japanische Shiatsu-Institut (später in Japanische Shiatsu-Schule umbenannt) gründete, die 1957 vom japanischen Gesundheitsministeriums – als erste Schule des Landes, die eine Fachausbildung in Shiatsu durchführt – offiziell anerkannt wurde.


Shiatsu in Europa

Vor allem zwei Stile oder Hauptrichtungen des Shiatsu sind es, die sich von Japan aus in Europa verbreitet haben. Zum einen ist dies der Stil von Tokujiro Namikoshi, dessen Anliegen es vor allem ist, über spezifische Druckpunkte auf das zentrale und autonome Nervensystem einzuwirken. Die zweite Hauptrichtung war und ist das von Shitsuto Masunaga geprägte Iokai-Shiatsu, das eine Synthese von westlicher Physiologie und Psychologie mit traditioneller chinesischer Medizin sucht. Bekannt geworden ist hier vor allem auch die Hara-Diagnostik, die Arbeit mit der „Mutterhand” und das „erweiterte Meridiansystem”.

In Europa haben sich zudem insbesondere noch Barfuß-Shiatsu und Ohashiatsu verbreitet. Barfuß-Shiatsu nach Shizuko Yamamoto wird vor allem in der makrobiotischen Tradition ausgeübt und gelehrt, und Ohashiatsu ist eine von Wataru Ohashi entwickelte Variante des Shiatsu, die wiederum verschiedene Stile in sich verbindet.

Während Shiatsu also in Japan schon sehr früh Anerkennung und Einbindung in das bestehende Medizinsystem fand, führte es lange Zeit in Europa gleichsam nur ein Schattendasein und war nahezu unbekannt. Erst in den letzten Jahren gewinnt diese sanfte und doch so effektive Form der Behandlung mehr und mehr an Beachtung.

Um Shiatsu zu einer gesetzlichen Anerkennung zu verhelfen und eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Shiatsu-Praktiker zu garantieren, wurden in Österreich im Herbst 1993 der „Österreichische Dachverband für Shiatsu” und Anfang 1994 der „Europäische Dachverband” (European Shiatsu Federation, ESF) gegründet. Die gemeinsamen Anstrengungen aller Shiatsu-Praktiker und -Verbände führten bislang dazu, dass Shiatsu in der Öffentlichkeit mehr und mehr an Bekanntheit gewinnt und dass das Potential von Shiatsu als alternative und komplementäre Heilmethode nun auch innerhalb der Europäischen Union diskutiert wird.

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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at).

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Jung C`hang (in “Wild Swans”, Flamingo Verlag, ISBN: 0-00717076-9, S. 451f) schreibt zur Ausbildung der Barfuß-Ärzte in China: ” … , and I had been studying a book called A Barefoot Doctor`s Manual, one of the few printed items allowed in those days … 0n 26th June 1965 he (Mao) made the remark which became a guideline for health and education: ‘The more books you read, the more stupid you become.’ I went to work with absolutely no training.”